von Martin Behm
Er war allein.
Aber genau das sollte er eigentlich nicht sein. Getrennt von seinem Leben, getrennt
von seiner Berufung, von seinem Schicksal. So lange war es her schon, dass er
sich nicht so einsam gefühlt hatte.
Verlassen von seinem Vater, verlassen von seinem Gott, niemand sprach mehr zu
ihm wenn er allein war. Er war verlassen.
Verlassen weil er es gewagt hatte zu zweifeln, zu zweifeln an der Göttlichkeit
selbst, seitdem war er auf der Reise. Verstoßen von seinen Brüdern und auf der
Suche nach der Stimme, die ihn schon ein Leben lang begleitet hatte. Der Imperator
sprach nicht mehr zu Bruder Beli.
Er war ein Imperial Fist gewesen, bis er seine Unsicherheit mit dem Kaplan geteilt
hatte, bis dieser ihn als gottlos aus der Familie gestoßen hatte, um auf eine
Reise zu gehen, die ihn wieder in die Arme zu Ihm auf Terra führen sollte.
Aber Beli wusste nicht, wo er beginnen sollte.
Geistlos fuhr er über die zwei Bolzen auf seiner Stirn. Er fühlte das kalte
Metall und seine kleinen Unebenheiten, beim zweiten Bolzen war eine große Kerbe
an der Seite, die sich in eine kleine Narbe auf der Stirn Belis fortsetzte.
Eine Erinnerungsstück an einen Kampf mit orkoiden Lebensformen. Der Bolzen hatte
ein Splitter einer Fragmentgranate abgelenkt und so seinen vorzeitigen Tod verhindert.
Ein jeder für zehn Jahre Dienst unter den Augen des ewigen Imperators, nur wo
war der Imperator jetzt? Er lauschte dem stillen Summen seiner Servorüstung,
die man ihm zu seiner Überraschung gelassen hatte auch wenn alle Ordenszeichen
entfernt worden waren. Aber genau dies war fatal, der Maschinengeist, der in
dieser Rüstung innewohnte, war dadurch geschwächt, so hatte die Rüstung schon
oft ihren Dienst versagt und Beli war gezwungen gewesen Reparaturen ohne die
Segnungen der Tech-Brüder durchzuführen, so dass bei jeder Beschädigung ein
wenig mehr vom Geist der Maschine aus diesem uraltem Panzer wich.
Beli sah auf sein Chronometer, ein Gerät, welches er auf einem Makropolplaneten
erworben hatte, er hatte dieses kleine Werk in der Tat mit Geld erworben, noch
etwas was ihm völlig fremd gewesen war, bevor er aus dem Schoß seiner
brüderlichen Gemeinschaft gestoßen worden war.
Er stellte fest, dass es Zeit war zu ruhen. Mit Hilfe seines Cataleptischen
Knotens sank er in einen Schlaf, bei dem aber nur eine Gehirnhälfte wirklich
ruhte während die andere es ihm in einer Art Trance ermöglichte die Umgebung
zu überwachen.
Als Beli vier Stunden später wieder erwachte, bemerkte er dass etwas nicht stimmte.
Das Klima in der Höhle hatte sich verändert, obwohl des nahenden Tages war es
kälter geworden. Die kleinen Mäuse, die vorhin noch über den Boden raschelten,
waren nicht mehr da, genau wie sein Bolter.
Beli sprang mit einem Satz auf die Beine und die Motoren seiner Servorüstung
protestierten laut kreischend gegen die urplötzliche Aktivität.
"Du bist langsam mein Bruder!"
Die Höhle warf den Schall hundertfach aus allen Richtungen auf Beli, der sich
wild drehte.
"Komm raus und zeige dich mir, oder du wirst den Zorn des Imperators spüren."
Ein leises Lachen ertönte, mit einer Spur der Überheblichkeit in sich, steigerte
es nur Belis Wut.
"Mein Bruder, wenn du nur wüsstest, wenn du nur wüsstest."
Die Stimme verklang und ließ Beli allein in der Dunkelheit zurück.
Die Sonne erhob sich und flutete durch den Höhleneingang, von dem sich Beli
nicht weit entfernt hatte und offenbarte ihm seinen Peiniger.
Das erste was er erkennen konnte war ein Paar schwerer Panzerstiefel und dann
der Rest einer Servorüstung. In der Servorüstung selbst steckte ein Körper mit
einem knabenhaftem Gesicht.
Aber mit der Rüstung stimmte etwas nicht, Hunderte von arkanen Zeichen zierten
die Rüstung von der Sohle bis zum Kragenverschluss, welcher in einem reinem
Gold gefasst war, wie Beli es noch nie gesehen hatte. In dem Moment wusste Beli
mit wem er es zu tun hatte.
"Verräter!" zischte er aus, blieb aber abschätzend stehen, da dieser seinen
Bolter in der Hand hielt plus einer Pistole, deren Wirkung Beli nicht ermitteln
konnte.
"Nun wenn das der Name ist, mit dem du mich in Zukunft rufen willst, dann ist
das deine Sache, meine Brüder hingegen pflegten mich Gabriel zu nennen. Ich
finde diesen Namen darüber hinaus kleidsamer, als dein einfaches 'Verräter'!"
Der Verräter setzte sich in Bewegung und schlenderte zu der nächsten Felswand,
ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen die
Wand.
Eine Weile starrte der Verräter einfach nur geradeaus wohingegen Beli ihn nicht
aus den Augen ließ, aber nicht fähig war sich auf ihn zuzubewegen, anfangs
glaubte er an eine Fehlfunktion seiner Rüstung aber dann blieb ihm nichts anderes
übrig als einzusehen, dass sich nicht ein einziger Muskel in seinem ganzen Körper
fähig war sich zu bewegen. Offensichtlich verfügte der Verräter über Kräfte
eines Scriptoren.
"Ich habe deinen Gedanken gelauscht, Beli..."
Er lies ein paar Momente verfliegen, bis er sich wieder äußerte:
"Es ist schon amüsant. Ihr habt ein Talent für Selbstmitleid. Ihr betrauert
den Tod eures Primarchen, ihr weint um den Imperator und du Beli. Ja, du weinst
um dich selbst, weil du nicht mehr Teil dessen bist, wo du eigentlich ursprünglich
gegen deinen Willen hineingepresst worden bist. Du weinst, weil du den Glauben
zum Imperator verloren hast. Du heulst, weil du seit fünf Jahren allein bist!"
Der Verräter brach in schallendes Gelächter aus, welches kurzzeitig Dimensionen
von wahnsinnigem Kichern annahm. Dann fasste er sich aber wieder und wendete
sich Beli vollends zu.
"Weißt du mein Freund was es bedeutet zu leben und dabei eigentlich tot
zu sein, weißt du was es bedeutet vierzig Jahrtausende in dieser Hölle
zu leben, die ihr Imperium nennt? Nun mein Freund, ich weiß es. Im Gegensatz
zu den Verrätern, die du ansprachst, unterliege ich allerdings nicht den Veränderungen
des Chaos. Ich bin unverändert mein Freund, seit vierzig Jahrtausenden, bis
auf den kleinen Nachteil, dass ich eben unsterblich bin."
Wieder eine Pause während Gabriel wieder vor sich hin starrte.
"Ja mein Freund ich höre deine Gedanken. Nicht der Imperator hat dich verlassen,
er war nie da. Nun hast du deinen Glauben verloren und somit ist auch der Imperator,
den euch eure Kapläne einreden aus deinem Kopf verschwunden."
Plötzlich ließ die Unfähigkeit sich zu bewegen nach und Beli taumelte
einige Schritte in die Richtung des Verräters. Dieser aber schaute ihn nur geringschätzig
an.
Setz dich mein Freund, in all den Jahren, die ich nun lebe, habe ich eine Menge
Lebewesen töten müssen, dich habe ich nicht auf meiner Liste, nein ich will
dir etwas geben. Dir wie allen anderen, die ich aufsuche. Marines, wie du einer
bist, ausgestoßen und verlassen von ihrem Gott, der keiner ist.
"Wer bei den hundert Höllen bist du?" verlangte Beli zu wissen.
Beli sah wie sein Gegenüber kurzzeitig die Augen schloss und sich konzentrierte.
"Nun mein Freund, ich bin, wie auch du, in meiner Familie ein Erstgeborener."
Beli setzte sich aufrecht hin.
"Vor dem großen Exodus schuf der Imperator die Primarchen, von denen ja
auch deine Implantate stammen. Nun aber setzte er sich nicht einfach hin und
schuf sie, sondern brauchte Jahre bis er überhaupt lebende Wesen schaffen konnte.
Die ersten waren geradezu schrecklich degeneriert und wurden sofort wieder getötet.
Dann gab es aber einen Versuch, der gelang, der letzte bevor die Primarchen
das Licht der Welt erblicken durften. Mich."
"Du lügst!" Beli sprang auf und wollte auf Gabriel losgehen. Der aber lächelte
nur und schloss die Augen. Beli spürte wie ihm plötzlich die Beine versagten
und er auf die Knie stürzte. Dann fiel es ihm sehr schwer Luft zu holen. Wie
ein fallender Baum schlug er mit dem Oberkörper der Länge nach auf den Boden.
Dann war alles vorbei, er spürte seine Beine wieder und konnte ohne Probleme
atmen.
"Das ist es was mich nie hat bekannt werden lassen, Beli. Ich war nie ein Krieger,
mir fehlte der Sinn für Gewalt wie ihn meine Nachfolger aufwiesen. Ich war mächtig
in den Kräften des Geistes, damals mächtiger als der Imperator selbst.
Als er das erkannte, wurde ich eingesperrt hinter meterdicken Wänden aus Psykurium.
Er wollte mich loswerden. Er hatte mich aber unterschätzt. Ich überlebte über
Jahre in diesem Raum, wurde vergessen. Dann war es ironischerweise die Schöpfung
des Imerators, die mich befreite, ein ziemlich wahnsinniger Word Bearer.
Er brachte mich zu seinem Herren. Ich war ziemlich schwach, trotz der Trance,
die mich am Leben erhalten hatte. Trotz der Jahre der Gefangenschaft und des
unendlichen Hasses, den ich noch heute in mir trage, erkannte ich dass die Herrschaft
des Imperators dennoch der durch der des Horus vorzuziehen war.
Nachdem ich Horus blockiert hatte und somit den tödlichen Streich des Imperators
gegen den Korrumpierten ermöglichte, floh ich."
Es kehrte wieder Stille ein.
"Warum sollte ich dir Glauben schenken?" fragte Beli mit zweifelndem Gesicht,
"der Imperator schützt uns seit Jahrtausenden, dir begegne ich heute zum ersten
Male, nie habe ich etwas von einem Primarchen vernommen, der dir gleichen würde."
"Ich erzähle dir jetzt mal etwas über den Imperator. Seine Fähigkeiten erhielt
er durch einen Unfall. Wie es passierte ist nicht zu sagen, aber es gab eine
Explosion eines Warpgenerators auf der Erde und seit diesem Tag hat er seine
Kraft. Der Imperator war körperlich schwach, er lebte in seiner Rüstung und
hielt sich schon seit seiner Jugend für einen Gott. Der Imperator ist aber keine
strahlende Göttlichkeit, er ist ein kleiner Mann mit einer durch Zufall übermittelten
Gabe und einem Größenwahn der einen jeden übertrifft, welcher jemals unter einer
Sonne wandelte und nun ist er nur noch eine verwesende Leiche, die an einem
arkanen Gerät hängt und von ihm am sogenannten Leben erhalten wird.
Der Imperator ist nicht das, was der Menschheit erzählt wird. Er ist nur noch
eine Rechtfertigung für die Ekklesiarchie zu herrschen und die Menschheit zu
terrorisieren."
"All das, was du mir hier erzählst, könnte auch aus dem Mund eines Häretikers
stammen. Du willst mich den Mächten des Immateriums ausliefern!" Beli wollte
erneut auf Gabriel losstürmen, wurde aber schon im Ansatz aufgehalten.
Nun war Wut im Gesicht Gabriels zu erkennen. Er stand auf und nährte sich Belis
Gesicht bis zwischen ihre Nasen nicht einmal mehr eine Hand passte.
"Werdet ihr seit neuestem auch auf Ignoranz gepolt? Seit ihr überhaupt noch
Krieger oder nur stumme Marionetten?
...Nun gut, du willst es so haben." Gabriel schloss die Augen und umfasste Belis
Kopf mit beiden Händen. Ein paar Sekunden lang spürte Beli nichts außer dem
Druck der Hände Gabriels. Dann schossen urplötzlich Bilder durch seinen Kopf.
Erinnerungen, Gefühle, Schmerzen aus mehreren tausend Jahren überfluteten Belis
Bewusstsein. Er sah den Imperator, einen kleinen Mann in dekadentem Umfeld,
umgeben von großen Kriegern, die unterwürfig jeden Befehl ausführten.
Er sah Horus, seinen Wahnsinn, sein Gefühl der Einsamkeit, die Hoffnung einer
Versöhnung, die doch unmöglich, seinen Tod und den verstümmelten Imperator,
den sie von dem Schlachtschiff trugen, um ihn darauf an die gewaltige Apparatur
des Goldenen Thrones zu fesseln. All dies spürte er nicht als Illusion, er fühlte
das alles echt war. In dem Moment ließ Gabriel ihn los. Beli strauchelte
und rutschte über den glitschigen Boden der Höhle.
"Das war mein Geschenk an dich Beli, es gibt keinen Gott der Maschinen. Keinen
Gott der Menschheit. Keine Notwendigkeit für das Opfer so vieler Seelen in seinem
Namen. Es gibt nur eine Notwendigkeit, welche von unglaublicher Wichtigkeit
ist. Das Überleben der Menschheit, und nicht das irgendeines selbsternannten
Gottes. Dem habe ich mich verschrieben. Einst folgte mir ein ganzer Orden, mal
eine Kompanie oder ein taktischer Trupp oder nur ein Individuum wie du, Beli.
Aber für mich macht jedes Leben einen Unterschied. Deswegen bin ich hier auf
der Suche nach dir. Schließ dich mir und meinen Brüdern an!"
"Was für Brü...?" er hatte das letzte Wort noch nicht beendet, als sich die
Höhle mit gleißendem Licht füllte. Als Beli wieder etwas erkennen konnte, war
er umringt von Gestalten, die nur aus Knochen zu bestehen schienen und deren
Füße in ewigem Feuer standen.
"Bist du bereit, deinen Göttern zu entsagen und dich dem Ziel des Überlebens
der Menschheit unterzuordnen, Beli? Dann folge mir in die Legion der Verdammten."
Beli konnte nicht nicken, so ungläubig war er, aber tief in ihm drin machte
sich ein Gefühl breit und dieses verriet ihm, dass es richtig war. Gabriel nickte
als würde auch er es spüren. Alle Wesen um ihn herum fassten sich an ihre bleichen
Schädel und Beli erkannte, dass es sich um Marines handelte, die ihre Helme
abnahmen, unter den Schädeln kamen Menschenköpfe zum Vorschein. Einer der Soldaten
reichte Beli die gepanzerte Hand.
"Willkommen Bruder!"
Noch während sie der Transporterstrahl erfasste, wusste Beli, dass er von nun
an nicht mehr allein sein würde.
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