Die Stimme des Ekklesiarchen
schwoll immer mehr an. Bald würde er den Höhepunkt des
„Opus Regis“ erreicht haben, dann würde die volle
wohltönende Stimme des alten Mannes die ganze graudunstige
Kuppel der großen Kathedrale von Vanitas ausfüllen.
Nur Ekklesiarch Probas schaffte es im ganzen höhlenartigen
Dom gehört zu werden. Dabei war der eher schmächtige
alte Mann mit dem Kranz grauer Haare um den rasierten Kopf im
riesigen Choraum kaum zu sehen. Der Schall seiner Worte brach
sich an den hundert Metern hohen grauen Mauern mit ihren riesigen
gotischen Fenstern und brandete zurück über die Menge,
die sich versammelt hatte um ihn zu hören und Ihn auf Erden
zu feiern.
Probus war ein Meister der Dramaturgie. Gerde als er den Gipfel
der heiligen Anrufung ereichte und seine Stimme sich schier überschlug,
brach das Licht der aufgehenden Sonne durch die haushohen Bundglasfenster
und badete die wartenden Massen in heiliges, warmes Licht.
Merkius spürte religiöse Verzückung in sich aufsteigen.
Probus war ein heiliger Mann: Seine Worte brachten einen näher
an den Imperator. In Momenten wie diesem konnte man die Macht
und die Gegenwart von Ihm auf Erden spüren. Minutenlang schwebten
der junge Ministrant und die sprachlose Menge in transzendentaler
Erhabenheit. Alls sich seine Sinne wieder klärten war der
Gottesdienst fast beendet. Merkius musste sich beeilen, seinen
Platz in der Auszugsprozession ein zu nehmen.
Busfertig warf er sich vor dem kleinen goldenen Reliquienschrein,
welcher auf einem gesalbten Podest vor ihm stand, auf den Boden.
Genau acht Herzschläge lang berührte seine Stirn die
kalten Marmorplatten, bevor er sich mit gesenktem Haupt erhob
um das heilige Gefäß vorsichtig auf zu nehmen.
Er reihte sich an dreiundsechzigster Position in die Prozession
ein, denn das Artefakt, welches er trug, war das dreiundsechzigste
der Achtundachtzig Heiligen Reliquien des Schreines von Vanitas.
Während er langsam und gemessenen Schrittes das gewaltige
Hauptschiff der Kathedrale durchquerte wanderte sein Blick wie
unzählige Male zuvor über die Intarsien der goldenen
Lade. Sie zeigten die Krieger des Imperators in ihren Vollrüstungen,
wie sie die Feinde der Menschheit niederwarfen. Über der
Szene, auf dem schweren Deckel des Gefäßes, thronten
zwei Vögel, die Merkius noch nie gesehen hatte, denn auf
Vanitas gab es solche Kreaturen nicht, von denen er aber wusste,
dass es Raben waren. Zu gerne hätte der Ministrant das Wappentier
jener Krieger, die vor unzähligen Äonen seinen Heimatplaneten
aus der Dunkelheit befreiten, einmal lebend gesehen. Oft, wenn
auf seiner schmalen Pritsche in der Kammer des Artefaktes lag
und nicht schlafen konnte, malte er sich die majestätische
Erscheinung dieser Vögel aus. Wie wunderbar musste es auf
Terra sein, im Garten von Ihm auf Erden.
Als sie den riesigen Dom verlassen hatten, brachten die Ministranten
ihre Artefakte schweigend in die jeweiligen Kammern. Es war ihnen
bei Todesstrafe verboten, ihren Körper mit Worten zu entweihen,
während sie die heiligen Reliquien trugen. Eigentlich sollten
sie auch nicht denken, aber das war etwas, was Merkius unmöglich
war. Also nutzte er die Zeit die er brauchte, den Schrein zu salben
und auf seinem Sockel ab zu stellen, die Kabel und Schläuche
in der katechistischen Reihenfolge an zu bringen und schließlich
die nötigen Psalme auf zu sagen, um über die Reliquie
selbst nach zu denken.
So konnten seine Gedanken wenigstens nicht unkeusch sein. Er bedauerte,
dass er so wenig über den Gegenstand wusste, dem er sein
Leben gewidmet hatte. Seid seiner Aufnahme in den Schrein der
Achtundachtzig Heiligen Reliquien vor wenigen Jahren schlief und
lebte er in der kleinen Kammer des Artefaktes und würde voraussichtlich
auch hier sterben. Merkius war sich der großen Ehre und
Verantwortung die auf ihm lagen bewusst und er dankte dem Imperator
auf Knien, das sein Leben mit diesem höheren Sinn gesegnet
war, jedoch hätte er gerne gewusst, was sich genau in der
goldenen Lade befand.
Alles was er wusste war, das es sich um ein Überbleibsel
eines jener gewaltigen Krieger handelte, die vor undenkbarer Zeit
den Planeten für den Imperator eroberten und ihn aus seiner
Dunkelheit in das strahlende Licht der Zivilisation zurück
geführt hatten. In den fünf heiligen Büchern musste
mehr über das Artefakt stehen, nur gab es unglücklicher
weise niemanden mehr, der sie alle lesen konnte. Die fünf
Bücher waren der größte Schatz, den Vanitas besaß.
In ihnen war die Geschichte seid der Besiedelung des Planeten
aufgeschrieben und im letzten der Bücher schrieb Ekklesiarch
Probus noch heute. Sie waren die ersten und ältesten der
Artefakte. Das erste Buch war so alt, das es noch aus der Zeit
vor der Befreiung und schließlich auch über den Kampf
selbst berichtete, allerdings war es auch in der fremden und archaischen
Sprache jener dunklen Periode abgefasst. Dennoch gab es bis vor
wenigen Jahren einen Menschen, der diese Sprache kannte und die
Schrift lesen konnte: Der Hüter des Ersten Buches hatte sein
Geheimnis von Generation zu Generation an seinen Nachfolger weiter
gegeben und obwohl er nie in dem Folianten lesen durfte hätte
er es gekonnt.
In dem Jahr bevor Merkius der Bruderschaft der Achtundachtzig
Heiligen Reliquien beitrat war der alte Hüter des Ersten
Buches dem Wahnsinn verfallen, ohne sein Geheimnis weiter zu geben.
Mann erzählte sich er habe heimlich in den Seiten geblättert
und was er dort gelesen habe, habe ihm den Verstand geraubt. Der
alte Mann war aus der Abtei geflohen und wilde Prophezeiungen
ausstoßend über Vanitas gezogen. Merkius selbst war
ihm einmal begegnet und diese Erfahrung war so unheimlich gewesen,
dass sie sich für immer in seinem Gedächtnis eingebrannt
hatte. Mit wahnsinnigen Augen hatte der gefallene Mönch auf
dem Marktplatz seines Heimatortes gestanden und mit schriller
Stimme geschrieen:
„Seht die Schlange die sechs Augen hat! Ihrer drei Zungen,
aber nur einen Leib! Sie war der Bruder des Raben und gemeinsam
legten sie Feuer an die Fundamente unserer Väter! Aus der
Asche des Feuers entstand eine neue Welt, eine Welt für Ihn
auf Erden. Aber er wurde verraten! Bruder kämpfte gegen Bruder!
Die Schlange überfiel den Raben, denn ihr schrecklicher Herr
wollte es so! Fürchtet die Schlange! Noch immer ist ihr Erbe
bei uns!“
Unwillkürlich schüttelte sich Merkius als er an jenen
Tag zurück dachte. Der Vorfall hatte sich weit herum gesprochen,
soweit dass nach einiger Zeit ein Inquisitor aus dem Segmentum
gekommen war um für Ordnung zu sorgen. Der verrückte
Alte, der frühere Abt und Ekklesiarch und einige Andere waren
auf nimmer Wiedersehen verschwunden.
Merkius verdrängte die düstere Erinnerung. Es war spät
geworden, Zeit für das Abendessen. Die Mahlzeiten, waren
die einzige Zeit, die die Ministranten zusammen verbrachten und
Merkius freute sich darauf die anderen zu sehen. In der Halle
der Achtundachtzig setzte er sich an seinen Tisch und bald darauf
erschien auch sein Freund Luktius. Sie hatten zusammen die Akolythenschule
besucht und waren dann gemeinsam in die Bruderschaft aufgenommen
worden. Luktius war der neue Hüter des Ersten Buches.
Der junge Mann mit dem roten runden Gesicht schenkte Merkius ein
freundliches Lächeln als er sich zu ihm setzte. Eine Weile
aßen sie schweigend, aber Merkius merkte, das sein Freund
über irgendetwas aufgeregt war. Schließlich beugte
sich Luktius zu ihm herüber und flüsterte:
„Hast du schon gehört? Ein Schiff aus dem Segmentum
ist heute Morgen gelandet!“
Natürlich hatte Merkius davon noch nichts gehört, denn
schließlich war es ihm und allen angehörigen der Bruderschaft
verboten die Abtei zu verlassen.
„Nein.“, antworte Merkius, „Aber woher weißt
du…“ der junge Ministrant unterbrach sich und starrte
seinen Mitbruder aus schreckensgeweiteten Augen an. „Du
hast dich wieder mit diesem Weib getroffen!“ presste er
vorwurfsvoll hervor. Luktius war ein Gefallener. Vor einigen Wochen
hatte er sich auf eine unkeusche Beziehung zu einer Gottesdienstbesucherin
eingelassen! Eigentlich hätte Merkius ihn sofort melden müssen,
aber dann hätte man Luktius vermutlich hingerichtet und er
hätte seinen einzigen Freund verloren.
„Psst!“ machte der Andere und schaute sich hektisch
um, aber niemand hatte sie gehört. „Ja, ja ich habe
mich mit ihr getroffen.“ gab er schließlich zu und
hatte genug Anstand beschämt drein zu blicken „Aber
viel wichtiger ist, was sie mir gesagt hat. Auf dem Schiff war
ein Krieger des Adeptus Astrates! Und nun rate wo er hin will?“
Merkius war noch immer geschockt von der Schandtat seines Freundes
und so begriff er nicht gleich was der wollte. Regungslos starrte
er in Luktius´ erwartungsvolles Gesicht.
„Er will zu und, Merkius, zu den Artefakten. Wir werden
einen Space Marine sehen!“
„Du meinst…ein echter Krieger des Imperators? Bei
uns?“ endlich ließ er sich von er Begeisterung seines
Freundes anstecken. Aller Frevel war vergessen. War das aufregend!
Wie zwei Schuljungen tuschelnd saßen sie zusammen, bis es
Zeit war in die Kammern zurück zu kehren.
Merkius hatte sich gerade den Kopf rasiert um die rituellen
Narben die ihn schmückten hervor zu heben, wie es Pflicht
war in der Abtei. Er machte sich für das Abendritual bereit
und wollte dann eigentlich zu Bett. Kaum hatte er jedoch seine
einzige Kutte wieder an gezogen, als sich die Tür seiner
Kammer schwungvoll öffnete.
Der junge Ministrant fuhr erschrocken herum. Das war ein Sakrileg!
Niemand durfte die Kammern der Artefakte betreten ohne vom Hüter
eingelassen zu werden. Und der Hüter dieser Kammer war
er selbst: Merkius.
„Was soll …“ setzte er an, aber die Gestalt,
die in den Raum trat lies ihn verstummen. Der Mann trug keine
Rüstung oder Uniform, aber Merkius wusste sofort, das dies
der Krieger des Adeptus sein musste. Der Mann musste den Kopf
einziehen um unter dem mehr als zwei Meter hohen Türsturz
hindurch zu kommen, seine Brust war breit wie ein Fass und auch
wenn sein Körper unter einer weiten schwarzen Robe verborgen
war konnte man die ungeheure Kraft spüren, die von ihm
ausging. Unter der weiten Kapuze der Robe war ein fein geschnittenes
aber entsetzlich blasses Gesicht zu sehen. Auf der Stirn des
Eindringlings prangten acht goldene Nieten. Merkius starrte
ihn mit offenem Mund an.
„Ist das die Kammer des dreiundsechzigsten Artefaktes?“
fragte der Marine mit harter Stimme, kalt wie Eis.
Endlich fand Merkius die Sprache wieder. Er bewunderte die Krieger
des Imperators, aber das Auftreten des Mannes verletzte die
Etikette und auch ein wenig seinen Stolz.
„Ja, das ist sie, aber ihr könnt nicht einfach…“
Die kalten Augen des Anderen fixierten Merkius.
„Was kann ich nicht? Euer Abt hat mir erlaubt alle Artefakte
zu betrachten!“
„Ja, natürlich.“ gab der Ministrant eingeschüchtert
klein bei, „Da ist es.“ Er deutete auf den Sockel
auf dem der goldene Reliquienschrein ruhte.
Ohne weiter auf Merkius zu achten schritt der Marine auf das
Artefakt zu. Der junge Mönch beeilte sich schritt zu halten.
Einen Augenblick schien der Krieger die Lade eingehend zu betrachten,
dann fragte er:
„Wie kann man sie öffnen?“
Merkius Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er lief rot an und
hätte sich fasst vor Schreck an seiner eigenen Zunge verschluckt.
„Sie…Sie öffnen?“ stotterte er, „Herr,
das ist völlig unmöglich!“
Doch der Marine hatte ihn falsch verstanden. „Hm, dann
werde ich die ganze Lade mitnehmen müssen.“ Schon
griff er mit seinen starken Armen nach der goldenen Kiste.
„Nein!“ aufschreiend warf sich Merkius über
den Schrein. „Ihr dürft das Artefakt nicht nehmen!
Das ist Raub! Der Abt würde es nie gestatten!“
Überrumpelt wich der Marine einen Schritt zurück.
Die Überraschung in seinem Gesicht wich aber schon bald
blanker Wut.
„Weg mit dir!“ spie er aus und wollte Merkius packen.
„Nur über meine Leiche.“ beharrte dieser und
für einen Augenblick sah der Ministrant das auflodern blanker
Mordlust in den Augen seines Gegenübers. Die Hand des Kriegers
fuhr ihm an den Hals, aber anstatt ihm das Genick zu brechen,
tätschelte sie ihm nur die Backe. Die Wut verschwand so
plötzlich aus dem Gesicht des Marine wie sie gekommen war
und machte einem diabolischen Grinsen Platz, dann lachte der
Mann laut auf.
„Nun gut, kleiner Mann. Ich werde mit deinem Abt sprechen.
Glaub mir, er wird es erlauben“. Damit wand er sich um
und schritt mit wehender Kutte aus dem Raum.
Als der Mann schon lange fort war stand Merkius noch immer vor
der Lade und sein Herz raste. Als der Marine ihn angegriffen
hatte war dessen Kutte ein Stück den Arm hoch gerutscht
und was Merkius dort gesehen hatte lies ihn glauben nur sehr
knapp dem Tode entronnen zu sein.
Seine Sandalen klapperten laut auf den uralten Mosaiken, die
die Kreuzgänge des Klosterkomplexes bedeckten. Er hatte
keine Zeit und nicht die Muse, die kunstvollen Bilder längst
vergangener Weihetaten zu betrachten. Merkius hatte es eilig
und seine Mitbrüder warfen ihm abfällige und erstaunte
Blicke hinterher. Es gehörte sich nicht für einen
Mönch und Ministranten so durch die heiligen Hallen zu
rennen. Aber das war Merkius egal. Wenn er recht hatte musste
er sich beeilen. Lag er falsch, so hätte er noch mehr als
genug Zeit Buße zu tun.
Er war an vier der großen Hauptkorridore vorbei geeilt
und bog nun in den ersten der acht Gänge ein. Sein Ziel
war die erste der zehn Türen: Die Kammer des Ersten Buches.
Vor dem Portal blieb er stehen. Was er vorhatte war ein Sakrileg,
aber er musste es einfach tun. Er konnte vielleicht großen
Schaden von Vanitas abhalten. Der Imperator würde das verstehen.
Er musste! Noch einmal atmete er tief durch, dann klopfte er.
Nichts. Er klopfte erneut und dann noch mal. Und noch mal. Immer
fester hämmerte er gegen die große verzierte Tür.
Endlich schwang die Tür nach innen. Ein verschlafener Luktius
stand im Rahmen und schaute seinen Freund verwundert an.
„Merkius? Weist du wie spät es ist?“
Merkius stürmte an seinem Freund vorbei in die Kammer.
„Schließ die Tür Luktius!“ zischte er.
„Was ist den los, du siehst aus als wäre dir der
Imperator persönlich erschienen.“ nuschelte sein
Freund als er langsam die Tür ins Schloss schob.
„Etwas Schreckliches geht vor! Er ist der Falsche! Aber
…Wo ist das Buch!“
„Der falsche was? Imperator. Geht es dir gut?“ Nur
langsam wurde der Hüter des Buches munter.
Merkius packte seinen Mitbruder an den Schultern. „Wo
ist das Buch! Das Schicksal des Klosters hängt davon ab.“
„Dahinten! Wo es immer ist!“ Luktius nickte in Richtung
eines kleinen Alkovens weiter hinten in der Kammer. Sofort stürmte
der andere Mönch darauf zu. In einem schützenden Glaskasten
lag das fast dreißig Zentimeter dicke in schmuckloses
Leder gebundene Buch.
Hektisch fingerte Merkius an dem Behälter herum, ohne ihn
auf zu bekommen.
„Was hast du vor?“ Luktius schien vom außergewöhnlichen
Verhalten seines Freundes eher fasziniert als beunruhigt.
„Wie bekomme ich es auf?“ fragte Merkius atemlos.
„Gar nicht.“ erklärte der Hüter ruhig.
„Es ist verboten das Buch zu berühren oder darin
zu lesen.“
„Das weis ich doch. Aber es ist ein Notfall!“
„Willst du mir nicht erklären um was es geht?“
„Das kann ich nicht! Erst will ich mir sicher sein!“
Schweiß glänzte auf Merkius Stirn.
„Dann kann ich auch nichts für dich tun.“ Erstaunlicherweise
blieb der junge Mönch die Ruhe selbst. Er hatte sich schon
immer Sorgen um seinen Freund gehabt. Merkius legte einfach
zu viel religiösen Eifer an den Tag. Kein Wunder also,
dass er seine Träume für Visionen hielt. Er würde
sich schon wieder beruhigen.
„Oh doch! Das kannst du. Öffne diesen verdammten
Kasten und las mich das Buch lesen!“ Merkius schaute seinem
Freund jetzt direkt in die Augen.
„Aber das ist verboten, das weißt du.“ Langsam
machte er sich doch sorgen. So hatte er seinen Mitbruder noch
nie erlebt.
„Genau so verboten wie der Kontakt zu Frauen.“ konterte
Merkius, der sich ein wenig zu beruhigen schien.
Luktius Augen weiteten sich vor entsetzten. „Du würdest
mich doch nicht…“
„Natürlich nicht, aber ich bitte dich: Zeig mir das
Buch.“
Einen Augenblick schauten sich die Freunde nur schweigend an,
dann schüttelte Luktius resignierend den Kopf. Er griff
an Merkius vorbei und öffnete mit einer geübten Bewegung
den Glasdeckel.
„Sei bloß behutsam.“ mahnte er.
Ehrfürchtig hob Merkius den Folianten aus seinem jahrtausende
altem Bett. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn,
als er daran dachte, das er vielleicht der erste Mensch war,
der dieses Buch seit unermesslich langer Zeit wieder in den
Händen hielt.
Es war schwerer als er gedacht hatte und der weiche Ledereinband
gab in seinen Händen ein wenig nach. Behutsam trug er das
Buch zu einem nahen Tisch, legte es ab und schlug langsam die
erste Seite auf. Das Papier raschelte und der Leim im Buchrücken
knarrte. Die Zeit hatte die Seiten spröde werden lassen
und Merkius spürte, das er, wenn er nicht vorsichtig war,
leicht eine davon herausbrechen konnte.
Die Schrift war verblasst und das Papier vergilbt. Seite um
Seite waren mit eintöniger und fremdartiger Maschinenschrift
beschrieben. Merkius glaubte einige Buchstaben wieder zu erkennen
und vielleicht wäre es ihm sogar möglich gewesen,
einzelne Worte zu entziffern, aber er wusste, dass er die Sprache
nicht verstehen würde. Das war auch gar nicht was er suchte.
Er suchte nach Bildern. In den ersten Kapiteln waren nur einige
wenige Karten zu sehen. Der junge Ministrant erkannte darauf
die Kontinente Vanitas´ wieder, aber vieles war anders:
Dort wo heute große Städte lagen war nichts als Ödland,
dafür schien das Meer vor Leben nur so zu wimmeln. Aus
irgendeinem Grund hatten sich die Siedler in gewaltige Unterwasserstädte
zurückgezogen. Die einzigen Gebäude an Land waren
große Maschinen, welche Wolken zu produzieren schienen.
„Was ist das?“ fragte Lukitus, der ihm über
die Schultern blickte. „Terraformer?“ las er stockend
vor.
„Du kannst diese Schrift lesen?“ fragte Merkius
verblüfft.
„Ja, du nicht? Sieh, es ist wie gotisch nur einfacher,
klarer.“
Lukitus hatte Recht. Wenn man die Buchstaben etwas genauer betrachtete,
schienen sie dasselbe Alphabet zu bilden wie imperiales Gotisch.
Das war ganz schön nur nützte es ihnen nichts, da
die Sprache ihnen genau wie Merkius vermutet hatte fremd war.
Er blätterte weiter, fand aber immer noch nicht, was er
suchte.
Sie hatten das Buch fast durchgeblättert, als sie das erste
mal ein bekanntes Wort lasen. „Ravenguard“ flüsterte
Merkius. Auf der Seite war das Bild eines gewaltigen Raumschiffes
auf dem das Zeichen der Ravenguard Space Marines prangte.
Aufgeregt blätterten sie weiter. Mit jeder Seite wurden
die Bilder martialischer. Sie sahen fremde Armeen Aufstellung
nehmen. Sahen Panzer und Raumschiffe und schließlich sahen
sie Krieg. Die Marines kämpften gegen die Einwohner des
Planeten. Die Schlacht schien sich lange hin zu ziehen und so
unglaublich es war: die Ravenguard schien zu verlieren!
„Das ist ja…“ Luktius fehlten die Worte.
„Jetzt wird mir klar, warum es verboten war in den alten
Büchern zu lesen.“ erklärte Merkius, „Die
Befreiung war eine Eroberung und lief wohl nicht ganz so, wie
die Ekklesiachie es uns glauben machen will.“
„Aber irgendwie müssen die Krieger des Imperators
doch gewonnen haben!“ beharrte Luktius. Der junge Mann
machte einen sehr unbehaglichen Eindruck. Es gefiel im gar nicht
wie sie an den Grundsätzen ihres Glauben herumforschten.
Sie sollten froh sein, das sie erobert worden waren und der
Imperator nun seine schützende Hand über sie alle
hielt.
Sie fanden die Antwort auf seine Frage ein paar Seiten später.
Ein weiterer Orden der Space Marines traf auf dem Schlachtfeld
ein und wendete das Blatt. Als Merkius die Bilder der Imperialen
Soldaten sah wurde er bleich.
„Der Imperator steh uns bei. Die Schlange die sechs Augen
hat! Ihrer drei Zungen, aber nur einen Leib!“ flüsterte
er.
„Was faselst du da? Das ist eine Hydra.“ erklärte
ihm Lukitus.
Aber sein Freund hörte ihn schon nicht mehr. Schnell überflog
er die nächsten Seiten und nach einer weile löste
imperiale Handschrift die fremde Maschinensprache ab.
„Siehst du? Das Gute hat gesiegt, wie es in den Kateschismen
steht.“ sagte Lukitus sichtlich erleichtert. Er ging zu
seinem Bett und griff zu einer Flasche Wasser die daneben stand.
„Es ist also doch alles war. Nur diesen anderen Orden
hat man vergessen. Ich frag mich nur, warum. Ich habe noch nie
etwas von einer ´Alphalegion´ gehört.“
Während sein Freund schon sich schon wieder im Schoss der
Imperialen Kirche sah fand Merkitus den Beweis für seine
schlimmsten Befürchtungen. Auf der letzten Seite des Buches
stand in zittriger Handschrift: Bruderkrieg.
Ohne ein Wort des Abschieds war Merkius aus der Kammer des
ersten Buches gestürzt. Was sollte er jetzt tun? Er musste
den Abt warnen. Aber zuerst wollte er die Lade in Sicherheit
wissen. So schnell er konnte rannte er zurück in die dreiundsechzigste
Kammer. Die Blicke seiner Mitbrüder waren ihm jetzt gänzlich
egal, seine Gedanken rasten. Wie konnte es sein, das einer der
Verräter nach so langer Zeit noch am Leben war? Was wollte
er mit den Überresten eines lange toten Kriegers? Und warum
kam er jetzt, nach zehntausend Jahren?
Merkitus riss die Tür zu seiner Kammer auf und als sein
Blick auf das Podium fiel wäre ihm beinahe das Herz stehen
geblieben: Leer. Das Podium war leer. Die Lade war gestohlen.
Er kam zu spät! Drei, vier Herzschläge lang waren
seine Gedanken wie Brei. Zu spät, was konnte er tun. Dann
wand er sich auf dem Absatz um und rannte los. Der Abt musste
es erfahren. Ekklesiarch Probas wüsste Rath.
Die Kanzlei des Klosters lag auf der anderen Seite der Kathedrale.
Als Merkius durch das riesige Kirchenschiff lief fiel sein Blick
auf die gewaltige goldene Statur von Ihm auf Erden, dem Imperator.
Seid er klein war, war Merkius regelmäßig in der
Kathedrale gewesen. Hier hatte er immer Trost und Ruhe gefunden.
Das Abbild des Imperators war ihm eine Stütze gewesen und
jedes Mal wenn er es angeschaut hatte, war es ihm so vorgekommen,
als schaue der Imperator auf ihn zurück. Er hatte sich
behütet gefühlt. Als er nun in das Gesicht der Statue
Blickte sah er nichts: Nur das kalte Gold einer starren Maske.
„Wenn ich gesündigt habe, strafe mich Herr, aber
wende den Schaden vom Kloster ab.“ betete Merkius der
sich plötzlich elend und schuldig fühlte. Er hatte
gegen die Regeln seines Ordens verstoßen. Aber doch nur
weil er das Beste gewollt hatte.
Kopfschüttelnd eilte er weiter. Jetzt war nicht die Zeit
für Theologie. Es war Zeit zum handeln. Außerdem
war es sich doch sicher das Richtige zu tun, oder? Dennoch fühlte
er sich seltsam einsam und verlassen, als er in das Vorzimmer
des Abtes rannte.
„Bruder Merkius?“ der Sekretär des Ekklesiarchen
fuhr überrascht aus seinem Stuhl hoch, „Was tut ihr?
Ihr könnt jetzt nicht…“ Aber Merkitus ignorierte
den Mann und stieß die Tür zum Arbeitszimmer auf.
„…Progenitordrüse…“ hörte
er die Stimme des Ekklesiarchen noch sagen, bevor er sich ohne
zögern vor seinem Abt auf die Knie warf.
„Verzeiht, Herr, aber…“ setzte er zu einer
Entschuldigung an und hob den Blick. Dann aber verstummte er:
Auf dem Schreibtisch des Kirschenfürsten stand die goldene
Reliquienlade aus seiner Kammer. Der Deckel war geöffnet
und Probus, der dahinter stand hatte einen kleinen gläsernen
Kasten daraus empor gehoben in dem ein kleines, braunes Organ
lag.
Hinter sich hörte Merkius die Tür zuschlagen und als
er sich umsah erblickte er den Verräter Marine. In seiner
langen schwarzen Robe stand er vor der jetzt geschlossenen Tür
und schenkte dem Ministranten das selbe diabolische Lächeln
wie bei ihrer letzten Begegnung.
„Habe ich dir nicht gesagt der Abt wird es erlauben?“
„Aber das ist…“ stotterte Merkius fassungslos.
Mit dem rechten Arm, dem Arm auf den die große Hydra tätowiert
war, griff der Alphalegionär unter seine Kutte und zog
eine riesige Pistole hervor. Er hob sie soweit, bis Merkius
in den Lauf der Waffe starrte und einen Moment glaubte der Ministrant
sogar, er könne die Bolterpatrone darin sehen.
„Häresie.“ sagte der Marine und drückte
ab. |