von Michael Jann
Makay joggte so oft ihm die knappe Zeit dazu blieb. Auch ein jahrtausendealter Körper benötigte Fitness. Er machte es nicht, weil es ihm besonders gut gefiel, aber er musste seinen genveränderten Körper auf Vordermann halten. Man konnte nie wissen, was einen erwartete. Gerade heute sollte sich seine Befürchtung bewahrheiten.
Irgendetwas war heute Morgen anders. Als er die Vororte von Gratia erreichte fiel es ihm sofort auf. Natürlich war es noch zu früh, als dass schon Menschen auf den Straßen hin und her liefen, aber auch die Vögel schienen erstaunlich still zu sein. Makay erhöhte das Tempo und mimte den frühmorgendlichen Jogger, den Blick stur geradeaus. Er beobachtete die Umgebung jedoch genau aus seinen Augenwinkeln. Er hatte die Vorgärten genau im Auge, die durch Zäune und Hecken, die Häuser vor neugierigen Blicken schützen sollten. Nirgendwo war eine Bewegung auszumachen. In einigen Häusern brannte bereits das Licht, die Menschen machten sich bereit, zur Arbeit zu gehen. An sich nichts Beunruhigendes, aber diese Stille.
Makay näherte sich seinem eigenen kleinen Häuschen, das er zur Tarnung bewohnte. War da ein Schatten in seinem Haus? Hatte er den kurzen Schein einer Taschenlampe gesehen? Ohne sein Haus auch nur eines Blickes zu würdigen, rannte Makay daran vorbei. Er musste in das Administrativgebäude des Gouverneurs kommen. Im Untergeschoss war seine Servorüstung.
Kein Tier war zu hören. Bellte nicht irgendwo ein Hund? Nein. Makay hörte das Zischen eines schnell fliegenden Fahrzeuges. Er spähte in den Himmel, konnte jedoch nichts erkennen. Kam es aus der parallel verlaufenden Straße?
Makay hielt an. Er ging, die Arme schwingend, unter einen Carport und musterte intensiv die Umgebung. Von hier aus hatte er den Einblick auf eine Kreuzung und konnte auf die Nebenstraße blicken. Das Geräusch kam erneut. Wieder aus Richtung Stadtrand, in Richtung Stadtmitte. Er sah ein schwarzes Schemen die Parallelstraße entlang rasen. Viel zu schnell, um es selbst mit seinen geschulten Augen zu identifizieren. Könnte es ein…? Nein. Seine Tarnung wäre aufgeflogen, wenn dies…
Mist. Drei Jahre Planung umsonst. Makay und Typoon hatten den Gouverneur endlich soweit, dass er es ablehnte, einen Leichnam auf einem fernen Planeten, anzubeten. Zur Sonnenwendfeier in zwei Tagen wollten sich der Gouverneur und sein Stab vom Imperium los sagen. Wieder ein Planet der sich den wahren Göttern zuwenden würde. Und jetzt dies.
Dennoch brauchte er seine Servorüstung. Typoon müsste auch auf dem Weg ins Präsidialgebäude sein. Zusammen konnten sie sich geeignete Gegenmaßnahmen ausdenken. Hinter Typoon stand die geballte Macht der zwanzigsten Legion. Vielleicht war ihr Plan noch zu retten.
Langsam ging Makay weiter. Jetzt wünschte er sich die Fähigkeiten von Rozal. Rozal war sein erster Adjutant, ein Meister im Schleichen, im Tarnen und Täuschen.
Je weiter Makay sich der Innenstadt näherte, desto mehr verschwanden die Vorgärten. Die Häuser wurden mehrstöckig. Makay nutzte die Fahrzeugbuchten und die Hauseingänge, die in die Häuser eingelassen waren, um unbemerkt voran zu kommen. Bald würde er den großen Verwaltungsblock erreicht haben.
Natürlich konnte er Typoon oder seinen getreuen Rozal im Moment nicht warnen, aber er hoffte, dass sie, ähnlich wie er, niemals ihre Deckung vernachlässigten.
Im Regelfall stand Rozal noch früher auf als er; vielleicht hatte er schon Gegenmaßnahen eingeleitet. Wenn man auch noch nicht genau wusste gegen wen oder was man kämpfte, es gefährdete auf jeden Fall den Plan.
Makay war jetzt kurz vor dem Administratumsgebäude. Er spähte um eine Hausecke und sah sich den Haupteingang an. Keine Wachen. Hier sollten Wachposten der planetaren Abwehr stehen. Er fluchte innerlich. Wahrscheinlich war der Verwaltungsblock bereits vom Feind infiltriert. Dennoch musste er hinein. Er konnte nicht ohne seine Ausrüstung fliehen. Dann eben durch einen Hintereingang. Er kannte alle Türkombinationen. Wenn es ihm gelingen sollte, unbemerkt an eine Eingangstür zu kommen, war das Eindringen ein Kinderspiel.
Makay umrundete das Gebäude in weitem Bogen und rannte dann aus einer kleinen Seitenstraße auf einen Lieferanteneingang zu. Das Eingeben der Kombination und das Eindringen in das Verwaltungsgebäude war eine einzige fließende Bewegung. Schnell schloss er hinter sich die Tür. Er musste auf die andere Seite des Komplexes.
Makay rannte eine Treppe hinauf und stürmte durch einen langen Flur. Bald sollte er an der Galerie sein. Die einzige Möglichkeit auf die andere Seite zu kommen, war durch die Galerie. Natürlich konnte er sie niemals unbemerkt durchqueren, wenn in der darunter liegenden Halle Wachposten aufgestellt wären. Makay überlegte kurz, ob er seinen Köper wieder einem Dämon zur Verfügung stellen sollte. Mit der dämonischen Kraft wäre es ihm leicht möglich schneller zu fliehen. Er verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Erst musste er wissen, gegen was er überhaupt kämpfte.
Makay hatte die Galerie erreicht. Er spähte aus dem Korridor auf einen glänzenden Bilderrahmen. Hier müssten sich eventuelle Wachposten spiegeln. Durch die Verzerrung des Rahmens sah Makay zwei Gestalten in der Halle stehen. Er erkannte, trotz der konkaven Wölbung des Spiegelbildes, zwei Männer in schwarzen Servorüstungen.
"Ravenwing", sagte Rozal leise und Makay erschrak so heftig, das er beinahe geschrieen hätte.
Ja, sein Adjutant war wahrlich ein Meister des Schleichens.
"Lenke sie unten ab. Ich muss ungesehen die Galerie durchqueren.", befahl Makay im Flüsterton. Rozal nickte stumm und entfernte sich lautlos.
Makay wartete. Nach kurzer Zeit sah er auf der Rahmenwölbung, wie Rozal den einen Space Marine von hinten angesprungen hatte. Makay rannte los. Er beobachtete das Geschehen in der Halle, während er so schnell er konnte die Galerie entlang sprintete.
Rozal hatte den einen Marine von hinten angesprungen und ihm sein Messer zwischen Helm und Brustharnisch gestoßen. So gut Rozal im Schleichen war, so wenig hatte er Erfahrung im Kampf mit Ordensbrüdern des Adeptus Astartes. Sein Hieb war zu schwach gewesen. Die Klinge war nicht ganz durch die Halspanzerung gelangt. Obwohl Blut aus der Wunde austrat, war Rozals Klinge höchstens zwei Zentimeter durch die Lamellenpanzerung gedrungen. Als sein Adjutant mit beinahe übermenschlicher Schnelle das Messer weiter in die Wunde drücken wollte, hatte der Space Marine Rozal bereits mit seiner rechten Hand am Genick gepackt und warf ihn über sich auf den Hallenboden.
Makay hatte das Ende der Galerie beinahe erreicht.
Rozal rollte sich ab, die blutige Klinge herausgezogen und noch immer in der Hand. Er wollte aufstehen und dem Ravenwing-Veteran den Rest geben, aber bevor er den Abrollschwung nutzten konnte, um wieder auf die Beine zu kommen, war der zweite Space Marine zur Stelle. Er stoppte Rozal mit seinem Fuß, den er Makays Adjutanten auf die Brust stellte.
Makay hatte den gegenüberliegenden Korridor erreicht und wartete auf das Knallen eines Boltpistolenschusses oder das Röhren eines Kettenschwertes, aber alles was er hörte, war das kurze, leise Knacken, von brechenden Knochen.
Rozal hatte seine Schuldigkeit getan. Makay sah den Aufzug am Ende des Ganges. Nur noch wenige Meter. Er rannte fast lautlos auf die einzige Möglichkeit zu, das Untergeschoß zu erreichen. War das Blut, was unter der Tür des Verkehrsausschuss hervorlief?
Der Fahrstuhl war da. Makay drückte die Tastenkombination, die in die Katakomben führte. Niemand konnte auf normalem Wege in diese Tiefe gelangen. Nur Typoon und er kannten die Kombination. Als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte atmete Makay auf. Er könnte es schaffen. Wieder überlegte er sich, vielleicht einen Dämon zu holen. Wenn er von der Kreatur des Warps besessen wäre, würde es ihm sicher gelingen, den Ring des Ravenwing zu durchbrechen.
Makay wusste was auf den Ravenwing folgte. Er wusste jetzt, dass sie hinter ihm her waren. Das die Dark Angels eine planetare Rebellion verhinderten, war nur Beiwerk. Er war das Ziel.
Der Fahrstuhl hatte sein Ziel erreicht. Nachdem die Tür aufgegangen war, sah sich Makay im Dämmerlicht des Korridors, der sich vor ihm auftat, um. Er sah auf dem staubigen Boden eine einzelne Fußspur. Also war Typoon schon hier. Gut. Der Soldat der Alpha Legion war ein zäher Hund. Mit ihm zusammen würde es möglich sein, sich abzusetzen. Dennoch öffnete Makay seinen Geist und rief nach den Dämonen. Alle Optionen offen halten. Er konnte jedem Dämon seinen Körper verweigern, solange er noch nicht Besitz von ihm ergriffen hatte.
Die Fußspuren führten ins Dämmerlicht des schwach beleuchteten, verstaubten Korridors. Makay folgte ihnen langsam. Diesmal rannte er nicht schnell und hektisch. Jetzt war er im Vorteil. Noch hatten sie ihn nicht entdeckt. Er lauschte nach Geräuschen. Jetzt war das schnelle Vorankommen nicht mehr so wichtig, wie das genaue Lauschen, um mögliche Gefahren im Vorfeld zu erkennen.
Alles war still. Nach weniger als einer Minute hatte er die Tür erreicht. Hier hatten Typoon und er vor anderthalb Jahren ihre Servorüstungen deponiert, nachdem sie im Geheimen in die Dienste des Gouverneurs getreten waren. Nicht einmal der Gouverneur wusste von dieser Ebene unter seinem Verwaltungsgebäude. Es war so leicht diese Narren zu täuschen.
Typoons Fußspuren zeigten an, dass sein Kumpan bereits diesen Weg genommen hatte. Makay trat ein. Es war ein Lagerraum, voll gestopft mit Kisten, Fässern und noch mehr Kisten und Fässern. Der Raum hatte Schenkelmaße von 50 Metern und nur alle 15 Meter brannte eine schwach leuchtende altertümliche Leuchte. Der Lagerraum war noch schlechter ausgeleuchtet als der Gang.
Makay spürte ein Klopfen in seinem Geist. Ein Dämon versuchte vorsichtig Kontakt mit ihm auf zu nehmen. Die Schwingungen des zaghaften Annäherns waren Makay bekannt. Es handelte sich um Sheihozcapotl, einen ungemein schnellen Dämonen des Tzeentch.
War da im Schatten ein kurzes, rotes Leuchten gewesen? Makay schlich sich langsam weiter. Noch immer kein Geräusch zu hören. Konnte es sein, dass Typoon schon fertig ausgerüstet war und irgendwo auf der Lauer lag? Makay wagte nicht zu rufen. Hinter dem nächsten Kistenstapel müsste seine Servorüstung sein. Er ignorierte das sanfte Drängen Sheihozcapotls.
Makay umrundete den Kistenstapel und sah Typoon. Allerdings anders als erwartet.
Sein Mitverschwörer hatte seine dunkelblaue, mit Schuppen verzierte, Servorüstung nur zum Teil anziehen können. Jemand hatte ihn mit 7 Messern an die Wand geheftet. An der Haltung des Kopfes konnte Makay erkennen das Typoon tot war. Nicht nur die Haltung des Kopfes, auch ein Ritualmesser, das aus Typoons rechtem Auge hing, wies darauf hin das er tot war. Er war zu spät.
Makay hörte wie hinter ihm die Tür aufging. Langsame Schritte näherten sich. Das Geräusch war unverkennbar. Der Verursacher der Schritte trug eine Servorüstung. Makay bewegte sich nicht. Sein Blick blieb unbeirrt auf Typoon geheftet. Aus den Augenwinkeln sah er weiße Gestalten hinter den Kisten hervortreten. Knochenweiße taktische Cybotrüstungen. Die Terminatoren des Deathwing hatten alle ihre Sturmbolter auf ihn angelegt. Nur nicht bewegen.
Er musste nun dem Drängen Sheihozcapotls nachgeben. Makay nahm wahr, wie die dämonische Essenz aus den tiefen des Warps in seinen Geist strömte.
Die Schritte hinter ihm kamen immer noch langsam und gleichmäßig näher. Dann geriet zu Makays rechter Seite etwas in sein Blickfeld.
Die Luft wurde kühler, als Sheihozcapotl begann aus dem Warp überzuwechseln.
Makay konnte jetzt das Banner sehen. Ein Deathwing-Terminator hat es von rechts kommend in Makays Blickfeld geschwenkt.
Ein Stöhnen kam aus dem Mund des ehemaligen Space Marine. Es war eine uralte Standarte des Ordens der Dark Angels. Es war eine heilige Standarte. Das Banner der Vergeltung.
Es zog Makays Blick magisch auf sich. Sheihozcapotl müsste mittlerweile durch seine Augen sehen können. Ein unnatürliches Röcheln entströmte Makays Kehle. Der Dämon zögerte. Tränen traten in Makays Augen. Das Banner der Vergeltung. Im Angesicht dieses Banners war Makay dem Imperator begegnet. Vor 10.000 Jahren auf Caliban. Seiner Heimatwelt.
Die Schritte hinter ihm waren jetzt ganz Nahe. Makay sank auf die Knie, noch immer den Blick starr auf die Standarte gerichtet. Der Imperator hatte ihn angeschaut. Er hatte gelächelt. Wie ein gütiger Vater.
Makay warf Sheihozcapotl aus seinem Geist. Das Banner der Vergeltung. Der Imperator hatte es gesegnet und er Makay, hatte mit den anderen Brüdern seines Trupps den Treueid auf den Imperator abgelegt. Vor 10.000 Jahren hatte er den Eid gebrochen.
Die Schritte hinter ihm waren verstummt. Er hörte das leise Summen eines Crozius Arcanum, der Energiewaffe eines Absolutionspriesters.
Langsam hob Makay seine rechte Hand; streckte sie dem Banner entgegen. Der Dämon beschwerte sich durch erneutes anklopfen in Makays Geist. Makay warf in vollständig zurück in den Warp. Das Banner der Vergeltung. Damals hatte er es berührt. Als einer der ersten nach der Segnung durch den Imperator. Er hatte die göttliche Macht gespürt.
Sein Arm war erhoben. Er wollte nach dem Banner greifen, es berühren, aber der Bannerträger machte nicht den Anschein, als würde er näher kommen.
Makay wollte sich erheben, aber ein servoverstärkter Arm drückte ihn zurück auf die Knie. Längst hatten die Veteranen des Deathwing ihre Sturmbolter gesenkt und standen in einem losen Kreis um den ehemaligen Ordensbruder.
"Bruder Malakiel, willst Du im Angesicht des heiligen Banners der Vergeltung bereuen?", fragte ihn Absolutionspriester Haskiel mit tiefer Stimme.
Malakiel lies den erhobenen Arm sinken. Er senkte leicht den Blick. Tiefe Trauer durchzog ihn. Er hatte den Imperator verraten. Hunderte von Welten waren durch seine Hand vom Chaos korrumpiert worden.
"Bereue, Bruder Malakiel."
Hunderte von Welten die zu beschützen er einst geschworen hatte. Das Banner brannte sich in Malakiels Netzhaut. Die hypnotische Anziehungskraft lies seine Augen nicht einmal mehr blinzeln. Er konnte seinen Blick nicht weiter senken.
"Vergebt mir.", stammelte Malakiel.
Diesmal donnerte die Stimme des Absolutionspriesters: "Bereue!"
"Ja, ich bereue.", sagte Malakiel und es schien ihm als würde eine jahrtausendealte Last von ihm abfallen. "Ich bereue! Imperator vergib mir."
Haskiel hob sein Crozius Arcanum:
"So sollst du Vergebung empfangen, Bruder Malakiel. Der Imperator nehme deine Seele auf."
Die heilige Waffe des Absolutionspriesters machte ein zischendes Geräusch, als er sie nach unten schwang. Es war das letzte Geräusch, das Malakiel hörte.
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