Weg In Die Zukunft (Teil 1)
von Bernd Krämer
Düster liegt der Mantel der endlosen Nacht über den Sternen. Eine
Stimme klar und schön wie die eines Engels durchschneidet die ewige
Stille. Ein Ruf in der Dunkelheit.
"Hier ist das Flaggschiff Khaines Tränen an den Begleitzerstörer
Kar Selim!"
"Nach Bestätigung durch den Rat der Seher auf Ulthwé ergeht
der endgültige Befehl an die Janias Mash il Morenn Black Guard Assault
Division, ihre Streitkräfte im Frakirimsektor, am Endorimusgestirn
zu sammeln. Die Suche wird sich von Endorimus aus über den gesamten
Sektor erstrecken, bis eine vollständige Aufklärung durch den Rat
der Seher auf Ulthwé bestätigt wird. Alle Flottenteile werden
mit sofortiger Wirkung nach Endorimus im Frakirimsektor beordert."
"Detaillierte Einsatz und Nachschubbefehle ergehen nach Eintreffen
des Shan-shidar."
"Krieg ist mein Meister, Tod ist meine Herrin!"
"Hier ist Begleitzerstörer Kar Selim an Flaggschiff Khaines Tränen!"
"Übermittlungscode positiv... Kurs Frakirimsektor liegt an... Nachrichtweiterleitung
erfolgt... Vollständige Bestätigung der eingegangenen Befehle!"
Dämmeriges Licht beleuchtet lange, gewundene Gänge... nirgends ist
eine Bewegung auszumachen.
Eine melodische Frauenstimme hallt von den Wänden einsamer Räume
und Gänge wieder:
"Runenleser Ashan Sydral auf Station 3a; sämtliche Mitglieder der
Vorhut melden sich bei Exarch Kardarim im Besprechungszimmer 24."
Schritte schwer gepanzerter Stiefel durchschneiden die Stille. Zwei
Aspektkrieger in schwerer Panzerung laufen den Gang hinab, die mit
Mandiblastern bewehrten Helme unter dem Arm.
Ein gepanzertes Schott gleitet zischend zur Seite und gibt den Blick
in einen Raum frei, in dessen Mitte ein großer runder Tisch steht,
um den mehrere Aspektkrieger und Ranger stehen.
Dutzende Stimmen reden hektisch durcheinander.
"Aber, meine Herren!" in dumpfem Basston schneidet eine Stimme durch
die Unordnung. Alle Blicke richten sich auf Kardarim, den Exarchen
des Skorpionkriegerschreins... dem Führer der Vorhut.
"Die Befehle des Shan-shidar sind eindeutig... Er wird das Flaggschiff
in ca. 6 Stunden erreichen. Eine Vorhut unter meiner Führung soll
auf Endorimus landen, die Landezone sichern und mit der Aufklärung
des Gebietes beginnen... Die Hauptstreitmacht folgt dann 12 Stunden
später. Aufklärungsgruppenführer Talarin... sind ihre Ranger bereit?"
"Natürlich, Erhabener."
"Sehr gut. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit jetzt der topographischen
Karte von Endorimus zuwenden würden... Der grün markierte Bereich
ist die einzige Zone von der wir detaillierte Daten erfassen konnten.
Es handelt sich um eine ca. 1,5 km große Lichtung in den dichten
Wäldern von Endorimus. Wir werden durch den Landungskreuzer Akaril
am nordwestlichen Ende dieser Lichtung abgesetzt werden und arbeiten
uns dann im Schutz der Wälder ca. 8 Klicks nach Nordwesten vor.
Unsere Mission dient dem Aufspüren feindlicher Verbände und der
Festlegung eines Standortes für Echobasis in den Klippen bei Nav.
Iota. Noch Fragen?"
"Also gut, in einer Stunde geht es los. Alle Mannschaften auf Gefechtsstation!"
Eldaromin verließ den Besprechungsraum als letzter, und bog nach
links ab zu seinem Quartier.
"Ja, die Befehle des Shan-shidar waren eindeutig. Er sollte mit
der Vorhut landen und sich unmittelbar danach von dieser absetzten
um mit seinem Teil der Mission zu beginnen. Nichts und niemand würde
den Weltenwanderer bemerken. Im Schutze seines Chameolinmantels
und mit Hilfe von etwa einem Dutzend verschiedener Bewegungsmodule
würde er sich durch das unwegsame Gelände von Endorimus wie ein
Windhauch bewegen, und seine Sensoren und Ortungseinrichtungen würden
dem Shan-shidar lange Zeit von Nutzen sein. Er würde dafür sorgen,
dass seine Brüder frühzeitig von jedem Eindringling erfuhren, um
ihm ein schnelles Ende zu bereiten, keiner der Chem-Pan-Sey, die
früher oder später nach Endorimus kommen würden, wird in der Lage
sein seine Brüder zu überraschen. Dafür würde der Weltenwanderer
schon sorgen."
Vorsichtig blies Eldaromin die letzten Späne aus dem Astloch, das
er aufgebohrt hatte.
Mit der linken Hand hielt er sich an einem Ast des Mamutbaumes fest
während er mit der anderen fingerfertig den faustgroßen Radarsensor
in die Öffnung einsetzte.
Fertig,... er ließ seinen Blick umherschweifen, über die majestätischen
Wipfel der Mamutbäume von Endorimus. Ein Lächeln umspielte seine
Mundwinkel, ein seltener Anblick bei einem Weltenwanderer. Er richtete
sich zu seiner vollen Größe auf,... und dann ließ er sich fallen.
Der Wind zerrte ungestüm an seinem Chameolinmantel, mit einem schnellen
Griff kriegte er eine armdicken Ast zu fassen. Die Schwerkraft riss
seinen Körper herum und er ließ den Ast wieder los, um weiter 20
Meter in die Tiefe zu stürzen. Ein weiterer Griff, das vertraute
Gefühl von Holzrinde, das Reißen der Schwerkraft und dann wieder
die Ekstase des freien Falls. Wie ein Affe hangelte der Weltenwanderer
an dem dreihundert Meter hohen Mamutbaum herunter, bis er mit einem
Salto den Erdboden erreicht hatte. Ein lautes und befreiendes Lachen
entsprang seiner Kehle... gelacht... mindestens ein Jahr lang hatte
er nicht mehr gelacht.
Endorimus. Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Schon
jetzt liebte er diesen Planeten. Bester Laune machte er sich daran
den Wald zu verlassen, um einen der Berge genauer zu besichtigen.
Von dem Baum aus hatte er ein Hochplateau gesichtet, auf dem unter
Umständen ein Landungsschiff niedergehen konnte... eine ideale Stelle
für ein paar seismische Sensoren!
Mehr als 100 Klicks entfernt waren zehn Skorpionkrieger mit einer
ganz anderen Art von seismischen Sensoren beschäftigt.
"Verdammte Scheiße!"
"Was ist denn?"
"Der Sensor ist kaputt! Erst zeigt er eine Höhle in ca. 87 Metern
Tiefe an und dann ist sie wieder weg!"
"Wo liegt denn das Problem Aspektkrieger?"
"Lord Kardarim... es... ich... seht selbst! Der Sensor zeigt eine
Höhle in 87 Metern an, und da... jetzt ist sie wieder weg!"
"Ich würde sagen sie haben da wirklich eine Höhle entdeckt... Sie
steht allerdings unter Wasser!"
"Sir, warum müssen wir uns eigentlich mit den Sensoren herumschlagen?
Das ist doch Aufgabe der Ranger!"
"Das ist schon richtig, allerdings sind die Rangers damit beschäftigt
die Überwachungsmatrix um dieses Gebirge zu vervollständigen und
sie wollen doch wohl nicht faul in der Sonne liegen?"
"Nein Sir!"
"Versuchen sie es da vorne noch einmal! Wenn der Shan-shidar hier
eintrifft werden wir ihm eine Höhle präsentieren, die er so schnell
nicht wieder vergisst."
Hoch über Endorimus in der endlosen Stille des Alls, zieht das Flaggschiff
Khaines Tränen seine Runden.
"Kiste 2347... 80 Plasmagranaten."
"Check!"
"Kiste 2348... 24 Phantomkristallkugeln."
"Check!"
"Was will der mit der Scheiße?"
"Was?"
"Kiste 2349... 1250 Meter psychoaktives Halbleiterfaserkabel!"
"Der packt einen Mist ein... Check!"
"Du solltest dir mal die Liste für Laderaum 14 anschauen!"
"Was?"
"Gravitationsplattformen,... Holoemitter und 12 Klicks Absperrgatter!"
"Oh Mann! Das müssen wir doch nicht nachmessen, oder?"
"Auf keinen Fall!"
"Ich hab gehört, dass alle Kristallsänger mit auf die Oberfläche
beordert wurden!"
"Vielleicht will er ein Raumschiff bauen?!"
"Hahaha, ja klar! Lass uns weitermachen!"
"Kiste 2350... 12 Umspannungskonverter!"
"Check!"
In der Halle der Ankunft, am Hauptdockkragen, herrschte hektische
Betriebsamkeit. In Reih und Glied waren Aspektkrieger und Gardisten
angetreten.
Runenleser und Propheten standen steif und mit ausdruckslosem Gesicht
da und starrten auf die Hauptschleuse, neben der die Sturmgardisten
der Totenwache Aufstellung genommen hatten. Mit einem lautem Klacken
dockte die Korvette der Asur-Klasse am Dockkragen der Khaines Tränen
an. Endlose Sekunden verstrichen, in denen keiner der Anwesenden
einen Laut von sich gab.
Dann,... endlich öffnete sich die Luke.
Sturmgruppenführer Alsaron von der Totenwache trat vor... voll und
klar schnitt seine Stimme durch den Raum...
"SHAN-SHIDAR!"
Wie ein riesiger, exotischer Käfer ragte das Landungsschiff der
Mondfalkenklasse zum Himmel empor. Mit Hilfe großer Antigravlastkrähne
wurden kubusförmige Kisten aus den oberen Laderäumen auf den Transportschweber
geladen. Zwischen den Fahrzeugen wuselten die ganze Zeit über die
Mitglieder der Janias Mash il Morenn Black Guard Assault Division
auf und ab, ständig damit beschäftigt die Ladung des Schiffes zu
löschen.
Shan-shidar Tian Dan lag an den Stamm eines Mammutbaumes gelehnt
im Schatten und kaute, mit gelangweiltem Blick, auf einen Grashalm.
Wann würden sie es endlich lernen? Das Eldarimperium war nicht an
einem Tag erbaut worden, es war nicht an einem Tag gefallen, und
es würde nicht an einem Tag wieder auferstehen. Geduld und Umsicht
waren nötig, um die Wenigen, die nach dem Fall übriggeblieben waren,
wieder an die Spitze der Herrschaft zu führen.
Einer der Lastkrähne schwang in einer schnellen Rechtsbewegung aus,
ein Gardist, der die nahende Gefahr in der Hektik nicht kommen sah,
wurde von der herumschwingenden Last an der Schulter getroffen und
drei Meter durch die Luft geschleudert.
Tian Dan drückte sich hoch um aufzustehen. Der Gardist erhob sich
aus dem Gras und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter.
"Heiler!"
Tian Dan ließ sich wieder zurücksinken und rollte die Augen. Kinder...
die wenigsten über zweihundert Lebenszirkel alt! ... mit der Zeit
würden sie lernen... Wie schon gesagt war Geduld das Zauberwort.
Eigentlich wäre das ein guter Zeitpunkt, um ein kleines Nickerchen
zu machen... Das Entladen des Schiffes würde noch eine weitere Stunde
dauern... eine weiter Stunde würde die ganze Truppe brauchen, um
die Höhle zu erreichen, die Kardrim gefunden hatte... wer weiß,
wann er das nächste mal eine gute Gelegenheit für ein Nickerchen
auf diesem Feldzug haben würde... ... ...!
"Shan-shidar!"
"SHAN-SHIDAR!"
Tian Dan öffnete die Augen und blickte in das besorgte Gesicht eines
Gardisten... Er mußte eingeschlafen sein... Jetzt bloß keinen Fehler
machen!
"Ja, gibt es etwas, Gardist?"
Tian Dan blieb liegen und schaute ihn desinteressiert an.
"Die Garde hat die Koordinaten erreicht und alles ist bereit, um
mit der Bohrung anzufangen!"
Tian Dan erhob sich und musterte den Gardisten von Kopf bis Fuß.
"Soll das heißen die Bohrung hat noch nicht begonnen?"
"Nein, wir dachten...?"
"Das Volk der Eldar ist viele Millionen Jahre alt und scheinbar
immer noch nicht in der Lage ein einfaches Loch auszuheben!"
"Ich bitte um Verzeihung...?"
"Ein Mann ihres Alters sollte nicht mehr um Verzeihung bitten müssen,
er sollte es einfach besser wissen! Ich komme besser mit, sonst
gibt es noch mehr Verletzte. Gehen sie vor!"
In Reih und Glied standen die gesamten, zur Zeit verfügbaren, Streitkräfte
der Assault Division am Fuße der Berge.
- Sie stehen da wie auf einer Parade, dabei sollen sie nur ein Loch
buddeln...
Serach Alkar Ishasun, der ranghöchste Runenprophet des Dritten Zirkels
des Hohen Rates von Ulthwé, trat ihnen entgegen."
Ah, Shan-shidar! Auf mein Geheiß haben wir mit dem Beginn der Bohrung
extra auf euch gewartet. Ich dachte, dass ihr bei diesem historischen
Moment zugegen sein wolltet!"
Der Gardist warf Tian Dan einen leicht vorwurfsvollen Blick zu.
- Upps... verdammt... alle Augen sind auf mich gerichtet... das
ist typisch Propheten... alles müssen sie ritualisieren!
"Aber das wäre nicht nötig gewesen! Wir haben bereits viel
Zeit verloren und eigentlich hatte ich gehofft, den bergmännischen
Teil der Arbeit so schnell wie möglich hinter mich zu bringen."
Leider trug der Runenprophet seinen Phantomhelm und so sah Tian
Dan nicht diese Gesichtsentgleisung die ihm einen Stich versetzt
hätte.
- Zum ersten Mal seit über 1000 Jahren waren Eldar wieder daran,
etwas, das einer Kolonie gleichkam, auf einem Planeten zu errichten
und dieser Barbar nannte es `bergmännisch'.
Alkar Ishasun drehte sich steif herum und verkündete mit kalter
Stimme mit der Bohrung zu beginnen, dann ging er zurück zum Kreis
der Seher, wo er die restliche Zeit stehenblieb und Tian Dan keines
Blickes mehr würdigte.
- Das wars Tian... Du bist geliefert... Er kann zwar nicht direkt
Einfluss auf die Mission nehmen,... aber er kann dir das Leben zur
Hölle machen! ...Scheiße! Darum würde er sich später kümmern müssen...
Geduld. Erstmal war es an der Zeit, das Areal mit Laserpalisaden
und Wachplattformen für die Nacht zu sichern. Die Ranger sagten
zwar, Endorimus sei unbewohnt, aber man weiß nie welche Überraschungen
das Universum für einen bereithält.
Tagebuch Tian Dans Eintrag 1
Bericht an den hohen Rat Ulthwes über die Fertigstellung der Falcon
Dome Zitadelle:
"Nach Bestätigung des Einsatzortes durch den hohen Rat sandte ich
Befehle voraus, die Vorhut anzulanden, eine geeignete Landezone
nahe der Berge auszuspähen und diese zu sichern. Diesen gab ich
den Weltenwanderer Eldaromin mit und unterstellte der Vorhut Exarch
Kardrim vom Aspekt des Skorpions. Desweiteren gab ich detaillierte
Befehle zur Zusammenstellung der anzulandenden Truppen und Nachschubeinheiten.
Nach meiner Ankunft führte ich die gesamte Truppe nach Endorimus
an den Fuß der Berge, ließ eine Bohrung beginnen, mit dem Zwecke
eine Höhle unter dem Gebirge zu erschließen und ließ ein befestigtes
Lager errichten. Aus Sicherheitsgründen, der Planet Endorimus war
noch nicht ganz erschlossen, ließ ich das Lager mit einem 5 Fuß
breitem und ebenso tiefen Graben umgeben und auf 10 Fuß hohen Erdwällen
stellte man auf mein Geheiß die Laserpalisaden auf. Hinter der Palisade
ließ ich in einem Abstand von 100 Fuß Wachtürme errichten, die diese
um 15 Fuß überragten. Da das Lager nur von kurzer Dauer sein sollte,
ließ ich nur noch eine ausfahrbare Energiebrücke schlagen und beließ
es bei dieser Verschanzung meines Lagers, die ich für ausreichend
hielt.
Als am Mittag des nächsten Tages die Höhle erschlossen war, ließ
ich die Schwarzen Khaindar, die anstelle ihrer Raketenwerfer nun
Schneidlaser trugen, zusammen mit den Kristallsängern, diese für
das kommende Ritual herrichten.
Das Vorbereiten der Höhle erwies sich jedoch als nicht so einfach,
da das Gewicht des Berges schwer auf ihr lastete. Als nun am dritten
Tage das Werk vollbracht und die Höhle, gemäß den Anweisungen der
Kristallsänger, hergerichtet war, ließ ich ein üppiges Frühstück
ausgeben und begab mich mit allen Truppen, mit Ausnahme der Phantomlords,
ins Innere, um das Phantomkristallritual zu beginnen.
Als jeder seinen Platz eingenommen und seine Strophe zu rezitieren
begonnen hatte, begannen die Kristallsänger ihre Instrumente anzustimmen
und voll Trauer und Schmerz vom Ruhme vergangener Tage zu singen.
Majestätisch erhoben sich die Phantomkristallkugeln, die mit psychoaktivem
Halbleiterfaserkabel verbunden waren, aus ihren Ruhestätten und
tauchten den gesamten Raum in ein blaues Kristallicht.
Unter dem Gesang der Kristallsänger erzitterte das Gebirge, im rhythmischen
Takt ihrer Trommeln bebte der Boden und über das Spiel der Musik
erhob sich ein stetiges, dunkles Summen.
Höher und höher stiegen die Kristallkugeln und als sie die Decke
berührten, war es als ob ein Stein in Wasser taucht. Wellen schienen
sich von den Kugeln über den Stein auszubreiten und diese tauchten
völlig in ihn ein, nur die Kristallkabel ragten noch aus der Decke
wie Schilf aus einem See.
Und wie einst Asur einen Stein nahm und aus ihm das Leben formte,
so formte die Kraft der Kristallsänger nun diesen Stein, ließ ihn
fließen wie Wasser, sich auftürmen zu Wänden und Räumen. Das Kristallkabel
wurde zusehends dünner, als die geistige Kraft der Sänger es streckte
und wie Blutgefäße verzweigte.
Lange Zeit saßen wir dort und rezitierten die Strophen, die Asur
uns gelehrt. Nach 18 Stunden war das Ritual beendet und der erste
Dom, das Nest des Falken, der Falcon Dome Zitadelle erhob sich prächtig
in den Nachthimmel. Ich ließ die erschöpfte Truppe 10 Stunden ruhen
und gab den Befehl den Dom fertig zu stellen, da ich das Lager so
schnell wie möglich wieder abbrechen wollte.
Inzwischen sind alle Truppen in den Falcon's Nest Dome eingerückt,
das Lager wurde vollständig abgebrochen und die Überwachungsmatrix
ist ins System integriert worden. Sämtlich Eingänge im ersten Dom
sind mit Schotts gesichert und mit Hilfe von Chameolinlack und Holofeldern
vor Entdeckung geschützt. Die Arbeiten am Skorpion's Pit Dome und
am Dragon's Lair Dome schreiten gut voran, ich bin mir sicher, in
Kürze sämtliche Schwerarbeiten abschließen zu können."
Tian Dan berührte die Sendetaste und rückte vom Display seiner Psimatrix
zurück. Tief im Inneren des Falcons Nest Domes, in der Halle der
Seher, begann ein faustgroßer Phantomkristall in grünem Licht zu
schimmern und den Bericht telephatisch an den Rat der Seher auf
Ulthwé zu übermitteln.
Er konnte ein Gähnen nicht unterdrücken, die letzten Tage waren
wirklich anstrengend gewesen. Als er die Augen wieder öffnete, lag
vor ihm auf dem Schreibtisch eine uralte Tarotkarte der Eldar. Eine
Karte aus dem Tarot des Todes. Sie zeigte eine Gestalt in der ehrwürdigen
Robe eines Richters, unter seinem rechten Arm trug er die Gesetzbücher,
auf seinen Schultern ruhte ein grinsender Totenschädel und mit seiner
linken, skeletierten Hand wies er auf einen Richtbock, in dem das
Henkerschwert steckte.
Darunter war ein Schriftzug angebracht: Des Todes Advokat
Tian Dan lachte schallend.
"Du schaffst es immer wieder mich zum Lachen zu bringen! Wie kommst
du hier rein, Eldaromin?"
Der Weltenwanderer trat aus dem Schatten und setzte sich auf den
Schreibtisch des Shan-shidar.
"Schande über den Weltenwanderer, der es nicht versteht die Technik
seines eigenen Volkes zu täuschen!"
Grinsend zog er unter seinem Chameolinmantel eine Flasche uralten
Eldarweins hervor.
Tian Dan seufzte, es würde wieder eine lange Nacht werden.
Tian Dan stand vor seinem Kristallspiegel und zog die Runenrüstung
der Totenwache, jener Sturmgardisten denen die Sicherheit der Seelensteine
der Eldar anvertraut war, zurecht. Er betrachtete sein Werk,...
sich selbst.
Das schwarze Haar fiel ihm über die Schultern bis hinab an die Taille,
auf der linken Seite waren blutrote und strahlend gelbe Strähnen
mit dem schwarzem Haar zu schmalen Zöpfen verflochten. Dreizehn
an der Zahl,... warum wusste er nicht mehr. Um sein linkes Auge
herum war die Rune Ulthwés in blutroter Farbe tätowiert.
Die schwarze Rüstung, die mit silbernen Runen und blutroten
Aufschlägen verziert war, saß perfekt. Sein schwarz-roter Umhang
fiel über seine Schultern hinab bis zu dem Schaft seiner schweren
Panzerstiefel. Das Tutan Khamen hing locker an der linken Seite
seiner Hüfte... alles war...
Die Pistole! Wo hatte er sie nur? Früher hatte er nie eine getragen,
aber sie gehörte nunmal zur Uniform!
Tradition... Tian Dan seufzte. Da ist sie! Er legte rasch die Shurikenpistole
an und eilte zur Tür hinaus.
Eldaromin hatte ihm von Einheimischen berichtet, die auf der Nordhalbkugel
von Endorimus lebten, außerdem wunderte sich der Weltenwanderer
darüber, dass es scheinbar keine Vögel hier gab! - Na und?
Aber ein Weltenwanderer wundert sich selten über etwas, meistens
hatte er für alles eine Erklärung, die dann auch häufig zutraf!
Nicht jeder kommt in den Vorzug 843 Jahre alt zu werden!
Tian Dan hatte veranlasst den Falcon startbereit machen zu lassen
und hatte eine Gruppe von fünf ausgesuchten Eldar, die ihn
begleiten würden, ausgewählt.
Zum einen natürlich seinen Freund Eldaromin; des weiteren Exarch
Kardarim vom Aspekt des Skorpions mit einem seiner Krieger, den
Runenleser Ashan Sydral, der scheinbar das Sprachrohr des 3. Zirkels
des Rates der Seher war, und den Runenpropheten Landaratiklen, den
er als gutmütigen, väterlichen Mann kennengelernt hatte. Eben dieser
Runenprophet hatte ihn bei ihrer ersten Begegnung einmal mit `Junger
Mann´ angesprochen, und das war Tian Dan seit...? ...langer Zeit
nicht mehr geschehen.
Mit Hilfe des Falcon würden sie rasch eines der einheimischen Dörfer
erreichen und versuchen mit den Einwohnern Kontakt aufzunehmen.
Er hatte extra eine Kiste mit Geschenken vorbereiten lassen. Als
ihn Exarch Feu´ridis vom Aspekt des Drachen gefragt hatte, weshalb
er mit den Einheimischen Freundschaft schließen wolle, hatte er
ihm geantwortet: "Kleine Freunde, sind besser als keine Freunde!"
Das hatte nicht nur zur allgemeinen Belustigung beigetragen, sondern
auch den Exarchen von seinem Vorhaben überzeugt. So hatte Tian Dan
das auch mit den Einheimischen vor! Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Kleine Helfer finden und das Rätsel um die Vögel erkunden!
Den Oberbefehl über den Falcon Dome und die Arbeiten zur Fertigstellung
der Zitadelle hatte er während seiner Abwesenheit Exarch Feu´ridis
übergeben. Alles lief wie am Schnürchen... Er liebte seinen Job!
Es war das erste Mal, dass Halarim das Aldaruntai, das Kontrollzentrum,
das Herzstück der Falcon Dome Zitadelle betrat. Zwei Stunden hatte
er in Abgeschiedenheit meditiert, um sich auf seine Aufgabe vorzubereiten.
Es war seine erste Schicht! Langsam erhob sich der schichthabende
Phantomseher von dem mächtigen Kristallstuhl, nickte Halarim kurz
zu und verließ das Aldaruntai. Halarim nahm seinen Platz ein und
schloss die Augen als sein Geist in Trance versank und eins wurde
mit der Psimatrix, jenen hauchdünnen Adern, die alle Wände und Armaturen
der Zitadelle durchzogen.
Überwachungsmatrix online,... scanne Sektorengatter... psionisches
Zugriffsmuster bestätigt... Alle Sektoren auf Automatik!
Halarims Geist war eins mit der Zitadelle. In Sektor 4a, Zimmer
6 betätigte der Bewohner, Nadren, ein Aspektkrieger des Drachen,
den Fäkalienabsorber. Jamila, eine Gardistin der Totenwache, schickte
gerade ihrem Bruder auf Ulthwé eine Nachricht. Halarim verstärkte
das telepathische Signal um den Faktor 10 000, bündelte es in einem
4 Nanosekundenimpuls und sandte es 6400 Lichtjahre entfernt nach
Ulthwé, wo es noch vor Ende seiner 12-Stundenschicht ankommen
würde. Exakt um 16:34:5352 Uhr Ortszeit.
"Falcon Dome Aldaruntai von Falcon One! Erbitte Starterlaubnis für
Plattform 1!"
"Starterlaubnis erteilt! Countdown T minus 120 Sekunden!"
Seine Stimme schallte durch die mächtigen Höhen des Falcon's Nest
Dome:
"Achtung Bodenpersonal! Hauptrampe sofort räumen! Startvorgang in
T minus 115 Sekunden!"
Öffnen der Hauptschleuse... Gravitationsfeld in T minus 110 Sekunden...
Hoch oben, am Gipfel des Falcon's Nest Dome setzen sich in absoluter
Stille zwei riesige Phantomkristallschotts in Bewegung und Sonnenlicht
breitet sich kreisförmig um die Startplattform aus.
"Achtung! Startvorgang!"
Auf gleißenden Düsen und von Gravitationsfeldern gehoben, steigt
der Falcon über 600 Meter in die Höhe, dann zündet er Haupt- und
Zusatztriebwerke und schießt über die Wipfel der Mammutbäume
gen Norden.
Feu´ridis, der Exarch des Drachenaspekts, kochte über vor Wut.
Tian Dan hatte ihm, für die Dauer der Abwesenheit des Shan-shidar,
den Befehl über die Zitadelle erteilt. Fuegan hatte noch nie eine
planetare Bastion befehligt,... Eine ganze Festung, über 80 Krieger
und mehr als 100 Mann Begleitpersonal! Berichte über den Fortschritt
der Bauarbeiten, Lagerlisten, eine komplette Inventur des Flaggschiffes,
die Wochenbefehle und Einsatzberichte stapelten sich auf seinem
Schreibtisch. Für derartige Dinge hatte er sich nie interessiert,
aber seit Tian Dan vor zwei Tagen, mit einer ausgesuchten Gruppe
Eldar, zu den Einheimischen aufgebrochen war, hatte der Exarch gelernt,
dass es neben der Schlacht unzählig viele Kleinigkeiten gibt, die
einer Armee das Leben schwer machen können.
Anfangs hatte er sich darüber geärgert, dass er nicht mit dem
Shan-shidar nach Norden aufgebrochen war, inzwischen war ihm jedoch
bewusst, dass dieser ihm immenses Vertrauen entgegenbringen musste,
um ihm eine solche Aufgabe zu übergeben, die soviel Feingefühl bedurfte.
Mittlerweile war diese Aufgabe keine Last mehr für ihn, sondern
ein Quell nicht enden wollender Überraschungen. Das machte ihn zornig.
Feu´ridis hasste Überraschungen!
Vor ihm waren die Krieger der Janias Mash il Morenn zum Morgenappell
angetreten. Leider wurden die ihm vom Shan-shidar übergebenen Befehle
bereits gestern vollständig abgearbeitet und so hatte der Exarch
die ganze Nacht daran gesessen einen Aufgabenplan für den heutigen
Tag zu erstellen. Das Ergebnis war ein schmieriger Zettel, den er
in seiner Linken hielt und noch einmal rasch studierte. Als der
Shan-shidar gestern nicht zurückgekehrt war, hatten sich verschiedenste
Gerüchte unter den Eldar ausgebreitet und eine seltsame Anspannung
hatte sich breit gemacht. Feu´ridis musste dies unterbinden! Er
hasste Gerüchte! Die Männer dachten zu viel, ihre Köpfe rauchten
förmlich. Deshalb hatte der Exarch sich eine ganz besondere Aufgabe
für den heutigen Tag ausgedacht. Er wandte sich der Truppe zu.
"Die Arbeit am Skorpion's Pit Dome und Dragon's Lair Dome schreiten
planmäßig voran. Um genau zu sein liegen wir sogar vor dem Zeitplan
des Shan-shidar! Aufgrund der hervorragenden Leistung der Truppe
habe ich beschlossen die Arbeiten an den Dömen für heute ruhen zu
lassen. Zu lange schon arbeiten wir unter der Erde! Doch die Arbeit
ist vielfältig und noch lange nicht abgeschlossen. Wir werden also
fortfahren, indem wir für den heutigen Tag die Zitadelle verlassen
und stattdessen die Arbeiten an der Überwachungs- und Verteidigungsmatrix
vorantreiben."
Das hatte gewirkt! Auf einen Schlag war die bedrückte Stimmung wie
weggeblasen, die Männer grinsten und klopften sich gegenseitig auf
die Schultern. Einige schienen kurz davor zu stehen in Jubel auszubrechen.
Feu´ridis grinste. Er hatte eine kleine Überraschung für sie und
freute sich schon akribisch auf das Gesicht Tian Dans wenn er ihm
seinen Bericht erstatten würde.
"Ich denke es ist an der Zeit, dass sich diese Zitadelle auf die
Feinde vorbereitet, die sicherlich kommen werden. Wir werden also
eine kleine Überraschung für diese Chem-Pan-Sey vorbereiten, und
ihr wisst sicherlich wie sehr ich Überraschungen hasse!"
Bei dieser Bemerkung konnten sich einige Krieger ein offenes Lachen
nicht mehr verkneifen.
"Sämtliche Mitglieder der Schwarzen Garde, die Krieger vom Aspekt
des Drachen und vom Aspekte Khaines werden in einer Entfernung von
75 Metern mit der Etablierung eines 10 Meter breiten Minengürtels
beginnen. Sämtliche Minen sind mit der Verteidigungsmatrix der Station
zu verbinden und vor Entdeckung zu sichern. Die Ranger werden in
Verbindung mit den verbleibenden Skorpionkriegern die Arbeiten an
der Überwachungsmatrix vorantreiben. Weggetreten!"
Die Krieger verließen die Hauptrampe, die für den Morgenappell benutzt
wurde und machten sich auf den Weg zu den Lagerräumen, in denen
die nötige Ausrüstung lagerte. Feu´ridis blickte auf den aufsteigenden
Wänden des Falcon's Nest Dome in die Höhe, bis er durch das Hauptschott
hindurch in den blauen Himmel von Endorimus sehen konnte.
Wo im Namen Asurs bist du, Tian Dan?
Hoch oben im Orbit über Endorimus erwachte der Seelenstein des Flottenkommandos,
der nur auf die Befehle Tian Dans reagierte, zum Leben. Der Geist
der Eldar, die einstmals die Astroprophetin des Flaggschiffes gewesen
war, erfasste das mächtige Schlachtschiff und wurde eins mit ihm.
Förderbänder und Warnleuchten liefen an, um ihre Fracht zu fördern
und jene zu warnen, die nicht an Bord waren. Langsam und elegant
schwenkte der 1,5 Kilometer lange Schlachtkreuzer aus dem Orbit.
Eine liebliche, weibliche Stimme schallte über verlassene Korridore
und leere Räume.
"Automatischer Startvorgang sämtlicher Korvettengeschwader!"
Lautlos öffneten sich riesige Hangartore in die Weiten des Alls
und entließen die 30 Korvetten des Flaggschiffes in die unendliche
Weite.
In Gruppen zu fünf zogen sie lautlos durchs All und schwenkten
in unterschiedlicher Richtung in den Orbit von Endorimus ein. Dort
ließen sie ihre Fracht, bestehend aus Ankersensorsonden, auf vorausberechnetem
Kurs in eine stabile Umlaufbahn eintauchen und kehrten daraufhin
zum Schlachtkreuzer Khaines Tränen zurück.
Ruhig und in aller Gelassenheit flog dieser an eine bestimmte Stelle
innerhalb eines nahegelegenen Asteroidenfeldes.
Für jeden menschlichen Navigator ein unmögliches Unterfangen, war
es für Kisha Atalias Seele nicht mehr als ein Zeitvertreib. Das
riesige Schiff würde durch einige kleinere Trümmerteile hindurch
an eine Stelle fliegen, an der für die nächsten 12 Stunden kein
einziger Asteroid seine Bahn kreuzen würde. Dann würde es sich um
zwei Achsen in eine andere Position drehen, um dort für weitere
14 Stunden zu verharren. All dies war bereits vor dem geistigen
Auge Kisha Atalias geschehen, das Universum wusste davon nur noch
nichts.
Die Verhandlungen mit den Einheimischen waren erstaunlich glatt
gelaufen. Ortskundige Führer hatten Tian Dan und sein Gefolge zurück
zum Falcon Dome begleitet. Es hatte einige Tage länger gedauert
als geplant und als sie die Haupttore des Domes erreicht hatten,
fanden sie dort die gesamte Streitmacht in Reih und Glied aufgestellt
vor. Feu´ridis, der Exarch der Feuerdrachen, hatte sich Sorgen um
ihren Verbleib gemacht und war gerade dabei die systematische Auslöschung
allen Lebens auf Endorimus einzuläuten um sie aufzuspüren. Nun lag
Tian Dan in seinem Bett, tief im Inneren des Domes und doch war
er Lichtjahre weit entfernt.
Der Traum
Er war wieder auf dem Weltenschiff Biel-Tan, seiner Heimat. Es war
die Zeit, als er ein Exarch vom Aspekt der Warpspinne gewesen war...
das Jahr, in dem er zum Jungen König gewählt worden war. Der Junge
König war ein Exarch der Kriegeraspekte, dem die zweifelhaft Ehre
zu teil wurde, als Opfer bei der Erweckung des Avatars Kaela Mensha
Khaines dargebracht zu werden.
Das Weltenschiff Biel-Tan ist das kriegerischste unter den Weltenschiffen
der Eldar. Das Gefolge des Jungen Königs, ein Rat bestehend aus
den Exarchen, die ihre einjährige Zeit als Junger König überlebt
hatten, hatte beschlossen, da die Runenpropheten ein sehr kriegerisches
Jahr voraussahen, den Avatar Khaines zu erwecken. In seinen Träumen
kniete Tian Dan zum tausendsten mal im Sanktum des Khaineschreines
auf Biel-Tan zu den Füßen des Thrones des Kriegsgottes. Sein Leben
zog vor seinem inneren Auge vorüber, während seine Ohren das beständige
Rezitieren der uralten Verse vernahmen, die von den Aspektkriegern
Biel-Tans in einem ständig anschwellendem Stakkato wiederholt wurden:
" Blut fließt. Zorn brennt. Tot erwacht. Krieg ruft."
Nun mach schon! Ich hab das Warten satt! Bringen wir es zu Ende!
Ein Tropfen einer roten Flüssigkeit tropfte auf den schweren Helm
seiner Aspektrüstung. Blut. War es das seines? Einen Moment war
sich Tian Dan nicht sicher. Ein weiter Tropfen fiel auf sein Visier.
Jetzt hielt er es nicht mehr aus,... Tian Dan erhob seinen Blick
und sah genau in das Antlitz des lebenden Gottes. Eine einzelne,
brennende Träne rann der Reinkarnation Khaines über das Gesicht
und fiel auf Tian Dan herab. In irritierender Symmetrie fiel sie
neben die beiden anderen Tränen des Vernichters und wurde rasch
trocken. Der Avatar schritt an Tian Dan vorüber hinaus zu den Kriegern,
die ihn unablässig riefen. Außer sich vor Entsetzen stolperte Tian
Dan hinter der Kreatur auf den Platz hinaus.
Stille legte sich über den tobenden Klingensturm. Wortlos standen
sie da und blickten Tian Dan an, als wäre er die Reinkarnation des
Kriegsgottes und nicht die fast fünf Meter große Gestalt aus purem
Stahl neben ihm. Tian Dan konnte das Entsetzen auf den Gesichtern
des Gefolges des Jungen Königs deutlich erkennen. Sprachlosigkeit.
Ahnungslosigkeit. So etwas hatte es in der mehr als zehntausendjährigen
Geschichte nach dem Fall noch nie zuvor gegeben. Es war schon geschehen,
dass der Avatar sich ganz von allein von seinem Thron erhoben hatte,
als das Weltenschiff Iyanden sich gegen die Schwarmflotte Kraken
verteidigt hatte, aber das hier war noch nie passiert.
Tian Dan wurde gestattet während der nächsten Schlacht im Gefolge
des Jungen Königs zu tanzen, und der Klingensturm brach auf, um
die Chem-Pan-Sey zu vernichten, die es gewagt hatten einen Fuß auf
die Heimatwelten der Eldar zu setzten.
Nirgendwo auf dem Schlachtfeld war das Gemetzel größer als in unmittelbarer
Nähe des Avatar. Die Luft schien um Tian Dan zu brennen, als er
als erster Exarch der Warpspinnen an der Seite seines Gottes kämpfte.
Als die Kämpfe endeten und der Nebel der Schlacht sich um ihn herum
gelichtet hatte, fand sich Tian Dan in einem Meer von Blut wieder.
Der Avatar stand über ihm auf dem Hügel, das Schwert siegreich empor
haltend, um ihn herum waren die restlichen beiden Überlebenden des
Gefolges versammelt und am Fuße des Hügels hatte sich der Klingensturm
versammelt und jubelte ihnen zu.
Tian Dan konnte keine Freude verspüren... sein Inneres war erfüllt
von tiefster Trauer. Er erhob sich, schritt durch den tobenden Klingensturm
hindurch, zurück auf das Schlachtfeld und begann die Seelensteine
der Gefallenen einzusammeln.
Der Preis war zu hoch! Von diesen Menschen gab es mehr als die Sterne,
aber seit dem Fall der letzten Heimatwelt war die Zahl der Eldar
beständig geringer geworden.
Die Rückreise nach Biel-Tan hatten sie in Stille verbracht. Niemand
hatte ein Wort mit Tian Dan gesprochen und auch untereinander schienen
die Krieger nur zu flüstern. All dies war für Tian Dan in unendliche
Ferne gerückt. Alles schien eine Kopie einer Kopie, einer Kopie
zu sein. Als sie schließlich auf Biel-Tan angekommen waren, hatte
man sie gefeiert wie Helden,... bis Tian Dan die Rampe heruntergeschritten
kam. Er schien eine Aura der Stille auszustrahlen, die ihnen allen
die Sprache verschlug. Wortlos überreichte er dem vorstehenden Runenpropheten
seines Heimatweltenschiffs den Beutel mit den Seelensteinen der
Gefallenen, ging dann auf sein Zimmer und dort sah er, wieso die
wilden Aspektkrieger Biel-Tans sprachlos waren.
Seine dunkelgrüne Aspektkriegerrüstung war über und über mit Blut
bedeckt, das inzwischen getrocknet und zu einer lepraartigen zweiten
Haut geworden war. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass das Blut
einer einzigen Person verschiedene Farben haben kann.
An den Heften seiner Energieklingen hingen Fetzen von Haut und Eingeweiden.
Die schwere Schulterplatte der Warpspinnenrüstung war komplett weggerissen
und darunter glänzte sein blutiges, verkohltes Fleisch. Von der
Hüfte hinab war sein linkes Bein komplett aus der Panzerung geschält
und eine fünfzehn Zentimeter lange Wunde klaffte weit auf. Aus seiner
rechten Schulter ragte das Heft eines langen Dolches, ein kleines
Blutrinnsal rann beständig über seine Brust und hinterließ auf der
vom Blut braunen Rüstung ein makabres Muster.
Angewidert riss Tian Dan den Dolch aus seiner Schulter. Er riss
sich die Rüstung vom Körper und schleuderte die Einzelteile in eine
Ecke, dann ging er in die Nasszelle. Später ließ er sich verarzten.
Der Kriegsrat Biel-Tans weigerte sich Tian Dan in ihrer Mitte aufzunehmen
und der Rat der Seher bestätigte dies. Das war ihm egal, alles war
ihm egal. Sein Leben hatte seinen Sinn verloren Er hatte erkannt,
dass diese sinnlosen Feldzüge seinem Volk mehr schadeten als das
sie ihm nützten. Aus Leben war Tod geworden.
Als er einen Tag nach der Schlacht wieder vor dem Spiegel stand,
hatte er gesehen, dass die Tränen des Avatar nicht nur auf seinem
Helm, sondern auch in seinem Gesicht Spuren hinterlassen hatten.
Drei rote Tränen waren wie eine Tätowierung auf seiner linken Wange.
Wann immer er sich im Spiegel sah, erinnerten ihn diese Tränen an
das verschwendete Leben seiner Brüder.
Er verließ Biel-Tan. Wählte den Weg des Ausgestoßenen. Zum Abschied
erhielt er einen Chameolinmantel und ein Ranger Jagdgewehr, wie
es der Brauch war. Er kehrte niemals wieder zurück.
Die Zeit floß an ihm vorüber wie ein träger, dunkler Fluss. Manchmal
reiste er zusammen mit anderen Rangern, meistens jedoch allein.
Tian Dan wusste nicht mehr wie lange er sich in diesem Zustand befunden
hatte.
Eines Abends, auf einer unter bestimmt tausend Welten die er besucht
hatte, saß er am Feuer mit einigen anderen Rangern zusammen, die
sich angeregt unterhielten. Tian Dan vermochte nicht zu sagen, wann
er das letzte Mal gesprochen hatte. Es interessierte ihn nicht.
Einer seiner Weggefährten berührte ihn an der Schulter, er musste
ihn angesprochen haben!
"Interessiert mich nicht!" sagte Tian Dan.
Die Gruppe brach in schallendes Gelächter aus, und plötzlich war
es als ob die Sonne aufgeht. Ein neuer Morgen. Tian Dan schien plötzlich
hellwach. Er lauschte dem Lachen der Männer. Nie zuvor hatte er
solch ein Lachen gehört, so frei und ungezwungen. Die Aspektkrieger
Biel-Tans lachten selten und wenn, dann über Dinge, die eigentlich
gar nicht komisch sind. Er konnte nicht mehr anders. Schallend prustete
er los. Krümmte sich vor Lachen.
"Was hattest du gesagt?"
Einer der Ranger schlug sich herzhaft aufs Bein: "Seit sechs Jahren
reise ich mit diesem Kerl! Er hat vorher noch nie einen Ton über
die Lippen gebracht! Ich weiß nicht mal wie er heißt!"
Den anderen rannen Tränen über die Wangen, einige japsten nach Luft.
Tian Dan errötete.
"Wie hast du das bloß ausgehalten?" fragte ein anderer.
"Naja, sonst wäre er nachher noch verhungert, und das hätte diesen
Abend weitaus weniger amüsant werden lassen, nicht wahr?"
Eine erneute Welle des Lachens zog über die Gruppe hinweg. Tian
Dan hielt sich den Bauch.
"Tian Dan!" sagte er zu seinem Weggefährten.
"Eldaromin!" entgegnete dieser.
Beide Männer grinsten sich an.
Über unzählige Welten führte sie ihr Weg, ständig auf der Suche
nach dem Unbekannten, dem Neuem.
Eines Tages schritten sie über eine Welt namens Kaladir, Eldaromin
schwelgte wie so häufig im Wohlklang seiner eigenen Worte, als ein
lautes, zischendes Geräusch seinen angeregten Monolog unterbrach.
Anmutig wie die Königin der Nacht, senkte sich ein Landungskreuzer
der Eldanesh-Klasse dem Planeten entgegen. Seine gelbe und blaue
Zeichnung schimmerte strahlend in der Morgensonne.
"Ein Landungschiff des Weltenschiffs Alaitoc!" rief einer von Tian
Dans Weggefährten.
"Tja, meine Herren!", Eldaromin räusperte sich, "sieht ganz so aus
als wäre unser Typ gefragt! Ihr erinnert euch an das Lager der Imperialen
Armeedas wir vor zwei Tagen passiert haben? Die werden bestimmt
nicht lange auf sich warten lassen! Und ich würde sagen, dass sie
geradewegs durch den Pass kommen, in dem wir die letzte Nacht verbracht
haben! Wie wäre es mit einem kleinem Hinterhalt?"
Tian Dan ging an ihm vorüber: "Interessiert mich nicht!"
Eldaromin stemmte seine Hände in die Hüfte und wirbelte zu Tian
Dan herum: "Ich dachte du wärst auf Biel-Tan mal Warpspinnen-Exarch
gewesen! Junger König und so. Ist der Herr Superheld sich zu fein,
einigen seiner Brüder den Arsch zu retten?"
Vor Tian Dans Augen schien ein Universum zu explodieren. Bunte Sterne
tanzten in seinem Blickfeld und nahmen ihm die Sicht. In einem schmerzhaftem
Krampf stockte sein Atem und Adrenalin schoss durch seine Venen.
Mit von Zorn verzerrtem Gesicht wirbelte Tian Dan zu dem Weltenwanderer
herum.
"Na schön! Wie du willst, aber sag später nicht es wäre meine Idee
gewesen!"
Entsetzt starrte Eldaromin seinen Freund an. Die blutroten Tränen,
die Tian Dan ins Gesicht gezeichnet waren, schienen in heller Flamme
zu brennen. Die übrigen Ranger traten erschrocken einige Schritte
von Tian Dan zurück, als dieser durch ihre Mitte hindurch zurück
zum Pass stürmte, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatten.
Sie erreichten den Pass gegen Mittag und bezogen dort Stellung.
Ungefähr eine Stunde später verriet geräuschvolles Knacken und ein
panisch aufsteigender Vogelschwarm die Ankunft des Feindes. Zwanzig
imperiale Soldaten näherten sich ihrer Position in einer breiten
Linie.
"Das sind aber verdammt viele!" bemerkte einer der Ranger.
"Ja, und die auseinandergezogene Linie ist auch nicht gerade vorteilhaft!"
meinte ein anderer.
"Ach, so schlimm wird's schon nicht werden!" war alles was Eldaromin
dazu zu sagen hatte.
Tian Dan grinste: "Ich glaube, ich habe einen Plan!"
Die anderen sahen ihn verwundert an. Die Tränen auf seiner Wange
schienen wieder zu brennen, doch diesmal grinste Tian Dan!
Mastersergeant Brachus marschierte in der Mitte der Formation, der
3. Stahllegion Füsiliere. Ihre Aufgabe war es den Feind an der linken
Flanke zu umgehen, um seine Rückzugswege abzuschneiden. Vorsichtig
schob er ein Stück Dickicht zur Seite und spähte auf die Lichtung
vor ihnen. Er hob die Faust. Alle zwanzig Mann seiner Einheit glitten
lautlos in die Hocke und bewegten sich in Deckung. Da vorne war
doch was!
Eine gedungene Gestalt löste sich aus dem Schatten eines Baumes
und schlich langsam in unmittelbarer Nähe des Bodens quer zu ihrer
Position über die Lichtung. Kurze Augenblicke später folgte ihr
eine zweite Gestalt. Korporal Delmario hob sein Lasergewehr und
zielte.
"Tsch, nein! Das sind nur Scouts! Wir warten auf die Truppen hinter
ihnen! Schwere Waffen in Schussposition auf die andere Seite der
Lichtung, und seid bloß leise! Die haben uns noch nicht bemerkt!"
Rund um ihn herum gingen die Füsiliere in Stellung.
"Hat vielleicht einer von euch mal Feuer?"
Die Zeit erstarrte um Mastersergeant Brachus. Entsetzt wirbelte
er herum. Ein Eldar mit schwarzem Haar und einer brennenden Tränentätowierung
unter dem linken Auge stürmte auf sie ein. Anmutig wie ein Tänzer
setzte er über eine Wurzel hinweg, ein Scharfschützengewehr hoch
über den Kopf erhoben. Und eben dieses, zog er nun Korporal Delmario
über den Schädel!
Blut quoll unter dessen Helm hervor und er ging schwer getroffen
zu Boden. Noch bevor der arme Korporal auf dem Boden aufgeschlagen
war, rammte der Eldar Private Krasov den Lauf seines Gewehres unter
das Kinn und zog den Abzug durch. Blut, Hirn und kleine Schädelstückchen
spritzten Mastersergeant Brachus ins Gesicht. Der Eldar warf sein
zerstörtes Gewehr fort und zog ein langes, dünnes Messer, während
seine Kameraden nun ebenfalls über die Füsiliere herfielen.
Zorn brannte in Brachus auf. Er zog seine Plasmapistole und zielte
auf den Eldar mit der Tränentätowierung, der gerade dabei war sein
Messer aus dem Hals von Private Lensey zu ziehen.
Wärme pulsierte durch den Rücken des Mastersergeant und etwas riss
an seinem Rucksack. Brachus wirbelte herum. Die zwei Eldar, die
sie abgelenkt hatten, waren über die Lichtung gesprintet und einer
von ihnen drang mit seinem Kettenschwert auf Brachus ein. Er hob
sein Plasmapistole und blickte auf den blutsprudelnden Stumpf seines
Armes. Er konnte es einfach nicht glauben. Fassungslos blickte er
den Eldar, der ihm gegenüberstand, an.
Eldaromin trennte den Kopf des Mastersergeant ab und stieß seinen
leblosen Körper mit einem Tritt beiseite.
"Chem-Pan-Sey!", er blickte sich nach Tian Dan um.
Dieser hockte über der Leiche eines Legionärs und zog dem Bedauernswerten
gerade zwei seiner Finger aus einem Auge. Eldaromin schaute sich
um. Die gesamte Einheit der Imperialen Armee war ausgelöscht. Er
grinste.
"Das ist wirklich eine ungewöhnliche Art sein Scharfschützengewehr
im Kampf einzusetzen. Effektiv, aber ungewöhnlich!" Er deutete auf
Tian Dans Gewehr, dessen Lauf am oberen Ende aufgeplatzt war.
Tian Dan grinste. "Naja. Ich war schon immer eher der Nahkämpfer."
Eldaromin reichte ihm sein Kettenschwert. "Hier probier's mal damit!"
Tian Dan nahm die Klinge entgegen und beäugte sie argwöhnisch.
"Früher hab ich mit Energieklingen gekämpft!"
Eldaromin stemmte die Hände in die Hüfte: "Hey, ich bin nur ein
Weltenwanderer! Das ich ein Kettenschwert im Gepäck habe, macht
mich schon ungewöhnlich genug. Ich bin doch keine Waffenkammer!"
Die Männer lachten. Gemeinsam stiegen sie über die Körper der Imperialen
hinweg und machten sich scherzend auf den Weg sich ihren Brüdern
anzuschließen.
Ungefähr zwei Stunden später erreichten sie den Waldrand und bestiegen
vorsichtig einen Hügel, hinter dem Rauch aufstieg. Ihnen bot sich
ein Bild des Entsetzens.
Auf der Ebene vor dem Hügel lagen die toten Körper der Krieger Alaitocs
verstreut, wie Laub. Rauch stieg aus den Wracks von einigen abgestürzten
Vypergleitern und drei zerstörten Kampfläufern.
Fassungslos schritten sie den Hügelkamm hinab und traten zwischen
die Gefallenen. Einer der Ranger neben Tian Dan brach weinend zusammen
und zum ersten Mal seit sie sich kannten, verlor der sonst so fröhliche
Eldaromin seine Fassung.
"Sie, sie... sie! Das kann doch nicht war sein! Sie! Sie haben!
Nein das,... das glaube ich nicht! Das können sie doch nicht getan
haben! Sie, sie... Sie haben die Seelensteine zerstört! Das können
sie doch nicht machen! ...Das geht doch nicht. Was, was...was,...
warum?"
Tian Dan musste sich auf sein neues Kettenschwert stützen. Rote
Farbe begann von allen Seiten, wie Sirup, sein Blickfeld zu trüben.
Blinde Wut ergriff seinen Geist und die Welt um ihn herum schien
zu einem einzigen Stern in weiter Ferne zusammenzuschrumpfen.
Er war wieder allein. Allein mit Eldaromin. Der Weltenwanderer war
zu einem Teil seiner selbst geworden. Viele Jahre zogen sie schweigend
weiter, bis sie ihr Weg nach Udun führte. Udun war das Eldarwort
für Ursprung. Und das war Udun auch, der Ort allen Ursprungs! Eine
der Heimatwelten der Eldar.
Sie waren sich nicht bewusst gewesen, dass sie auf Udun waren. Sie
wussten nicht einmal mehr wie sie hergekommen waren. Doch als sie
die Türme einer zu Ruinen verfallenen Eldarstadt erblickten, war
es wie damals, als sie zusammen am Feuer gesessen und miteinander
gelacht hatten. Ein neuer Morgen brach an.
Sie sahen einander an. Neugierig betraten sie die Ruinen und schritten
durch ihre verlassenen Straßen.
Stunden später hatten sie das Zentrum der Stadt erreicht.
Vor ihnen erhoben sich die Ruinen des Tempels von Asur.
Sie sahen einander an. Das war der Grund warum sie hierher gekommen
waren! Das Schicksal hatte sie ohne ihr Wissen nach Udun geführt
und nun würden sie ihm begegnen.
Winzige Phantomkristallstückchen knirschten unter ihren Stiefeln,
als sie die Stufen der Tempelruine erklommen. Durch die gigantische,
geborstene Eingangspylone hindurch, über leere Höfe, vorbei an riesigen,
umgestürzten Säulen, führte sie ihr Weg bis hinauf zum Schrein des
Sonnengottes.
Und dort bemerkten sie, dass sie nicht allein waren auf Udun!
Am Fuße des Altars kniete eine einsame Gestalt. Sie überragte Tian
Dan im Stehen wahrscheinlich um einen ganzen Kopf, zu ihren Füßen
lagen ein langer Energiespeer und ein dreklingiges Wurfschwert,
und über ihren Rücken fiel eine gewaltige, weißblonde Haarmähne.
Eldaromin und Tian Dan sahen einander an und zuckten schließlich
die Schultern. Sie traten zum Altar empor, knieten nieder und beteten
in Stille.
"Und für welche Sünden, bittet ihr um Vergebung?"
"Dass ich fortgegangen bin, anstatt mit meinen Brüdern zu kämpfen!"
sagte Eldaromin.
"Dass ich nicht mehr retten konnte!" Die Worte schienen wie von
selbst über Tian Dans Lippen zu kommen. Er fühlte sich erleichtert!
Er blickte hinüber zu Eldaromin und stellte fest, dass dieser seinen
Blick wie immer erwiderte. Wer hatte da gesprochen?
Sie blickten die Stufen des Altares empor und da stand sie. Mehr
als zweimeterzwanzig groß, gekleidet in einer bronzefarbenen Runenrüstung,
den Energiespeer in der Linken, das Wurfschwert in der Rechten,
die Maske neben sich, saß sie auf dem Altar und strich sich durch
das meterlange, weißblonde Haar. Ein Gesicht, dessen Schönheit unglaublich
und erschreckend zugleich war, und eine Stimme so süß und traurig
wie das Spiel eine Geige, saß sie da und blickte auf Tian Dan und
Eldaromin herab. Jain Zar, `der Sturm der Stille´, die Phönixkönigin
des Banshee-Aspekts.
Eldaromin schluckte hörbar. Tian Dan musste sich räuspern um nicht
husten zu müssen. Mit einer Eleganz, die Berge versetzen konnte,
zog Jain Zar ein Augenbraue hoch. Tian Dan begann zu schwitzen.
"Wie lange habt ihr hier schon gebetet, Erhabene ?"
Die Asurya zog die Stirn kraus. Eldaromin schluckt hörbar. "Ich
weiß nicht? Wie lange habt ihr denn gebetet?"
Tian Dan und Eldaromin sahen einander entsetzt an. Sie wussten es
nicht. Grinsend drehten sie sich der Phoenixkönigin zu und zuckten
mit den Schulter. Jain Zar lachte schallend. Es war als ob die Sonne
aufgeht, die Ruinen schienen einen Teil ihres alten Glanzes wiederzugewinnen,
als das Lachen der Asurya von ihren Wänden widerhallte. Tian Dan
stockte der Atem, noch nie hatte er etwas so schönes gehört. An
dem japsenden Geräusch, das Eldaromin von sich gab, konnte er feststellen,
dass es seinem Freund nicht anders erging.
Jain Zar musterte sie grinsend. " Na, dann sehen wir doch mal was
ihr für zwei seit !" Graziös wie eine Antilope zog sie ein Kartenspiel
aus einer ihrer Gürteltaschen, fächerte die Karten gekonnt mit einer
Hand auf und hielt sie Tian Dan hin.
Das Tarot des Todes! Tian Dan begann erneut zu schwitzen als er
eine Karte zog.
Er drehte die Karte, so dass er sie sehen konnte. Auf ihr war das
Bild eines gepanzerten Reiters, der sein Schwert hoch über den helmbewehrten
Totenschädel erhoben hatte, und hinter ihm hatte sich eine Armee
von Toten gesammelt, die sich über viele Meilen zu erstrecken schien.
Unter dem Bild war ein Schriftzug angebracht: IL YNNEAD SHAN-SHIDAR
"Des Todes Kriegsfürst!" sagte Jain Zar ohne die Karte gesehen zu
haben.
Tian Dan nahm die Karte herunter und blickte direkt in die Augen
der Asurya, die sich ihm bis auf wenige Zentimeter genähert hatte.
Aufmerksam studierte sie Tian Dans Gesicht.
"Janias Mash il Morenn!" flüsterte sie. Die Stillen Tränen des Vernichters.
Das Eldarsynonym für Verschwendung. Tian Dan senkte beschämt den
Blick.
Jain Zar schritt zu Eldaromin hinüber und hielt ihm die Karten hin.
Mit zitternden Fingern zog auch er. Auf seiner Karte war das Bild
einer wunderschönen Frau, die mit einer skeletierten Hand einen
Dolch aus dem Rücken eines Mannes zog. Eldaromin grinste und hielt
Tian Dan die Karte hin.
"Des Todes Konkubine! Sieht so aus, als wären wir zwei im Bett miteinander?"
sagte er und alle drei mussten lachen.
"Gehen wir!", sagte Jain Zar und schritt die Altarstufen hinab.
Tian Dan und Eldaromin sahen sich an, zuckten die Schultern und
gingen hastig hinterher.
Während sie durch die verlassenen Straßen schritten, berichteten
sie Jain Zar von den vergangenen Jahren und den Schlachten, in denen
sie gefochten hatten. Schließlich bog die Asurya von der Straße
ab und trat durch den zerschmetterten Eingang in ein Haus hinein.
Auf ihrem Weg durch die Stadt hatten Tian Dan und Eldaromin viele
Ruinen gesehen, doch keine war wie diese. Alles war zerstört in
der einen oder anderen Form, und doch herrschte eine Ordnung, die
Tian Dan verblüffte. Die gesplitterten Kommoden und Schränke standen
ordentlich an ihrem Platz. Auf den Tischen lagen angekohlte, halbverweste
Decken, auf denen wiederum geborstene, trüb gewordene Kristallkrüge
standen. An den Wänden hingen zerrissene, vergilbte Bilder in gesplitterten
Rahmen.
"Wo sind wir hier?" fragte Eldaromin.
Jain Zar drehte sich mit entrücktem Blick um. "Ich habe hier früher
einmal gewohnt!" Sie schien in einer anderen Zeit, einer anderen
Welt zu schweben.
"Das muss viele tausend Jahre her sein?" Der Weltenwanderer blickte
die Asurya entsetzt an.
"Ja!" war das einzige, was sie antwortete.
Sie saßen auf den wenigen noch erhaltenen Stühlen an einem Tisch,
der nur noch drei Beine hatte und aus dem ein großes Stück herausgebrochen
war, und aßen von dem Proviant, den sie bei sich trugen.
"Ihr seid mir zwei!" sagte Jain Zar. "Bei euch finde ich das, was
ich bei so vielen unseres Volkes vermissen gelernt habe. Ihr versteht
es mich zum Lachen zu bringen und das hat seit mehr als tausend
Jahren niemand mehr zustande gebracht! Unser Volk scheint in einer
Art Traumazustand zu schweben, aus dem sich nur wenige befreien
können. Wir sollten dankbar sein für diese kurzen Momente des Glücks,
und das bin ich auch!"
Sie wandte sich Eldaromin zu. "Du verstehst es die Karten des Todes
Tarot zu lesen und zu deuten, doch selbst bist du nicht im Besitz
eines solchen Kartenspiels!" mit diesen Worten übergab sie Eldaromin
ihre Tarotkarten.
"Des Todes Konkubine ist eine gerissene Frau, die genau die Pfade
der Zukunft kennt und im richtigen Moment aus dem Schatten tritt,
um ihren Gegner niederzustrecken. Die Karten werden dir sehr nützlich
sein auf deinem zukünftigen Weg!"
Eldaromin starrte mit entrücktem Gesicht auf das mehr als tausendjährige
Kartenspiel. Jain Zar schritt durch den Raum auf eine alte Kommode
zu und rückte diese zur Seite. Sie ergriff eines der Holzpanele,
die dorthinter zu Vorschein kamen und brach es aus der Wand. Sie
ergriff ein in schwarzes Tuch eingeschlagenes Paket und zog es aus
der Nische, dann wandte sie sich Tian Dan zu.
"An dem Tag, als die, die Dürstet über den Tempel Ishas hergefallen
war und die Halle der Seelen in Besitz genommen hatte, trat ihr
der Kriegsgott Kaela Mensha Khaine entgegen, um sie zu vernichten.
Die, die Dürstet jedoch besiegte Khaine und sein Körper zersprang
zu tausend Splittern. Diese Splitter wurden auf die Weltenschiffe
geschleudert und dort wurden sie zu den Avataren Khaines. Alle Splitter,
bis auf einen. Dieser war aus der Klinge Khaines selbst gewesen,
deren Splitter zu den Kreischenden Klingen der Avatare geworden
waren. Dieser eine Splitter jedoch war zu klein, um von der Hand
eines der hünenhaften Avatare geführt zu werden und blieb am Orte
von Khaines Tod zurück. Bei ihrem Rückzug aus den Tempeln Ishas
fiel einem ihrer Diener dieser Splitter in die Hände und er übergab
ihn einer der mächtigsten Kriegerinnen der Eldar, um ihn zu behüten.
Und ich gebe ihn nun euch, Tian Dan! Des Todes General bedarf nun
nur noch einer Armee!" Mit diesen Worten übergab sie ihm eine wundervolle
Klinge, die mit Runen überzogen war und von innen heraus zu glühen
schien. Er nahm die Waffe ehrfürchtig an sich und betrachtete sie
fasziniert.
"Sein Name ist Tutan Khamen!" sagte die Asurya.
"Und nun lasst uns diesen Ort verlassen! Der Ruf eures Schicksals
hat euch noch nicht erreicht!"
Sie verließen das Haus durch den Hintereingang, der auf einen schäbigen
Hof zu führen schien.
Sterne tanzten vor Tian Dans Augen. Einen kurzen Augenblick schien
es als ob sein Körper zu Eis gefriere, dann war es wieder vorbei
und er stand auf dem Absatz einer mächtigen, schwarzen Marmortreppe.
Er blickte sich um. Hinter ihm flackerte in blauweißem Licht ein
Warptor. Das war gar nicht die Tür zu einem Hinterhof, erkannte
er!
Er betrachtete die Halle in der sie standen. Die Decke schien in
der Dunkelheit des Raumes verschluckt zu werden und das Warptor
stand auf einer Empore, die sich in der Unendlichkeit zu befinden
schien. Die Treppe verschwand nach einigen Metern in dichtem Nebel,
der in dieser Halle allgegenwärtig zu sein schien. Dicht und träge
wogten die Nebelschwaden und verbargen alles was sich hinter ihnen
befand.
Und dann sah Tian Dan sie. Dunkle Umrisse von Gestalten bewegten
sich im Nebel überall um sie herum. Gedungen und vorsichtig näherten
sie sich der Empore. Tian Dan vernahm das beständige Fauchen eines
Flammenwerfers und griff das Heft des Tutan Khamen, aber ein kurzer
amüsierter Blick der Phönixkönigin ließ ihn innehalten.
Wie ein menschengroßer Käfer schälte sich ein Eldar-Gardist am Fuße
der Empore aus dem Nebel.
Seine Rüstung war nachtschwarz und bedeckt mit rot leuchtenden Seelensteinen.
Die Gesichtspartie seines Helmes war in einem goldgelbem Ton gehalten
und zwei blutrot leuchtende Augen funkelten sie an. In seiner Linken
hielt er ein Schwert, mit der Rechten eine Shurikenpistole. Ein
zweiter Gardist trat aus dem Nebel, einen Flammenwerfer auf sie
richtend. Die Haltung des ersten Gardisten versteifte sich und er
drehte sich in einer zackigen 90 Grad Drehung nach rechts. "Asurya!"
erklang voll und klar seine Stimme und er und sein Kamerad sanken
beim Anblick Jain Zars ehrfurchtsvoll auf die Knie.
Der Nebel schien wie von einem riesigen Staubsauger angesogen, auf
einen Punkt in der Halle zuzuströmen. Er wandte sich in Strudeln,
wie von einem Wirbelsturm erfasst und verschwand schließlich gänzlich
an seinem Ursprungsort. Tian Dan erkannte die in schwarze Roben
gehüllte Gestalt eines Runenlesers, der eine goldgelbe Runenrüstung
und ein Runenschwert trug.
In der großen Halle, die ihn umgab, konnte er jetzt die knienden
Gardisten sehen, die zum Schutz um sie versammelt waren. Es waren
zwanzig an der Zahl, zwei Runenleser vervollständigten den Verteidigungskordon
der knienden Gardisten. Hoch über einem schwarzem Tor erstrahlte
das Auge Ishas in goldenem Feuer.
"Ulthwé! Wir sind auf dem Weltenschiff Ulthwé!" keuchte
Eldaromin.
Jain Zar schritt die Treppe hinab und zwischen den knienden Gardisten
hindurch auf das Tor zu, das in den Rest des Weltenschiffs führte.
Der Runenleser, der den Nebel erzeugt hatte, erhob sich, ergriff
den Stiel eines goldenen Schlegels und schlug einmal auf einen großen,
goldenen Gong.
Ein dunkler Ton erfüllte das Innere der Kammer und schien die Luft
zum Vibrieren zu bringen.
Die Tore öffneten sich und gaben den Blick auf eine verdutzt dreinblickende
Eldarmenge frei.
Jain Zar trat über die Torschwelle auf den Platz hinaus. Ein zweites
Mal ertönte der Gong.
Vor ihnen fiel die Menge, wie eine Welle die auf den Strand fällt,
auf die Knie und senkte ehrfurchtsvoll den Blick vor der Asurya.
Tian Dan schritt hinter Jain Zar aus dem Tor hinaus, auf Biel-Tan
hatten die Aspektkrieger des Klingensturms immer getobt und gewütet,
wie der Todbringende Wind, der ihnen seinen Namen lieh, wenn einer
der Phönixkönige das Weltenschiff betrat. Ulthwé war ganz
anders! Eldaromin kicherte.
Jain Zar bahnte sich ihren Weg durch die Menge und Tian Dan und
Eldaromin hatten Mühe ihr zu folgen.
Von überall auf dem Weltenschiff strömten die Eldar herbei, einen
Blick auf die Asurya zu erhaschen, nur um bei ihrem Anblick auf
die Knie zu fallen und das Haupt zu senken, wo immer sie gerade
standen.
Das Chaos schien perfekt!
Unter lautem Rufen bahnte sich eine Gruppe Aspektkrieger vom Schrein
der Banshee, angeführt von ihrer Exarchin, eine Gasse durch die
Menge. Jain Zar blieb stehen, um ihren Schwestern Gelegenheit zu
geben sie zu begrüßen. Die Gruppe fiel auf die Knie und senkte das
Haupt. "Asurya!" erklang die Stimme der Exarchin. Jain Zar trat
an ihr vorbei und schritt die Gasse hinab, die die Kriegerinnen
der Todessänger gebahnt hatten. Hastig erhoben sich die Aspektkrieger,
um die Phönixkönigin und ihre Begleitung zu eskortieren.
Wieder kicherte Eldaromin. Tian Dan sah ihn missbilligend an.
Um sie herum drängte die Menge beiseite. Die freudige Erwartung,
einen Blick oder gar eine Berührung der Phönixkönigin zu erhaschen,
war der Furcht vor einem schmerzhaftem Tritt der Aspektkriegerinnen
gewichen. Endlose Minuten schritt die Prozession durch die Gänge
und über die Plätze Ulthwés, bis sie in einem abgelegenen
Gang vor einem bewachten Tor zum Stehen kam.
Jain Zar drehte sich zu Tian Dan um. "Hinter dieser Tür erwartet
dich dein Schicksal! Trete ihm entgegen!"
Tian Dan schritt die Stufen zu dem Tor hinauf. Der Führer des Gardistentrupps
tänzelte unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sein Blick wanderte
ständig zwischen Jain Zar, Tian Dan und dem Tor hin und her.
Eldrad Ulthran stand, umgeben von den Mitgliedern des ersten Zirkels
der Runenpropheten Ulthwés, in der Mitte des Runenkreises
und beschwor die letzten Runen des Schicksalsrituals, das ihm einen
Blick in die unendlichen Pfade der möglichen Zukunft gewähren würde.
Vor drei Monaten hatte er den Vorschlag vor den Hohen Rat gebracht,
die Janias Mash il Morenn Black Guard Assault Division, die für
die letzten 6000 Jahre die Unendlichkeitsmatrix Ulthwés bewacht
hatte, in den aktiven Dienst zu überführen. Das an sich war nichts
Ungewöhnliches, die Division war eine Elite-Einheit, die die letzten
6000 Jahre praktisch Garnisonsdienst geleistet hatte. Es war Zeit,
sie durch eine andere Einheit zu ersetzen und ihr wieder ein wenig
Schlachterfahrung zukommen zu lassen. Eldrad hatte große Ereignisse
vorausgesehen, und die Division würde ihm gute Dienste leisten.
Allerdings war zwei Wochen nachdem er seinen Vorschlag vorgelegt
hatte, der Shan-shidar der Division einem bedauerlichen Unfall zum
Opfer gefallen und nun hielten einige seiner nichtswissenden Kollegen
dies für ein böses Omen. Also..., Schicksalsritual! Vier Stunden
höchste Konzentration, für fünf Minuten einer möglichen Zukunft.
Naja, mal sehen was die Zukunft für uns bereit hält!
Stimmen vor dem Tor unterbrachen seine Konzentration.
"Halt! ihr könnt hier nicht rein!" erklang die Stimme des befehlshabenden
Wachoffiziers.
"Ich kann!" mit diesen Worten schlug das Tor zu beiden Richtungen
auf und der Körper des Gardisten flog in den Raum. Er schlug hart
auf und rollte noch ein Stück bis er schließlich liegenblieb.
Durch das Tor hindurch trat ein Eldar mit langem, schwarzem Haar
und der abgerissenen Kleidung eines Ausgestoßenen. Er trat vor Eldrad
und kniete nieder, dann senkte er sein Haupt, zog sein Schwert und
bot es dem Propheten dar. Es war eine herrliche Klinge und Eldrad
erkannte es sofort, genau wie die Stigmata des Khaine im Gesicht
des Fremden. Alle Blicke im Raum waren auf ihn gerichtet. Die Wachmannschaft
war durch das Tor gestürmt und hielt ihre Waffen auf den Fremden
im Anschlag, ja einige seiner Kollegen hatten sogar ihre Runenschwerter
aus den Scheiden gezogen und waren offensichtlich damit bemüht,
sich durch das Gewicht der Klinge nicht aus der Balance werfen zu
lassen.
´Sie sind zu alt für eine Schlacht und doch wollen sie im
Angesicht der Jugend einen kriegerischen Eindruck machen.´
Eldrad hob bedeutungsvoll die Hand: "Und du, Träger des Tutan Khamen,
wirst die Janias Mash il Morenn in die Schlacht führen!"
FORTSETZUNG FOLGT...
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