Bemalte Armeen, Schlachten auf dem Spieltisch...
von JULIE SALOMON, übersetzt aus dem Englischen von bobbi
veröffentlicht: New York Times, 15. Februar 2005
Houston- Mit fast 2 Metern, einem kahl geschorenem Kopf und stacheligem Bart,
könnte Adam Floyd, 21, einem doch etwas wild und durchgeknallt erscheinen.
Ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Sturm des Chaos“ tragend
ist er genau der Typ, den man bei einem Wettbewerb in einem Fantasy-Strategiespiel
erwarten würde, dessen Spielziel es ist den Gegner auszulöschen.
Aber bitte keine voreiligen Schlüsse. Herr Floyd befindet sich nicht in
einem düsteren, einschüchternden Fantasy Laden, sondern im hell erleuchteten
überdachten Besucherzentrum der NASA am Johnson Space Center. Zu den 70
Teilnehmer, die sich letzten Monat hier zu besagtem Wettbewerb versammelten,
gehörte auch Chris Goodchild, ein aufgeweckter 12-Jähriger, und Carl
Bellatti, 54, der sowohl Großvater als auch Musiklehrer an einer Schule
in Houston ist, sowie Computer-Programmierer, Anwälte, Gefängniswärter,
ein professioneller Football-Spieler, eine größere Gruppe Jugendlicher
und eine Frau.
Herr Floyd, der Sohn zweier Lehrer, ist ein ruhiger, gebildeter Geselle und
Theaterlehrer an der Idaho State University in Pocatello. Er ist zusammen mit
seinem Freund und gleichgesinnten Strategen Matt Wyse, 21, Geschichtslehrer
und Tennisspieler, hergeflogen, der schon Warhammer spielt seit er 14 war.
Was diese ungewöhnliche Gruppe zusammen hierher brachte war die Möglichkeit
Warhammer gegeneinander zu spielen, ein Spiel das seit beinahe 20 Jahren in
England, Kontinentaleuropa und Australien sehr beliebt ist, aber in den USA
nur für seine halbfanatischen Anhänger bekannt ist. In einer Kultur,
die von virtuellen Unterhaltungsangeboten und Massen an Werbung dominiert wird,
hat Warhammer sich eine ansehnliche Gruppe von Kunden und Fans geschaffen und
zwar nur durch Taktik und ein gewisses geheimnisvolles Etwas ohne auch nur einmal
richtige Werbung zu machen. Games Workshop, die englische Firma, die Warhammer
herstellt, hat zwar auch schon die Lizenzen für zwei Computer-Spiele vergeben,
normalerweise wird Warhammer aber trotzdem mit dreidimensionalen Figuren von
Gegnern gespielt, die sich an einem real existierenden Spieltisch gegenüberstehen.
Die Armeen bestehen aus winzigen Metall- und Plastikfiguren, nur einige Zentimeter
groß. Die Soldaten, meist gemein aussehende Kreaturen, die ganze Arsenale
von Waffen bedienen, haben merkwürdige beinahe mystische Namen, wie zum
Beispiel Snotlings, Tyraniden oder Chaos und dennoch werden sie von den Spielern
mit Kleber zusammengebaut und oft mit manischem Hang zur Präzision bemalt.
Warhammer beginnt mit einem relativ einfachen Regelwerk: Es wird gewürfelt,
nur in der Fantasie der Spieler vorhandene Waffen werden abgefeuert, Soldaten
werden bewegt. Aber schnell wird das Spiel komplexer und interessanter, da Armeen
besondere Regeln zugewiesen werden, welche die Grundregeln der Schlachten verändern.
Es gibt Tausende verschiedene Figuren und Dutzende Armeen, jede mit ihrer eigenen
Geschichte, Fähigkeiten und Punktkosten, welche jeweils in einem 64-seitigen
„Handbuch“ namens Codex oder Armeebuch erklärt werden, das
gleichzeitig auch Tipps zum Bemalen und Basteln enthält.
Wie Poker und Fußball scheint Warhammer Jungen und Männer deutlich
mehr anzusprechen als Frauen. Es erlaubt eine bestimmte Art von sozialer Interaktion,
bei der keine andere Konversation außer über das Spiel selbst verlangt
wird. Sergio Sciancalepore, ein schüchterner 13-Jähriger mit lockigem
Haar und riesigen dunklen Augen war auch bei dem Turnier dabei. Er besitzt eine
X-Box und liebt Schach aber seit er Warhammer vor drei Monaten in einem Kaufhaus
in Houston gesehen hat, ist er abhängig. Nun besucht er den Laden jeden
Samstag Abend auf der Suche nach neuen großen Schlachten.
Auch die stoffliche Komponente ist sehr wichtig. „Man kann die Spielfiguren
anfassen,“ sagt Sergio, „Deine eigenen Schlachten auswählen,
sie von oben betrachten, die Armee bewegen, sie individuell gestalten.“
Sein Vater, Vincent, unterstützt ihn. „Ich habe selber viele Modelle
gebaut als ich noch ein Kind war,“ sagt Herr Sciancalepore, der in einer
Druckerei arbeitet und in Queens aufgewachsen ist aber schon seit 25 Jahren
in Houston lebt. „Es gibt mir das Gefühl, dass ich etwas weitergebe.“
Zwei Tage vor dem Turnier entschied Herr Floyd, dass seine Armee nicht attraktiv
genug sei. Er verbrachte eine ganze Nacht damit die Figuren neu zu gestalten.
„Es erfordert eine gewisse Menge an Kreativität, etwas Vorstellungskraft
und einen guten Sinn für Humor,“ sagte er.
Sein Freund Herr Wyse fügte hinzu: „Und etwas verzerrte Prioritäten.“
Wie der Space Center ist Warhammer ein merkwürdiges Gemisch aus futuristischen
Ideen und Nostalgie. Es stellt gewissermaßen eine Neuauflage der selbstgelöteten
Spielzeuge dar, die vor einem Jahrhundert von H.G. Wells in „Little Wars“
und von Lord Baden-Powell, dem Gründer der Internationalen Pfadfinder Organisation,
so beliebt gemacht wurden.
Aber für diese Spielzeuggeneräle sind handwerkliche Fertigkeiten
genau so wichtig wie die richtigen Taktiken, und es ist genau dieser Aspekt,
der Warhammer von anderen Fantasy-Spielen wie etwa „Dungeons & Dragons“
unterscheidet. Bei dem Wettbewerb in Houston wurden Preisen für den besten
General und die beste Armee aber auch für die am besten aussehende Armee
(gewonnen von Floyds Soldaten, bemalt in den klassischen Warhammer-Farben „Scab
Red“ und „Scorpion Green“) und für die am besten bemalte
Armee verliehen. Den ganzen Tag über saßen ganze Gruppen von jungen
Spielern wie magisch angezogen um einen Tisch, an dem ein professioneller Maler,
Mondel Garcia, ihnen die Feinheiten der Bemalung von Miniaturen mit winzigen
Pinseln zeigte und erklärte.
Auch Freundlichkeit zählt: der am zweit meisten begehrte Preis war der
für den fairsten Spieler. Dieses Spiel verlangt eine geistige Kampfbereitschaft
aber auch ein gewisses Feingefühl. Die Spieler - manche übergewichtig,
manche spindeldürre Bohnenstangen, mit ordentlicher Frisur oder auch tätowiert,
Jungen und Männer - behandelten ihre Figuren alle wie kleine Prinzessinnen
ihre Sammlung aus zerbrechlichen Puppen.
Die Verkaufsmethoden von Games Workshop sind nicht mehr modern. Es wird keine
Werbung gemacht sondern man verlässt sich auf Mund zu Mund Propaganda und
320 Geschäfte weltweit (57 davon in den USA verteilt auf 19 Städte)
und 4.000 unabhängige Läden, die alle Warhammer verkaufen um Kunden
anzulocken. „Wir glauben, dass der einzige Weg jemanden für dieses
Hobby zu begeistern darin besteht, ihm einen Imperiumssoldaten in die Hand zu
drücken und ihn spielen zu lassen,“ sagt Will Postell, Verkaufsmanager
für Games Workshop in Houston, wo sich vier der firmeneigenen Geschäfte
in Kaufhäusern mit viel Fußgängerverkehr befinden. Games Workshop
hat außerdem sogenannte „Battle Bunker" in Chicago, Los Angeles,
Memphis und Baltimore eingerichtet, in denen vom Personal 8 bis 20 Spieltische
bereit gestellt werden, und die jederzeit bereit sind für Neueinsteiger
ein kleines Spiel samt Regelerläuterung zu veranstalten.
Diese Marketingstrategie hat außerhalb der USA zu riesigen Erfolgen von
Games Workshop geführt, als es vor über einem Jahrzehnt für die
ganze Welt zugänglich wurde. Der Umsatz 2004 betrug $284 Millionen verglichen
mit nur $241 Millionen im Vorjahr, was mit einem entsprechenden Gewinnanstieg
einherging. Vor vier Jahren hatte die Firma einen besonderen Entwicklungsschub,
als New Line Cinema ihnen die Lizenzrechte für ein Tabletop-Spiel zu den
Herr Der Ringe Filmen verkaufte (ein Spiel, das auf ähnlichen Grundsätzen
wie Warhammer basiert und auch mit bemalten Figuren gespielt wird). Wenn von
Games Workshop der alljährliche Games Day in Birmingham, England abgehalten
wird, sind 10.000 Besucher ganz normal.
Für Chris Goodchild war es Liebe auf den ersten Blick. Seine Familie,
welche aus England stammt, lebte gerade in den Niederlanden, als er das Herr
der Ringe Spiel vor vier Jahren in einem Geschäft erblickte. Er rief sofort
seinen Vater an, einen Manager bei Shell Global Solutions. „Er befand
sich gerade in einer sehr wichtigen Sitzung,“ sagt Chris. „Ich habe
ihm erzählt, dass ich diese Figuren gesehen habe und unbedingt welche brauche.“
Obwohl er sich zu Warhammer zunächst vor allem wegen seiner Faszination
für den Herr der Ringe hingezogen fühlte, sagt Chris: „Ich wurde
abhängig von diesem Spiel und dem Bemalen der Figuren.“
Die Beliebtheit des Spiels wächst in den USA nur langsam, obwohl es dort
schon seit beinahe 15 Jahren erhältlich ist. „Ein Hobby das von Mund
zu Mund Propaganda lebt kann sich in England leicht verbreiten, weil es ein
kleines Land ist,“ sagte Mike Jones, Games Workshops Vizepräsident
für die südliche Region der Vereinigten Staaten. „Aufgrund der
geographischen Beschaffenheit und der unglaublichen Größe der USA
bleibt Warhammer eher ein gut gehütetes Geheimnis,“ sagt er über
das Spiel.
Aber die Anziehungskraft des Spiel hat auch Mike Wampler, Verkaufsmanager im
Space Center von Houston nicht verfehlt, der Games Workshop einlud im Center
ihr alljährliches Tournier abzuhalten, um die etwas langsam angelaufene
Touristensaison etwas aufzupeppen, während welcher höchstens 1.100
Besucher an einem Samstag kommen. Außerdem hat er die Pokémon Rocks
Tour am Memorial Day Wochenende und den Purina Incredible Hundewettbewerb für
diesen Frühling eingeladen.
“Sechzig Prozent unserer Besucher waren noch nicht einmal geboren, als
die NASA es geschafft hat einen Mann auf den Mond zu befördern,”
sagt Wampler. „Ich möchte, dass unsere Gäste mit den Worten
`Das war einer der coolsten Ausflüge, die ich jemals gemacht habe´
gehen. Dafür muss man schon solche Dinge wie das Warhammer Turnier und
auch den Hundewettbewerb machen. Das ist die Verbindung zur Zukunft.“
Warhammer ist nicht billig. Obwohl es natürlich Starter-Sets mit 48 Figuren
gibt, die nur etwa $45 kosten, kann das Verlangen nach militärischer Macht
selbst in diesem kleinen Maßstab ansteckend und teuer sein. Garrick Rusher,
37, ein Programmierer dessen vier Söhne - und seine Ehefrau – Warhammer
spielen und bemalen, erzählte, dass er sich teilweise dabei ertappte, wie
er fast $700 im Monat für Figuren ausgab, die bis zu $54 für ein 12-Zoll
großes Modell des Mumakils aus Herr der Ringe kosten können.
„Wie sie sich die ganzen Regeln merken können verstehe ich nicht,“
sagt Helen Goodchild, Chris’ Mutter, eine lebhafte und liebenswürdige
Frau, die vielleicht die ultimative Warhammer-Mutter ist. Vor achtzehn Monaten
dachte ihr Mann, dass die Familie aus den Niederlanden nach Kenia versetzt werden
soll, ein Land mit sehr beschränkten Einkaufsmöglichkeiten. Um sich
auf den zweijährigen Aufenthalt vorzubereiten, fingen die Goodchilds an
sich mit lebenswichtigem Nachschub auszustatten, wozu unter anderem auch eine
riesige Sammlung an Warhammer-Figuren gehörte - fast 2.000 an der Zahl
- für Chris und seinen Bruder, Michael, der 10 Jahre alt ist.
Stattdessen wurden die Goodchilds nach Houston versetzt, wo sie entdeckten,
dass Warhammer ihnen vorausgeeilt war. „Wir wussten nicht, dass Games
Workshop hier so gut vertreten sein würde,“ sagt Frau Goodchild.
„Die Jungs haben durch Warhammer schnell neue Freunde gefunden.“
An der Schule ihres Sohnes, der englischen Schule in Houston, spielen die Kinder
während der Mittagspause Warhammer. Die Jungs haben außerdem Gefallen
an den Freitagabend-Spielen im örtlichen Games Workshop Laden gefunden.
Stört der kriegerische Aspekt des Spiels Frau Goodchild? „Es hat
sie vom PC wegbekommen,“ sagt sie dazu. „Es ist kreativ. Sie bauen
die Figuren und bemalen sie und dann treffen sie dadurch neue Leute.“
Genauso geht es Jacqueline Bellati, deren Mann Carl Warhammer spielt. Sie sagt,
dass es ihr nichts ausmacht eine Warhammer-Witwe zu sein. „Er raucht nicht,
er nimmt keine Drogen, er hockt nicht in einer Bar,“ sagt sie. Und ob
sie schon mal darüber nachgedacht habe, auch das Hobby ihres Mannes zu
beginnen? Sie dazu: „Mich interessiert sowas gar nicht.“