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DIE DUNKLE STADT TEIL 3

Der Junge war erst siebzehn Jahre alt, als er starb. Noch halb benommen von dem harten Schlag auf seinen Kopf lag er auf dem Rücken im warmen Sand, seine Beine gefühllos, und ein unerträgliches Druckgefühl auf der Brust, das ihm den Atem raubte. Er öffnete unter Schmerzen seine Augen und blickte auf den gepanzerten, mit Stacheln versehrten, aber wohlgeformten Fuß, der auf ihm stand und ihn am Boden hielt. Ein tosendes Brausen in seinen Ohren erstickte jedes Geräusch, und er richtete seinen verschwommenen Blick auf seinen rechten Arm, die gebogene Klinge entglitt seinen zitternden Fingern, und unter starken Schmerzen hob er den Arm, seinen Zeigefinger ausgestreckt, um Gnade bittend.

Das Letzte, was er sah, war eine wabernde, wogende Menge, aus der sich unzählige Fäuste mit gesenktem Daumen ihm entgegenstreckten.
Das Letzte, was er fühlte, war die Spitze des gezackten Schwertes, die in der Kuhle knapp unterhalb seines Adamsapfels seine Haut ritzte.
Das Letzte, was er hörte, war ein aufbrausender, zehntausendfacher Schrei in einer unverständlichen, ihm unbekannten Sprache.

"TÖTE IHN!"

Mühelos und ohne Zögern drang die Klinge durch die Kehle des Jungen und trennte sauber den Kopf vom Rumpf. Ein gewaltiger Aufschrei der Begeisterung erhob sich aus den Rängen der Arena, als sich die Eldarfrau bückte, den Kopf an der Haaren packte und ihn als Zeichen ihres Triumphes gen Himmel hob. Aus einem vergitterten Tor in der gemauerten Wand erschienen zwei abgemagerte, schmutzige Sklaven und stolperten auf den Leichnam zu. Sie schlugen eiserne Haken in die Schultern des Toten und schleiften ihn unter dem Gejohle des Publikums aus der Arena, während andere Sklaven die blutigen Stellen des Arenabodens mit neuem Sand bedeckten.

"Damit schuldest Du mir insgesamt einhundert Sklaven!" rief eine helle Stimme quer über die Ränge von der anderen Seite der Arena. Kheruakh hob den Kopf und blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ein junger Dracon, umringt von seiner Leibgarde, winkte in Richtung von Kheruakhs Tribüne. "Dann lass uns den Einsatz für den nächsten Kampf verdoppeln, Borkor," rief Kheruakh zurück, das eintretende Gemurmel der Menge übertönend. Er liebte diese Wetten, und es hatte selten einen Kampf gegeben, den er nicht genossen hatte. Nur vage erinnerte er sich an die Zeiten, als er selber in der Arena gestanden hatte, und ein Kribbeln durchströmte seine Glieder, als er die Arenakämpfe mitverfolgte. Politik. Pah! Sein politisches Interesse begann an seiner Hand und endete an der Spitze seiner Klingen.

Die Kriegerin hatte inzwischen den Kopf an einen ihrer Vasallen weitergereicht und im Gegenzug zwei glitzernde Schwerter an sich genommen, welche sie nun zweimal gegeneinander schlug. Das klingende Geräusch von Stahl auf Stahl ließ die Menge augenblicklich verstummen, und sie hob die Schwerter über ihren Kopf und kreuzte sie, wobei sie sich zu Kheruakhs Tribüne umdrehte, eine offene Herausforderung andeutend. Kheruakh hob eine Augenbraue und wandte seinen Blick zu seiner Rechten, wo Le´Yla Khe´Nareq, die Succubi des ihm unterstellten Hagashînkultes, bereits unruhig auf ihrem erhöhten Sitz hin und her rutschte. Kheruakh nickte leicht, und ohne zu zögern drehte sich Le´Yla zu ihrem Gefolge um, nahm die beiden rituellen Schwerter an sich, die ihr ein Gefolgsmann reichte, und schwang sich über die Brüstung in die vier Meter darunter liegende Arena.

Ungewöhnlich sanft landete sie am Boden der Arena, wo sie eine Staubwolke aufwirbelte. Langsam schritt Le´Yla in die Mitte des Kampfplatzes, auf die wartende Gegnerin zu, wo sie in respektvoller Entfernung stehenblieb. Die Blicke der beiden Kontrahenten trafen sich, und beinahe gleichzeitig hoben sie anmutig die Hände zur Spange am Hals. Die mit kunstvollen Ornamenten verzierten Brustpanzer fielen klappernd zu Boden, ebenso die samtenen Umhänge, und die Beiden standen sich gegenüber, nur noch mit den traditionellen Lendentüchern bekleidet, breiteten die Arme aus und hoben die Schwerter zum Gruß, während die Trommeln der Kampftrommler eindringlich zum Schwerttanz riefen.

(...)
Die Ursprünge des Schwerttanzes sind im Laufe der Jahrtausende verlorengegangen, es dürfte sich jedoch um ein Totenritual des jungen Eldarvolkes handeln, welches sich im Laufe der Zeit zu dem Schwerttanz entwickelt hat, wie er oft und gerne ausgetragen wird. Es gibt zwei Schwerttänzer und zwei Kampftrommler, die Trommeln schlagen in einem bestimmten Rhythmus und geben das Tempo des Tanzes vor. Zu diesem Rhythmus müssen die beiden Kontrahenten eine bestimmte Anzahl an Figuren durchführen, bei denen sie unter anderem Sprünge, Drehungen und Schläge der Schwerter um, über und unter dem Körper verwenden. Es bedarf einer ungeheuren Kondition und Kraft, um die Schwerter mit einer derartigen Wucht und Präzision um den Körper herumzuwirbeln. Insgesamt durchlaufen die Tänzer neun Figuren, wobei sie sich nach jeder Vollendung einer Figur etwas näher kommen. Nach der neunten Figur geben die Trommler das Zeichen zum zehnten Grad, und die beiden Tänzer beginnen, gegeneinander zu kämpfen, wobei sie jedoch den Stil des Tanzes beibehalten müssen. Dies wird für die Dauer des Tanzes beibehalten, bis einer der beiden Kontrahenten einen Fehler begeht und der Tanz beendet wird (also durch das vorsätzliche, durch martialisch instrumentelle Penetration herbeigeführte Ende sämtlicher Körperfunktionen des Kontrahenten).

Besonders beeindruckend wirkt der Schwerttanz in der Finsternis, wenn die blitzenden Schwerter nur durch Fackeln erhellt Leuchtspuren hinter sich herziehen. Scharfe Schwerter, wohlgemerkt, und der größte Feind eines unerfahrenen Tänzers ist er selber. Oft schon hat ein Neuling nach einer gelungenen Figur strahlend mit seinem Können geprahlt, nur um zu bemerken, dass er nur noch auf einem Bein steht (weil das andere auf der Erde liegt). Zwei wahre Meister scheinen sekundenlang in der Luft zu schweben, während die glitzernden Schwerter undeutlich und verschwommen um ihre Körper wirbeln, den Gegner zu neuen, komplexeren Figuren anspornen, und das Aufeinandertreffen der Schwerter die Luft mit Musik erfüllt. Diese Schönheit lässt sich unmöglich in Worten beschreiben.
(...)

--- Celeborn Maximus, "Das Volk Der Eldar Und Ihr Kulturelles Erbe", 532.M40
--- posthum zum Ketzer erklärt

*** letzte nicht vernichtete Kopie auf Geheiß von Inquisitor Amenor ins Inquisitionsarchiv transferiert ***



Der Rhythmus der Trommeln übertönte das Gemurmel der Menge, und die beiden Eldarfrauen begannen mit den ersten Figuren. Einfache Schläge, kreisende Schwerter und kurze, eher spielerische Sprünge beschlossen die ersten fünf Figuren, bevor die komplizierteren Bewegungen ein komplexes, sich ergänzendes Muster zu bilden begannen. Le´Ylas Gegnerin sprang in die Luft und vollführte wilde, wirbelnde Schläge unter ihren gekreuzten Beinen. "Kriegsfalken" dachte Le´Yla, und sprang ebenfalls, kurz nachdem ihre Gegnerin gelandet war. Sie schaffte die fünf gezielten Hiebe von "Khaine" um ihren Körper, ohne ein Ohr zu verlieren, und landete einen halben Meter näher bei ihrer Kontrahentin. Unmerklich beschleunigten die Trommler den Rhythmus und ließen die beiden Tänzerinnen in immer wilderen und schwierigeren Kombinationen Ihre Künste unter Beweis stellen. Le´Yla wurde blass, als ihre "Tränen der Qual" mit "Hierarch" gekontert wurden, einer beinahe unmöglichen Figur, deren zwölf Hiebe jedem zweibeinigen Lebewesen selbige gekostet hätten. Sie schwang die beiden Schwerter mit Wucht parallel zu Ihrem Körper, während sie gewagte Sprünge um alle Achsen vollführte, doch jede ihrer Figuren schien von einer noch unglaublicheren, noch schwierigeren Figur Ihrer Kontrahentin zunichte gemacht zu werden.

Die beiden Trommler vereinigten sich und gaben das Signal, die Aufforderung für die Figuren des zehnten Grades. Eine Sekunde lang standen sich die Gegner gegenüber, bevor die Klingen mit Wucht aufeinander trafen. Die beiden Klingen zogen dicht an Le´Ylas Gesicht vorbei und ritzen ihre Wangen, woraufhin ein kleines Blutrinnsal ihren Hals hinunterlief. Le´Yla stieß einen durchdringenden, zornigen Schrei aus und drehte sich um die eigene Achse, die Schwerter in Hüfthöhe um Ihren Körper wirbelnd. Sie stieß sich vom Boden ab, schwang sich wie ein Vogel in die Luft und ließ die Schwerter herunter fahren, die mit einem lauten metallischen Klang von denen ihrer Gegnerin abprallten. Le´Yla landete gebückt und stieß ihre Klinge nach den Beinen der Kontrahentin, welche jedoch in die Luft sprang und nach einem gekonnten Salto hinter ihr landete. Le´Yla wirbelte herum und schwang die Schwerter vor ihrem Körper, welche wie Flammenzungen aufblitzten. Der Klang von aufeinander treffenden Schwertern war längst einem durchgehenden Lärm gewichen, aus dem man die Anzahl der Schläge nicht mehr heraushören konnte. Die Zuschauer auf den Tribünen waren längst in Ehrfurcht und Staunen verstummt, als die beiden Gegner umherwirbelten, sich umkreisten, und nur noch verschwommene Lichtstreifen die Schwerter andeuteten.

Der grimmige Gesichtsausdruck in den Gesichtern verwandelte sich trotz der Bemühungen und unglaublichen Anstrengung in ein boshaftes Lächeln der Gegnerin Le´Yla´s, als diese ein Muster in den abwehrenden und angreifenden Schlägen erkannte und auf den geeigneten Augenblick wartete, um eine defensive Haltung Le´Ylas auszunutzen. Sie musste nur warten. Warten auf den Augenblick. Warten.

Da!!!

Sie beugte sich vor, ließ ihr Schwert auf die Klinge Le´Yla´s prallen und ließ los. Das Schwert flog aus ihrer Hand, wie beabsichtigt, und sie nutzte die offensichtliche kurzfristige Verwirrung Le´Yla´s, um in die Luft zu springen und einen tödlichen Streich gegen Le´Yla´s Halsschlagader zu führen. Und riss erstaunt die Augen auf, als Le´Yla plötzlich verschwunden war. Im Eifer hatte sie nicht bemerkt, dass die Dracite während ihrem Sprung unter ihren Beinen hindurch getaucht war. Sie fuhr herum und hieb ihr Schwert in den Boden, wo sie Le´Yla vermutete.

Und bemerkte, dass Le´Yla erneut hinter ihr stand. Blitzartig fuhr sie herum, doch es war bereits zu spät. Noch während sie zum Schlag ausholte schwang Le´Yla ihre beiden Klingen gleichzeitig und traf den ungeschützten Bauch der Hagashîn. Die Trommeln verstummten augenblicklich. Eine unendlich lang dauernde Zeitspanne standen sich die beiden Kontrahenten keuchend gegenüber und blickten sich an, Le´Yla mit grimmiger Entschlossenheit, ihre Gegnerin überrascht und verwundert. Bis sich auf der glatten Haut des Bauches der Hagashîn ein dünner roter Faden zu spannen schien, von einer Seite zur anderen, aus dem ein einzelner leuchtend roter Blutstropfen rann. Die Hagashîn blickte ungläubig hinab und richtete ihren Blick erneut auf Le´Yla. Eine einzelne Träne kullerte über ihre Wange.

Ihr Oberkörper löste sich von den Hüften, kippte nach hinten weg und fiel in den Staub. Ihr Unterkörper und die Beine standen noch eine Sekunde lang, bevor sie in sich zusammenbrachen. Der Blick der besiegten Hagashîn ruhte noch auf Le´Yla, und ihre Lippen bewegten sich lautlos, als ob sie etwas sagen wollte, doch ihre Stimme versagte, und Le´Yla konnte deutlich sehen, wie ihr Blick trübe wurde und ihr Auge brach.

Das aufbrausende Geschrei der lüsternen Menge brandete wie eine Welle gegen sie, als sie ihre Klingen kreuzte und sich zu Kheruakhs Loge umdrehte, als Zeichen ihres Triumphes. Kheruakh bedachte sie mit einem leichten Kopfnicken und konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen, welches noch breiter wurde, als er aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, dass Borkor blitzartig den Kampfschauplatz verlassen hatte. Kheruakh schüttelte schmunzelnd den Kopf. Politiker!



Kleine, weiße Lichtpunkte tanzten über den Himmel, umkreisten einander spielerisch, verblassten, erschienen wieder und setzten ihren Tanz fort. Ein hohes Summen erfüllte ihre Ohren und aus der Ferne drang geisterhaftes Gelächter und Gemurmel in ihr Gehirn.

Mühsam zwang sich Sororita Prioris Artemisia, Dienerin und Verteidigerin des Glaubens an den Heiligen Imperator, die Augen zu öffnen. Verschwommene Bilder formten sich, drehten sich wie irr im Kreis und riefen ein heftiges Übelkeitsgefühl in ihrem Magen hervor. Schnell schloss sie die Augen wieder und versuchte sich zu konzentrieren. Das Letzte, an dass sie sich erinnern konnte, war auf Anaris gewesen. Sie hatte versucht das Schoßtierchen dieses Alienabschaums zu erwürgen. Ja, sie zu erwürgen, sie und all die Häretiker, die sich mit den Feinden des Imperators verbündeten. Brennender Hass loderte in ihrem Innersten auf, und das Übelkeitsgefühl verließ sie rasch. Schwach bemerkte sie, dass sie auf dem Rücken lag und ein leichtes Ziehen in ihrer rechten Hand stärker wurde. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und öffnete nochmals langsam die Augen. Die verschwommenen Bilder fügten sich zusammen und Artemisia konnte ihre Hand sehen, versuchte die Finger zu bewegen. Sie bewegten sich. Langsam, stockend, zitternd. Ihre Fingerknochen. Weiß leuchtend im hellen Licht einer Lampe, nur unterbrochen durch einige rote Fäden, die wenigen Sehnen, die die Knochen noch zusammenhielten. Schlagartig wurde sie hellwach, als die starken Beruhigungsmittel, die ihr Gehirn betäubt hatten, nachließen und der ziehende Schmerz schnell stärker wurde, sich wie ein glühendes Eisen durch ihren Unterarm, ihren Oberarm und ihre Brust bohrte.

Ein leises Kichern drang aus der Finsternis hinter ihrer enthäuteten Hand, und eine gebückte Gestalt trat ins Licht der Lampe, eine Figur, die nur dem Alptraum eines dämonenverseuchten Ketzers oder Mutanten entstammen konnte. Eine kleine, dürre, gebückte Gestalt stand dort, in seltsame, schwarz schimmernde Kleidung gehüllt. Der kahle Kopf barg kleine, weiße, pupillenlose Augen, umgeben von dunkel schimmernden Augenhöhlen, und ein großer Ohrring zierte das spitz zulaufende Ohr eines Eldars. Das alles wäre noch zu ertragen gewesen, doch das Wesen besaß keine Lippen mehr. Alte Narben wiesen darauf hin, dass sie einmal vorhanden gewesen waren, doch in einem Akt des Wahnsinns oder einem Akt des Verbrechens waren sie aus dem Gesicht geschnitten worden. Die Spitz zugefeilten Zähne des Monstrums waren von gelblicher Färbung, zwischen denen unablässig ein steter Speichelstrom rann und tropfte. Das unheimliche, heisere Kichern des Ungetüms verstärkte nur noch den Drang, schreiend davonzulaufen.

"Gut gut, wach sie ist," krächzte es zwischen zwei Kicheranfällen. Beziehungsweise das kleine, technische Gerät, das die Kreatur um den Hals trug und ihre fremdartigen Worte übersetzte.
"Wollen doch nicht, dass sie das Beste verpasst, oh nein!"

Ein Adrenalinstoß jagte durch Artemisias Körper und sie riss ihren Körper aus der Bewegungsunfähigkeit, auf diesen Alienabschaum zu, um ihm, notfalls mit den Zähnen, die Kehle zu zerfetzen. Die eisernen Bänder, die um ihre Handgelenke und Ellenbogen geschmiedet worden waren, hielten ihren Körper auf der kalten metallischen Oberfläche fest. Artemisia hob den Blick und richtete ihn auf ihren Körper. Über sich sah sie seltsam geformte Sicheln und zwei parallel angeordnete Läufe exotischer Waffen, die in die Richtung ihrer Beine wiesen. Ihre Beine und ihr Körper unterhalb des Bauchnabels verschwanden unter einem ovalen, metallischen ... Deckel ... und ihre Arme lagen links und rechts von ihr ausgestreckt, wie gekreuzigt. Mit Grauen bemerkte Artemisia erst jetzt, dass nicht nur ihre Hand so verstümmelt war. Ungläubig starrte sie auf die hellrot schimmernden Bänder ihrer Muskeln, die violett gefärbten Arterien und Venen und die dazwischen weiß schimmernden Knochen ihres Brustkorbes. Beinahe ihre gesamte Haut war entfernt worden, und nur langsam drang der Schmerz durch ihr umnebeltes Gehirn und brachte sie an den Rand eines Schocks. Nur ihr Gesicht war noch das selbe, was sie an einer Spiegelung in der metallischen Oberfläche sehen konnte.

"Kühler Dir ist, nun? Ja?" quäkte das kleine Gerät am Hals der entsetzlichen Kreatur plötzlich los. Die emotionslose mechanische Stimme hob den vergnügten Unterton in der fremdartigen Sprache der Kreatur nur hervor. "Ich wusste, ich tat!" kicherte sie vergnügt und deutete mit einem ihrer Finger (welche durch scherenartige Krallen, angeschlossen an grünliche ovale Behälter auf dem Handrücken, ersetzt worden waren) auf ihr Gesicht. "Amaqar," quäkte die Stimme und verlor sich sofort in nachdenklich klingendem Gemurmel. "Amaqar .... Amaqar ... Amaqar??". Plötzlich erhellte sich das grauenerregende Gesicht und verzog die zerfetzten Lefzen zu so etwas wie einem Grinsen. "Mein Name das ist!! Verrückt, nicht?" Ein neuerlicher Kicheranfall beutelte die Kreatur und ließ sie nach Luft schnappen, während Artemisia sich entsetzt in ihrem stählernen Streckbett wand.

"Noch nicht fertig ist, nein nein" sang die Kreatur vor sich hin und näherte sich Artemisias Bauch, die vor Abscheu zurückschreckte. Die klauenartigen Finger der Kreatur bohrten sich in ihre Bauchmuskeln und trennten das letzte Stück Haut mit dem Bauchnabel vom Körper. Artemisia spürte dies fast nicht mehr, da ihr Körper nun merklich gegen eine solch ungebührliche Behandlung protestierte. Artemisias Augen waren vor Schmerz geweitet und sie hatte den Mund aufgerissen, doch statt einem Schmerzenslaut konnte sie nur stockend keuchen. Die Kreatur beendete ihren Singsang und schnippte etwas in die Finsternis, das mit einem ekelerregenden Klatschen irgendwo dagegen fiel.

Amaqar nahm Artemisias rechten Arm und bog ihn so weit zurück, dass Artemisia glaubte, er würde aus dem Gelenk springen. Das Eisenband um ihr Handgelenk rastete in einer für Artemisia nicht sichtbaren Halterung ein, und kurz darauf spürte Artemisia, wie die Kreatur ihren linken Arm ebenfalls zurückbog und ebenfalls in eine Halterung einrastete.

"So schön du bist, so schön!" hauchte das entsetzliche Wesen verzückt und blinzelte mit seinen pupillenlosen, leeren Augen. "Aber noch nicht fertig, nein nein!". Es griff nach oben über Artemisias Kopf und nach einer eisernen Gesichtsmaske, die an einem kleinen Schwenkarm befestigt war. Artemisia blickte nach oben, als sich die Maske langsam ihrem Gesicht näherte und bemerkte erschreckt, dass auf der Hinterseite der den ganzen Kopf bedeckenden Maske ein fingerlanger Dorn befestigt war, von dem seltsame Kabel wegführten, in die eigenartige Konstruktion hinein, in der sie festgeschnallt war.

"Quelle noch brauchen, ja ja!" sang die Kreatur wieder vor sich hin und riss Artemisias Kopf brutal in die richtige Position, die Krallen kratzten über Artemisias Gesicht und ein kleiner Blutstrom floss über ihre Wange. Verzweifelt versuchte Artemisia, sich dem eisernen Griff der Kreatur zu entziehen, doch diese schien stärker zu sein als sie aussah. "Zentrum wir brauchen," flüsterte sie verzückt, "Gyrus cinguli, Amygdala, Thalamus! Oh ja!" quäkte das Übersetzungsgerät, als Amaqar mit einem Ruck den hinteren Teil der Maske über Artemisias Kopf stülpte. Der Dorn drang mit einem ekelerregenden Knacken durch den Schädel hindurch und verankerte sich dort, während der Vorderteil der Maske Artemisias verzerrtes Gesicht bedeckte und ihren Kopf durch den fixierten Schwenkarm in einer ewigen unbequemen Position festhielt.

Artemisia konnte nicht mehr sehen, wie der Haemonculus zurücktrat und verzückt auf der Stelle auf und ab hüpfte, in die Hände klatschte und vergnügt kicherte wie ein Kind, das einen Brummkreisel betrachtet. "Oh! So schön! So schön Du bist! Meinem Meister gefallen Du wirst". Amaqar bog sich erneut in einem Kicheranfall, als kleine Lämpchen überall auf der arkanen Maschine aufleuchteten und die ganze abstrakte Szenerie in ein unheimliches, unwirkliches Licht tauchten.

Artemisias gellende Schmerzensschreie gingen im durchdringenden Jaulen der Antigravmotoren unter, als sich der Talos schwerfällig vom Boden erhob, sich auf der Stelle hierhin und dorthin drehte und probehalber mit seinen gewaltigen, mechanischen Scheren schnappte.


Arita erwachte spät in der Nacht (für Commorragh´sche Verhältnisse) und setzte sich in der Schlafstatt auf. Die Kuhle neben ihr war leer und kalt, und sie blickte sich im Raum um. Kheruakh stand am Fuße des Bettes, schweigend und in Gedanken versunken, während er auf einen Punkt in weiter Ferne starrte.

"Wir müssen bald aufbrechen, ich schlage vor, dass Du Dich entsprechend bekleidest und Deine Habseligkeiten zusammensuchst," flüsterte er fast unhörbar in die Stille des Raumes, die nur durch das leise Säuseln einer sanften Brise unterbrochen. Arita war noch schläfrig und blinzelte, um die Müdigkeit aus ihren Augen zu vertreiben. Kheruakh erhob sich und schritt an eine flache Stelle in der Wand, die mit fremdartigen Runen beschriftet war. "Es ist lange her, dass ich mit Dir in die Schlacht zog," murmelte er verträumt, "aber ich habe das eigenartige Gefühl, dass es nun wieder an der Zeit ist." Er drückte in einer komplizierten Reihenfolge auf die Runen, und die Wandvertäfelung glitt lautlos zur Seite. Im Dunkel des Raumes konnte Arita nichts erkennen außer dem Ansatz eines armlangen Stabes, der matt golden schimmerte und mit Kabeln und Schaltern versehen war. Der Staub von Jahrhunderten rieselte in einer grauen Wolke zu Boden, als Kheruakh den Stab bestimmt mit festem Griff packte und aus der Wandnische hob.

Er wog den Stab kurz in einer Hand und drückte auf einen der Schalter. Arita zuckte erschreckt zusammen, als der Stab wie eine zuschnappende Kobra ruckartig auseinander fuhr, sich auf eine Länge von etwa zwei Metern streckte und mit einem gleißend hellen, blauweißen Lichtbogen eine breite Klinge aus dem Dunkel heraus aufblitzte. Ein statisches Summen erfüllte die Luft, als der Schockfeldgenerator zu seiner vollen Leistung hochfuhr und sich die Haare auf Aritas Kopf in alle Richtungen sträubten. Erst jetzt erkannte sie den schimmernden Zweihänder, den die weißmaskierten Elitekrieger getragen hatten. Kheruakh schwang den Vollstrecker um seinen Körper als wäre er eine Feder, ließ ihn blitzend herumwirbeln und seine imaginären Gegner in Stücke zerfetzen, während der Raum von gleißenden Energieentladungen erhellt wurde. Nach einer Weile setzte er den Vollstrecker ab und wandte sich Arita zu, wobei er ihren erschreckten Blick bemerkte.

"Ja," begann er erklärend, "ich war einst einer von ihnen. Habe gemeinsam mit ihnen gekämpft, gelitten und gemeinsame ... Ziele ... verfolgt. Bis ich zu wichtigeren Dingen auserkoren wurde und zu dem wurde, was ich heute bin. Das ist auch der Grund, warum ich nie von ihnen enttäuscht wurde. Sie sehen mich nicht als Herrscher, sondern immer noch als Waffenbruder. Aber dies ist lange her, und wir müssen uns wichtigeren Dingen widmen."

Eine Viertelstunde später hatte Arita ihre Sachen gepackt und ihre samtenen Kleider gegen gröberes Material getauscht. Kheruakh führte sie tief ins Innere der Festung, durch unzählige, verworrene Gänge in einen kleinen, dunklen Raum, der nur von einer einzelnen Lampe erhellt war. Zwei abgemagerte, verwahrlost wirkende Gestalten reinigten gerade dein blutbesudelten Boden, wobei sie etwas davonschleiften das aussah wie große Hautfetzen. Ein leises Kichern ließ Arita herumfahren, und aus den Schatten trat eine Gestalt, die aus Aritas Alpträumen zu stammen schien. Im hintersten Inneren ihres Geistes meldete sich eine kleine Stimme und erinnerte Arita, dass sie schon einmal eine solche Gestalt gesehen hatte. Vor langer Zeit, in ihrem anderen Leben, auf der Asteroidenfestung....

"Das ist Amaqar" erklärte Kheruakh gelassen, "mein oberster Haemonculus und Spezialist für Reisen in andere ... Sphären." Das grauenhafte Wesen antwortete nicht. Stattdessen hüpfte es auf und ab und begann wieder wie wahnsinnig zu kichern. "Meister! So schön!! Ihr sehen müsst!!!" rief es und klatschte in die Hände. "Später" erwiderte Kheruakh streng, "bereite alles für die Reise vor." Sofort wandte sich die Kreatur ab und verschwand wieder im Dunkel des Raumes. Kheruakh wies auf zwei flache Pritschen, die im hinteren Teil der Kammer standen und bedeutete ihr, sich hinzulegen.

"Bevor wir aufbrechen, muss ich noch jemanden aufsuchen. Dazu gehen wir jedoch auf eine kleine Reise. Du musst wissen, dass in Commorragh kein Unterschied zwischen der realen und der irrealen Welt besteht. Wenn man träumt, kann es vorkommen, in sehr seltenen Fällen, wohlgemerkt, dass dies wirklich geschieht, da man im Traum auf die andere Ebene gewechselt hat. Aber selbst wenn das nicht passieren sollte, gibt es nichts Gefährlicheres als eine Reise in die inneren Regionen des Geistes. Wenn Dein Geist und Deine Sinne dir sagen, dass eine Klinge in deinem Herzen steckt, ist es dann von Bedeutung, ob die Klinge echt oder eingebildet ist?"

Amaqar tauchte erneut aus der Finsternis auf und überreichte mit einem leisen Kichern Kheruakh eine kleine Schale mit zwei kleinen Gewächsen. "Trotzdem ist dies der einzige Weg, ihn zu erreichen," dachte er laut und überreichte Arita eines der Gewächse. Kleine, braun schimmernde Ranken wanden sich um einen dunkelroten Pilz, den Arita noch nie zuvor gesehen hatte. "Teufelsohren," meinte Kheruakh mit Kennermiene, "sie werden unsere Reise einleiten." Seltsamerweise verspürte Arita keine Furcht, eher Neugier, als sie sich auf die Pritsche legte und den Pilz hinunterschluckte. Nichts schien zu passieren, nur eine leichte Müdigkeit erfasste sie.


Als ihr plötzlich ein heftiger, kalter Wind ins Gesicht fuhr und ihre Augen tränen ließ. Mit schockgeweiteten Augen starrte Arita auf die fremde Umgebung, in der sie sich plötzlich befand. Kheruakh stand dicht neben ihr, den blitzenden Vollstrecker in den Händen. Zögernd blickte sie zu Boden und erkannte, dass sie auf einer flachen Ebene standen, die sich in alle Richtungen unendlich weit zu erstrecken schien. Nur in der Ferne waren einige flache Hügel zu erkennen. Die Ebene bestand jedoch nicht aus Felsen oder Erde. Sie bestand ausschließlich aus Schädeln. Totenschädeln der unterschiedlichsten Kreaturen, und alle schienen sie mit ihren leeren Augenhöhlen anklagend anzustarren. Ein eisiger Wind heulte über die Ebene, über der sich ein einfarbiger, grauer Himmel erstreckte. Graue Wolken zogen schnell darüber hinweg, und ein einzelner, fahler Mond erleuchtete die Szenerie schwach. In der Ferne konnte Arita einen kleinen Hügel aus Schädeln erkennen, auf dessen Spitze ein massiver, stählerner Thron stand, mit Stacheln und Klingen verziert, und mit unzähligen Trophäen behangen.

Und darauf saß eine Gestalt, abgewendet von den Beiden, die langsam auf den Thron zuschritten. Sie hatte den rechten Ellenbogen auf das Knie und den halb von einer Maske verdeckten Kopf auf die Hand gestützt, tiefgründig sinnierend und den Blick in die Ferne gerichtet, eine Pose, die Arita irgendwie vertraut vorkam. Die anderen drei Hände lagen in ihrem Schoß und spielten geistesabwesend mit einem menschlichen Totenschädel.

Ein plötzlicher Windstoß wirbelte Aritas langes Haar hoch, das wie ein zerfleddertes Banner flatterte. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie Kheruakh langsam folgte, welcher den Blick unablässig in beide Richtungen schwenkte, wachsam, bereit. Arita bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln heraus und fuhr herum. Etwas körperloses, durchsichtiges, das schwach das fahle Mondlicht brach, verschwand blitzartig in der Dunkelheit. Arita stockte der Atem, als sie in der beklemmenden Dunkelheit kleine, schwach rot schimmernde Flecken entdeckte, kleinen Augen gleich, die sie interessiert betrachteten. Aritas Körper versteifte sich und sie wäre auf der Stelle losgerannt, weg von dem Thron, weg von den leuchtenden Augenpaaren, die ihr ein unbeschreibliches Grauen verschafften und ihre Haare zu Berge stehen ließen.

"Dreh dich nicht um," flüsterte Kheruakh, während er weiterhin wachsam die Umgebung musterte, "und lauf nicht weg. Lauf nie vor unsterblichen Wesen weg, das erregt ihre Aufmerksamkeit. Renne nie, geh langsam und tue so, als dächtest du an etwas anderes; sing ein Lied, erzähl poetische Verse, aber geh langsam, und sie werden Dir nicht folgen." Leicht gesagt! Arita konnte nicht genau bestimmen, ob ihre Zähne oder ihre Knie mehr klapperten, und sie stellte fest, dass sie ein Duett anstimmten. Doch auch trotz Kheruakhs sanfter und ruhiger Stimme konnte sie kleine Schweißtropfen auf seiner Stirn erkennen. Während Arita sich krampfhaft auf die Lippen biss und Kheruakh kampfbereit den Vollstrecker vor sich hertrug, erreichten sie den Fuß des Hügels, ständig umschwirrt von lautlosen, durchscheinenden Kreaturen, die sie aus der Finsternis heraus anstarrten.

Der Dunkle Henker hob den Kopf und legte den menschlichen Schädel in seinen Schoß. Eine Sekunde lang herrschte Grabesstille auf der Ebene, sogar das ewige Heulen des Windes verstummte ehrfürchtig. Arita konnte keine einzige Muskelbewegung im halb verdeckten Antlitz des Dunklen Henkers erkennen als dieser seine Stimme erhob und sie erschreckt bemerkte, dass die Stimme in ihrem Kopf tönte.

"Es ist sehr gefährlich, mich in meiner Ruhe zu stören, Kheruakh Az´aroth," dröhnte die dunkle, raue Stimme des Henkers in ihren Köpfen, "besonders, wenn man uneingeladen erscheint." Er erhob sich mit einer fließenden Bewegung von unbeschreiblicher Anmut von seinem Thron, wobei der Schädel auf seinem Schoß herabfiel und auf den Stufen zerschellte. Das Geräusch des zerspringenden Schädels hallte wie ein Donnerschlag wider, sprang von Augenhöhle zu Augenhöhle jedes einzelnen Schädels auf der Ebene, verstärkte sich bis über die erträgliche Schmerzgrenze hinaus, verlor sich schließlich und verhallte ungehört in den Weiten der Ebene. Er griff neben seinen Thron und hielt mit einem Mal eine gewaltige Klinge in seinen Händen. Der mindestens drei Meter lange Stab wurde von einer breiten, gezackten Klinge gekrönt, die entfernt an eine Flammenzunge erinnerte. Zu beiden Seiten flankierten kleinere sichelförmige Klingen das breite Blatt, zwischen denen funkelnde Energieblitze hin- und hersprangen. Mit festem Schritt stieg der Dunkle Henker von seinem Thron herab, blieb auf der vorletzten Stufe stehen und richtete seine funkelnde Klinge auf Kheruakhs Brust, wie eine Giftschlange, die sich vor dem tödlichen Stoß ein letztes Mal anspannt. Erneut dröhnte die dunkle Stimme in ihren Köpfen, als die Spitze der Klinge bereits Kheruakhs Brustpanzer streifte und kleine, nach verbranntem Plastik stinkende Rauchwölkchen aufstiegen.

"Ihr habt das letzte Wort!"

"Vergebt einem einfachen Diener, Sire," begann Kheruakh leise, sank auf ein Knie hinab und legte den Vollstrecker vor sich auf den Boden, "aber Ihr wisst, dass in Zeiten schweren Unglücks selbst ein Feind gut daran tut, seine Freunde mit Bedacht zu wählen. Der Baumstumpf, der im Boden bleibt, wird erneut Triebe hervorbringen, heißt es. Und gerade in diesen Zeiten tut es Not, diese zarten Triebe zu stärken und zu bewahren. Deshalb komme ich nicht als Vertreter meiner Kabale, sondern als Vertreter unseres Volkes."

Mit diesen Worten griff Kheruakh in seinen Lederbeutel, der an seinem Gürtel baumelte, und reichte dem Dunklen Henker eine einfache Steintafel, die in der surrealen Umgebung der Schädelebene wie aus einem inneren Licht heraus zu glühen schien, was die feinen Linien darauf nur deutlicher hervorhob. Der Henker nahm eine seiner Hände von der Klinge und ergriff die Steintafel, wobei er seine Klinge jedoch keinen Millimeter von der Stelle rührte. Eine lange Zeitspanne verstrich, in der die Grabesstille fast bedrückende Ausmaße annahm, während ihnen das Blut in den Ohren rauschte und ihr eigener Herzschlag in einem unbarmherzigen Rhythmus durch die weite Ebene schallte.

Mit einer seiner massigen Gestalt Lügen strafenden Bewegung verschwand der Henker für einen Sekundenbruchteil aus Aritas Blickfeld, bis er plötzlich direkt vor ihr stand. Er hielt die Klinge in einer Hand, die Steintafel in einer anderen, und hob sie mit seinen restlichen beiden Armen mühelos an den Schultern hoch bis sie etwa einen Meter über dem Boden schwebte. Vor Entsetzen fast wie gelähmt konnte sie nur in das bodenlose Weiß seiner Augen starren, die sie über die metallene Halbmaske hinweg begutachteten. Sie konnte förmlich spüren, wie Ihre Seele zurückschreckte, als der starre Blick in ihren Kopf drang und sich die Gedanken des Dunklen Henkers wie eine kalte, schleimige Zunge über ihre eigenen legten, tastend darüber hinwegfuhren, vorstießen, kosteten, spähten, prüften, und sich nach einer unendlich lang dauernden Zeitspanne wieder zurückzogen, nur ein überwältigendes Gefühl der Scham und des Ekels zurücklassend.

"Nun gut, es sei," dröhnte die Stimme des Dunklen Henkers durch die Stille der Ebene, "ihr habt Eure Worte weise gewählt, Kheruakh, und angesichts Eurer Geschichte bin ich bereit, Euch meine Diener zur Verfügung zu stellen. Ihr kennt den Preis dafür, Kheruakh, darum verschwenden wir nicht mehr Atem dafür als nötig ist. Schickt zu gegebener Stunde das Zeichen des Doppelsterns, und ich werde Eure Nachricht erhalten." Als er Arita wieder am Boden absetzte reichte er ihr die Steintafel, welche sie mit zitternden Fingern umschloss.

Die Gestalt des Dunklen Henkers flimmerte wie bei großer Hitze. Langsam begannen die Schädelebene und der fahle Mond zu verschwimmen und wie in einem Strudel zu kreisen. Immer schneller bewegten sie sich, doch sie verblassten, und Arita stürzte in einen warmen, dunklen und bodenlosen Abgrund.

Schweißgebadet erhob sich Arita von ihrer Pritsche, wie aus einem Alptraum erwacht, und saß eine Weile keuchend und nach Atem ringend da. Sie drehte sich erschreckt nach Kheruakh um, der sich bereits von seiner Pritsche geschwungen hatte und mit einem Eldar in nachtschwarzer Rüstung sprach, welcher einen geschwungenem Helm und einen eigenartigen, zerfledderten Lederumhang um die Schultern trug. "Dies ist von äußerster Wichtigkeit," flüsterte Kheruakh in der Sprache seines Volkes zu dem Eldar, "bringe diese Botschaft zu Asdrubael Vect, dem obersten Lord der Kabale des schwarzen Herzens, und verteidige sie mit deinem Leben. Solltest du versagen, wird das nicht nur dein Schicksal betreffen, sondern womöglich das Schicksal unseres eigenen Volkes." Mit diesen Worten überreichte er dem Eldar eine kleine, lederfarbene Rolle, welche dieser in einer Klappe in seiner schwarzen Rüstung verbarg, sich knapp verbeugte, rasch umdrehte und loslief. Noch bevor er die gegenüber liegende Wand erreicht hatte, glitt diese zur Seite und gab einen atemberaubenden Blick auf die Strassen Commorraghs frei, welche das rötliche Licht des Himmels wider spiegelten. Mit Grauen erkannte Arita eine der geflügelten Gestalten, die sie auf Anaris gesehen hatte, als der Eldar den vermeintlichen Lederumhang ruckartig zu zwei dünnen, ledrigen Schwingen entfaltete und sich lautlos wie ein im Wind fallendes Blatt in die Tiefe stürzte.

"Gut, dass du bereits gepackt hast, denn unser Aufbruch duldet keinen weiteren Aufschub," kamen Kheruakhs Worte kühl aus seinem Mund, als er den Vollstrecker aufhob und auf Aritas Pritsche zukam. "Was ... wieso ... wohin...?" begann Arita stockend, ihre Stimme noch durch die Nachwirkungen des halluzinogenen Pilzes schwach und unverständlich. Kheruakh lächelte und deutete knapp auf die steinerne Tafel, die Arita immer noch umklammert hielt, während ihre Knöchel sich bereits weiß gefärbt hatten.

"Du warst doch eine Art Navigatorin in deinem Volk, nicht? Sag Du es mir!"

Arita richtete ihren noch leicht verschwommenen Blick auf die Steintafel und rief ihre Erinnerungen an ihre Ausbildung hervor. Sie kannte den abgebildeten Raumsektor, das Segmentum Tempestorum, von den alten Darstellungen auf diversen Sternkarten her. Langsam und murmelnd fuhr sie die gezackte Linie mit ihrer Fingerspitze nach, vorsichtig, um den uralten Stein nicht zu beschädigen, und wie in Trance verfolgte sie den Kurs.

Der Maelstrom, Catachan, ... Tesla Prime, Rigant, ... das hier müsste New Hope sein, … Carpathia, Yarant, Ophelia VII, Luther Mcintyre, Tallarn, ...V´Run, Jurn und ….

Arita blinzelte ungläubig, als sie ans Ende der gezackten Linie kam und in Gedanken den offensichtlich geplanten Kurs weiterverfolgte, bis zum einzig logischen nächsten Ziel der Route.

... Bakka.


(Anm. des Autors: die Steintafel kann auf http://warpbeast.tripod.com in der Galerie besichtigt werden)



Urheberrecht: Martin Brandhuber, 2003



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