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CHRISTOPHER NIEMANN - "SPRINGBRUNNEN"

"DECKUNG!"

Es war immer das gleiche Spiel. Das schrille Pfeifen kam näher
und die gewaltige Explosion erschütterte die vom Regen aufgeweichte Erde,
schleuderte Metall und Schlamm in Luft und hinterließ einen stechenden Brandgeruch.

Doch diesmal war es anders. Stille.

Meine Augen schauten in den dunklen, wolkenverhangenen Himmel.
Regen prasselte auf mein Gesicht und verwischte die Schlammspritzer auf meiner Haut.
Explosionen erhellten für ein paar Sekunden den Himmel, wie Blitze in einem Gewitter, Laserstrahlen durchzuckten die Luft wie Glühwürmchen in der Nacht und Raketen zischten über mir hinweg. Der brennende Rumpf eines zerstörten Leman Russ Panzers hüllte den Graben in ein schwaches Licht.
Die dunkelblaue, vom Regen durchweichte Uniform klebte kalt an meiner Haut. Der Helm saß schwer auf meinem Kopf. Ich lockerte den Gurt und kniff die Augen zusammen um in der Dunkelheit mehr erkennen zu können.
Ein leichter Dunstschleier zog durch den Schützengraben, vermutlich durch einen weiteren Granateneinschlag. Der Boden und die Wände waren zu unserem Schutz mit Brettern stabilisiert worden. Regen hatte sich in einigen Pfützen gesammelt und die Erde aufgelockert. Überall verstreut lagen bronzene Patronenhülsen zwischen den Metallresten, Holzsplittern und Munitionskisten.
In einem zerfurchten Stück Graben lagen die rauchenden Überreste von Jenkins, Andrews und Benfield. Ich wischte mir den Schlamm aus dem Gesicht und schaute nach rechts.
Knapp neben mir hockte der Funker unseres Trupps, mit dem Rücken an der durchgeweichten Erdwand.
Auch seine Uniform war durchnässt und mit Schlamm überzogen, das Gewehr zwischen den Knien verstaut.
Hendrics schrie scheinbar etwas in sein Funkgerät während er sich mit der anderen Hand den Helm auf den Kopf presste.
Mein Bauch pochte.
Seine Schulterpanzerung zeigte die Nummer 274.
XXIII. Regiment von Haldoran, VII. Kompanie, II. Zug, Einheit 274 unter Führung von Sergeant Ihman und 9 Soldaten.
Vor einer Woche waren wir auf diesem Planeten gelandet. Seitdem hatte es kontinuierlich geregnet.

Ein weiterer Lichtblitz durchzuckte die Abenddämmerung und ich konnte durch den Regenschleier kurz Hendrics Augen sehen. Aus ihnen starrte eine Mischung aus Angst und Verzweiflung. Ich ließ meinen Blick auf den Erdwall wandern. Ein Tausendfüßler krabbelte behände die Wand hoch, stocke kurz an einer kleinen Pflanzenwurzel und verschwand schließlich hinter einem morschen Brett.
Fowler lag neben mir. Seine weit aufgerissenen Augen starren ausdruckslos in den dunklen Himmel. Der Regen hatte das Blut längst aus seinem Gesicht gewaschen und in einer rot-braunen Pfütze unter ihm gesammelt. Dünnflüssig floss es aus einer tiefen Wunde an seinem Hals und verschmolz mit dem Schlamm.
Wie ein Springbrunnen der langsam versiegt.
Mit meiner rechten Hand schloss ich seine Lider.
Sie zitterte.
Sergeant Ihman feuerte ein paar mal mit seiner Pistole über einen Sandsack hinweg, hielt kurz Inne. Er brüllte Jensen und Peters etwas zu und blickte durch das Skop über den Rand. Das Mündungsfeuer des schweren Bolters erhellte flackernd den Graben und zauberte ein Lächeln auf das Gesicht des Sergeants.

Es war immer noch totenstill.
Der Wind kühlte meine nasse Haut.
Ich fror.
Ein Schleier legte sich auf meine Augen und ich hatte Mühe noch etwas zu erkennen.
Brookes sank leblos neben mir zusammen während sich das bläuliche Plasma in seinen Körper fraß. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg in meine Nase. Sein zerschmolzener Plasmawerfer fiel neben ihm in den Schlamm und ließ das Wasser in Sekunden verdunsten.
Ich schloss die Augen und verdrängte das Hungergefühl, welches ich zu verspüren glaubte. Die Kälte kroch langsam meine Beine hoch, wie der Tausendfüßler an der Erdwand.
Ich verspürte einen schmerzhaften Druck in meinem Unterleib und öffnete die Augen. Die Pfütze in der ich saß war eine Mischung aus Blut, Schlamm, Schweiß und Regen. Mein Blick wanderte auf die zerrissene Bauchdecke und auf meine blutverschmierte linke Hand.

Nun konnte ich den Herzschlag in meinem Bauch spüren. Für einen Moment hielt ich den Atem an und dachte an meine Familie auf Elor. Seit 5 Jahren hatte ich sie schon nicht mehr gesehen. In einer Woche sollten wir Heimaturlaub bekommen.

Schlamm spritzt in mein Gesicht und reißt mich aus meinen Gedanken.
Jensen und Peters sind ebenfalls in einem rauchenden Krater verschwunden, Ihmans zerrissener Körper verteilt sich auf dem Erdwall.
Ich spüre eine Hand an meinem Arm und schaue in Hendrics verzweifeltes Gesicht. Seine Augen starren auf meinen zerrissenen Bauch. Tränen laufen ihm die Wangen herunter und sammeln sich an seinem Kinn. Seine Lippen formen Wörter, aber ich vernehme nichts.
Nur Stille.
Als ich die Hand vom Bauch nehme, sprudelt das Blut in einer kleinen Fontäne hinaus.
„Wie ein Springbrunnen der langsam versiegt...“


Der Autor
"Für die Geschichte habe ich ungefähr eine Woche gebraucht. Ich habe sie mehrmals überflogen und auch kleinere Teile gestrichen und auch hinzugefügt, wollte die Geschichte aber kurz und essenziell halten.
Inspiriert hat mich zum einen der Antikriegsfilm 'Der schmale Grat', zum anderen die makabere Spielweise der Imperialen Armee im Wh40k Universum.
Einmal habe ich versucht zu verdeutlichen, dass Krieg nichts mit Können oder Stärke zu tun hat sondern mit Glück und Pech. Ein Soldat der Imperialen Armee ist wie eine Patrone die man abfeuert, nur um seinem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Auch wollte ich die Emotionen zeigen, die Menschen in dem Moment zeigen könnten: Hass, Gleichgültigkeit und Angst; Wachsend aus
der Zuneigung zum Menschen.
Aber ich denke jeder liest und fühlt eine Geschichte anders und daher will ich hier auch nicht zuviel vorgeben."

Die Jury
"Man könnte meinen, man liest eine moderne Version von 'Im Westen nichts neues', nur sehr viel düsterer. Die brutale Darstellung des Kriegsgeschehens ist zu gleichen Teilen schockierend wie genial und passt perfekt in die Vorstellung eines Schlachtfelds im 41. Jahrtausend."
"Hm, war Remarque Vorlage oder Nachmacher?
Ein fantastisch düsteres Bild, das auch die letzte Illusion von Heroismus zerstört. Ich liebe die Beschreibungen, den Tausendfüßler, das Grinsen des Sergeants, die lapidare und unmenschlich trockene Schilderung des Grauens. Eigentlich noch selbst für 40k viel zu düster, aber genial."
"Kurz, knapp und hart, wie ein Faustschlag - der aber ganz fies von hinten kommt. So muss eine Kurzgeschichte sein!"

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