1
Sie hatten die Verfolgung aufgegeben, denn die Stärke
der Elben schien unüberwindlich. Bis tief in die Wälder
waren sie der ungewöhnlichen Bande gefolgt, die aus zwei
Menschen, einem Elb, einem Zwerg und vier kleineren Kreaturen
bestand, deren Rasse ihnen unbekannt war. Voller Zorn gegen
diese Eindringlinge ließen sie sich in der Nähe der
Bäume nieder und schlugen ein Lager auf.
Trotz ihrer Wut, schlich sich auch langsam Furcht in ihre Herzen,
denn die Gruppe, die sie verfolgten war mehr als merkwürdig.
Unbemerkt waren sie in ihr Heim, in die unterirdischen Gänge
Morias eingedrungen und hatten, nachdem man sie schließlich
entdeckt hatte, unzählige ihrer Gefährten getötet.
Was war der Grund dafür, dass sich eine solch ungewöhnliche
Ansammlung der verschiedenen Rassen gebildet hatte, fragten
sie sich. Welcher Grund mochte sie dazu veranlasst haben sich
in ihr Reich vorzuwagen? Wie es für Orks typisch war, konnte
sich keiner von ihnen vorstellen, dass es Wesen geben mochte,
die nicht bei ihrem Anblick vor Furcht erbleichten. Doch diese
Gruppe hatte es getan und einer von ihnen stellte sich sogar
dem gefürchteten Balrog in den Weg! Er war bereit gewesen,
sein Leben für seine Gefährten zu opfern und hatte
sogar Erfolg damit gehabt, denn der Balrog war nicht wieder
zurückgekehrt.
Bis in die Wälder Lóriens waren ihnen die besten
Kämpfer der Orks nun gefolgt, doch mit der Meute Elben,
die sich ihnen hier entgegenstellte, hatten sie nicht gerechnet.
Die meisten von ihnen waren getötet worden, doch ihre Gruppe,
unter der Führung von Thraklok, konnte entkommen.
Thraklok glich den übrigen Moria-Orks nur wenig, da er
viel größer war als diese und er sich nicht in gebückter
Haltung bewegte, sondern aufrecht ging. Auch seine Haut glich
nicht der ihren. Obwohl sie von unzähligen Narben verunstaltet
war, wirkte sie sehr hell, bis auf jene Stellen auf Wangen und
Stirn, die wie von Feuer geschwärzt wirkten. Diejenigen
unter ihnen, die mehr Verstand besaßen, hatten es bald
aufgegeben ihn wegen seiner Andersartigkeit zu verspotten, denn
er neigte dazu die Köpfe solcher Narren abzuschlagen. Trotz
allem, war er schließlich einer der besten und brutalsten
Kämpfer der Orks. Dies hatte ihm auch seinen Namen eingebracht,
der in der dunklen Sprache „Elbenpein“ bedeutete.
Seinen richtigen Namen kannte niemand, nicht einmal er selbst.
Solange sich die Orks von Moria erinnern konnten, war er bei
ihnen gewesen. Da er aber von anderer Gestalt war, musste er
zu einem anderen Orkstamm gehören. Keiner jedoch wusste,
woher er gekommen war, aus welchen Landen er stammte und wann
er sich zu ihnen gesellt hatte.
Auch er selbst konnte diese Fragen nicht beantworten, denn
sein Wissen um die Zeit, bevor er zum Nebelgebirge kam, war
verschwommen. Er erinnerte sich an lange Wanderungen, doch wollte
er tiefer in dieses Wissen vordringen, plagten ihn Schmerzen,
körperlich wie seelisch. Alles, was er und die anderen
wussten war, dass er sehr alt war, älter als jeder andere
unter ihnen und dass sich keiner von ihnen im Kampf mit seinen
Fähigkeiten messen konnte. Den Verletzungen, die er sich
dabei zugezogen hatte, wie auch seinem hohen Alter, schrieb
er daher auch seinen Erinnerungsverlust zu.
Nun saß Thraklok da und blickte auf die Wälder,
in der sich ihre Beute versteckt hielt. Er glühte vor Zorn
über die Elben, aber auch über die Feigheit seiner
eigenen Mitstreiter, von denen viele beim Anblick dieser verwegenen
Wesen die Flucht ergriffen hatten. Er selbst kannte keine Furcht.
Viele Ereignisse seines Lebens hatte er vergessen und daher
konnte ihm seine Erinnerung keinen Streich spielen. Selbst der
Balrog konnte ihn nicht entmutigen, denn er wusste nichts über
dessen Macht.
Nur ein einziges Mal hatte sich Angst in sein Herz geschlichen
und dies war erst einige Tage her. Als jener grau gekleidete
Zauberer den Balrog herausforderte, hatte er in seine Augen
geblickt und Furcht verspürt. Er spürte, dass dies
kein Mensch gewesen sein konnte, sondern ein anderes, gefährlicheres
Wesen mit weit größerer Macht. Doch er bekam keine
Gelegenheit sich für dieses schreckliche Gefühl, das
er erlebt hatte, zu rächen, da der Zauberer mit dem Balrog
in den Abgrund gestürzt war. So konzentrierte er seinen
Hass auf die Gefährten des alten Mannes, die ihn begleitet
hatten und noch immer am Leben waren.
„Wir werden uns unsere Beute nicht entgehen lassen!“
schrie er den anderen Orks entgegen. „Und wenn es Tage
dauert, irgendwann werden auch sie die Wälder verlassen
müssen! Und dann werden sie unseren Zorn zu spüren
bekommen!“ Mit diesen Worten hämmerte er auf seinen
armseligen Schild ein, der nur noch aus Holzsplittern zu bestehen
schien. Sämtliche Orks folgten seinem Beispiel und schrieen
seinen Namen, während auch sie mit ihren Schwertern und
Äxten auf ihre Schilde klopften. Niemand schien zu befürchten,
dass dieser Höllenlärm die Aufmerksamkeit der Elben
auf sie lenken könnte. Vielleicht lag es sogar in Thrakloks
Absicht dies zu bewirken. Die Elben jedoch rührten sich
nicht.
2
Als die Nacht hereinbrach, stellten die Orks Wachen auf, sowohl
um auf ihre Opfer zu achten, als auch um ihrer eigenen Sicherheit
willen. Thraklok teilte sich selbst, wie es seiner Art entsprach,
für die erste Wache ein. Seine Mitstreiter sahen in diesem
Verhalten seine Fähigkeiten als Anführer bestätigt,
doch die Wahrheit war, dass Thraklok seit seiner Begegnung mit
Gandalf dem Grauen den Schlaf fürchtete. In den vergangenen
Tagen war er jede Nacht von Träumen heimgesucht worden,
von unheimlichen, machtvollen Wesen belebt, die ihm fremd waren
und in denen er selbst gegen Balrogs kämpfte. Träume,
aus denen er voller Furcht und Verwirrung erwachte. Um diesen
zu entgehen, versuchte er den Schlaf möglichst zu meiden.
Wie in den Nächten zuvor, saß er auf einem kleinen
Hügel, wenige Schritte vom Lager der anderen entfernt.
Seine erhöhte Position erlaubte es ihm, tiefer in den Wald
hineinzublicken und zugleich die umliegenden Wiesen im Auge
zu behalten. Lange saß er dort in der Dunkelheit und versuchte
den Schlaf von sich fern zu halten. Und zuerst glaubte er auch,
dass er eingeschlafen sei und träume, als das Licht keine
zehn Schritte von ihm entfernt zwischen den Bäumen aufflackerte.
Rasch sprang er auf, streckte seine Glieder und wischte sich
den Schlaf aus den Augen. Vorsichtig näherte er sich der
Stelle, an der das Aufleuchten zu sehen gewesen war. Oder entsprang
es doch nur seiner Einbildung?
Plötzlich nahm er eine leise singende Stimme war –
eine Frau sang dort, lieblich und betörend, dass es seinen
Ohren schmerzte. Er war ein Ork und hasste derart sanfte Klänge
und doch zogen sie ihn wie magisch an. Die Bäume um ihn
herum hatten etwas Unwirkliches an sich, denn ein leichter Nebel
wallte um sie her. Er überlegte, ob er seine Kameraden
wecken und Alarm schlagen sollte, doch die seltsame Atmosphäre
in der er sich befand hielt ihn davon ab. „Dies kann nur
ein Traum sein,“ sagte er sich. „denn kein Elbenweib
würde sich hierher wagen, kurz nachdem ihr Land von uns
angegriffen wurde. Selbst Elben können nicht so dumm sein.“
Und so folgte er der Stimme immer tiefer in den Wald. Bald schon
war er von den riesigen Mellyrn umschlossen, deren silbrige
Borke selbst in der Nacht noch geheimnisvoll strahlte.
Obwohl er die Worte des Liedes, dem er folgte, nicht verstand,
fühlte er sich davon angesprochen. Über Wurzeln, Steine
und durch dichtes Unterholz lief er der unbekannten Frau nach,
von der er nicht einmal sicher sein konnte, dass sie real war
und nicht nur eine List der Elben. Solcherlei Gedanken kamen
ihm in jenen Momenten nicht, denn die zarte Melodie hielt ihn
im Bann.
Nach einiger Zeit gelangte er zu einer Lichtung, in der das
Leuchten umso strahlender schien. Er bemerkte kaum, dass er
sich inzwischen sehr weit von seiner Gruppe entfernt hatte und
man ihn nicht bemerken würde, sollte er Alarm schlagen
wollen.
Dort erblickte er sie. Ein Wesen von strahlender Schönheit
und Anmut – Galadriel, die Herrin des Waldes. Selbst dieser
blutrünstige Ork, der sonst nur Schrecken und Hässlichkeit
kannte, erbleichte und verstummte ob ihres Anblicks. Langsam,
mit einer fließenden Bewegung, bei der ihr silberfarbenes
Kleid wie das Rascheln der Blätter wisperte, drehte sie
sich zu ihm um und blickte ihm tief in die Augen. Erstaunen
legte sich über Thraklok und noch ein anderes Gefühl,
dass er kaum zu beschreiben vermochte - Wiedererkennen?
Obwohl er niemals in diesen Wäldern gewandelt war und er
sich an nichts aus seiner Vergangenheit zu erinnern vermochte,
spürte er doch, dass er diese erhabene Elbin schon einmal
erblickt hatte. Wie aber mochte dies möglich sein? Zweifel
überkam ihn und ein Schmerz, wie er immer eintrat, wenn
er die Vergangenheit zu erhellen suchte. Noch bevor aber aus
diesem Leid Wut geboren werden konnte, erhob Galadriel ihre
Stimme und sprach: „Allzu lange ist es her, dass wir einander
begegneten und sich dein Schicksal wandelte. Dein Schmerz aber
wird gelindert werden und das Licht der Zukunft die Dunkelheit
in deinem Geist erhellen, also verzage nicht.“
Geblendet vom Schmerz und vom Klang ihrer Stimme schloss Thraklok
die Augen. Mit zitternder Stimme murmelte er vor sich hin „Wovon
sprichst du, Elbenweib? Niemals sind wir einander begegnet,
denn sonst würde dein blutender Leib den Boden beflecken
und du könntest hier nicht eitel vor mir stehen. Woher
willst du wissen, was mir die Zukunft bringen mag? Behalte deine
schäbige Elbenmagie, denn einen Ork vermag sie nicht zu
blenden.“
Noch immer hielt er die Augen geschlossen, als er schließlich
eine andere Stimme vernahm. „Thraklok! So also verbringst
du deine Wache! Schlummernd auf einem Stein und kleine Geschichten
vor dich hin brummend. Was ist dies für ein Unsinn, denn
du da redest?“
Als er die Augen schließlich öffnete, stand Ublar
vor ihm, einer aus seiner Kriegerschar. Er selbst befand sich
immer noch auf dem Hügel, auf den er sich zu Beginn seiner
Wache begeben hatte. Mittlerweile graute der Morgen und die
ersten Sonnenstrahlen erhellten den Himmel.
„Geh zurück zu deiner Horde!“ schrie Thraklok.
„Was ich spreche, hat dich nicht zu interessieren. Es
sei denn, ich brülle es dir ins Gesicht. Nun geh schon
und weck die anderen. Wir werden unser Lager heute abbrechen.“
Verwirrt machte sich Ublar auf den Weg zurück. Es hatte
keinen Sinn Thraklok zu widersprechen, wenn er in solch schlechter
Verfassung war, musste man befürchten seinen Kopf zu verlieren.
Und Ublar sorgte sich mehr um sein eigenes Leben, als um den
Sinn der Anweisungen eines Anführers.
3
Thraklok blieb noch eine Weile auf dem Hügel sitzen und
blickte in den Wald hinein. Eben war er doch noch darin gewesen,
wie war er wieder hierher gelangt? War es also doch alles nur
ein seltsamer Auswuchs seiner Einbildung gewesen?
„Weshalb aber,“ so fragte er sich „sehe ich
dann immer noch deutlich das Antlitz Galadriels vor mir? Galadriel?
Ist dies also ihr Name? Woher kenne ich ihren Namen? Da sie
ihn doch nicht genannt hat und es ohnehin nur ein Traum war?
Irgendwo muss ich ihn schon einmal gehört haben, nur habe
ich es vergessen.“
Er war schließlich ein Ork und es entsprach nicht seiner
Art, sich solchen Gedanken und Gefühlen länger hinzugeben.
Schnell verdrängte er dies aus seinem Kopf und machte sich
ebenfalls auf den Weg ins Lager zurück.
Als er dort ankam, hatten sich die übrigen Orks bereits
versammelt und begrüßten ihn äußerst mürrisch.
„Was habt ihr jetzt schon wieder zu klagen, ihr räudigen
Würmer?“ fragte Thraklok sie.
„Aus welchem Grund sollen wir das Lager räumen? Noch
haben wir unsere Beute nicht erlegt. Ist der mächtige Thraklok
plötzlich weich geworden, dass er aufgibt, bevor er sein
Ziel erreicht hat?“ Es war Nazrót, einer von jenen,
die schon lange versuchten Thraklok zu stürzen, um seine
Position übernehmen zu können.
Neid erfüllte Nazróts Herz, denn er missgönnte
Thraklok seine Position als Anführer, glaubte er doch viel
stärker und fähiger zu sein als dieser. Thraklok war
auserwählt worden, die Verfolgung der Eindringlinge zu
leiten, obwohl doch ihm diese Aufgabe gebührt hätte.
Denn auch er hatte sich unzählige Male im Kampf bewiesen
und war siegreich von Plünderungen zurückgekehrt.
Vieles hatte er für sein Volk geleistet, doch immer war
es Thraklok, dem der Ruhm und die Ehre zufielen. Dabei war auch
er, Nazrót der Unüberwindliche, wie er sich selbst
gern nannte, nicht vom gleichen Stamme wie die Moria-Orks. Ebenso
wie sein erbitterter Widersacher, war auch er ein Fremder in
dieser Gruppe, großgewachsen und schlagkräftig. Einst
war er aus der Nähe Mordors nach Moria gezogen, weil er
sich in seiner alten Heimat gelangweilt habe. Selbstverständlich
wusste keiner, dass er hatte fliehen müssen, da er auch
dort die Macht an sich zu reißen versucht hatte und dabei
kläglich gescheitert war. Viel lieber stellte er sich als
einer der Großen seines Stammes hervor, der das erbärmliche
Verhalten seines Volkes nicht mehr ertragen konnte und nach
Höherem strebte. Diese Erzählungen waren es, die ihm
einen Platz unter ihnen gesichert hatte (und die Tatsache, dass
er alle, die sich gegen ihn aussprachen, brutal niedermetzelte).
Jetzt sah er endlich seine Chance, auch Thraklok loszuwerden
und seinen Platz einnehmen zu können. Eine Gelegenheit,
auf die er lange gewartet und welche er ebenso akribisch vorbereitet
hatte. Wann immer Thraklok nicht zugegen war, hetzte er die
übrigen gegen ihn auf, indem er sie auf die Fehler seines
Handelns aufmerksam machte. Thraklok selbst hatte ihm dies in
den letzten Tagen sehr leicht gemacht, da er nicht bei vollen
geistigen Kräften schien und so nicht bemerkte, was um
ihn herum geschah.
„Es ist hier nicht sicher, denn die Elben beginnen ihre
Magie gegen uns zu nutzen.“ antwortete Thraklok auf Nazróts
Anklage. „Letzte Nacht suchte mich ihre Herrscherin heim
und legte mich in Schlaf. Mit wundersamen Worten suchte sie
meinen Geist zu verwirren, wohl in der Hoffnung, dass wir vor
Schrecken und Verzweiflung fliehen würden. Doch wir werden
nicht gehen, nur unser Lager werden wir an einem anderen Ort
aufschlagen, dass sie uns nicht so leicht finden können.“
„Du elender Feigling!“ zischte Nazrót. „Die
Magie der Elben suchst du als Ausrede für dein Versagen
und als Grund für deine Feigheit. Niemand hat dich behext
in der letzten Nacht, denn nicht zum ersten Mal bist du deinen
Aufgaben schlecht nachgekommen. Erneut versuchst du zu verbergen,
wie wenig du als Anführer taugst. Du warst es, der uns
befahl bei Nacht zu schlafen und Wachen aufzustellen, obwohl
du weißt, welche Qualen uns der Tag mit seinen Sonnenstrahlen
bereitet. Doch wenn wir kraftlos sind, erkennen wir vielleicht
nicht mehr, wie sehr du wünschst von hier fort zu kommen
und wie sehr die Angst dich beherrscht.“
„Schweig!“ schrie Thraklok. Er zog seinen Dolch
und legte ihn blitzschnell an Nazróts Hals. Seine Bewegung
war so geschwind, dass Nazrót sich seiner nicht erwehren
konnte. Ein erschrecktes Grunzen war alles, was er von sich
gab. „Wenn du nicht still bist, werde ich dir die Kehle
durchschneiden! Etwas, das ich schon eher hätte erledigen
sollen, denn du bringst nur Zwietracht und Neid in unsere Gemeinschaft.
Ich hatte guten Grund euch tags wachen zu lassen, denn unsere
Beute weiß um unsere Abscheu vor dem Tageslicht und wird
daher bei Tage den Wald verlassen. Wenn ihr dann aber schlaft,
wird sie uns entgehen. Ist es etwa das, was du willst? Falls
ja, wer von uns ist dann der Feigling und der Versager?“
Nazrót, der sich in Thrakloks Umklammerung kaum bewegen
konnte ohne Gefahr zu laufen dessen Dolch zu nahe zu kommen,
zischte nur: „Zu lange schon, hast du deine Märchen
verbreitet, doch heute ist der Tag, an dem damit Schluss ist.
Diesen Ort wirst du nicht lebend verlassen! Ublar!“
Ublar hatte sich langsam von hinten an Thraklok herangeschlichen
und drückte diesem nun wiederum seinen Dolch in den Rücken.
Thrakloks überraschter Aufschrei überzeugte Nazrót
davon, dass auf seinen getreuen Diener Verlass war. „Ich
bin nicht allein, wie du siehst. Und noch viele andere hier
teilen meine Meinung. Wie viele von uns kannst du töten,
bevor wir dich erwischen?“ Er lachte laut, als er sich
aus Thrakloks Griff wand, um sich ihm gegenüberzustellen.
„Nicht nur du hast Freunde hier.“ Thraklok sprach
ruhig und ohne Furcht, obwohl er im Innersten zitterte, konnte
er doch nur hoffen, dass ihm noch Verbündete geblieben
waren. Zu stark hatte er in letzter Zeit seine Aufgaben als
Anführer vernachlässigt, sich zu wenig den Gehorsam
seiner Gefolgsleute gesichert. Wie viele von ihnen waren bereits
auf Nazróts Seite übergelaufen, während er
seinen wilden Träumen nachhing? Zu unbeständig war
das Wesen eines Orks, zu wechselhaft seine Meinung und seine
Loyalität, wenn ein anderer die Chance bekam auf sie Einfluss
zu nehmen. Und diese Chance hatte er Nazrót unfreiwillig
gegeben.
Während er noch zweifelte, spürte er einen Druck
in seinem Rücken und einen leichten Stich. Darauf folgte
ein Stöhnen. Es war Ublar, der tot hinter ihm zusammensackte
und noch im Sterben versuchte, seinen Dolch in Thrakloks Rücken
zu stoßen. Doch Thraklok spürte, dass seine Kraft
nicht ausgereicht hatte, um ihn tödlich zu verwunden. Nur
ein leichtes Rinnsal an Blut floss seinen Rücken hinab.
„Ja, er hat noch Freunde hier!“ es war Magrot, der
mit blutverschmierter Klinge hinter ihm stand und lächelte.
Magrot war in all den Jahren in Moria immer an seiner Seite
gewesen, so auch jetzt.
Schlagartig brach die Hölle los, denn nun, da Blut geflossen
war, gerieten die Orks in einen Rausch. Überall fingen
Schlägereien und Gemetzel an zwischen den Anhängern
Thrakloks und Nazróts. Zwei von Nazróts Männern
stürzten sich auf Magrot und schlugen ihn nieder, während
wieder andere versuchten, diese zwei von ihrem Treiben abzuhalten.
Auch Thraklok benutzte seinen Dolch und zog zusätzlich
sein Schwert, um seine Feinde zu erschlagen. Doch immer suchte
er dabei nach Nazrót.
Ohne Erbarmen schlitzte er jedem, der sich ihm in den Weg stellte,
den Bauch oder die Kehle auf. Schlug nahezu wahllos Gliedmaßen
und Köpfe ab. Er genoss es, seiner Wut freien Lauf zu lassen
und sich im Blut seiner Feinde zu suhlen.
4
Nur kurz währte das Getümmel, denn Orks sind blutrünstige
und grausame Wesen ohne Mitleid. Am Ende lagen unzählige
Körper leblos am Boden und neben Thraklok waren nur zwei
weitere seiner Anhänger am Leben geblieben. Es war ein
schrecklicher Anblick, diese drei Gestalten mit Wunden übersäht
in einem Feld von Leichen und Blut.
„Wo ist Nazrót, dieser Verräter?“ verlangte
Thraklok zu wissen. „Hat einer von euch sein Blut gekostet?
Sprecht, denn ich will seinen Kopf als Trophäe an meinem
Gürtel tragen.“
Keiner von ihnen aber hatte mit ihm gekämpft und so befahl
Thraklok das Lager nach seiner Leiche abzusuchen. Doch sie konnten
ihn nicht finden.
„So hat er also das Weite gesucht, dieser Wicht. Es wird
ihm nichts nützen, denn ich werde ihn finden und töten!
Sucht nach seiner Fährte!“ Die beiden verbliebenen
Orks machten sich so schnell wie möglich daran, eine Spur
des Verräters ausfindig zu machen. Und obwohl Orks als
Fährtenleser nicht so begabt sind wie Menschen oder Elben,
haben sie ihre eigenen Mittel entwickelt, um ihre Beute zu finden.
Der Geruch spielt dabei eine wesentliche Rolle, da sie wie Hunde
den Ausdünstungen ihrer Feinde über Meilen folgen
können. Rasch hatten sie die Spur Nazróts aufgenommen,
die sich gen Süden richtete und damit in entgegengesetzter
Richtung zu ihrer Heimat im Nebelgebirge.
„Versucht dieser Wurm etwa wieder nach Mordor zurück
zu schleichen? Glaubt er dort sicher zu sein?“ murmelte
Thraklok. Er sah seine beiden Gefährten an und überlegte
eine Weile. Ihm war bewusst, dass er nicht riskieren konnte
diese beiden mit sich zu nehmen, wenn er hinter Nazrót
herjagen wollte. Zu schnell könnten sie entdecken, dass
einiges, was dieser ihm vorgeworfen hatte, der Wahrheit entsprach.
Niemand durfte erfahren, welch seltsame Dinge in seinem Verstand
vorgingen. Und so fällte er eine Entscheidung: „Ihr
zwei werdet nach Moria zurückkehren und unserem Anführer
berichten. Ich werde Nazrót folgen und mir sein Herz
schmecken lassen. Doch müssen unsere Gefährten von
unserem Versagen, die Menschen zu erwischen erfahren. Und das
wird eure Aufgabe sein!“ Den letzten Satz fauchte er ihnen
entgegen, denn er wusste, dass sie versuchen würden sich
zu weigern. Sie alle kannten die Reaktion ihres Anführers
auf derart schlechte Neuigkeiten und hingen zu sehr an ihren
dummen Schädeln, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Doch kannten sie auch Thrakloks Jähzorn. „Nun macht
euch endlich auf den Weg!“ schrie er und die beiden stolperten
so schnell wie nur möglich von ihm fort.
Thrakloks Hass auf Nazrót währte ebenso lange,
wie jener versuchte ihm seine Position streitig zu machen. Auf
diesen Hass konzentrierte sich Thraklok nun, auch weil es ihm
half, die Gedanken an jene schöne Elbenfrau zu verdrängen,
die ihn seit der letzten Nacht immer wieder heimsuchten. Unter
den toten Orks suchte er sich noch eine Ausrüstung und
alles an Proviant zusammen, was er zu tragen vermochte und machte
sich schließlich an die Verfolgung Nazróts.
5
Einige Tage schon folgte er den Spuren, die sein verhasster
Widersacher hinterlassen hatte, bis er schließlich in
der Nähe der Rauros-Fälle auf weitere Ork-Spuren traf.
Viele andere seiner Art waren hier vorbei gekommen, ebenso auf
der Jagd, wie er, so schien es. Er folgte diesen Spuren, denn
er hoffte von ihnen mehr über Nazróts Verbleib erfahren
zu können. Vielleicht hatte er versucht sich jener Gruppe
anzuschließen.
Als er endlich auf die Orks traf, war er jedoch mehr als verwundert,
denn diese jagten eine bekannte Beute. Sie berichteten ihm,
dass sie zwei Menschen, einen Elb, einen Zwerg und vier kleinere
Wesen verfolgten – jene Gruppe, die auch er noch nicht
gänzlich vergessen hatte. Mehr allerdings waren sie nicht
bereit zu sagen und auch von Nazrót wussten sie nichts.
„Ich kenne die Wesen, die ihr sucht, denn auch ich verfolgte
sie eine Zeitlang. Anfangs waren es neun, die in die Höhlen
von Moria eindrangen und damit in unser Reich. Doch ein Balrog,
der noch immer die Tiefen der Miene bewohnte, vertrieb sie und
tötete einen der ihren.“ berichtete er, um ihr Vertrauen
zu gewinnen.
„Dann komm mit uns und beende, was du angefangen hast.“
antworteten sie. „Doch die Kleinen unter ihnen rührst
du nicht an! Es sei denn, du willst unbedingt erfahren, wie
es sich anfühlt, wenn man von einem Schwert durchbohrt
wird.“
„Das will ich nicht.“ sagte er. „Und mein
Interesse gilt ohnehin nur den Menschen und vor allem dem Elb,
denn die Elben sind mir besonders verhasst. Mit den Kleinen
könnt ihr machen, was euch beliebt.“ Sie waren sich
einig und folgten nun gemeinsam den Spuren der Menschen. Diese
waren die Einzigen, die sie zu erkennen vermochten, denn weder
der Elb, noch die Halblinge hinterließen sichtbare Spuren
und auch ihr Geruch war nur selten wahrzunehmen.
Nach einiger Zeit hatten sie ihr Ziel erreicht, denn die kleine
Gemeinschaft hatte ihr Lager auf dem Amon Hen aufgeschlagen
und ahnte nichts von ihrer Anwesenheit.
Zwei der Gruppe hatten sich von den anderen getrennt –
ein Mensch und ein Halbling – und waren so leichte Beute
für die Orks. Doch bevor sie ihren Angriff starten konnten,
gerieten diese beiden in Streit und der Halbling lief davon.
Doch noch war ihnen der Mensch geblieben. Schnell und erbarmungslos
attackierten sie ihn, mit Pfeilen und Äxten griffen sie
an. Dabei näherten sie sich zwei weiteren Halblingen, denen
nun ihre ganze Aufmerksamkeit galt. Thraklok spannte seinen
Bogen und feuerte auf den Menschen – und traf ihn in die
Brust. Doch jener stöhnte nur auf und kämpfte mutig
weiter, um das Leben der beiden Halblinge zu verteidigen. Thraklok
wusste nichts davon, dass es sich bei diesem Mann um Boromir,
Denethors Sohn handelte. Er wusste nicht, dass Boromir zu den
Helden Gondors zählte, die ihr Leben der Verteidigung des
Guten und der Schwachen gewidmet hatten. Und doch bewunderte
er diesen Mann und seinen Mut. Er legte seinen Bogen nieder,
während die anderen jedoch weiterhin auf Boromir schossen
und ihn schließlich zu Fall brachten. Noch während
sie sich der Halblinge bemächtigten, stürmten die
übrigen Gefährten Boromirs zu seiner Hilfe, der trotz
seiner starken Verletzungen noch in sein Horn hatte blasen können,
um die anderen zu rufen. Als Thraklok den zweiten Menschen erblickte,
rührte sich erneut die Angst in ihm. Bisher hatte er Aragorn
nur aus der Ferne gesehen, doch nun sah er in seine Augen. Wie
bei Gandalf, bemerkte er auch jetzt, dass dies kein gewöhnlicher
Mann war. Nicht so mächtig zwar wie dieser, aber doch mit
einer eigenen Kraft ausgestattet. Wiederum wusste er nichts
über diesen Mann, ahnte nicht einmal, dass er den Erben
Isildurs vor sich sah, den zukünftigen König Gondors.
Seine Angst allein trieb ihn und so rannte er fort von den Orks
und dem Kampf.
6
Viele Tage lief er dahin, um seiner Furcht zu entfliehen. Lange
dachte er darüber nach, warum er seinen Bogen niedergelegt
hatte, warum er den Mann nicht getötet hatte. Und weshalb
der andere Mann ihm solche Furcht einflößen konnte.
Zum dritten Mal nun war ihm dies geschehen und er fand keine
Erklärung dafür.
Auch seine Träume waren schlimmer geworden. Es hatte mit
der Begegnung mit Gandalf begonnen und war nach dem Aufeinandertreffen
mit Galadriel noch schlechter geworden.. In seinen Träumen
durchwanderte er fremde Länder, Gegenden, die ihm völlig
unbekannt waren. Er begegnete Wesen, die er nie zuvor erblickt
hatte, darunter auch viele Elben, aber auch andere, dessen Rasse
und Herkunft er nicht kannte.
„Aber weshalb“ so fragte er sich „reise ich
in meinen Träumen, während die Sonne am Himmel steht?
Jetzt da ich wirklich laufe ist es Nacht und die Sterne stehen
am Himmel! Und aus welchem Grund sollte ich überhaupt durch
Beleriand wandern?“ Starr vor Schreck blieb er plötzlich
stehen. Es wurde ihm schwindelig und so setzte er sich wo er
gerade stand auf den Boden. Beleriand? Woher kannte er diesen
Namen? Aus welchem Winkel seines Hirns war dieser Name aufgetaucht?
Langsam legte er die Hände vor sein Gesicht, um die Tränen
aufzufangen, die ihm über die Wangen rannen. Keiner mag
es glauben, doch auch Orks haben die Fähigkeit zu weinen,
sie tun es nur einfach nicht. Doch dieser Ork weinte bitterlich
und schluchzte, da er glaubte seinen Verstand zu verlieren.
Viele Tage vergingen so, während er sich langsam, ohne
es zu wissen, auf Gondor zu bewegte. Nazrót und seine
Rache hatte er längst vergessen, denn andere Gedanken marterten
seinen Geist. Nach einer Weile begann er Zwiegespräche
mit sich selbst zu führen:
„Das Elbenweib meinte, dass es lange her sei, seit ihr
einander das letzte Mal gesehen hättet.“
„Aber ich kenne sie nicht, wo also sollte ich sie gesehen
haben?“
„Vermutlich in Beleriand, wie es in deinen Träumen
immer wiederkehrt.“
„Aber ich weiß nicht einmal, wo dieses Beleriand
liegt, wie könnte ich sie also dort getroffen haben?“
„Es gibt viele Dinge, die du vergessen hast, vielleicht
ist dies nur eines davon.“
„Welche anderen Dinge sollen dies sein, wenn ich mich
doch nicht erinnern kann?“
„Vieles, was du dir nicht erklären kannst. Aus welchem
Grund ist dein Äußeres so anders? Immer schon warst
du der Größte unter deinen Kameraden, warst flinker
und leichtfüßiger als sie.“
„Vermutlich gibt es irgendwo einen Stamm Orks, dessen
Erscheinung der meinen gleicht. Nur kann ich mich nicht mehr
an sie erinnern.“
„Doch werden sie dort, wie du, auch die Schrift und die
Sprache des Elbenvolkes verstehen können?“
Auch dies war merkwürdig an ihm, denn keiner der Orks,
die in Moria lebten beherrschten das Elbische. Er allein war
in der Lage gewesen die Worte auf dem Osttor zu lesen und zu
begreifen. Einige behaupteten gar, dass seine Übersetzung
und Kenntnisse der Worte auf dem Tor erst ihr Eindringen in
die Minen möglich gemacht hätten. Doch auch hier fehlte
seine Erinnerung.
Einzig der Hunger, der sich in seinem Magen bemerkbar machte,
erreichte es, dass er sich wenigstens für kurze Zeit von
seinen dunklen Gedanken löste. Schon lange hatte er die
Vorräte aufgebraucht, die er seinen toten Kameraden in
Lórien abgenommen hatte. Seit Tagen hatte er keine Nahrung
mehr zu sich genommen und es nicht einmal bemerkt. Jetzt jedoch
wurde sein Hunger zu einem Schmerz, der sein Innerstes zu zerreißen
drohte. Sein Blick schweifte umher auf der Suche nach etwas
Essbarem. Doch er konnte nichts finden, denn es schien, als
hätten alle Tiere schon vor langer Zeit diese Gegenden
verlassen oder waren von umherstreifenden Menschen oder Orks
getötet worden. Mittlerweile befand er sich in den äußeren
Bezirken Rohans und trieb immer weiter auf Gondor zu.
7
Einige Tage später, als der Hunger ihm schon unerträglich
schien, entdeckte er endlich ein Lebewesen. Es war ein Mensch,
ein Kind. Der blondgelockte kleine Junge war von seiner Familie
getrennt worden und suchte nun verzweifelt nach seiner Mutter.
Ziellos lief er über die Wiesen und rief immer wieder nach
ihr.
Orks hatten sein Heimatdorf angegriffen und seine Familie auf
der Flucht vor ihnen getötet. Doch der kleine Junge, der
nicht älter als sechs Jahre sein konnte, war zuvor vom
Pferd gefallen und war so dem Unglück entkommen. So schnell
er es vermochte, war er vor den angreifenden Orks davon gelaufen
und hatte so sein Leben retten können. Seine Eltern hatten
nicht so viel Glück gehabt, doch der Kleine wusste nichts
von ihrem Schicksal, war er doch in die entgegengesetzte Richtung
gerannt.
Thraklok beobachtete den weinenden, rufenden Jungen von einem
sicheren Ausguck, den er auf einem kleinen Felsen gefunden hatte.
Der Steinblock befand sich zwar inmitten dieses Meeres aus Gras,
doch konnte man ihn von dort aus nicht überblicken und
das Dunkel der Nacht brachte einen weiteren Vorteil. So war
Thraklok sicher vor den Augen des Kindes geschützt.
Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, als er das Kind betrachtete.
Endlich hatte er Nahrung gefunden. Schon oft hatte er das Fleisch
von Menschen gekostet und es genossen. Er war sogar der Meinung,
dass das Fleisch ihrer Jungen noch süßer sei als
das der Elben.
Langsam zog er sein Messer aus der Scheide, denn er wusste,
dass er keinen großen Widerstand zu befürchten hatte.
Im Schutze der Dunkelheit schlich er sich an den Jungen heran,
der wegen seines lauten Wehklagens und den Rufen nach seiner
Mutter kein Geräusch bemerkte. Bevor der Junge der Gefahr
gewahr wurde, stak schon das Messer in seinem Rücken und
er hauchte seinen letzten Lebensatem mit den Worten „Mama?“
aus. Sein kurzes Leben fand ein grausames Ende.
Gierig stürzte sich Thraklok auf den noch warmen Körper
und riss, dass Messer in seiner rechten Hand vergessend, einen
großen Bissen aus dem nackten Unterschenkel des Kindes.
Noch bevor er aber dieses Stück zur Gänze gekaut und
verschluckt hatte, überkam ihn Übelkeit. Er erbrach
den Brocken Fleisches und hustete und würgte solange, bis
nichts mehr in ihm war als Luft. In gebückter Haltung,
die Hände auf seinen Knien liegend, um sich nicht selbst
zu beschmutzen, stand er da und betrachtete den Leichnam. Sein
Hunger schien ihm unstillbar und doch konnte er nicht einmal
mehr den Anblick dessen ertragen, was seine Mahlzeit hätte
sein sollen. Der Geschmack dieses Fleisches war grauenvoll gewesen,
bitter und sauer zugleich – es schmeckte wie eine Sünde.
„Aber was soll es für eine Sünde für einen
Ork sein, Menschenfleisch zu essen?“ fragte er sich. „Weshalb
kommt mir der Gedanke überhaupt, dass es der Sünde
ähnlich sei?“
Angeekelt von sich selbst und dem Anblick des toten kleinen
Jungen, lief er weiter über die Ebene. Nach einigen Metern,
weit genug entfernt vom Grund seiner Übelkeit, ließ
er sich im hohen Gras nieder. Verzweiflung übermannte ihn
erneut. Wie sollte er überleben, wenn er nicht zu essen
vermochte? Wie weit war sein Wahnsinn schon gediehen, dass er
solche Empfindungen durchleben musste? In seiner Hoffnungslosigkeit
griff er nach einem der Grashalme und stopfte sich diesen in
den Mund. Eigentlich hatte er nur gehofft, dass der Vorgang
des Kauens den Hunger etwas besänftigen und den üblen
Geschmack aus seinem Mund entfernen würde, doch was er
dort schmeckte, gefiel ihm. Süß erschien ihm das
Aroma und so riss er noch mehr Halme aus und aß sie. Alsbald
entdeckte er auch einige wilde Beeren, die noch immer an kleinen
Sträuchern hingen und auch diese verspeiste er mit Genuss.
Die pflanzliche Kost vermochte zwar seinen Magen zu besänftigen,
nicht aber sein Gewissen. Noch immer sah er den Leichnam des
Jungen vor seinem inneren Auge. Das blasse Gesicht gerötet
von Tränen, umrahmt von goldenen Locken. Reinheit und Unschuld
strahlte dieses Antlitz aus.
„Und etwas so Erhabenes, habe ich getötet.“
wisperte Thraklok vor sich hin. „Dieses junge Wesen, das
wie ich unter Angst und Verwirrung leiden musste, habe ich aus
meiner Gier heraus getötet. Keine Chance gab ich ihm, zu
entdecken, was seine Zukunft ihm bringen mochte. Er war doch
aber ein Kind und kein Tier!“ Ihm wurde bewusst, dass
durch seine Tat vielmehr er einem Tier glich. Und zum zweiten
Mal in seinem Leben weinte er bitterlich, doch diesmal nicht
aus Angst vor dem Verlust seines Verstandes, sondern vor Reue
und Trauer.
So eilte er schließlich zurück zu dem Felsblock,
in dessen Nähe der Körper des Kindes lag und hub ein
Loch aus. Sanft legte er den Jungen dort hinein und bedeckte
ihn mit Erde und Steinen. Konnte er doch den Gedanken nicht
ertragen, dass Aasfresser oder womöglich noch andere Orks
sich an diesem armen, unschuldigen Geschöpf vergehen mochten.
Doch noch immer wollte er weiterwandern, wusste er auch nicht
wohin. Seine täglichen Träume schienen dieses Vorhaben
zu unterstützen, denn in ihnen sah er eine große
wunderschöne weiße Stadt auf die er zulief und in
der die schöne Herrin Galadriel auf ihn wartete. Sein Verstand
war von all den Geschehnissen zu sehr verwirrt, als das er sich
noch Gedanken darüber machte, weshalb diese Elbenfrau ihn
so magisch anzog. Er wusste selbst nicht mehr zu unterscheiden,
wer er war – ein Ork, ein Mensch oder ein Elb.
In seinen Träumen bewegte er sich über geheime Pfade
auf eine Stadt zu, die voller Pracht war. Viele Elben lebten
in ihr und er fühlte sich als einer der ihren. Wohin er
auch blickte, Galadriel schien immer auf ihn zu warten, doch
wenn er sich ihr näherte verschwand sie, wie ein Nebel
vom Wind vertrieben wird. Vielen Leuten begegnete er dort, die
ihn mit einem Namen ansprachen, den er nicht verstand, so sehr
er sich auch bemühte. Sicher und geborgen fühlte er
sich dort, doch spürte er auch eine drohende Gefahr.
Jeden Tag, wenn Thraklok seine Augen schloss, um zu schlafen,
begann ein neuer Tag in dieser ihm unbekannten und doch so wundervollen
Stadt. Und an einem jener Tage brach ein Krieg über diese
Stadt herein. Drachen, Balrogs, Orks und Wölfe stürmten
die Festung der Elben und eine blutige Schlacht entbrannte.
Doch Thraklok kämpfte nicht als Ork, ganz im Gegenteil,
er sah sich selbst die Klinge erheben gegen seinesgleichen.
Selbst die mächtigen Balrogs griff er an und suchte seine
Elbenfreunde gegen sie zu verteidigen.
8
Erschüttert wachte er auf und es schien ihm, als höre
er noch immer den Lärm des tobenden Krieges. Bald merkte
er, dass das Geräusch, das er vernahm ebenfalls Kriegslaute
waren, er aber nicht mehr in seinen Träumen weilte. In
der letzten Nacht hatte er die Grenze des Pelennor erreicht
und hatte sich für den Tag in einer Felslücke versteckt,
auf die er durch Zufall gestoßen war. Um in herum tobte
nun der Kampf. Unzählige Orks stürmten auf eine Stadt
zu, die der aus seinen Träumen sehr ähnlich war. Unbemerkt
war er fast bis vor die Mauern Gondors gelangt, die weiße
Stadt und Heimat der Menschen. Hier standen Menschen und Elben
Seite an Seite, um sich gegen die Angriffe der Dunkelheit zu
verteidigen.
Als Thraklok sich aus seinem Versteck entfernen wollte, wurde
er sofort von einer Gruppe Orks aufgehalten.
„Wo kommst du denn auf einmal her?“ fragten sie
ihn. „Hast wohl versucht dich vor dem Kampf zu drücken.
Daraus wird aber nichts! Komm her und fülle die Lücke,
die diese elenden Menschen uns geschlagen haben.“ Dabei
wies er auf den Leichnam eines Orks, in dessen Kopf ein Elbenpfeil
steckte.
„Aber das ist nicht mein Krieg!“ rief er mutlos.
„Ich bin nur aus Zufall hier hinein geraten.“
„Wenn interessiert das?“ lachten sie ihn aus. „Du
bist ein Ork und du bist hier. Also hilf uns gefälligst
ein Ende mit diesen Würmern zu machen.“ Mit diesen
Worten drückte man ihm eine schwere Axt Schwert in die
Hand und stieß ihn in das Kampfgetümmel.
Unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, blieb er zunächst
stehen. Und erst ein auf ihn niedersausendes Schwert überzeugte
ihn davon, seine Waffe doch zu benutzen. Schnell parierte er
den Hieb, doch als er des Menschen ansichtig wurde, dessen Angriff
er gerade überlebt hatte, gefror ihm das Blut. Jener Mann,
dessen Augen ihn auf dem Amon Hen so erschüttert hatten,
stand nun direkt vor ihm – Aragorn. Doch das Feuer in
seinem Blick war noch intensiver geworden, noch machtvoller.
Voll des Schreckens ob dieser Begegnung versuchte Thraklok zu
entfliehen und es gelang ihm sogar an Aragorn vorbei zu kommen.
Ohne nach vorn zu schauen, rannte er vorwärts, den Blick
beständig auf Aragorn gerichtet. Ein Hindernis brachte
ihn schließlich zu Fall. Er war gegen ein Pferd gelaufen,
dass silbern in der Sonne schimmerte und von einem Mann geführt
wurde, der ebenfalls zu strahlen schien. Zuerst konnte er den
Reiter nicht erkennen, so geblendet war er vom Weiß seiner
Kleidung. Doch der Mann beugte sich zu ihm herunter und blickte
ihn sogar noch freundlich an. Ein weiterer Schock durchfuhr
Thrakloks Körper, denn dies war der Mann, den er in Moria
hatte stürzen sehen. Jener Mann, dessen Anblick ihn zum
ersten Mal Furcht gelehrt hatte.
Gandalf blickte von Schattenfell auf Thraklok hernieder und
ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich hatte gehofft,
dass wir uns eines Tages wiedersehen würden.“ sagte
er. „Doch es wäre mir in einer anderen Form lieber
gewesen.“
„Wovon sprichst du da?“ stammelte Thraklok, der
nunmehr tatsächlich am Rande des Wahnsinns stand. Wie viel
Ungewöhnliches mochte ein einfacher Verstand überstehen?
Er war vor Angst wie gebannt und vermochte sich nicht mehr zu
bewegen, geschweige denn zu fliehen.
„Ich spreche davon, dass dein Weg hier und heute ein Ende
gefunden hat. Es ist an der Zeit für dich ins Licht zurück
zu kehren.“ Langsam hob Gandalf seinen Stab und richtete
ihn auf den verstörten Ork zu seinen Füßen und
rief: „Erinnere dich!“
Und plötzlich durchfuhr ein Blitz Thrakloks Geist und
die langen Jahre seines Lebens, die er vergessen geglaubt hatte,
kehrten zu ihm zurück. Doch die Erinnerung war schmerzvoll
und er schloss die Augen und ging, wie in seinen Träumen,
dahin zurück, woher er ursprünglich einmal gekommen
war.
9
Vom Tal aus, blickt er zur Stadt hinauf – Gondolin, die
weiße Schönheit und letzte Hoffnung für die
verstreuten Elben Beleriands. Lange war es her, dass er das
Malm-Eis zusammen mit Fingolfins Getreuen überquert hatte
und ebenso lange suchte er nach dem Antlitz Galadriels, mit
der er gemeinsam den gefährlichen Weg gegangen war und
in die er sich hoffnungslos verliebt hatte. Doch wieder war
es nur eine Täuschung seines Herzens gewesen, als er vermeinte
sie in der Menge gesehen zu haben. In den Wirrungen des Kampfes
gegen Morgoth hatten sich ihre Wege getrennt und nun hoffte
er jeden Tag darauf, dass sie hierher, in den Schutz Gondolins,
finden würde.
„Du suchst vergeblich nach ihr.“ sagte Glorfindel,
sein treuer Freund. „Nur unter Führung eines anderen
Noldor vermag man den Eingang zur Stadt zu finden. Doch keiner
von uns begegnete ihr bislang. Finde dich damit ab, dass ihr
Weg ein anderer ist als der deine – so schmerzvoll dies
auch für dich sein mag.“
„Du hast Recht, Glorfindel, doch mein Herz ist nicht gewillt
so leicht zum Schweigen gebracht zu werden.“ antwortete
er.
„Dann lass uns hinüber zu den Feierlichkeiten gehen,
Ormeldaron, auf das dein Herz zumindest abgelenkt werde von
seinem Kummer.“ Ecthelion, Hauptmann Gondolins und ein
ebenso guter Freund wie Glorfindel, nahm ihn am Arm und zog
ihn mit sich in Richtung der Mauer, auf der das Sonnenfest stattfand.
Ormeldaron, wurde er genannt, Stärke der Elben, weil er
oft gegen die Schergen Morgoth angetreten war und jedes Mal
siegreich blieb. Groß und schön war er, wie es typisch
für die Elben ist, und sein Haar strahlte in einem Glanze,
als sei es aus den Strahlen der Sonne gesponnen. Einzig seine
Augen unterschieden ihn von den anderen, denn in ihnen war ein
besonderer Funke, Zeichen seiner unendlichen Lebensfreude und
seines Mutes.
Doch noch bevor sie sich den Feiernden anschließen konnten,
brach das Unheil über sie herein. Unzählige Balrogs,
Drachen, Orks und Wölfe drangen von der anderen Seite her
in die Stadt ein. Von einem Moment auf den anderen, sahen sie
sich einer Übermacht von Feinden gegenüber, die den
geheimen Pfad ins Innere der Stadt gefunden hatte. Schnell griff
Ormeldaron nach seinem Schwert, um seinem Namen Ehre zu machen
und die Stadt zu verteidigen, die seine Heimat geworden war.
Wild schlug er auf den ersten Ansturm von Orks ein und tötete
viele von ihnen. Glorfindel und Ecthelion waren von seiner Seite
gewichen, abgedrängt von Wölfen, die geifernd nach
ihnen schnappten. Immer weiter entfernten sie sich voneinander,
dass Ormeldaron seine Freunde aus den Augen verlor und allein
den Angreifern Herr werden musste.
Schließlich entdeckte er Ecthelion, wie er sich Gothmog,
dem mächtigsten aller Balrogs, entgegenstellte. Schnell
rannte er die Treppen hinab, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen,
doch es war bereits zu spät. Ecthelion hatte Gothmog besiegt,
doch nicht ohne einen hohen Preis zu zahlen. Schockiert sah
Ormeldaron, wie sein Freund tot zu Boden glitt. Dann verlosch
das Licht seiner Augen, denn die stumpfe Seite einer Ork-Axt
hatte seinen Schädel getroffen.
Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, befand er sich in einem
grausigen Gewölbe, das nur ein Kerker sein konnte. Als
er die Augen öffnete blickte er in das schreckenvollste
Antlitz, dass er je erblickt hatte, denn Morgoth selbst beugte
sich über ihn.
„So bist du also wieder bei Bewusstsein. Doch freue dich
nicht zu sehr darüber, denn wenn du erst meine Gastfreundschaft
genossen hast, wirst du dir wünschen, du wärest niemals
erwacht. Lange schon jage ich deinesgleichen, denn dein Volk
hat mir viel Übel verursacht. Es freut mich umso mehr,
dass ich einen ihrer Helden nun zu einem der meinen machen kann!“
Mit einem bösartigen Lachen verließ er den Raum wieder,
doch winkte er zuvor noch seinen Dienern. Fünf Orks bewegten
sich auf sein Zeichen auf Ormeldaron zu und schleppten ihn in
einen anderen Raum. Was dort geschah, ist zu schrecklich, zu
sehr voller Grauen, als das es hier beschrieben werden sollte.
Eines jedoch ist gewiss, sie quälten den edlen Elb, auf
eine Weise, wie sie nur der dunkle Herrscher ersinnen kann.
Viele Tage und Nächte marterten sie seinen Körper
und seine Seele, bis er sich am Ende ergab. Sein innere Stärke
und Schönheit war zerstört und zurück blieb eine
Lebensform, die von allen übrigen als Ork bezeichnet wird.
Die geschwärzte Seele eines ehemals edlen Wesens in einem
gepeinigten Körper.
Die Qualen, die er hatte erleiden müssen, hatten seinen
Verstand zerrüttet und ihn ohne Erinnerung an sein altes
Ich zurückgelassen. Und so schloss er sich den Sklaven
Morgoth’ an und zog mit ihnen in den Krieg.
Nun, da seine Erinnerung erwacht war, erlebte er erneut, wie
vielen Elben er das Leben genommen hatte. Diesmal jedoch, füllte
dieses Wissen seinen Geist mit Schmerz, Mitleid und Reue. Wie
hatte er nur vergessen können, wer er einst gewesen war?
10
Und wieder einmal schlug er die Augen auf und noch immer lag
er am Boden zu Gandalfs Füßen. Ein ganzes Leben war
in seinem Verstand vorübergezogen, doch im Jetzt waren
nur Augenblicke verstrichen. Voller Tränen blickte Thraklok,
in Gandalfs mitleidvolle Augen, denn obwohl sein Verstand wieder
erwacht war, wohnte er immer noch im Körper eines Orks.
„Wie kann ich wiedergutmachen, was ich an Bösem in
dieser Form verursachte?“ fragte er ihn. Und Gandalf antwortete
„Nur du allein kannst einen Weg finden, den Valar zu beweisen,
dass du Reue empfindest und deine Taten bedauerst, dass das
Licht in deine Seele zurückgefunden hat.“ Mit diesen
Worten ritt er von dannen. Thraklok blieb allein im Schlachtengetümmel
und mit seiner Schuld zurück.
Er blickte sich um und entdeckte Dutzende von Toten und Sterbenden,
Menschen, Elben und Orks. Nicht länger durfte er der sein,
den andere in ihm sahen, entschied er. Es war an der Zeit wieder
der zu werden, der er einst war und sich gegen die drohende
Dunkelheit zu erheben! Nicht weit von ihm entfernt sah er Aragorn,
der sich tapfer gegen eine Schar Orks zur Wehr setzte. „Jenem
Großen unter den Menschen will ich meine Dienste zur Verfügung
stellen.“ sagte er sich und bewegte sich auf den zukünftigen
Herrscher Gondors zu. Er hatte ihn noch nicht erreicht, da entdeckte
er Nazrót, seinen alten Feind, wie er sich mit gezücktem
Schwert dem König näherte. Aragorn hatte ihm den Rücken
zugewandt und war sich so der drohenden Gefahr nicht bewusst.
Schreiend stürmte Thraklok auf ihn zu, um ihn an seiner
grausamen Tat zu hindern. Durch den Schrei Thrakloks aufgeschreckt,
blickte Aragorn in seine Richtung, so dass Nazrót nun
freie Bahn zu haben schien. Immer schneller stürmte Thraklok
vorwärts und mit einer letzten Anstrengung warf er sich
zwischen Aragorn und Nazrót. Seine Axt drang tief in
Nazróts Herz, auf dessen Gesicht sich gleichermaßen
Erkennen wie Verwirrung abzeichnete. Und so galten die Worte,
die er mit seinem letzten Atemzug ausstieß seinem alten
Widersacher: „Du? Wie konntest du mich finden?“.
Er sackte zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Thraklok wandte sich zu Aragorn, um sicher zu gehen, dass er
keinen Schaden davongetragen hatte. Als er in seine Augen blickte,
war er verwundert, denn er sah dort Erstaunen, aber auch Mitleid
und Gram. Bevor er noch nach dem Grund dafür fragen konnte,
spürte er einen heftigen Schmerz in der Mitte seines Leibes,
der ihn zu zerreißen drohte. Kraftlos sank er nieder.
Aragorn beugte sich über ihn und berührte sanft das
Schwert, das aus Thrakloks Bauch ragte. „Dieser Streich
sollte mir gelten.“ flüsterte er. „Welche Wunder
mag der heutige Tag noch bringen, da ein Ork bereit ist, sein
Leben für einen Menschen zu opfern? Denn niemals zuvor
hat ein Diener der Finsternis einem Menschen Gutes getan.
Mein ewiger Dank für deine Tat sei dir versichert, doch
verrate mir, weshalb du so handeltest? Erkläre es mir,
denn es mag Hoffnung bringen für Menschen wie Orks.“
Doch Thraklok vermochte seinen Mund nicht mehr zu öffnen,
denn die Wunde, die Nazrót ihm geschlagen hatte, war
zu tief. Sein Blick verdunkelte sich langsam, während seine
Seele sich auf den Tod vorbereitete. Jetzt aber sah er Gandalf,
in ein strahlendes überirdisches Licht gehüllt. Und
er vernahm die Worte, die er zu Aragorn sprach. „Einst
war er ein Edler unter den Eldar, der durch die Macht und die
Folter des Bösen zu dem gemacht wurde, was du jetzt hier
erblickst. Einst lautete sein Name Ormeldaron, damals als ich
ihm in Valinor begegnete. Doch er verließ das Segensreich,
um nach Beleriand zu gehen – wäre er doch nur geblieben.
Gefangen in Gondolin, wurde er in einen Ork verwandelt und sein
Name war fortan Elbenpein. Eine Ironie, denn nicht nur den anderen
Elben fügte er Pein zu, sondern vor allem sich selbst.
Doch sein Schicksal ist nun besiegelt und das Böse, das
er verursacht gesühnt, durch seine selbstlose Tat dich
zu retten.“ Schließlich beugte er sich über
Ormeldaron und flüsterte „Heimwärts führt
nun dein Pfad, zurück zu jenen, die du einst gekannt. Im
Tode sollt ihr wieder vereint sein.“
So starb der Ork, der einst ein Elb war. Was aber geschieht
mit jenen, die sterben? Seit jeher gehen die Elben, die im Kampf
oder vor Gram gestorben waren, ein in die Hallen Mandos auf
Valinor. Beides trifft auch auf Ormeldaron zu, denn er starb
an den Wunden eines Kampfes und der Kummer, der ihn erfüllte,
erleichterte es ihm. Orks jedoch sind nicht erwünscht in
den Landen der Unsterblichen, wohin also gehen sie?
11
Als Ormeldaron seine Augen im Jenseits öffnete, war er
erstaunt, über all die Schönheit und das Licht um
ihn herum. Er blickte an sich herab und sah, dass er edle Kleider
trug. Aus feinsten Stoffen gewebt und in leuchtenden bunten
Farben. Und er betrachtete seine Hände und stellte voller
Freude fest, dass er den Körper eines Orks nicht länger
bewohnte, sondern wieder in jenem Leib wandelte, in dem er geboren
worden war. Er war wieder ein Elb und als er sich umschaute,
sah er Ecthelion, seinen getreuen Freund aus Gondolin und viele
andere, die er in seinem Leben geliebt hatte. Freudig begrüßten
und umarmten sie ihn.
Die Valar hatten ihm vergeben und ihm Einlass gewährt in
die Pracht und Schönheit Valinors. Der dunkle Pfad, auf
dem er gewandert war, hatte ihn am Ende ins Licht geführt.
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