Ammenmärchen

von Stefan Bernhard

Es war ein staubiger und heisser Sommer in Poison Creek gewesen, daran erinnerte sich der alte Mickey noch genau. „Weißt du, auf den Pilzfarmen ging es mehr schlecht als recht zu und her. Wasser fehlte und drei Viertel der Ernte war bereits verdorrt, bevor man überhaupt etwas retten konnte. Viele der Arbeiter hatten nichts zu tun und versoffen ihr letztes Geld in den schmierigsten Löchern der Stadt.“ Mickey hob beschwichtigend eine Hand. „Geht nicht gegen dicht, Bazza. Gib mir noch einen Drink.“ Der Wirt grunzte etwas Unverständliches und goss dem alten Mickey nach.

„Jedenfalls erreichte uns eines Abends die Nachricht, dass auf einer der abgelegerenen Farmen, Tammy’s Hole, so hiess sie, ein Überfall stattgefunden habe. Alle seien tot und aufgeschlitzt worden. Die wenigen Arbeiter, die Frau und der Sohn des Besitzers, alle niedergemacht. Nur von ihm fehlte jede Spur. Man hat dann ein paar Wächter hingeschickt und festgestellt, dass der Vorratsraum aufgebrochen und alles geplündert worden war.“ Der alte Mickey räusperte sich und stürzte seinen Drink hinunter. „Ich habe mich damals als junger Kerl den Wächtern angeschlossen und glaub mir, der Anblick der von der Hitze aufgequollenen Leichen war nicht schön. Träum immer noch davon. Gib mir noch einen, Bazza.“ Während der Wirt erneut nachschenkte, fuhr sich Mickey durch den grauen, verfilzten Bart.

„Während ich draussen war und mir die Seele aus dem Leib würgte, haben die Wächter drinnen die Leiche eines Orlock-Gangers gefunden. In Poison Creek war er als `Butcher` bekannt gewesen. Ganz übler Bursche, wie der Rest der Gang. Kurz darauf hat man die ganze Bande, `Abyss Devils` nannten sie sich, aus der Gegend gejagt.“ Der Alte kratzte sich am Kopf. „Schätze, dass ist jetzt an die 15 Jahre her.“

„Und der Besitzer der Farm? Wie hiess der überhaupt?“ fragte Mickeys Gegenüber, ein junger Hitzkopf, der aus der Hive-City heruntergekommen war. „Das ist das Seltsame, Junge. Er war nur ein paar Mal in der Stadt, meist kam seine Frau, und hat sich nie lange hier aufgehalten. Was den wenigen Leuten, die mit ihm gesprochen hatten, bekannt war, war sein Name: Sam. Oh, und sie sagten, sie würden nie seine Augen vergessen. Hart und kalt wie Stahl sollen sie gewesen sein. In den Jahren darauf jedenfalls, hatten es die `Abyss Devils` schwer. Ich meine jetzt nicht aufgrund irgend welcher Auseinandersetzungen mit anderen Gangs, nein. Jedenfalls begannen sie, sich nach dem Massaker ziemlich bedeckt zu halten. Vernachlässigten ihr Territorium und so. Schliesslich verliessen sie die Gegend um Poison Creek und zogen weiter nach unten, Richtung Down Town. Das habe ich auf jeden Fall gehört. Tja, aber um auf ihr Pech zurückzukommen: Das war schon seltsam. Es schien immer nur einen aus Mal zu erwischen. Selbst wenn sie zwei oder drei Mann losschickten um Besorgungen zu machen, kehrte immer einer weniger zurück. Gerüchte fingen an, die Runde zu machen und nur der schlimmste Abschaum des Underhives dachte überhaupt noch daran, mit ihnen Geschäfte zu machen oder sich ihnen anzuschliessen.“ Mickey hob das Glas und nahm einen Schluck.

„Ja, aber dieser Sam, ist der wieder aufgetaucht? Ist er von der Gang entführt worden?“ fragte der junge Mann mit einem ungeduldigen Unterton. „Nur die Ruhe, mein Junge. Alles zu seiner Zeit. Etwa vier Jahre nach dem Massaker in Tammy’s Hole musste ich nach Dust Falls, warum ist nicht wichtig. Am Abend landete ich in einer kleinen Spelunke. War wirklich nett dort und die hatten einen verdammt guten Schnaps. Nichts gegen den hier, Bazza. Gib mir noch einen, ja?“ Der alte Mickey wartete bis das Glas voll war und fuhr dann fort: „Nach einiger Zeit brach an einem der hinteren Tische ein Streit aus. Viel konnte ich nicht verstehen, da beide einiges geladen hatten. Einer der beiden schrie dann jedenfalls, der andere solle die Klappe halten, da er von Tammy’s Hole nichts wüsste, im Gegensatz zu ihm. Denn er sei damals ja schliesslich dabei gewesen und nun sei er der Letzte der `Abyss Devils`. Auf einen Schlag war es still im Raum und dem Typen dämmerte es langsam, dass er wohl einen Fehler gemacht hatte. Unbeholfen zog er eine grosskalibrige Knarre unter seinem zerschlissenen Mantel hervor und lallte, dass er jeden umbringen würde, der ihm zu Nahe käme.“ Mickey griff nach seinem Glas und nahm einen grossen Schluck.

„In diesem Moment, ich verscheissere dich nicht, Junge, in diesem Moment flog die Türe auf und er war da. Einfach so. Schwarze Kleider hat er getragen. Schwarz wie die Nacht, mein Junge. Über Nase und Mund hatte er ein rotes Staubtuch gezogen und seine Augen wurden von einem breitkrempigen Hut beschattet. Trotzdem schienen seine Augen zu leuchten. Diese Augen, mein Junge, die vergesse ich nie mehr. Hart und kalt wie Stahl waren sie, glaub es mir. Als der Typ den Neuankömmling erblickte, versuchte er gar nicht erst, zu schiessen. Er ging auf die Knie und bettelte um sein Leben. So was habe ich noch nie gesehen. Ich weiss noch, wie der Schwarzgekleidete seine Waffe hob und sie dem Ganger mitten auf die Stirn setzte. Wie lange es dauerte bis der Schuss fiel, kann ich nicht mehr sagen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Niemand rührte sich, alle starrten in die Mitte des Raumes und als wir uns schliesslich gefasst hatten, war der Kerl weg und der Ganger hatte ein riesiges Loch in seinem Schädel. Erst viel später habe ich erfahren, dass sich die `Abyss Devils` mit dem Falschen angelegt hatten, als sie Tammy’s Hole überfielen. Es war Sam gewesen, der die Gang all die Jahre gejagt und sie schlussendlich zur Strecke gebracht hatte. Was die Gang und keiner in Poison Creek aber nicht wussten, war wer er war. Früher nannte man ihn Sammy Grey-Eyes. Ich denke der Name sagt dir was, oder? Und ich sag dir noch was, Junge. Er ist immer noch irgendwo da draussen, also pass auf, was du tust. Pass auf dich auf.“ Der alte Mickey erhob sich und liess den jungen Mann allein zurück, der sich nun ernsthafte Gedanken über seine Pläne im Underhive machte.




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