Zunächst einmal ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass "Abenteuer in Mittelerde" wie die meisten modernen Brettspiele auf Würfel verzichtet. Glück wird in Form der Spielkarten verteilt und Dynamik entsteht durch die jeweiligen Entscheidungen der Spieler, wie sie vorgehen möchten. Ansonsten erinnert das Spiel von der grundlegenden Aufgabensituation her in einigen Aspekten an das auf H.P. Lovecrafts Büchern basierende Brettspiel "Arkham Horror", welches Fantasy Flight Games neu herausgebracht hat und seit einigen Jahren sehr erfolgreich führt. Auch hier muss eine Gruppe von Helden umherreisen, sozusagen Hinweisen nachgehen, die zu konkreten Aufgaben führen, Abenteuer erleben und überstehen, Gegner auf dem Weg besiegen oder gezielt zum Kampf stellen, usw. usf.
Der große Hauptunterschied besteht jedoch darin, dass es hier einen menschlichen
Gegner gibt, während man bei "Arkham Horror" gegen das Spiel
und vorgegebene Zufallsmechanismen spielt. Dies eröffnet eine völlig
neue Dimension, denn neben den Helden zieht auch Sauron eine geheime Missionskarte,
welche für einen eindeutigen Sieg bei Spielende erfüllt sein muss.
Läuft es für die Helden weniger gut in der Gesamtwertung, können
sie somit immer noch ihr bestes geben, um Saurons geheime Queste zu vereiteln
und einen kleinen Finalkampf gegen die Nazgûl erzwingen, den sie durchaus
gewinnen können. Davon abgesehen fühlt es sich auch stets besser an
gegen einen Menschen zu spielen, da das ganze dann keinen automatisierten Charakter
mehr hat. Ein menschlicher Gegner schmiedet Pläne, rächt sich für
erlittene Niederlagen, stellt Fallen, schüchtert ein, geht gezielt auf
einen Geschwächten los, usw. usf.
Damit der Dunkle Herrscher es jedoch nicht zu einfach hat, ist das Spiel auch
so konzipiert, dass nicht die Helden, sondern eher Sauron gegen die Zeit und
damit gegen das Spiel spielt, wobei er durch eigene Kraft das Blatt auch zu
wenden vermag. Die Helden rücken nämlich auf der Zeitleiste automatisch
und relativ konstant voran, Saurons Wertungsmarker, die sich auf drei verschiedene
aufteilen und zusammen verrechnet werden können, kommen jedoch nur voran,
wenn er Plots ausgespielt hat und diese von den Helden nicht vereitelt werden.
Zu ihrem Schutz kann Sauron Aktionskarten einsetzen, oder auch Monster und seine
besonderen Schergen, die im Laufe des Spiels hinzukommen, von Saurons Mund bis
hin zum Hexenkönig höchstpersönlich.
An Heldencharakteren gibt es fünf verschiedene zur Auswahl, welche individuelle
Fertigkeiten aufweisen: einen Elben, einen Zwerg, einen Reiter aus Rohan, eine
Gondorianerin und eine Waldläuferin. Jeder Charakter verfügt am Anfang
über eine eigene persönliche Queste, die er zu erfüllen hat,
und zieht im Verlaufe des Spiels weitere allgemeine hinzu. Sehr ausgeklügelt
und innovativ ist das System mit den multifunktionalen Handlungskarten, die
ebenfalls auf jeden Charakter zugeschnitten sind. Diese stellen zum einen die
Lebenspunkte dar, werden aber auch für Bewegung und Kampf eingesetzt. Verbrauchte
Karten können durch Ausruhen wieder verfügbar gemacht werden, verlorene
Karten nur durch Heilung in Zufluchtsorten wie Bruchtal oder Minas Tirith. Wer
also viel reist, hat im Kampf u.U. keinen ausreichend langen Atem, und wird
schon nach wenigen Treffern ausgeschaltet. Dies bedeutet jedoch nicht das Spielende
für den betroffenen Spieler, der Charakter steht danach wieder mit einem
kleinen Abzug zur Verfügung, während Saurons Schergen bis auf die
Ringgeister nicht wieder zurückkehren können. Hier muss also eher
Sauron vorsichtig und gut durchdacht vorgehen. Die Helden dürfen jedoch
auch nicht zu leichtsinnig sein, denn sie verlieren natürlich auch Zeit
dadurch.
Das Kampfsystem ist sehr einfach und intuitiv, macht aber großen Spaß.
Man kann es grob mit Stein Papier und Schere vergleichen, es werden einfach
verdeckt Karten gegeneinander gespielt und Angriffs- und Verteidigungspunkte
über Kreuz miteinander verglichen, die entsprechend Schadenspunkte erzeugen
können. Doch da die meisten Karten noch weitergehende Auswirkungen haben,
wie z.B. dass die gegnerische Karte ignoriert wird, wenn sie eine Fernkampfkarte
ist, oder dass in der nächsten Kampfrunde vom Gegner zuerst und offen gelegt
werden muss, entsteht viel Spielraum für Risikoabwägung und überraschende
Abläufe.
Mit der Zeit können die Helden auch über Training und das Erlangen
besonderer Ausrüstung wie Elbenmäntel ihr Können verbessern,
doch für Rollenspiel-Fans sind die Möglichkeiten leider eher mager
ausgefallen, es ist nicht möglich seine Waffe oder Rüstung zu wechseln,
was die jeweiligen Charaktere recht festgefügt erscheinen lässt.
Das einzige wirkliche Manko am Spiel dürfte aber eher die relativ hohe Wartezeit sein, die ein Spieler hat, bis er wieder an der Reihe ist. Auch wenn es grundsätzlich spannend ist, dabei zuzusehen, wie sich die Kameraden schlagen, ist das kooperative Element bei "Abenteuer in Mittellerde" ein klein wenig geringer ausgeprägt als eben im Vergleich zu "Arkham Horror", wo sich die Spieler laufend miteinander koordinieren müssen. Der Unterschied liegt darin, dass die Questen den einzelnen Charakteren zugeordnet werden, und damit jeder so ein wenig sein eigenes Spiel spielt, während die Arkham-Investigatoren frei miteinander absprechen können wer was wo erledigen soll. Dies ist jedoch sicherlich auch abhängig davon, wie gut sich letztlich Sauron schlägt, je höher die Bedrohungslage durch ihn, umso mehr müssen die Helden miteinander reden und sich absprechen.
"Abenteuer in Mittelerde" hat trotz des eher langweilig und beliebig wirkenden Titels einen besonderen eigenen Charakter und dürfte auch für Nicht-Tolkien-Fans interessant sein. Der Mittelerde-Flair ist für Fans natürlich unschlagbar, dies wird im Spiel mit eingeflossenen Buchzitaten, den entsprechenden bekannten Orten und Charakteren und stimmungsvollen Artworks erreicht. Die opulente qualitativ hochwertige Ausstattung dürfte aber auch an sich schon jeden Spielesammler ansprechen. Spielerisch bietet es die Möglichkeit eine neue beeindruckende Spielmechanik kennenzulernen und man muss zur Abwechslung endlich mal nicht den Ring zum Schicksalsberg zu tragen, wie in so vielen anderen bisherigen Veröffentlichungen.
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