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DAS AUGE DES FEINDES

Staub wirbelt auf, als Ragnar, der Captain des Space Wolves Space Marine Ordens, seinen Stiefel aufsetzt. Der Sergeant seiner Ehrengarde bleibt am rechten Ellenbogen und richtet immer sein Sturmgewehr nach vorne. Hinter Ragnar kommen noch neun weitere Marines seiner Ehrengarde in den schmalen Gang. Ragnar hält Frostfang, sein Kettenschwert, locker in der Rechten. Die Space Wolves haben die Stadt zwar von nichtmenschlichem Abschaum gesäubert, aber einige der Eldar mögen sich noch in den Ruinen versteckt halten. Und Ragnar kann es sich nicht lassen, eine Jagd zu veranstalten, nach der Art des Wolfes.
Bisher ist nichts passiert. Das Auspex des einen Ehrengardisten wird durch die Mauern behindert. Doch plötzlich meldet sich der Gardist. "Kurzer Kontakt. Vor uns hat sich was bewegt, Sir!"
Ragnar hört schnelle Schritte aus der Tür, die in einigen Metern in der rechten Wand eingelassen ist, und feuert seine Boltpistole aus der Hüfte ab. Doch die Schüsse sind zu hoch angesetzt. Denn eine Gestalt hat sich, bevor sie die Tür passierte, auf den Boden gestürzt und rutscht nun auf der linken Seite durch den Gang. In dem Augenblick, in dem die Gestalt den Gang durchquert und in der gegenüberliegenden Tür verschwindet, feuert sie mit unglaublicher Geschwindigkeit ihre Waffe ab. Ragnar fühlt sich wie im Auge eines Sturmes, denn unzählige Geschosse fliegen an ihm vorbei, ohne ihn zu treffen. Das letzte Geschoss fliegt an Ragnars Kopf vorbei und schneidet einige der langen Haare ab. Langsam fallen die Haare auf den Boden, doch bevor sie ihn erreichen, fällt der Sergeant um, von dem Geschoss in der Stirn getroffen. Ragnar wirft ein Blick über die Schulter. Zwei weitere Gardisten sind verwundet worden, alle anderen wurden von den vor ihnen stehenden Marines geschützt. "Weiter," befiehlt Ragnar. Nach einigen Kurven spürt Ragnar ein ungutes Gefühl. Plötzlich bricht hinter ihm eine Wand ein. Der Eldarkrieger hat eine schwache Stelle in der Wand durchbrochen und dezimiert die Ehrengarde weiter. Bevor auch nur ein Schuss abgegeben werden kann, ist die Gestalt wieder verschwunden. Doch ein kurzer Blick hat Ragnar genügt. "Asurmen," murmelt er und grinst. "Geht zurück zum Ausgangspunkt. Ich komme nach," befiehlt er den überlebenden fünf Marines. Dann lädt Ragnar seine Boltpistole durch und geht alleine weiter.
Hinter einer Gangbiegung steht ruhig die blaue Gestalt, ein langes Schwert locker vor sich auf den Boden gestellt und die Hände auf dem Griff verschränkt. Die Rüstung ist vornehmlich in Blautönen gehalten, mit goldenen und andersfarbigen Akzentuierungen. Der hohe Helm hat ein vollstilisiertes Gesicht und einen Federbusch. Ragnar bleibt ein paar Meter vor ihm stehen und grinst. "Ich war mir sicher, dass ich dich bei unserer letzten Begegnung getötet habe, Asurmen," sagt er in ruhigem Tonfall. Der Kopf bewegt sich nicht, aber es ist Ragnar, als würde das Gesicht des Helmes spöttisch lächeln. "Ich lebe aber. Ihr habt meinen Körper vielleicht getötet, aber mich könnt ihr niemals vollständig vernichten," antwortet Asurmen. "Dann geht es weiter," stellt Ragnar fest. "Ja," sagt der Eldar und hebt sein Schwert. Mit einer fließenden Bewegung überbrückt Asurmen die Distanz zwischen ihm und dem Space Marine Captain. Mit Frostfang pariert Ragnar den ersten Hieb und feuert die Boltpistole auf den Bauch des Phönixlords ab. Eine Hand Asurmens schießt vor und greift das Geschoss aus der Luft und wirft es an die Wand. Der Massetaster in der Spitze des Boltergeschoßes schlägt erst an, als es die Wand trifft, und aktiviert den Sprengstoff.
Frostfangs Klingen kreischen als sie das Schwert von Assur treffen und schlagen Funken. Momentelang stehen Ragnar und Asurmen im Gang und testen die Stärke des Gegners. Plötzlich senkt sich Asurmen in die Knie und tritt eine Sichel nach den Beinen Ragnars. Der hat es erwartet, weil Asurmen diesen Trick bereits im letzten Kampf erfolgreich verwendet hat, und geht einen Schritt zurück, um einen sicheren Stand zu bekommen. Doch dieses Mal versucht Asurmen nicht, Ragnar mit dem Tritt auf den Rücken zu befördern, sondern hakt sein Bein zwischen die Beine und nutzt das Hebelmoment um mit seinem anderen Bein gegen den Kopf von Ragnar zu treten. Die verstärkten Knochen des Marines halten den Tritt auf, aber Ragnar ist für einen Moment benommen und verliert das Gleichgewicht.
Als Ragnar wieder auf die Beine kommt ist der Gang leer. Verflucht schnell sind diese Eldar. Aber Ragnar macht sich keine Sorgen. Asurmen würde wieder angreifen, ohne Zweifel. Und er hat Recht. Eine Bewegung rechts in einem Türrahmen läßt ihn zusammenzucken und Frostfang nach oben reißen. Das Schwert von Asur prallt am Kettenschwert ab und Asurmen hebt seinen Schwung durch einen Sprung zur Wand im Gang auf. Die in den Unterarmschienen eingearbeiteten Shurikenpistolen feuern ihre Munition auf Ragnar ab. Drei Geschosse prallen an der dicken Marinerüstung Ragnars ab, aber ein Geschoss trifft auf eine Schwachstelle zwischen den Panzerplatten und schneidet in sein Fleisch. In einem Reflex schließt Ragnar kurz die Augen, um den kurzweiligen Schmerz zu vertreiben. Als er die Augen wieder öffnet ist Asurmen wieder verschwunden. Den Schmerz benutzend steigert Ragnar sich in eine Wut. Ragnar brüllt seinen berüchtigten Wolfschrei, der durch den Gang hallt. Er läuft den Gang entlang und feuert seine Boltpistole in jeden Raum, an dem er vorbeiläuft. Hinter sich hört er die Explosionen seiner Boltermunition verklingen.
"Ich bin hier, Mensch," hört Ragnar den Eldar aus einem nahen Raum rufen. Es ist ein großer Saal in dessen Mitte Asurmen auf Ragnar wartet. Ein Buntglasfenster nimmt eine Wand zur einen Seite Ragnars ein. Das Motiv ist ein Marine mit einem auf einer Lanze aufgespießten Ork. In einem kurzen Moment fragt Ragnar sich, was das Fenster zu bedeuten hat, vielleicht ein Omen? Dann hebt er seine Boltpistole und zieht den Abzug durch. Asurmen zuckt mit keinem Muskel. Aber es kommt kein Geschoss aus dem Lauf. "Du hast die Munition verbraucht, ich habe mitgezählt," spottet Asurmen. Ragnar steckt die nutzlose Boltpistole ins Holster und greift wütend an. Aber der Phönixlord leitet die Kraft der Angriffe zur Seite und stößt zu. Und wieder rettet die dicke Rüstung Ragnars Leben.
Ragnar zwingt das Schwert von Assur auf den Boden und schlägt auf das Gesicht des Helmes. Asurmen nutzt den Schwung und rollt sich ab. Bei seinem sofort folgenden Angriff stößt Asurmen Ragnar zurück gegen eine Stützsäule. Schnell duckt Ragnar sich als das Schwert von Asur die Säule durchtrennt.
Lange teilen die beiden aus und parieren die Attacken des Gegners. Der Lendenschurz von Asurmens Rüstung ist bereits abgefallen und mehrere Haarbüschel von Ragnar bedecken den Boden. Aber keiner gibt nach in dem langen Kampf zwischen zwei gleichstarken Rivalen. Purer Wille hält Ragnar und Asurmen auf den Beinen, nicht gewillt dem Gegner auch nur eine einzige Möglichkeit des Sieges zu geben.
Aber der Kampf fordert nicht nur bei den beiden Kontrahenten Tribut, sondern auch dem Schaden den die beiden anrichten. Die Boltergeschosse, die Ragnar abgefeuert hat, und die Schwertstreiche gegen die Säulen haben die bereits instabile Ruine weiter geschwächt. Ragnar und Asurmen haben die herabfallenden Steine während des Kampfes nicht beachtet, aber jetzt stürzt ein großer Block Gestein zwischen die beiden Kämpfer und trennt sie effektiv. Dann kommt der Rest der Decke herab.
Mit den unterstützenden Faserbündeln in seiner Rüstung schafft Ragnar es, den Steinblock hochzustemmen und sich aus den Trümmern zu befreien. Dann sieht er sich um. Zum Glück ist nicht viel auf ihn herabgefallen. Aber wo ist Asurmen, fragt er sich. Dann fällt sein Blick auf ein Stein, der wie ein Grabstein aus den Trümmern aufragt. Auf dem Stein sind Zeichen geritzt. Ragnar geht näher und erkennt Buchstaben mit einem Schwert in den Stein geschrieben. "Wir sehen uns wieder," steht dort in imperialem Gotisch.
Ragnar grinst. Denn der Wert eines Kriegers misst sich nicht in der Anzahl seiner Freunde, sondern in der Art seiner Feinde, und Asurmen ist der achtenswerteste Feind, den sich Ragnar vorstellen kann. Der Kampf wird weitergehen.



Urheberrecht: Jörg Nemitz, 2001



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