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LENNART PETERSEN - "FEUER UND STAHL"

Mit lautem Zischen setzte das schwere Transportschiff der CV12 „Nemesis“-Klasse auf dem kalten Boden der Landefläche auf. Sein grauer Metallpanzer wurde von unzähligen kleinen Lampen erleuchtet, die das Flugfeld in statischer Gelassenheit säumten. Drei Gestalten standen unweit des Kolosses im Schatten der Kasernen, irgendwo glühte der Stummel einer Zigarette im Dunkel der Nacht.
Im Schiff ertönte ein rumpelndes Geräusch, dann sprang ein Sicherungshebel auf und mit pneumatischem Pfeifen glitt die Rampe hinab zum betonierten Boden. Mondlicht erfüllte den dunklen Laderaum und erhellte die schwarzen Soldaten, deren Gewehre und Materialkisten matt schimmerten.
Von der Kasernenwand lösten sich nun die drei Offiziere und näherten sich mit großen Schritten der Rampe.

‚Nicht mal ´ne verdammte Parade’, dachte Sergeant Croin, der die Rampe geöffnet hatte. Seine verspiegelte Sonnebrille schimmerte im Mondlicht und sein Barett hing ihm wie immer schräg auf dem kahlgeschorenen Kopf. Laut sog er die frische Luft durch die Nase ein, während die drei Gestalten auf ihn zuschritten. Es roch verbrannt.
Als die Männer heran waren und die schwarze Uniform des Hauptmanns zu erkennen war, löste sich Croin von der Stahlwand, an der er gelehnt hatte, und salutierte knapp, den Zahnstocher im rechten Mundwinkel lassend.
„Guten Abend, Sir. Ihre Rettung ist da.“, Croin grinste, gedämpftes Lachen ging durch seinen Trupp, der im Dunkeln des Laderaumes saß.
Der Hauptmann hob kurz die Hand, ignorierte die frechen Worte, was ihm sichtlich schwer fiel, und marschierte die Rampe hinauf.
„Ihr seid also das Planarische Pionierregiment, eh?“, die Stimme des Hauptmanns war dunkel und rau.
„Die besten dieses Universums, Sir.“, Croin kaute auf dem Zahnstocher herum.
„Ich bin Hauptmann Fain, willkommen auf Rectus Sieben, meine Herren.“
Begrüßungsgemurmel ertönte und der Hauptmann nickte kurz.
„Sergeant Tawnor wird Ihnen Ihre Unterkünfte zeigen.“
„Dann mal los!“, Croin brüllte das letzte Wort unvermittelt und während der Hauptmann kurz zusammenzuckte, erhob sich mechanisch die gesamte Einheit, nach Waffen und Ausrüstung greifend.
Fain schüttelte knapp den Kopf, drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Rampe. Croin ging hinterher, die im Takt aufschlagenden Stiefel seiner ihm folgenden Einheit hallten über den gesamten Platz.
„Das is’ also Rectus Sieben“, murmelte der Sergeant und spie den Zahnstocher zu Boden: „Verdammt beschissener Ort, um hier zu sterben.“

Mit malendem Kiefer beobachtete Hauptmann Fain die abrückende Pioniertruppe. Neben ihm seufzte sein Adjutant auf:
„Der is’ verrückt, Sir. ´ne Sonnenbrille um Mitternacht.“
„Die Männer müssen verrückt sein, immerhin sind es Pioniere.“, stellte der Hauptmann fest und drehte sich auf dem Absatz um: „Die Hälfte von denen wird die nächsten Tage nicht überleben – und das wissen diese Kerle auch, sonst wären sie nicht so verdammt unverschämt.“
„Pioniere...“
Der Adjutant folgte dem Hauptmann in die Dunkelheit des Stützpunktes.

„Es ist immer dasselbe!“, Weyle trat mit seinem Militärstiefel gegen das Feldbett, das krachend erzitterte. Croin stand am Fenster der Baracke, an die Wand gelehnt, einen Zahnstocher im Mund. Die Sonnenbrille hatte er abgenommen, sein Gesicht zeichnete eine tiefe Falte. Ohne sich bewegen sprach er: „Ruhig Wey, ruhig Blut.“
„Eben“, mischte sich eine dritte Stimme ein: „Wir haben schon oft ohne gute Ausrüstung arbeiten müssen und hier ist das nicht anders.“
Der Sprechende war Pyro, ein abgebrühter Pionierveteran, der schon länger als Croin im Dienst war. Bei der Schlacht um Evans Hall hatte er einen Granatsplitter gegen den nacktem Kopf bekommen und seit dem litt er an Amnesie. Seinen richtiger Name ging in den Wirren um Evans Hall verloren, sodass ihn die Männer nur noch „Pyro“ nannten. Und dabei war es geblieben.
„Pyro hat Recht“, Teron erhob sich vom harten Bett, sein Barett hing über einem Pfosten, zu seinen Füßen stand ein roter, abgenutzter Werkzeugkoffer: „Und wenn du dich abreagieren willst, dann geh’ doch ´n paar Gardisten klatschen.“
Lachen ertönte und selbst Croin grinste. Die hochnäsigen Gardisten waren ihr speziellen Feinde. Während sie sich im Dreck der Gräben herumschlugen, räumten die gepanzerten Krieger zumeist den ganzen Ruhm ab. Der Pioniertrupp war jedoch davon überzeugt, dass es kein Gardist mit ihnen aufnehmen konnte, schließlich waren sie dem Tod „schon öfters von der Schaufel gesprungen als jeder andere“, wie Pyro immer sagte.
„Schlaft nun“, murmelte Croin, der die dunklen Schemen vor dem Fenster am Rande des Stützpunktes beobachtet: „Wir müssen morgen früh `raus.“
Zustimmendes Brummen ertönte und nach kurzer Zeit verlöschte das Licht in der Baracke VII. Nur Croin stand noch immer am kalten Glas und blickte stumm in die Dunkelheit. Im Hintergrund hörte er das regelmäßige Atmen seiner Männer.
‚Wieder so ein Morgen ohne Abend’, dachte er und kratzte mit dem Zahnstocher auf der Fensterscheibe herum: ‚Imperator hilf’ uns, kein zweites Evans Hall möchte ich erleben, kein zweites Evans Hall...’

Als die Sonne matt über den Horizont blinzelte, stand das Erste Planarische schon auf dem Vorhof seiner Baracke, die Blicke geradeaus gerichtet. Der Himmel war düster und dichte Wolkenberge zogen aus dem Norden heran. Am Horizont sah man das Blitzen von Artillerieeinschlägen und in der Ferne rollte Donner übers Land.
Croin sah die Welt wie immer dunkler, als sie war. Dies mochte zum Teil an der Sonnenbrille liegen, die wieder einmal seine Augen verdeckte. Mechanisch wanderte der Zahnstocher von einer Seite des Mundes zur andere. Hinter ihm zog Pyro geräuschvoll die Nase hoch und spie aus.
Es war sechs Uhr morgens, der Hauptmann war nirgends zu sehen und es fing an zu regnen. Kein Soldat bewegte sich. Die Zeit schritt voran und der Regen verstärkte sich, doch die Pioniere verzogen keine Miene. Ihre braungrünen Uniformen waren regenabweisend und warm, sie waren Nässe gewöhnt wie ein Säugling an die Muttermilch. Nur Teron trug ein breitkrempigen Hut, den er einem Renegaten bei Evans Hall abgenommen hatte. Ein kleiner Bach hatte sich am Krempenrand gesammelt und floss nun stetig dem Boden entgegen.
Als die schwarze Gestalt des Hauptmannes hinter der Ecke des Kommandopostens erschien, salutierte Croin mit einem Grinsen: „Haben wohl den Regenschirm vergessen, was, Sir?“
Fain machte keine gute Figur im strömenden Regen. Er trug eine Regenuniform, doch fror er anscheinend und er hatte seine Hände in den warmen Taschen verkrampft. Mit gedämpfter Stimme rief er dem Trupp: „Folgen sie mir“ zu und entschwand dann sofort in Richtung Transportfläche. Hinter ihm ertönte Lachen und Croin gab das Zeichen zum Abmarsch.
‚Verdammter Schwächling’, murmelte der Sergeant und stapfte mit großen Schritten los: ‚das sind diese Büroständer, die seid Jahren keinen Blut mehr an der Kleidung hatten.’
Sie passierten einige Gebäude und erreichten nach kurzem Marsch durch die erweichte Erde das Transportterminal des Stützpunktes. Dieses war ein großer, geteerter Platz, an den einige Hangar- und Ladeanlagen angrenzten.
„So Männer“, Fain war stehen geblieben und hatte sich zu den Soldaten umgedreht: „Der Transport mit einem Fahrzeug ist zu gefährlich, da der Feind viele Wege vermint hat. Es bleibt also nur noch dies hier.“, er deutete auf einen Kurzstreckentransporter Typ MM9 „Gladiator“. Croin wusste, dass dieses Modell schon seid Jahren nicht mehr produziert wurde.
‚Die stecken wirklich bis zum Hals im Dreck’, dachte er und spielte mit der Zunge am Zahnstocher herum: „Na dann, sagen sie ihren Kindern mit Schießprügeln mal Bescheid, dass die uns nicht vom Himmel holen sollen, Sir.“ Der Sergeant hatte sich an Fain gewandt: „Wie ich sehe, werden wir abspringen müssen – mit Fallschirmen – also gehe ich davon aus, dass wir uns erst mal nicht wiedersehen.“
Der Hauptmann schwieg und nickte. Es gab kein Landeplatz an der Front, den improvisierten Flugplatz hatten sie vor drei Tagen verloren.
„Na dann, Sir. Sollten wir uns wiedersehen, kaufen wir ihnen ´nen Regenschirm...“
Die Pioniere lachten auf Croins Bemerkung und setzten sich dann in Richtung der Rampe in Bewegung.
Der Hauptmann sah ihnen hinterher, bis sich das graue Schott hinter dem letzten Mann geschlossen hat: „Scherzbolde“, murrte er und drehte sich um: „Aber eines muss man den Pionieren lassen, sie nehmen ihre Hinrichtung mit Humor.“
Mit verbittertem Gesicht verließ Fain das Transportterminal in Richtung warmer und trockener Befehlsbaracke. Nach wenigen Schritten war er im Regenschleier verschwunden.
„Bastard“, murmelte Croin, der den Hauptmann von einem Fenster aus beobachtet hatte.

Der Flug war laut und ungemütlich. Die Motoren des „Gladiators“ rumpelten wie eine Sänfte, die von vier unterschiedlich großen Ogryns getragen wurde.
Croin stand, wie immer, am Fenster und blickte hinaus. Der Transporter konnte die Wolkendecke nicht überfliegen, da er ein wenig altersschwach war, aber aufgrund des grauen Regenschleiers fühlten sich zumindest die beiden Piloten sicher.
„Sieht düster aus da unten, Männer.“ Croin konnte durch den Regen immer wieder kleine Bilder von zerbombten Wiesen und Häusern erkennen. Schwarze Wracks standen sporadisch in der Landschaft, um von Tod und Leid zu berichten.
„Nehmen sie die Sonnebrille ab und sagen sie’s noch mal, Sir“, Weyle grinste, während er seine Schrotflinte zurück in den Rückenhalfter schob.
„So witzig ist das gar nicht“, Pyro hatte sich an eines der weiteren Panzerglasfenster gestellt und blickte hinab: „Das sieht ja wirklich bös’ aus da unten.“
Ein Rumpeln ging durch das Schiff. Croin sah zur Pilotenkabine und klammerte sich an eine metallische Stütze: „Was is’ los?“
Ein weiteres Rumpeln erschütterte den Rumpf des kleinen Transporters.
„Legen sie ihre Fallschirme an, wir nähern uns dem Einsatzgebiet.“, die Stimme des Piloten klang mechanisch und grausam kalt.
„Auf Männer, Schweinsblasen um!“
Mit geübten Handgriffen schnallte sich der Trupp die kleinen Tornister auf. Fallschirmspringen mussten sie oft und jeder von ihnen kannte die Gefahren, über Gefechtszonen abzuspringen.
„Mörser und Artillerie wird ihnen Feuerschutz geben. Sie müssen sich beeilen.“, die Kabinenstimme schien aus einem finsteren Albtraum entsprungen.
Croin nickte seinen Männern zu, sie nickten zurück.
„Bereit für den Kampf?“
„BEREIT!“
„Na dann...“
Croin trat das Sprungschott auf und blickte nach unten. Der Regen prasselte immer noch umbarmherzig hinab und verschleierte den Blick auf die Landschaft.
„Is’ ein beschissenes Wetter Leute, also Kapuzen auf!“
Pyro nickte mit einem Grinsen und sprang, sein Körper verschwand im grauen Schleier. Ein Pionier nach dem nächsten trat so den Weg zur Oberfläche an und bald war nur noch Croin an Bord des Transporters. Er spuckte den Zahnstocher hinaus und zog die Nase hoch.
‚Ich hoffe, die Brille hält’s aus’, dachte er und sprang. Nässe umfing ihn, als er das Schott verlies und ins Nichts fiel. Der Wind peitschte unbarmherzig und riss an seiner Uniform.
„Feuchter Job, aber irgendwer fällt immer drauf `rein.“, murmelte er und zog die Schnur. Mit einem Rauschen entfaltete sich das verstärkte Tuch und riss ihn aus dem freien Fall hinaus in ein gemächliches Schweben.
„Wenn der Krieg doch ´ne Frau wäre...“, er zog sein verbessertes Lasergewehr mit Zynitzielerfassung aus dem Gurt und schaltete die Energiezelle ein.
„Eins hängt, wie sieht’s bei euch aus?“, die Kommunikation über das Mundmikrofon war schrecklich schlecht. Langsam und leise kamen die Bestätigungen der Männer durchs Rauschen des Regens an sein Ohr und als auch Teron endlich Meldung gab, atmete Croin auf. Sein Trupp lebte – ab jetzt konnte es nur schlimmer werden.

Donner grollte durch den Regen und Croin sah schon bald erste Lichtblitze zu seinen Füßen durch das graue Meer zucken. Sie waren dem Kampfgeschehen sehr nahe.
„Hier Eins, weiß jemand, wo wir sind?“
Rauschen war die Antwort, die er erhielt. Der Regen nahm an Stärke zu und der Sturm riss an den Gurten des Fallschirms.
‚Verdammt’, Croin atmete ein paar mal ein, um das flaue Gefühl aus dem Magen zu bekommen. Dann sah er plötzlich die Regenwand zu seinen Füßen aufbrechen und erste Erdflächen breiteten sich aus.
‚Na also...’
Mit einem leisen Schmatzen gruben sich seine Militärstiefel in den durchweichten Dreck. Das Lasergewehr hatte er kurz vor dem Aufprall weggesteckt, um beide Hände freizuhaben. Mit hektischen Bewegungen versuchte Croin, den Fallschirm abzuschnallen, aber eine Windbö erfasste ihn und schleuderte ihn einige Meter weiter in den Schlamm. Keuchend suchte er an seinem Oberschenkel nach dem gezackten Militärmesser und schnitt sich damit vom lebensbedrohlichen Stoff frei. Es entschwand, vom Winde getrieben, in den Wirren des Regens.
Croin blieb gehockt auf dem Boden und steckte das Messer weg. Dann zog er das Lasergewehr hervor und legte es sich schussbereit in den Arm. Um ihn herum sah er nur Schlamm und Regen, keine Deckung, keine Menschen.
„Eins hier, gelandet. Männer?“
Rauschen antwortete ihm und er fluchte. Mit der Linken holte er einen kleinen Kompass aus der Uniformtasche und suchte Norden, dort hoffte er, seine Kameraden zu finden. Dann steckte er das kleine Gerät zurück, wischte sich den Schlamm vom Gesicht und lief geduckt los.
‚Verdammt’, durchzuckte es seinen Geist: ‚Die Brille ist weg.’
Monoton waren die schmatzenden Schritte im faulig riechenden Boden. Brandgeruch schlug ihm entgegen und Unbehagen breitete sich in seinem Magen aus. Wo war er?
„Hier Fünf. Croin, hören sie mich?“
Der Sergeant verharrte und blickte sich suchend um:
„Weyle? Sind sie’s?“
„Jawoll Sarge.“
„Wo sind sie?“
„Im Stützpunkt, wir sind alle hier.“
„Wo ist er?“
„Er liegt östlich unserer eigentlichen Absprungstelle. Der Wind hat uns aber abgetrieben. Uns hat ein Transporter aufgesammelt.“
„Verdammt! Ich hab keine Ahnung, wo ich bin Weyle.“
„Haben sie ihren Sender?“
„Funktioniert euer Ortungsgerät?“
„Ja – aber das der Feinde auch.“
„Risiko.“
„Verstanden, Sarge.“
Das Mikrofon verstummte. Croin schluckte und sah sich suchend um. Er brauchte Deckung. Der Sergeant ging wenige Schritte nach Norden, dann zurück. Hier war nichts außer diesem verdammten Schlamm. Er stand hier wie auf dem Präsentierteller, wenn der Regen aufhören würde.
Grimmig sah er hinauf zum Himmel. Schräg fiel der dichte Regen hinab, irgendwo sah er dunkle Wolken und einige Blitze.
Irgendwie fand ein Zahnstocher den Weg in Croins Mund. Dann warf er sich vorn über in den kalten Schlamm.
‚Das Gewehr is’ P-Ausrüstung... das geht’, hoffte er und versuchte, ruhig zu atmen. Ruhig Atmen und Warten, mehr konnte er nicht tun.
„Jetzt ´n Bier und ´n Weib“, murrte er leise und versuchte, die aufsteigende Kälte zu verdrängen.

Das tiefe Brummen eines Motors riss Croin aus seinen Träumen. War es Freund oder Feind?
Er zog sein Gewehr aus dem Dreck und zielte dort in den Regen, von wo das Geräusch erklang. Sein Atem ging schneller, sein Herz raste und seine Schläfe pochte schmerzlich. Er war alt geworden, dachte er einen kurzen Moment, dann sprangen zwei Lichter aus der Regenwand. Er visierte die Frontscheibe des Fahrzeuges durchs Zielvisier an und wartete. Der Jeep kam näher und Croins Finger fing an, unruhig zu zittern. Was war, wenn er zu spät abdrückte und er verfehlte? Was wäre, wenn der Wagen voll mit Feinden war?
„Sir?“, erklang die Stimme Weyles durch das Mikrofon.
Croin schreckte auf ob der plötzlichen Frage. Mit ungewohnt unkontrollierter Stimme sprach er: „Seid ihr das im Wagen?“
„Ja, Sir.“
„Dann haltet an, verdammt.“
„Verstanden Sir.“
Der Wagen hielt und Croin rappelte sich auf. Er sprintete einige Schritte und sah dann Weyle, der sich aus dem Fenster lehnte.
„Schön, Sie wiederzusehen.“
Croin nickte knapp und schwang sich durch die geöffnete Tür hinan.
„Abfahrt.“
Der Motor heulte auf und die Räder gruben sich in den Schlamm, dann gab es einen Ruck und der Wagen fuhr los. Regen prasselte auf die verdreckte Frontscheibe und Croin sank im harten Sitz zurück.
‚Ich hasse diesen Job wirklich’, dachte er und fummelte nach seinen Zahnstocher. Erst jetzt realisierte er, dass er zitterte: ‚Ich werde wirklich alt... zu alt für diesen Job.’

Nach einigen Minuten Fahrt fassten die Räder des Vehikels auf festem, betonierten Untergrund wieder Halt und es fuhr nun die Hauptversorgungsstraße in Richtung Front hinauf. Rechts und links sah Croin ausgebombte Gräben, geschwärzte Bunker und zerfetzte Leiber einstiger Soldaten. Übelkeit stieg in ihm hoch und Bilder von Evans Hall drängten sich unweigerlich in sein Gedächtnis. Er sah die ausgebrannten Augenhöhlen seines Sergeants, sah die schlaffen Körper der Pioniersoldaten des zweiten Planarischen. Er sah die zerfetzten Körper und die blutigen Wände. Er sah sich, wie er zwischen all den Leichen gekniet und geweint hatte. Finsternis zog auf sein Gesicht und sein Herz verkrampfte sich.
‚Nie wieder Evans Hall, nie wieder Krieg!’, hatte er sich damals geschworen. Und jetzt saß er wieder in diesem Leid und diesem Elend.
„Es ist eine beschissene Welt“, murmelte er und wandte sich zum Fenster. Draußen war der Regen dichter geworden und verschleierte den Blick auf all das, was ihn an den Krieg erinnerte. Er sah nur die Straße, die Streifen und die Lichter des Wagens.
‚Eine beschissene Welt in einem beschissenen Universum.’

Er merkte erst, dass sie gestoppt hatten, als Weyle die Tür aufstieß und ein Kälteschub durch den Jeep ging.
„Na dann, Sir, da wären wir.“
Croin öffnete seine Tür und trat aus dem Wagen. Um ihn herum stieg Rauch zum Himmel, Erdhügel waren aufgeschüttet, geschwärzte Gräben zogen sich bis zum Horizont. Der Schlamm schien rötlich zu schimmern und Croin schluckte schwer, bevor er den ersten Schritt tat:
„Unsere Unterkunft?“
„Mal was neues, Sir – Graben Neun.“
„Oh Imperator.“
Weyle nickte nur knapp und ging voraus, Croin folgte im mit schwachen Gliedern. Sein Herz raste, als er die Toten sah, die mit verdrehten Gliedern und verzerrten Gesichtern den Graben säumten.
„Wie lange ist das hier schon ein Stellungskrieg?“
„Drei Monate, Sir.“
„Unser Auftrag?“
„Wir müssen die Tage einen Grabenabschnitt sichern, der weiter außerhalb liegt. Is’ nicht ganz ungefährlich, aber immerhin sind wir’s ja, nicht?“
„Ja... jaja.“
Als Croin den Graben betrat, in dem seine Truppe versammelt war, wurde er von erfreuten Rufen begrüßt. Er lächelte kurz, dann fielen seine Wangen wieder ein und sein Mund bildete den bekannten Strich, der sich seid Evans Hall zumeist zu einem Grinsen verzogen hatte.
„Alles klar Männer?“, er blickte kurz in die Runde der vertrauten, verdreckten Gesichter. Die Pioniere nickten und grinsten. Ja, sie waren eben Pioniere, die Härtesten der Härtesten, wie man sie nannte.
‚Oder die Dümmsten der Dummen’, resignierte Croin, als er sich auf eine Munitionskiste setzte.
„Schlafen sie ruhig `ne Runde, Sarge. Der Feind soll weit genug weg sein.“, Pyro schlug dem Offizier auf die Schulter. Croin nickte.
„Wachaufteilung nach Thetaplan, verstanden?“
Seine Männer gaben ihre Zustimmung und der Trupp legte sich im Schlamm zur Ruhe. Einzig Teron hatte sich an den Grabenrand gelegt und suchte mit dem Fernglas den Horizont ab. Er war der Engel, der sie bewachte und er war der Henker, der sie für den Tod wecken sollte.

„Hey, Sarge.“
Croin schlug die Augen auf. Sonnenlicht stach ihm in die Augen und er blinzelte. Seine Uniform war steif vor Dreck und kalt, seine Haare nicht mehr als solche zu erkennen, aber er lebte noch.
„Was?“
„Es ist morgen... glaube ich. Auf jeden Fall ist die Sonne zu sehen.“
Croin nickte und ließ Teron den Rest des Trupps wecken. Er selbst robbte an den Grabenrand und blickte über das Schlachtfeld. Welch bitteres Bild hatte ihm der Regen erspart.
Auf dem blutigen Feld lagen Mann an Mann, akribisch aufgereiht, dem Leichenschauhaus gleich, niedergemäht von automatisch tötenden Waffen. Leiber waren auseinandergerissen, Panzerwracks rauchten schwach vom Feuer vergangener Tage.
Croin blickte Teron an, der nickte und sprach aus, was beide dachten:
„Beschissene Welt, Sarge, sie haben so recht.“
Der Trupp lag nun vollständig am Grabenrand und spähte auf das Feld des Todes. Sie waren den Anblick gewöhnt und seltsam abgestumpft geworden.
Das Rauschen des Funkgerätes riss sie aus ihrer Lethargie:
„Kommando an Planarische Pioniere.“
Croin griff nach dem Gerät:
„Erstes Planarisches hier, Sergeant Croin.“
„Gut. Sie haben ihren Auftrag gestern schon erhalten. Heute ist der Tag X. Bewegen sie ihren Trupp in Richtung Transportterminal.“
„Verstanden, Croin Ende.“
Ein Klicken beendete die Übertragung.
„Ihr habt’s gehört, Männer, auf!“

Der Wagen rumpelte über das steinige, schlammige Feld. Das innere des Transportfahrzeug war finster, die Fenster fehlten. Sie waren eingepfercht zwischen dicken Stahlwänden, nur eine rote Lampe spendete Licht in der Farbe getrockneten Blutes.
Sie fuhren jetzt seid knapp zwei Stunden. Croin erkannte im Halbdunkel dieses Käfigs die Augen seiner Männer, das fürchtende Schimmern, die angstvollen Pupillen. Ja, so ein Fahrzeug war etwas anderes als der Graben. Sie wussten nicht, was ihnen hier passieren konnte und sie konnten hier nicht heraus. Im Graben konnten sie zurück schießen, sie konnten rennen und sich in den Schlamm werfen, aber dies hier war ein Transporter, ein Stahlgefängnis, ein Sarg.
Croin achtete auf das metallische Sägen der Panzerketten. Es war ein gutes Fahrzeug, ein neues Fabrikat, ein AF 210. Es war gepanzert gegen frontale wie seitliche Raketeneinschläge und es war zu schnell für Artilleriebeschuss.
Der Sergeant seufzte und blickte zu Boden. Er hörte das Rattern, es schien, als würde sich jedes klappernde Kettenglied in sein Hirn bohren. Er achtete auf das Atmen seiner Männer, er sah ihre Augen und Schuld stieg in ihm auf. Er wusste nicht, wieso und er wusste, dass diese Männer nicht wegen ihm hier waren. Oder doch? Einige von ihnen gehörten damals zum Zweiten Planarischen, das so gut wie vollständig bei Evans Hall aufgerieben worden war. Er hatte die Überlebenden zu seinem Zug geholt und nun waren sie mit ihm hier. Hier, in einem Stahlgefäß, in einem fahrenden Sarg.
Es rumpelte, den Wagen durchzuckte ein Knistern, die Männer hielten dem Atem an und spürten ihr Herz im Halse. Erst nach einigen verstrichenen Sekunden atmeten sie hörbar auf.
„Ist schon beschissen, so ´ne Fahrt, nicht?“, Croin grinste, wie er immer grinste und der Trupp lachte auf, wie er immer lachte.
Die Ketten mahlten über den Sand hinweg.
Ein Piepen.
Ein Knacken.
Ohrenbetäubend war der Knall, schnell fauchte die Explosion nach oben und riss den Transporter in einem riesigen Flammenball in Millionen verbrannter Eisenteile.
Das Wrack kam brennend zum Stehen und gesellte sich zu den übrigen schwarzen Zeugen von Leid und Tod.

Der kleine Frachter landete zischend auf der regennassen Landefläche. Ein grauer Stahlkäfig, einem Insekt gleich, so schien es dem Hauptmann. Als die Laderampe hinabdröhnte löste er sich mit Sergeant Tawnor und seinem Adjutanten von der Kasernenmauer und schritt auf den dunklen Innenraum des Transporters zu.

„Ich bin Hauptmann Fain, willkommen auf Rectus Sieben“, hallte es einsam über den verregneten Platz.


Der Autor
"Feuer & Stahl war eine jener Geschichten, zu denen mich ein kurzer Moment, ein Bild oder ein Film bzw. eine Kriegsdokumentation inspiriert hat. Es ist das erste Werk, das ich in einem Tag niederschrieb, Mittags beginnend und Nachts beendend. Die Intention ist einfach: Es gibt Tausende Geschichten um den heroischen Kampf Gut gegen Böse und Tausende, die wie Antikriegsfilme ('Im Westen Nichts Neues' als Beispiel) das sinnlose Kriegführen anprangern. Da ich schon einige solcher Texte geschrieben hatte, sehnte ich mich nach etwas Neuem, Innovativeren, und ich kam eben auf jene Konzeptidee: Man nehme einen Trupp 'cooler' Soldaten, so klischeehaft wie möglich, und baue die Geschichte so auf, dass der Leser denkt, er sei wieder auf der Spur des Heroischen. Der Umschwung, sprich die Erkenntnis, sollte in einem kurzen, knallharten Moment präsentiert werden, und so entschied ich mich entsprechend (wird aber nicht verraten, sofern man es noch lesen will)."

Die Jury
"Tja, der Anfang, na ja, was heißt der Anfang, eigentlich bis zum zweitletzten Absatz, klingt richtig schlecht klischeehaft 08/15 - aber eine Geschichte ist erst zu Ende wenn sie zu Ende ist: Genial-brutale Ironie, die perfekt die Gesichtslosigkeit und Monstrosität des Molochs Imperium und Imperiale Armee darstellt."
"Nicht schlecht, lebt von der Atmosphäre und nicht von blanker Gewalt."
"Die Geschichte liest sich die ersten Zeilen wie eine alltägliche Schlachtstory, allerdings wird dieser Eindruck durch das Ende komplett revidiert. Selten hat man die menschliche Vernichtungsmaschine Imperiale Armee so überzeugend dargestellt gesehen."

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