Vom Drachen

von Inge Schemm & Petra Krippner

Hat es ihn wirklich gegeben?

Wie werden wohl nie fossile Knochen von ihm finden können, um seine Existenz zu beweisen. Und dennoch ist er in vielen Sagen, Märchen und Mythologien anzutreffen. Das Wissen um die Form eines Wesens seiner Art ist im Abendland, wie in den östlichen Ländern sehr ähnlich. Während der Drachen in Europa ein furchterregendes, hinterlistiges und goldgieriges Ungeheuer war, ist er im fernen Osten jedoch ein gutartiger Glücksbringer und Beschützer der Menschen, der heute noch verehrt wird.
"Die Heiligen Männer in Indien sagten, dass die Welt von einem elfköpfigen Schlangenwesen mit Namen Ananta gestützt werde. Ananta war nicht, wie die meisten Drachen, eine Abgesandte der Unordnung, sondern sie diente dem Herrn des Universums. Ihren langgestreckten Leib bot sie ihm als Ruhebett dar, wenn der Gott zu schlafen wünschte."


Es stellt sich die Frage, woher seine doch sehr weite Verbreitung in den Legenden und Mythen zu begründen ist.

Hier einige Beispiele aus der Literatur:
"In allen Völkern wird der Drachen mit der Gottheit in Zusammenhang gebracht...
Kulte zu Ehren der mütterlichen Gottheit sind oft eng verknüpft mit den Drachenmythen; das erklärt die nicht verstummenden Berichte über Menschenopfer, die Bezugnahme auf Wolken und Gewitter und die vielen Schätze, aber auch das Töten des Drachens, als Heldentat der Drachentöter also, schützt die Menschen vor der Tücke der Gottheit."

- Larousse

In Prof. Karl Sagans Buch "The Dragan of Eden" beruht das Phänomen seiner Ansicht nach auf "einer Art fossiler Erinnerung an die Zeit der Dinosaurier. Diese Erinnerung ist durch das instinktive Gedächtnis der frühen Säuger auf uns gekommen, unserer Vorfahren, die im Kampf mit den großen Raubechsen bestehen mussten".

Wenn man sich die archetypische Grundstruktur von unverfälschten Märchen betrachtet, entdeckt man auch dieses Urzeitwissen. Symbole und Gestalten wie Schleier, Jungfrauen, weise Frauen, böse Widersacher, unschuldige Opfer, strikt getrennt, das Böse und das Gute. Das alles soll nicht unbedingt die äußere Welt widerspiegeln, sondern unsere innere Gedanken- und Seelenwelt, in der eben diese Mächte ständig am Werk sind.

In der christlichen Mythologie ist der Drachen wohl als der Teufel anzusehen, der vom Heiligen Georg getötet wird. Eine schöne Jungfrau, eine libysche Prinzessin, war die Belohnung- Einer der bekanntesten Drachentöter ist "Siegfried" aus der Nibelungen-Sage, ähnlich der isländischen Sagengestalt "Sigurd". Bei den Drachen, die von den Helden getötet wurden, zeigten sich die gleichen Eigenschaften wie Flugfähigkeit, die Verwundbarkeit der Unterseite, die Magie des Drachenblutes und das Horten von Unmengen Goldes.

"Regin verlangte dann, dass der Drache Fafnir das Gold mit ihm teile, aber Fafnir war nicht willens, mit seinem Bruder das Gold zu teilen, dessentwegen er seinen Vater getötet hatte und schickte Regin fort und drohte mit dem, was Hreidmar widerfahren war...
So ergriff Regin die Flucht, aber Fafnir ging hinauf in die Heide von Gnita und richtete sich dort eine Lagerstatt und verwandelte sich in einen Drachen und legte sich auf das Gold.

- Edda

Alle Drachengeschichten aus Legenden, Sagen und Mythologien hier aufzuzeigen, würde viel zu weit gehen.
Auch J.R.R. Tolkien schrieb im "Silmarillion" und in "Der Kleine Hobbit" über Drachen, die dem Wesen der Drachen aus den Mythologien sehr ähnlich sind:
Glaurung
"Abermals in einer Nacht, nach dem hundert Jahre vergangen waren, brach Glaurung, der Erste unter den Uroloki, der Feuerdrachen des Nordes, aus den Toren von Angband hervor. Er war noch jung und nicht einmal zur Hälfte ausgewachsen, denn lang ist das Leben eines Drachen und nur langsam entwickelt er sich und die Elben flohen vor ihm nach Ered-Wethrin und Dorthonian voller Schrecken; er aber verwüstete die Felder von Ard-Galen."
Oder: Smaug
"Da lag er in tiefem Schlaf, ein großer, rötlich goldener Drache...
Nicht zu zählen waren die Schätze, auf denen er in seiner ganzen Größe lagerte: seine Gliedmaßen, sein riesiger, zusammengerollter Schweif, alles ruhte auf Gold! Vom Felsboden der Höhle war nichts mehr zu sehen, in Haufen breitete sich die Pracht bis an die Wände aus. Alles war erfüllt von rötlichem Licht, in dem das Silber aufschimmerte wie glänzender Rost."

Tolkiens Werke sind ein gutes Beispiel für die Umsetzung dieser archetypischen Märchenstrukturen, die für die Seele tröstend und warnend, hoffnungsspendend und gefahrvoll zugleich sind, in der das Gute mächtig werden muss, um im Kampf gegen das übermächtige Böse zu bestehen.
Würde man mich jetzt aktuell zum Thema Drachen befragen, würde ich wohl antworten, dass in jedem von uns seit Urzeiten ein Drachen steckt. Ein überaus mächtiges, kraftvolles, wärmendes Wesen in unserer Seele, mit glühenden Atem, das uns hin und wieder "Dampf" macht, wenn wir zögernd und zaudernd sind, das uns in Träumen und Gedanken mit auf eine heilsame Reise nimmt, in der wir unsere Probleme aus einer anderen Perspektive betrachten können. Kurz gesagt, ein mächtig unbequemer aber starker und treuer Wegbegleiter.


Autoren: Inge Schemm & Petra Krippner



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