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ANGST I

I

+++ Unidentifiziertes Raumwrack
+++ Ebene IX, Planquadrat A4, Terminal 18

Yelpir kaute gelangweilt an seinen Fingernägeln herum. Das war also der Lohn für seine Mühen. Stundenlang hatte er versucht, den Zentralrechner zu reparieren. Doch da kam ihm, dem Imperator sei dank, der geniale Einfall, die beschädigten Systemsektoren einfach dadurch zu umgehen, indem er von einem der Knotenpunkte aus operierte. Ohne Pause hatte er dann mühselig das Überwachungssystem wieder zum Laufen gebracht. Aber anstatt ihn zu loben und in die wohlverdienten Kojen zu schicken, hat Kapitän Pohsib ihm auch noch einen zusätzlichen Nachtdienst aufgebrummt.

Yelpir gab ein herzhaftes Gähnen von sich und streckte seine müden Glieder so weit aus, wie es ihm in der Enge möglich war. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie lange er bereits in dieser Röhre steckte. Immerhin funktionierte das Lüftungssystem noch nach all den Jahren, die das Raumschiff nun schon durch den Weltraum getrieben war. So musste er wenigstens keine klobigen Atemgeräte mit sich rumschleppen.

Er seufzte und versuchte in eine bequemere Position zu kommen, ohne dabei eine der empfindlichen Apparaturen zu beschädigen, die die gesamte geöffnete Röhrenwand vor ihm einnahmen. Um nicht einzunicken, begann er leise ein Lied zu pfeifen. Die Töne wurden von den Metallwänden zurückgeworfen und erzeugten verzerrte Echos, die in der Ferne verklangen. Diese imposante Geräuschkulisse veranlasste ihn dazu, aus voller Brust weiterzuträllern. Es war der flotte Marsch, der auf seiner Heimatwelt immer gespielt wurde, wenn ein Raumschiff den abgelegenen imperialen Außenposten besucht hatte. Als Kind hatte er immer davon geträumt, eines Tages selbst ein Schiff zu kommandieren und durch das Sternenmeer zu reisen. Und so ging er zur Flotte, obwohl sich all seine Freunde in die Armee einziehen ließen. Doch dann lief alles anders als er es sich gedacht hatte. Man befand ihn für nicht geeignet für einen Kommandoposten und bildete ihn daher zu einem Techniker und Programmierer aus. Nun diente er schon seit siebzehn Standardjahren auf der 'Halo', einem Exploratorenschiff, dessen Aufgabe es war, unidentifizierte Raumwracks zu untersuchen. Nein, so hatte er sich das wirklich nicht vorgestellt.

Yelpir brach seinen Gedankengang und sein Pfeifkonzert abrupt ab. Er starrte nach rechts in die Dunkelheit hinein. Da war wieder dieses unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Er versuchte es abzuschütteln, aber die Gänsehaut blieb. Das musste die quälende Müdigkeit sein. Yelpir kratzte sich an seinem Stoppelbart und fragte sich, wohin diese Röhre eigentlich führte. Geschwind betätigte er einige Tasten auf dem Kontrollmodul, das mit dem Terminal über einen dicken Kabelstrang verbunden war. Einer der Bildschirme an der Röhrenwand hellte allmählich auf und zeigte dann ein blaues Bild, das von unzähligen verworrenen weißen Linien und Feldern durchzogen war. Yelpir versuchte sich in diesem Wirrwarr, der einen Übersichtsplan des Raumschiffs darstellen sollte, zurechtzufinden. Bald hatte er seinen Standort lokalisieren können. Zu seiner Linken, wie er bereits wusste, endete die Röhre nach einigen hundert Metern in der Nähe der Andockschleuse D3. Dort hatte er sich mit einem Schweißbrenner Zugang verschafft, eine andere Möglichkeit den Terminal anzuzapfen hätte es nicht gegeben. Yelpir stellte nun fest, dass die Röhre zu seiner Rechten noch etwa einen ganzen Kilometer geradenwegs weiterführte und dann in einem Hauptlüftungsschacht des Maschinenraums mündete. Der Antriebsbereich des Raumschiffs war am stärksten beschädigt, weswegen man auch erst jetzt so langsam mit seiner Untersuchung begonnen hat. Giftige Gase könnten auf diesem Weg andere Sektionen erreichen und vor allem seine Arbeit an diesem Terminal gefährden! Yelpir beschloss, dies dem Kapitän am Ende seiner Schicht zu melden. Die folgenden Kontrollen könnten ihm ein paar zusätzliche Stunden Schlaf gewähren. Zufrieden lehnte er sich wieder zurück. Bald verfiel er in einen sanften Schlummer. Es sollte das letzte Mal in seinem Leben sein, dass er ruhig schlief.

Irgendwann erwachte Yelpir wieder. Er wusste nicht warum. Vor seinen Augen tanzte verschwommen die Übersichtskarte. Blaue und weiße Strahlen. Ein gelber Stern. Murrend rieb er sich die schmerzenden Augen und wollte sich eben wieder hinlegen, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. Yelpir riss seine müden Lider auf und starrte überrascht auf den Bildschirm. Tatsächlich, da war ein gelbes Warnsymbol! Er überlegte kurz und aktivierte dann sein Funkgerät.

"Observator A4 an Explorator S51. Bitte kommen. Ich wiederhole: Observator A4 an Explorator S51. Bitte kommen."

Hier Explorator S51. Was gibt's, Yelpir?"

"Ähmm... Auf Ebene VIII, in Planquadrat F3, hat sich eine Tür geöffnet. Warst du das, Neila?"

"Nein, ich untersuche gerade Ebene VII, Planquadrat F4. Laut Auftragsplan müsste ich die achte unter mir noch machen, aber wenn das hier so weitergeht, schaff ich das nicht mehr."

"So schlimm wie hier rumzusitzen kann's doch gar nicht sein."

"Wenn du nur wüsstest! Ich könnte jetzt echt 'ne Pause vertragen..."

"Dann nimm dir doch einfach eine. Wir können ja ein wenig plaudern. Das hält mich wach."

"Ach, ich weiß nicht. Ich hab noch soviel Arbeit vor mir. Und wenn jemand mithört? Letztes Mal ist Käpt'n Pohsib fast an die Decke gesprungen."

"Keine Angst, außer dir und mir ist nur noch Omortson an Bord. Der Arme hat vor einiger Zeit mit dem Reaktorraum begonnen. Wegen der Schutzummantelung des Maschinenraums kann er ohnehin nicht mithören."

"Überredet. Was ist jetzt mit dieser Türe los?"

"Hmmm... Muss wohl ein spontaner Kurzschluss gewesen sein. Der alte Kahn macht's halt nicht mehr lange."

"Ja, aber warum muss der verdammte Schrotthaufen nur so verdammt groß sein? Hier liegen mindestens 500 Kisten herum, und ich habe gerade mal die Hälfte davon überprüft."

"Und, was ist in ihnen... Moment mal! Was ist denn das!?"

"Probleme, Yelpir?"

"Da hat sich eben wieder eine Tür geöffnet!"

"Wo?"

"Ganz in der Nähe von der ersten. Das kann doch kein Zufall sein. Es ist die Verbindungstür zwischen Korridor C und Planquadrat F3."

"He, wenn du mir Angst einjagen wolltest, dann hast du das gerade geschafft."

". . ."

"Yelpir? Bist du noch da!?"

"J... Ja! Ich glaub ich werd verrückt! Die Tür am Ende des Korridors... die... die Verbindung zu Planquadrat F4 ist auf einmal offen!"

"Du kannst jetzt aufhören! Du hast gewonnen!"

"Scheiße! Was ist jetzt los!? Das System spielt nun total verrückt! Da stimmt was nicht, Neila! Ich hab hier zwei weitere Ausfälle. In deinem Planquadrat. Unter dir, auf der achten Ebene."

"Wart mal, ich schalte den Scanner ein..."

"Verdammt! Was immer es ist, es ist jetzt auf deiner Ebene, Neila! Ich sperre jetzt alle Türen!"

"Das kann nicht sein, ich bekomme hier nichts rein! Keine Wärmesignatur. Der Bewegungsmelder..."

"Unmöglich! Beim Imperator, was ist das? Es... es... hat die Tür manuell geöffnet!"

"Du... du meinst es hat die Konsole benutzen können!?"

"NEILA, ES KOMMT DIREKT AUF DICH ZU!!!"

"Ich weiß... Ich hab's jetzt auf dem Bewegungsmelder..."

"MACH DASS DU DA WEGKOMMST, NEILA! HAST DU MICH VERSTANDEN? HAU DA AB!"

"Ich... ich... hab Angst, Yelpir!"

"NEILA!!! ES IST NUR NOCH EINE TÜR VON DIR ENTFERNT!"

"Scheiße, es ist verdammt groß. Ich hör es kommen..."

"VERSTECK DICH! SCHNELL!!!"

Yelpir lauschte angespannt. Er hörte Neilas schweren Atem. Er hörte ihr Herz klopfen. Dann das mechanische Summen einer sich öffnenden Tür. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn.

"Ich kann nichts sehen, Yelpir! Da ist nichts!!!"

Neilas Stimme überschlug sich fast vor Angst. Yelpir wusste nicht, was er antworten sollte. Eine Ewigkeit verging.

"Doch... Der Imperator steh mir bei! Da ist etwas..."

Plötzlich begann Neila zu kreischen. Ihre Schreie zeugten von blankem Entsetzen. Da schoss auf einmal ein hartes Geräusch durch den Kopfhörer, als wäre etwas Zerbrechliches mit einem Schlag zerschmettert worden. Die Schreie hörten sofort auf. Yelpir vernahm nur noch ein leises Röcheln.

"NEIN!!! NEILA!!! NEEEEEEIIIIINNN!!!"

Das qualvolle Ringen mit dem Tod verebbte langsam. Übrig blieb nur das statische Rauschen.

"NEIN! Nein! Nicht Neila! nein..."

Yelpir schluchzte und hämmerte seinen Kopf gegen die Armaturen. Heiße Tränen tropften von seinem Kinn.

"Warum, o Imperator? Warum nur...?"

Es dauerte lange, bis er seinen Schmerz unter Kontrolle bringen konnte. Er atmete tief durch und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste Omortson irgendwie warnen. Doch zuallererst musste er die 'Halo' verständigen. Mit zittrigen Händen griff er wieder zum Funkgerät, um die Frequenz zu wechseln.

"Observator A4 an Brücke! Code X1! Ich wiederhole: Observator A4 an Brücke! Code X1!"

Yelpir wartete. Sein Herz hämmerte immer noch wie wild. Als er auf seinen Unterarm schaute, sah er wie sich die feinen Haare langsam aufrichteten. Er hatte wieder dieses Gefühl und blickte besorgt in die unergründliche Finsternis hinein.
Doch diesmal war es so stark, dass es ihm die Kehle zuschnürte. Er rang nach Atem und ließ das Funkgerät fallen. Er schaute erwartungsvoll auf den Metallkasten, aber er blieb stumm.

Yelpir schreckte auf. Ein lautes Geräusch hallte durch die Röhre. Es kam von rechts. Sein Herz raste. Er hielt den Atem an.

Dann ein weiteres Geräusch.

Und noch eins.

Lauter.

Näher.

Yelpir erwachte aus seiner Erstarrung, wirbelte er herum und rannte gebückt los. So schnell er konnte.

Die Angst im Nacken.

Den Tod im Rücken.


II

+++ Exploratorschiff 'Halo', Kommandobrücke

Pohsib blickte starr durch die großen Seitenfenster hindurch. Die Konturen des gigantischen Raumwracks schwebten langsam an ihm vorbei. Die Aussenhülle des einst so stolzen Schiffes war zerfurcht, gebrochen und verwüstet, als hätte eine gewaltige unsichtbare Faust sie bearbeitet. Tiefe Risse zogen sich wie Narben durch die stählerne Haut des Kolosses, während ab und zu unförmige Aufbauten hervorragten und wie riesige Beulen und Warzen wirkten. Die Scheinwerfer der 'Halo' erzeugten helle Flecke auf der verunstalteten Oberfläche und warfen wild wogende Schattenmeere. Es schien fast, als ob der eiserne Riese lebendig wäre und nur schlafen würde. Pohsib kam sich klein vor. Er war es auch. Ein winziger Staubkorn im unendlichen Universum. Ein winziger Staubkorn auf einer unbedeutenden Nussschale, die wie ein flüchtiger Gedanke durch die Leere trieb.

Pohsib versuchte sich wieder auf die aktuelle Problemlage zu konzentrieren und unterdrückte den melancholischen Teil seines Ichs. Immerhin war er der Kapitän dieser Nussschale, und musste nun Entscheidungen fällen, von denen Menschenleben abhingen. Doch so war er immer, wenn er gute Leute verloren hatte, so wie es Omortson, Neila und Yelpir gewesen sind. Vor 24 Stunden hatte man Yelpirs letzten Funkspruch empfangen. Wäre der verdammte Funker nicht eingenickt, hätte man ihn und Omortson vielleicht noch da rausholen können. Dafür wird er sich vor dem Marinegericht verantworten müssen. Doch das bringt die Vermissten auch nicht wieder zurück...

Er drehte sich um und trat an die Reling der Beobachtungsplattform. Unter ihm pulsierte der 'Graben', wie die Mannschaft die Brücke nannte, vor Aufregung, Hektik und Geschäftigkeit. Von hier oben sah es wirklich wie ein tiefer Graben aus, denn alle Apparaturen und Steuerkonsolen befanden sich links und rechts eines engen Korridors, der durch den gesamten Brückenraum zog. Der 'Graben' war voll von eifrigen Matrosen und Offizieren, die hastig von einem Posten zum anderen strömten. Das Stimmengewirr dröhnte in Pohsibs alten Ohren und kam ihm wie Geschnatter irgendwelcher niederer Lebewesen vor. Es wurde wild gestikuliert und diskutiert, die gesamte Mannschaft war aufgrund der letzten Ereignisse in helle Aufregung versetzt. An der Decke blinkten noch immer die roten Alarmleuchten. Pohsib hatte die nervenaufreibende Sirene ausschalten lassen, sie hätte ihn auf Dauer sonst noch wahnsinnig gemacht. Der alte Kapitän zog sich in solchen Situationen oft auf eine der drei Beobachtungsplattformen zurück, um seine Ruhe zu haben und nachdenken zu können. Er wählte diesmal die Backbordplattform, da auf Steuerbord und Bug außer Sternenstaub nichts zu sehen war.

"Käpt'n!"

Pohsib blickte auf. Jemand kam die Leiter hochgeklettert. Es war sein erster Maat. Sallad.

"Käpt'n! Wie haben die von Yelpir übermittelten Daten endlich entschlüsseln können."

"Dann berichten sie mal."

"Also... Das Wrack scheint die 'Prometheus' zu sein, ein Jupiter-Klasse Handelsfrachter. Ist vor 32,4 Standardjahren auf ihrer üblichen Handelsroute irgendwo im Warpraum zwischen Sancta Heroica und Vicar 7 verschollen gegangen."


"Sancta Heroica? Vicar 7? Das ist auf der anderen Seite der Galaxis!"

Pohsib trat wieder an das Fenster heran und starrte hinaus.

"Unser Freund hier hat 'ne ganz schön lange Reise hinter sich, würde ich sagen."

"So sehe ich das auch, Käpt'n. Ähmm... Wir haben hier noch ein paar interessante Entdeckungen im Logbuch der 'Prometheus': Die letzten Eintragungen beginnen mit '14:49 - Kollisionsalarm'. Wir konnten bisher nicht feststellen, mit was die 'Prometheus' zusammengestoßen ist, die Untersuchung der Außenstruktur läuft aber bereits. Dann, um 14:50, wurde ein Grad 3-Hüllenbruch festgestellt. Es folgte die übliche Abschottung der betroffenen Sektionen und die Einleitung von Reparaturmaßnahmen. Nach einer ganzen Weile, um 16:22, wurde schließlich der Eindringlingsalarm gegeben. 16:37 wurde dann die gesamte Ebene XVIII abgesperrt. Der nächste Eintrag lautet '16:55 - Feuer auf Ebene XVIII'. Danach ist erstmal eine ganze Zeit lang Ruhe, so als hätten sie das Problem unter Kontrolle gehabt. 17:40 wird der Alarm abgeschaltet. Um 18:02 wird dann aber wieder der Eindringlingsalarm gegeben, was dann auch der letzte Eintrag ist. Was halten sie davon, Kapitän?"

"Hmmm... Es müssen zwei gewesen sein. Sonst hätte es keinen zweiten Alarm gegeben. Lässt sich die Sache mit dem Feuer bestätigen, Sallad?"

"Ja. Omortson hat Brandanzeichen im Planquadrat R1 gesehen, als er auf dem Weg zum Reaktorraum gewesen ist."

"Tja, den ersten haben sie wohl ausschalten können. Dann hat sie anscheinend leider der zweite überrascht."

"Haben sie eine Vermutung, was es sein könnte?"

"Nein. Obwohl ich in meiner ganzen Laufbahn schon unzählige Male Code X1 erlebt habe, und schon viele gute Männer und Frauen verloren habe. Es ist nie dasselbe. Der Weltraum steckt voller Gefahren, Sallad! Es gibt mehr Dämonen, die in der Finsternis lauern, als Sterne am Himmel leuchten... Altes Raumfahrersprichwort."

Der Kapitän und sein erster Maat schwiegen. Sallad stand nun neben ihm und beide sahen hinaus, auf das pockennarbige Antlitz des bedrohlichen Ungetüms. Pohsib seufzte, er hatte sich entschieden.

"Die Anzeichen sind deutlich genug. Ruft die Space Marines! Wir nehmen Kurs 19-119-82! Hier können wir nichts mehr tun."

FORTSETZUNG FOLGT...



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