Der Aufprall war zu heftig für die aufheulenden
Servomotoren und zerschmetterte Norehcas linke Schulter. Das Kettenschwert
sägte quer über den Brustkorb des Liktoren, bevor es ihm
schließlich entglitt. Eine bunte Fontäne aus Haut und
Fleisch erfüllte den Raum. Beide Kontrahenten gingen zu Boden.
Doch der Liktor war schneller. Er war sofort über ihm. Norehca
reagierte sofort und griff mit der Hand des unverletzten Arms an
seinen Gürtel,...
und löste eine weitere Granate.
Die schleimigen Maultentakel seines Todfeinds tropften ihm ins Gesicht.
Hasserfüllt zündete er die Sprengladung und röchelte:
"Mein Leben... für deinen TOD!"
Sergeant Norehca umklammerte die Granate fest und presste sie auf
den imperialen Adler auf seiner Brust, ein leises Gebet anstimmend.
Ein Sekundenbruchteil später wurde sein Kopf von rasiermesserscharfen
Klauen zermalmt. Die Sprenggranate zerfetzte daraufhin den geköpften
Körper des Space Marines und schleuderte den Liktor gegen die
Wand. Knochen brachen, Organe zerplatzten.
Die Druckwelle erschütterte den gesamten Korridor und holte
Yelpir zurück in die Realität. Schaudernd blickte er den
finsteren Gang zurück und sah wie der zerfledderte Körper
des Liktoren inmitten der niedersenkenden Staubwolke an der Wand,
an der er zerschellt war, herunterrutschte und wie eine Theaterpuppe,
bei der man unvermittelt die Fäden abschneidet, in sich zusammenklappte.
Auf der Wand hinterließ er einen dunklen klebrigen Fleck.
Yelpir atmete tief durch.
Langsam richtete er sich wieder auf. Jede einzelne Faser seines
Körpers schrie vor Schmerz. Die erste Erkenntnis traf ihn dann
wie ein Schlag. Er war allein. Der letzte Überlebende. Die
zweite Erkenntnis folgte nur einen kurzen Moment später, doch
sie durchbohrte seinen Verstand wie eine glühende Klinge. Er
war nicht allein. Der oder die Mörder von Sergeant Trebmals
Trupp waren noch immer an Bord...
Ein Gefühl, das ihn zu verfolgen schien, machte sich wieder bemerkbar.
Er spürte wieder das Kribbeln einer Gänsehaut, und es fuhr ihm eiskalt
den Rücken hinunter. Yelpir wandte sich von dem schrecklichen Blutbad ab
und schaute in das diffuse Innere der Kommandobrücke. Nur wenige Meter
entfernt hob sich eine menschliche Gestalt aus der Umgebung ab, denn sie war
noch schwärzer als die Sternenleere, die durch die Ausblicksfenster zu
sehen war. In ihrem ausgestreckten Arm hatte sie etwas auf ihn gerichtet. Yelpir
blickte in das Angesicht seines Gegenübers. Es war die Totenmaske. Sie
brüllte ihn an. Ein roter Lichtreflex legte sich auf Yelpirs Körper,
als der Ziellaser auf ihn ausgerichtet wurde...
Ein lautes Geräusch ertönte, doch es war nicht der tödliche
Schuss, den Yelpir erwartet hatte. Es kam aus dem Korridor. Ungeachtet
seines baldigen Todes wagte er einen kurzen Blick nach hinten. Er
konnte es nicht glauben. Der Liktor erhob sich wieder, alle Regeln
der Vernunft und Logik widerlegend. Und als ob er seiner Lebendigkeit
zusätzlichen Ausdruck verleihen wollte, rannte er mit lautem
Gekreische, so schnell es ihm die lädierten Beine erlaubten,
direkt auf sie zu. Es war ein Alptraum.
Doch er sollte jäh beendet werden, als Yelpir eine Kugel in
den Bauch traf. Warmes Blut quell heraus und er ging erlöst
zu Boden. Die Angst wich aus seinem Körper.
Der Vindicare Assassine steckte seine Pistole ein und legte sein
Exitus-Scharfschützengewehr an. Die anstürmende Bestie
war genau im Fadenkreuz. Der Assassine drückte ab. Lautlos
verließ das tödliche Geschoss den langen Lauf der Waffe
und flog auf sein Ziel zu,... und verfehlte den Kopf des Liktoren
nur knapp. Trotz seines restlos zertrümmerten Körpers
war es dem Liktor irgendwie gelungen dem Schuss auszuweichen. Der
Schütze keuchte verblüfft auf und legte kurzentschlossen
ein weiteres Mal an.
Während er verblutete, wurde Yelpir bewusstlos und fiel erneut
in einen dämmrigen Traum. Müde schleppte er sich in die
Höhle hinein. Die Angst war ihm verflogen. Die letzte Hürde
überwunden. Und dort drinnen, tief in der letzten Kammer, sah
er ein helles Licht. Und als er nähertrat, sah er einen erleuchteten
Raum. Es war die Kommandobrücke. Dort sah er auch sich selbst
an der Zentralkonsole sitzen. Die schwarze Gestalt mit der Totenmaske
stand neben ihm. Und er erinnerte sich wieder.
Beim zweiten Schuss waren die Reflexe des Liktoren zu langsam und
seine rechte Hüfte wurde vom einschlagenden Geschoss pulverisiert,
so dass er im vollen Lauf eines seiner Beine verlor. Die Kreatur
wurde aus ihrer Bahn geschleudert und flog in einem hohen Bogen
durch den Korridor. Mit einem dumpfen Knall schlug sie wieder auf
den Boden auf und schlitterte noch einige Meter weiter. Wie bei
einer zertretenen Spinne ragten die Gliedmaßen des gefällten
Monstrums in grotesken Winkeln in die Höhe und zuckten wie
wild. Der Kopf schien verwirrt auf die verbogenen und nicht mehr
gehorchenden Körperteile zu schauen.
Es war, als ob er endlich aus einem langen und tiefen Schlaf erwacht
sei. Yelpirs Erinnerungen spielten sich wieder vor seinem schwindenden
Geiste ab und gewannen an Farbe und Klang.
Er war auf der Flucht. ES war ihm dicht auf den Fersen. Noch
bevor er den von ihm geschaffenen Zugang zu der Wartungsröhre
erreicht hatte, wurde er eingeholt und von seinem Verfolger überwältigt.
Ein harter Schlag traf sein Genick und raubte ihm die Sinne.
Verächtlich blickte der Assassine auf die kläglichen
Überreste des zur Strecke gebrachten Liktoren. Vielfarbige
Gedärme und Eingeweide strömten aus dem sterbenden Leib
der Schreckenskreatur und bildeten auf dem Boden eine widerwärtige
Lache. Der kaum noch als solches zu erkennende Brustkorb hebte und
senkte sich in unregelmäßigen Abständen mit einem
scharfen Pfeifen.
Als er wieder erwachte, befand er sich auf der Brücke des
Frachters. ES, sein Entführer, stand vor ihm. Gekleidet in
einen hautengen Anzug tiefster Schwärze, bewaffnet mit einem
langläufigen Gewehr und einer klobigen Pistole, sein Antlitz
hinter einer Maske verborgen, die ihn kalt anstarrte. Die Totenmaske.
Yelpir wusste nicht, wer vor ihm stand. Er wusste nur, dass dies
nicht Neilas Mörder sein konnte.
Die Flamme des Lebens war am Erlöschen, doch die Bestie
rang noch mit ihrem Tod. Sie wollte nicht sterben. Sie konnte es
nicht. Denn dafür war sie nicht geschaffen worden. Sie wollte
töten. Immer und immer wieder. Dies war ihr Lebenssinn.
Der Assassine legte erneut an und zielte genau zwischen die schwach
lodernden Augen, um das letzte bisschen Leben aus ihnen herauszupusten.
Der Fremde sprach zu ihm. Die Stimme klang metallisch und verzerrt.
Furchteinflößend. Sie gab ihm einen Auftrag. Er sollte
die Sicherheitscodes des Systems knacken und alle Dateien auf dem
Zentralrechner löschen. Wenn er kooperiere würde er am
Leben bleiben. Yelpir tat, was man ihm befohlen hatte. Aus purer
Angst.
Der Liktor konnte nicht anders und zwang sich zu einem letzten
Kraftakt. Mit dem verbliebenen Arm stemmte er sich mit unerwarteter
Gewandheit auf die verstümmelten Knie und feuerte sogleich.
Zum selben Zeitpunkt wie sein Gegner.
Das Exitus-Geschoss durchdrang die Schädeldecke und riss ein
faustgroßes Loch in den Kopf des Liktoren. Ein Sekundenbruchteil
später durchbohrte der pfeilschnelle Fanghaken den Unterschenkel
des Vindicare und krallte sich in seinem Schienbein fest. Das Monstrum
war zwar tot, doch die ausgesandten Nervenimpulse und Reflexe des
sekundären Zerebralkortex stimulierten nach wie vor die Muskelfasern
des Fanghakens und zwangen sie zur Kontraktion. Der plötzliche
Ruck ließ den Assassinen seine Waffe verlieren und rücklings
zu Boden fallen. Er wurde in Richtung des aufgebahrten Körpers
gezerrt.
Die Verschlüsselungen waren meisterhaft, doch als versierter
Programmierer und Techniker war es ihm gelungen den Maschinengeist
zu überlisten. Und bald hatte er verstanden, was hier vor sich
ging, denn er erhielt jedesmal einen kurzen Einblick in die Dokumente,
die er von dem Hauptrechner tilgen sollte. Er war einem schrecklichen
Geheimnis auf der Spur, und er wusste, dass das Wissen davon gleichbedeutend
mit dem sofortigen Tod war. Der Fremde würde sein Versprechen
nicht halten...
Geistesgegenwärtig zog der Vindicare die Exituspistole
aus dem Halfter und zog den Drücker durch, während er
auf dem Rücken liegend dem Liktor immer näher kam. Die
Patrone zerfetzte Muskulatur und Sehnen des Fanghakens und brachten
seiner Schlitterfahrt ein Ende. Ohne Schmerzen zu zeigen riss sich
der Assassine die in seinem Bein verhakte Sichelklaue heraus und
schleuderte sie in den stinkenden Sumpf aus Fleisch, Blut und Knochen,
der ihn umgab.
Ständig war in diesen Dokumenten, die überfüllt
waren mit medizinischen und biotechnologischen Begriffen, die Rede
von einem "Versuchsobjekt" und dem sogenannten "Projekt
Sodom". Yelpir erfuhr auch eingehende Informationen über
den Bestimmungsort des Frachters, der ihm ja bereits bekannt war.
Vicar 7 war eine der lebensfeindlichsten Vorposten des Imperiums
der Menschheit und wurde hier mehrfach als "Testgelände
51" bezeichnet. Die "zu erwartenden Verluste" unter
der planetaren Bevölkerung betrug "95-100 Prozent".
Yelpir war entsetzt. Es handelte sich hier um ein grässliches
Forschungsprogramm, bei dem unschuldige imperiale Bürger geopfert
wurden.
Der Vindicare Assassine erhob sich langsam und zielte mit ausgestrecktem
Arm auf den Kopf des besiegten Feindes, der die Form eines geplatzten
Kürbisses hatte. Der rote Ziellaser schien durch das klaffende
Loch in seinem Schädel und brach sich in einer undefinierbaren
flüssigen Masse, die einmal das Gehirn des Liktoren gewesen
sein musste. Er pumpte drei Geschosse hinein, die den Kopf vollständig
zerschlugen und explodieren ließen, um sich seiner Missionserfüllung
sicher zu sein. Dann wandte er sich unbekümmert von der grausigen
Landschaft der Zerstörung und des Todes ab.
Eines Tages gelangte Yelpir an einige Datenverbände, auf
die er keinen Zugriff erhielt. Der schwarzgekleidete Fremde kam
plötzlich herbei und gab blitzschnell einen Erkennungscode
ein, der den Zugang freischaltete. Hier, im geheimen Herz der Maschine,
entdeckte Yelpir den Namen der Organisation, die hinter dem Ganzen
steckte: Die INQUISITION...!
Er wusste nicht viel von solchen Dingen, doch er hatte stets gedacht,
dass die Inqusition für den Schutz der Menschheit vor inneren
und auch äußeren Feinden zuständig war. Hier hatte
er sich wohl geirrt. Und der Fremde war vermutlich ein Agent, der
dieses Experiment vertuschen sollte, damit der Senat und die Ekklesiarchie,
von deren Aufrichtigkeit Yelpir nach wie vor überzeugt war,
nichts davon erfahren würden. Eine Verschwörung schien
im Gange zu sein.
Doch Yelpir zweifelte wieder. Würde der Imperator diesen Verrat
zulassen? Heiligt der Zweck nicht immer die Mittel?
Handelte die Inquisition nicht doch zu Recht auf diese Art und Weise?
War dies der Wille des Imperators? Verwirrung begann sein Weltbild
zu spalten.
Die nachtschwarze Gestalt kehrte zu Yelpir zurück, nachdem
sie ihre verlorengegangene Waffe wieder aufgesammelt hatte. Der
ausblutende Körper lag auf dem Rücken, die Hände
wie zu einem Gebet auf der Brust gefaltet, umgeben von einem Kranz
aus dunkelrotem Blut. Der Assassine hatte seine Leber getroffen.
Damit war es besiegelt. Yelpir würde sterben. Langsam, aber
sicher. Der Vindicare richtete die Exituspistole auf seine Stirn,
um ihm ein schnelles Ende zu bereiten. Doch der friedliche Ausdruck
auf dessen Antlitz ließ ihn innehalten.
Bald hatte Yelpir seinen Auftrag erledigt. Er hatte sich ständig
vor diesem nahenden Zeitpunkt gefürchtet. Kreidebleich erwartete
er nun das Urteil des Fremden. Dieser trat plötzlich an ihn
heran und zwang ihn mit der bloßen Kraft des linken Arms auf
die Knie. Statt des kalten Metalls eines Pistolenlaufs an seiner
Schläfe spürte er einen scharfen Stich in seiner Halsseite.
Sofort legte sich ein grauer Schleier auf seine Augen und sein Geist
wurde der Welt entrückt.
Bizarre und verzerrte Bilder flogen an seinem geistigen Auge vorbei.
Er erkannte den Kühlkomplex wieder. Ein letztes Mal noch die
Totenmaske. Und Nebel, viel Nebel. Und Finsternis, ewige Finsternis.
Es war kalt, und er hatte Hunger. Doch noch viel quälender
war die beständige Angst, unstillbar und allgegenwärtig.
Yelpir verstand. Gleichzeitig versuchte sein Herz es zum letzten
Mal umsonst, den sterbenden Körper mit dem kostbaren Lebenssaft
zu versorgen, und verstummte dann für immer. Der Agent wollte
sein Leben verschonen. Und nur durch Vergessen konnte dies erreicht
werden. Yelpir wünschte sich, er hätte die Höhle
nie betreten.
Aus der Ferne erklang eine leise Melodie. Es war der flotte Marsch, der auf
seiner Heimatwelt immer gespielt wurde, wenn ein Raumschiff den abgelegenen
imperialen Außenposten besucht hatte. Als Kind hatte er immer davon geträumt,
eines Tages selbst ein Schiff zu kommandieren und durch das Sternenmeer zu reisen.
Und nun lag er hier auf einem toten Schiff, das steuerlos durch die Leere trieb,
in seinem eigenen Blut, und starb...
Der Vindicare sah wie die Lebenskraft aus dem imperialen Techniker
schied und steckte die ausgerichtete Waffe wieder ein. Obwohl schon
Tausende zuvor aus seiner Hand den Tod gefunden hatten, bedauerte
er das Ableben dieses Mannes. Das Amnesium hatte seine erinnerungslöschende
Wirkung nicht voll entfalten können. Er musste daher sterben.
Er wusste zuviel.
Der Assassine drehte sich um und blickte zurück in den Korridor.
Viel Arbeit lag noch vor ihm, und er begann sogleich damit, die
Überreste der Gefallenen mit schnellbrennendem Hyperphosphor
zu entsorgen. Er durfte keine Spuren hinterlassen.
Exitus Acta Probat:
Der Zweck heiligt die Mittel.
+++ Schlachtschiff 'Wiederauferstehung'
+++ Gouverneursdeck, Speisesaal
Der Mann, der vor ihm stand, war in ein prachtvolles, aber dennoch
schlichtes, kaiserblaues Gewand gehüllt, das von einer goldenen
Brosche zusammengehalten wurde, deren Emblem der imperiale Adler
war. Sein Blick war streng und fest auf ihn gerichtet. Tiefe Falten
zerfurchten sein Gesicht und zeugten von Mühsal und Sorgen,
während der graue Vollbart und die hohe, kahle Stirn ihm Weisheit
und Würde verliehen.
Der Inquisitor seufzte und lenkte seine Blicke auf das Weltall jenseits
des Fensters aus meterdickem Panzerglas, aus dem ihn sein eigenes
Spiegelbild anstarrte. Doch keiner der funkelnden Sterne konnte
seine Aufmerksamkeit erregen, keinem gelang es seine wandernden
Augen festzuhalten. Am Ende war es eine unförmige Wolke aus
Schrott, Metall und Plasma, an der er hängenblieb. Beim Anblick
der Überreste des Exploratorenschiffs und des unendlichen Sternenozeans
musste er unweigerlich an das alte Sprichwort des Kapitäns
denken, das ihm bei den Abhorchaufnahmen aufgefallen war: "Es
gibt mehr Dämonen, die in der Finsternis lauern, als Sterne
am Himmel leuchten." Wie grausam wahr die Wahrheit doch sein
kann...
"Die 'Halo' wurde wie
vor-ge-se-hen sabotiert und zum
vereinbarten Treffpunkt fehlgeleitet. Die Falle schlug
ge-nau
zum richtigen Zeitpunkt zu. Das Schiff, dessen Bestandteile nun
dort drüben durch das Weltall treiben, wurde innerhalb von
we-ni-gen Sekunden vernichtet, noch bevor die Crew einen
Hilferuf aussenden konnte. Man wird sie nicht vermissen...
Agentin Hatarami hat, im Gegensatz zu ihnen, ihre Mission mit
hun-dert-pro-zen-ti-ger
Effizienz erfüllt."
Er wusste, dass seine extreme Betonung unnötig war, denn es
gab wohl nichts auf dieser Welt, das seinen Gesprächspartner
aus der Ruhe zu bringen vermochte. Ohne sich umzuwenden sprach der
Inquisitor mit leiser, jedoch unterschwellig zorngeladener Stimme
weiter.
"Sie haben zwar nicht versagt, doch ihre Leistungen sind
in-ak-zep-ta-bel.
Der Missionsbericht weist erhebliche Mängel und schwerwiegende
Fehler auf. Wiederholen sie bitte
wort-wört-lich, wie
ihre Anweisungen gelautet haben!"
Eine kalte, emotionslose Stimme erklang aus dem weiten Saal hinter
ihm. Das vielfach zurückgeworfene Echo machte es ihm unmöglich
herauszufinden, woher sie genau kam.
"Sicherstellen des Versuchsobjekts und der Experimentauswertung.
Beseitigung aller Spuren und Zeugen."
"Exakt! Sie sollten das Versuchsobjekt
si-cher-stel-len,
und nicht etwa in tausend Stücke schießen! Ebenso die
Experimentauswertung: Anstatt den Datenkern des Maschinengeists
zu bergen, haben sie ihn, ohne jemals den Befehl dafür erhalten
zu haben, kurzerhand
zer-stört! Es ist zwar äußerst
beeindruckend, dass es ihnen dabei gelang, die automatische Selbstzerstörung
des gesamten Schiffs zu überbrücken, die mit dem Datenkopf
gekoppelt worden war, um ihn vor unerlaubten Zugriffen zu schützen,
doch die Befehlsgebung war klar. Wie haben sie sich dies zu erklären,
Agent?"
Inquisitor Tsorf wandte sich um. Sein Umhang wirbelte auf und schwebte
über den glattpolierten Boden des mit schimmernden Marmor ausgekleideten
Saals. Auf seinem kahlen Schädel begannen sich die vor Aufregung
pulsierenden Schlagadern abzuzeichnen. Sein Gesprächspartner
war nirgendwo zu erblicken. Wie üblich hielt er sich in einer
verwinkelten Ecke des weitläufigen Saals verborgen. Tsorf hasste
diese Diskussionen, bei denen er sich mit einem scheinbar Unsichtbaren
unterhalten musste.
"Es gab zwei gleichrangige Primärziele, Inquisitor.
Sicherstellen und Beseitigen. Nachdem das Sicherstellen durch die
unvorhergesehene Intervention des Adeptus Astartes unmöglich
geworden war, konzentrierte ich mich auf die Erfüllung des
zweiten Missionsziels. Dieses wurde mit hundertprozentiger Effizienz
erfüllt. Alle Zeugen und alle Spuren, darunter auch die Daten
und das Versuchsobjekt selbst, wurden restlos entfernt."
Tsorf ignorierte die letzten Aussagen des Assassinen. Seine
Gesichtsfarbe hatte sich verändert und bildete nun einen gefährlichen
Kontrast zu seiner blauen Kleidung.
"
Un-mög-lich? Sie hatten genug Zeit, um die lästigen
Space Marines auszuschalten! Ihr Zögern führte schließlich
zum Scheitern der Mission und dem Verlust von unersetzlichen Daten!"
"Das Testobjekt hatte sich verändert. Es war noch aggressiver,
stärker und widerstandfähiger als das vorhergehende. Alleine
hätte ich es nicht überwältigen können, und
seine Vernichtung gelang mir nur durch die tatkräftige Unterstützung
der Space Marines, Inquisitor."
Für einen Moment schienen die Augen des Mannes zu glühen.
Der imperiale Adler funkelte bedrohlich. Dann kehrte der Inquisitor
ihm langsam den Rücken zu und blickte wieder hinaus in die
Sternenleere.
"Wenigstens
ei-ne gute Nachricht. Projekt Sodom macht
trotz der jüngsten Zwischenfälle gute Fortschritte. Bald,
sehr bald, wird das Imperium über eine Waffe verfügen,
deren Macht und Bedrohlichkeit jegliche Feinde in den Staub zwingen
wird! Nach der Erschaffung der Primarchen und des Adeptus Astartes
durch den heiligen Imperator wird dies der zweite Schritt in der
Evolution des Kriegers sein, an deren Ende schließlich der
unbesiegbare und gehorsame Soldat steht. Diesem Ziel kommen wir
immer näher. Es muss uns nur noch gelingen, den Loyalitätsfaktor
der Versuchsobjekte zu steigern und sie mit effektiveren biogenetischen
Feuerwaffen auszurüsten. Und wenn wir die Reproduktionsphasen
verkürzen können, werden die Space Marines sehr bald der
nächsten Generation von Elitekrie..."
"Sie sind verrückt."
"Was...," begann er und erwachte aus seinem Tagtraum.
Die Stimme des Assassinen klang nah, doch Tsorf konnte ihn nirgendwo
im reflektierenden Glas ausmachen.
Seine rechte Hand wollte eben schnell unter seinen Umhang schlüpfen
und nach der mit arkanen Runen verzierten Plasmapistole greifen,
als plötzlich wieder die scharfe Stimme des Vindicare erklang.
"Keine Bewegung, Inquisitor!"
Ein kleiner roter Punkt auf der rechten Schläfe seines
Spiegelbilds verlieh dem Befehl besonderen Nachdruck, so dass er
seine Hand nicht mehr weiterbewegte. Zumindest wusste er nun, wo
sich der bislang verkappte Feind aufhielt.
"Dreckiger Verräter! Du wagst es, dich gegen mich, die
Inquisition und den Willen des Imperators zu stellen?"
"Ich handle im Auftrag der Inquisition und ich werde den Willen
des Imperators vollstrecken!"
Der Inquisitor überlegte. Anscheinend hat die Innere Inquisition
ihn nun also doch aufspüren können, und den Vindicare
Assassinen, der ihm jahrelang treu gedient hatte, auf ihre Seite
gebracht. Vermutlich haben sie ihm den Auftrag gegeben ihn zu überführen
oder notfalls gar zu liquidieren. Er war des Todes, wenn er nicht
schneller handeln würde als der Agent...
"Es sind verblendete Schwächlinge, die den Thron von Terra
beflecken! Sie sind unschlüssig und bereit mit anzusehen, wie
das Imperium der Menschheit zugrunde geht, umringt von nimmersatten
Feinden, innerlich zerfressen von Mutation, Häresie und Verrat.
Ich handle aus eigenen Stücken, um das Erbe des Imperators
zu retten. Einzig und allein zum Wohle der Menschheit!"
Während er sprach, beobachtete er seine Hand dabei, wie sie
immer tiefer in seinen Umhang drang und sich seiner inneren Brusttasche
näherte.
"Hiermit enthebe ich sie ihres Amtes. Sie werden des Hochverrats
und der Durchführung ungenehmigter Experimente und Forschungen
beschuldigt. Sollten sie Buße zeigen, wird ein Tribunal der
gnädigen Inquisition über sie richten. Andernfalls werden
sie hier und jetzt das erlösende Urteil empfangen."
Tsorf musste Zeit gewinnen. Irgendwie. Seine Hand hatte die
rettende Waffe fast erreicht.
"Wofür soll ich Buße zeigen? Dafür, dass ich
Menschenleben für den Dienst der Wissenschaft habe opfern lassen?
Was bedeuten diese armen Seelen schon im Vergleich zu den Milliarden
Toten eines tobenden Kriegs? Gerade
du solltest mich doch
in dieser Hinsicht verstehen. Der Zweck heiligt immer die Mittel."
"Sie sind zu weit gegangen. Niemand kann sich auf ewig vor
dem strengen Auge der Inquisition verbergen. Ihre Zeit ist gekommen.
Widerstand ist zwecklos."
Der Inquisitor wusste, dass die Konversation so gut wie beendet
war. Gleich würde er seine Entscheidung einfordern. Doch er
hatte sie schon längst gefällt. Mit dem Tag, an dem er
sich von der Inquisition losgesagt hat, war sein Schicksal besiegelt.
Nein, er würde keine Buße tun. Dafür war es nun
zu spät. Zuviel stand auf dem Spiel, zu nah war das große
Ziel.
Seine Hand berührte den kalten Griff der Plasmapistole und
umschloss ihn mit festem Willen.
"Ihre Entscheidung, Inquisitor! Buße oder Urteil!"
"Ich sehe keinen Unterschied, Agent. Auf beiden Pfaden
erwartet mich nur der Tod."
"Der Tod des geläuterten Sünders oder der Tod
des dreckigen Verräters. Entscheiden sie sich! Jetzt!"
"Nun gut. Meine Entscheidung lautet...
LEBEN!!!"
Er wirbelte herum und zog gleichzeitig den Abzug seiner Waffe durch.
Tsorf starrte fassungslos auf die schimmernde Marmorwand, die durch
das glühendheiße Plasma leicht angeschmolzen war. Zwei
Meter über dem zerfließendem Marmor stach ihm der Reflektionspunkt
eines Laserstrahls ins Auge.
Der verblüffte Inquisitor blieb eine fatale Ewigkeit lang wie
angewurzelt stehen, bis er den Trick des Assassinen verstanden hatte.
Der Vindicare richtete den Lauf seines Gewehrs von der Mauer auf
den entgeistert umherblickenden Mann. Der rote Lichtfleck folgte
seiner Bewegung und legte sich auf den Kehlkopf des Ziels. Bevor
der Inquisitor auch nur auf die Idee kommen konnte nach Hilfe zu
rufen, durchdrang das Schildbrecher-Geschoss den bläulich aufflackernden
Schutzschirm seines Rosarius und schoss durch seine Kehle.
Tsorf ließ mit gefasster Miene, die kein Erschrecken und keine
Angst zeigte, seine Plasmapistole fallen und griff mit beiden Händen
nach seinem Hals, aus dem nun eine Fontäne aus Blut zu quillen
begann. Seine Augen wanderten nach oben und mit verschwommenem Blick
erkannte er auf einem der prachtvollen, säulengestützten
Balkons des Saals einen schwarzen Schatten. Den Schatten seines
Henkers.
Dann brach er sterbend zusammen.
Der Assassine beobachtete den sprudelnden Brunnen eine Weile, bis
er schließlich versiegte. Der gestürzte Inquisitor wirkte
in seinem blauen Mantel und der roten Blutlache wie ein leuchtender
Farbklecks in dem prunkvollen Saal aus Gold, Silber und Marmor.
Es hätte das bizarre Kunstwerk eines häretischen Malers
sein können.
Die Besatzung dürfte den Tod ihres Anführers bald bemerkt
haben. Er musste sich nun beeilen. Mit diesem Gedanken im Kopf wandte
sich der Vindicare Assassine um und verschwand in der Finsternis
aus der er gekommen war.
EPILOG
+++ ABSENDER: Inquisitor Reyem Knups
+++ BETREFF: Ausschaltung von Tsorf und Beendigung von Projekt
Sodom
+++ GEDANKE: Der Imperator weiß alles, der Imperator sieht
alles
Endlich ist es uns gelungen, den abtrünnigen, ehemals hochdekorierten
Inquisitor Tsorf zu überführen und unschädlich
zu machen. Es hatte eine zehnjährige Vorbereitung gekostet
um diesen Verblendeten ausfindig zu machen, und weitere fünf
Standardmonate um Tsorfs persönlichen und ihm loyal dienenden
Vindicare Assassinen durch Agent SK-CIH auszutauschen. Bei der
Suche nach einem verlorengegangenen Versuchsobjekt aus den gotteslästerlichen
Laboren von Tsorfs Wissenschaftlern, konnte der Agent die Gelegenheit
ergreifen und den Renegaten den vollen Zorn des Imperators spüren
lassen.
Zum allgemeinen Verständis eine knappe Rekapitulierung von
Tsorfs Machenschaften im Zusammenhang mit dem Projekt Sodom:
Inquisitor Tsorf, der unter anderem für die Befreiung von
Amor Fati und die Zerschlagung des Götzenkults auf Theresian
bekannt ist, sagte sich vor 69 Standardjahren in einer plötzlichen
'Nacht und Nebel'-Aktion von der Inquisition los und verschwand
mit seinen engsten Untergebenen, darunter zwei Assassine, spurlos
im Elysium Sektor. Seine letzte Mission war die Überprüfung
einer Forschungsstation in diesem Sektor, die er aus unbekannten
Beweggründen vollständig hat abbrennen lassen.
Die Inquisition blieb wachsam, doch Tsorf verstand es meisterlich
den auf ihn angesetzten Spähern und Agenten aus dem Weg zu
gehen. So konnte er sich jahrelang verbergen und einen Plan schmieden,
mit dem er in seinem Größenwahn das glänzende
Imperium aus den glorreichen Tagen des Imperators wiederauferstehen
lassen wollte: Projekt Sodom
Wie sehr viel später in Erfahrung gebracht werden konnte,
befasste sich die von Tsorf zerstörte Forschungsstation mit
der Katalogisierung von Extraterresten und Abhumanen. Es ist nicht
bekannt, ob die faulige Wurzel des schwarzen Baums der Häresie
in Tsorf oder in dem leitenden Wissenschaftler saß, doch
geblendet von den einzelnen Stärken jeder Rasse fasste Tsorf
zusammen mit dem Personal den widerlichen Plan, ein Wesen zu erschaffen,
dass die besten Eigenschaften der bekannten Rassen in sich vereinigen
sollte. Mit diesem ultimativen Krieger sollte dann eine unaufhaltsame
Armee aufgebaut werden, mit der er das Imperium durch einen zweiten
Großen Kreuzzug unter seine gerechte Herrschaft bringen
wollte.
Als wäre dies nicht schon genug der Ketzerei und des Verrats,
kamen Tsorf und seine Forscher nach einigen Jahren zu der widerwärtigen
Ansicht, dass eine Kombination aus Space Marine, Tyranide, Orkoide
und Artanide den wohl effizientesten Krieger schaffen würde.
Die übermenschlichen Fähigkeiten des Space Marines,
die physische Überlegenheit des Tyraniden, die Zähigkeit
des Orks und die regenerativen Kräfte des friedlichen Volks
von Artania waren in ihren Augen die besten Zutaten für ihr
dunkles Werk.
Während der jahrelangen Forschung testeten die Ketzer ihre
schrecklichen Mutationen an einzelnen Außenposten des Imperiums
aus und forderten stets ein hohes Blutzoll unter der schuldlosen
Bevölkerung. Doch als dann die vielversprechendste Kreation
von Tsorf, ein Liktor ausgestattet mit den Fähigkeiten der
anderen Rassen, durch einen Warpsturm verlorengegangen war, musste
er sich aus seinen Verstecken wagen und konnte so von der ewig
wachsamen Inquisition aufgespürt werden. Der mit großem
Aufwand betriebene Gegenschlag erfolgte wie zu Beginn des Berichts
beschrieben durch die Arbeit von Agent SK-CIH.
SK-CIH wurde für die Verbrechen, die er in der Rolle des
persönlichen Assassinen von Tsorf verüben musste, um
sein Vertrauen zu ihm aufrechtzuerhalten, nach gründlicher
Examination freigesprochen und wird demnächst für die
zeremonielle Innere Reinwaschung zu seinem Tempel zurückkehren.
Die Intervention der Space Marines war nicht vorhersehbar und
die Ausschaltung der tapferen Krieger des Adeptus Astartes durch
Agent SK-CIH für den weiteren Verlauf der Mission leider
unabdingbar. Dem Orden der +++ geheim +++ wurde glaubwürdig
mitgeteilt, dass sie im gerechten Kampf gegen Tsorfs Kreatur gefallen
sind, um keinen ungerechtfertigten Unmut gegenüber der Inquisition
hervorzurufen.
Die geheimen Forschungsstützpunkte konnten dank der Aufklärungsarbeit
des Agenten ausfindig gemacht und vernichtet werden. Ebenso gelang
es einem Flottenverband der Space Marines kürzlich Tsorfs
Flaggschiff, die 'Wiederauferstehung', zu stellen und zu kapern.
Mit diesem Bericht gilt die Akte 'Tsorf-Affäre / Projekt
Sodom' als offiziell abgeschlossen und wird unter Sicherheitsstufe
Alpha in den Archiven auf Terra aufbewahrt.
- Inquisitor Reyem Knups
+++ KOMMENTAR I:
Man wage es sich nur vorzustellen, was geschehen wäre, wenn
diese Liktor-Chimäre in die Klauen eines Tyranidenschwarms
gekommen wäre.
+++ KOMMENTAR II:
Die abtrünnige Assassinin Hatarami bleibt nach wie vor unauffindbar.
Diesbezügliche Sub-Akte bleibt daher geöffnet.
+++ ZITAT:
"Der Ketzer mag die Wahrheit erkennen und um Buße
ersuchen. Ihm werden seine Taten vergeben, und im Tode wird er
die Absolution erfahren. Einem Verräter jedoch wird niemals
vergeben. Ein Verräter wird keinen Frieden in dieser Welt
erfahren, und auch nicht in der nächsten. Nichts in der Welt
wird so gehasst und verachtet wie ein Verräter."
Kardinal Khrysdam - Instructum Absolutio