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ANDRAS GYURO - "DER LETZTE "

Ein sanfter Windhauch wirbelte den feinen Sand um die Sandalen des großgewachsenen Mannes, der stumm in das Tal unter ihm blickte. In kleinen Wirbeln zog er sich um die goldenen Beinschienen und die gebräunten Waden, um den goldbeschlagenen Schurz nicht mehr zu erreichen und wieder zu Boden zu rieseln, immer und immer wieder. Unter dem reich mit den Symbolen des Todes geschmückten Schulterkragen und der Panzerung spannte sich ein sehniger, sonnengebräunter Körper. In seinen kräftigen Händen hielt er einen Stab, dessen beide Enden mit Klingen besetzt waren; auf dem Kopf hielt ein goldenes Stirnband das aus teuren Stoffen gefertigte tiefblaue Kopftuch.
Mit zusammengekniffenen Augen, mit dünnen, aufeinandergepressten Lippen betrachtete er die schweigenden Massen, die langsam über die mit großen Blöcken gepflasterte Straße marschierten. Wenn er den Blick nach rechts wandte, zeichnete sich die kürzlich erst fertiggestellte Pyramide als großer, schwarzer Schemen vor der blutrot untergehenden Sonne ab.

Chneper, zweiter Herold des Königs Anhetep von Bhagar, stand schon den ganzen Tag unbewegt auf dieser Anhöhe.
Vor drei Sonnenläufen waren die Arbeiten am Grab König Anheteps beendet worden. Der Bau hatte zwar schon zu Lebzeiten des Königs begonnen, nach seinem gewaltsamen Tod im Kampf gegen Khemri hatte es aber noch vier Jahre gedauert, bis seine Männer ihm folgen durften. Wahrhaft seine Männer. Sie hatten ihm feierlich, manche vor vielen Jahren schon, manche erst wenige Wochen vor seinem Tode, Treue auch im Tod geschworen, und Chneper kannte keinen von ihnen, der nicht gewillt gewesen wäre, seinen Treuschwur zu halten. Gewiss, der eine oder andere mag vielleicht noch eingeschüchtert gewesen sein von der Bedeutung dessen, was es heißt, seinem König bis in den Tod treu zu sein, aber nachdem die Priester mit ihnen gesprochen hatten...

Er hat sie alle gesehen. Auf dem großen Platz vor dem Palasttempel von Bhagar hatte sie sich versammelt, die große Armee des Anhetep, um ihren Triumphzug zur Nekropole anzutreten. Die feierliche Prozession mit dem Sarkophag des Königs war schon am Tag zuvor abgehalten worden. Heute kamen seine Krieger.

Nebhotem, erster Herold des Königs, beschritt den Weg als erster. Allen anderen Soldaten voran schritt der prächtigste Krieger nach dem König selber den Weg zum Ewigen Dienst. Wie er die königliche Standarte unzählige Male in der Schlacht zur Ehre seines Herren empor gehalten hatte, so hielt er sie auch nun, auf dem Letzten Weg. Die frühe Morgensonne ließ seine goldene Rüstung erstrahlen, beinahe schien es, als wäre er von den Göttern berührt, der mächtigste Mann in Bhagar nach dem Tod des Königs, denn dessen Sohn, der Prinz Ptaferteh, war noch keine sieben Jahre alt.
Chneper lächelte nicht, als er daran dachte, dass beim erneuten Aufgang des Himmelsskarabäus er der mächtigste Mann sein würde, er, der zweite Herold, bestellter Vormund des minderjährigen Prinzen.
Nebhotem, sein Kampfgefährte. Es verband sie sogar fast soetwas wie ein freundschaftliches Band. Chneper wusste nicht, ob der Herold des Königs ihn gesehen hatte, aber er vermutete es. Das Herz wurde ihm schwer, als ihm klar wurde, wie viele Schlachten sie gemeinsam gefochten hatten. Und er war neidisch: Nebhotem wurde die Ehre zuteil, an der Seite seines Königs wachen zu dürfen und für alle Ewigkeit neben und für ihn zu streiten, während er, Chneper, dazu verurteilt war, noch für lange Jahre die Ausbildung eines unmündigen Knaben zu übernehmen und die Aushebung seiner Armee zu leiten.
Hinter dem berittenen Nebhotem rollten die stolzen Streitwagen und die Erhabenen, die die Ehre hatten, sie zu lenken. Streitwagen, ja. Von prächtigen Rössern gezogen, schnell und tödlich... die wilden Stämme konnten ihnen nichts entgegensetzen. In einer schier endlosen Schlange zogen sie vorbei, Chneper erkannte viele von ihnen. Dort, der einäugige Psatech, mit dem er den Prinz Sochet von Khemri erschlagen hat. Und da: der alte Hepretet, der einst allein zwölf Häuptlinge der Wildmänner mit bloßen Händen besiegte... viele Kampfgefährten zogen vorbei, denen Chneper sehr großen Respekt entgegenbrachte.
Als die Schlange der Streitwagen endete, kamen die Grabwächter. Eigentlich sollte er sie führen, dort war sein Platz gewesen. Aber jetzt nicht mehr, jetzt marschierte Ametet, sein Vertrauter, an der Spitze der Leibwache des gefallenen Herrschers, um als Hauptmann der Grabwächter seinen rechtmäßigen Platz an der Linken des Königs einzunehmen.
Diese Männer kannte Chneper alle beim Namen, kannte von vielen die Taten. Als er dereinst die Gunst errang, in den Reihen der Grabwächter zu stehen, hatte er sich diesen Tag häufig vorgestellt, wie er mit den anderen prächtig und stolz antrat, in den Ewigen Dienst seinem Herrn zu treten. Und nun... nun gingen sie diesen Weg ohne ihn. Er seufzte leise.
Nach den nicht zu zahlreichen Grabwächtern trabten die Reiter den Weg entlang. Wilde Krieger, großartige Krieger, die ihre Tiere liebten, ihre Tiere beherrschten, in einem gewissen Sinne eins mit ihnen waren. Tödliche Krieger. Chneper selber war nie ein großartiger Reiter gewesen, aber die wenige Male, als er auf einem Pferderücken saß, konnte er den schwachen Abglanz der Erregung spüren, die diese Reiter in der Hitze der Schlacht verspüren mussten. Und auch unter ihnen waren bekannte, treue Kampfgefährten...
Der Himmelsskarabäus war an seinem höchsten Punkt angelangt, als die Reiter vorbeiwaren. Es folgten die Soldaten, die vielen disziplinierten Fußsoldaten. Er war auch einst einer gewesen, hatte auch unter den harten Methoden seiner Ausbilder gelitten. Er verachtete sie nicht, er konnte nicht, es war nur schon so lange her. Aber trotz dessen, dass er schon lange anders dachte als sie, eines war allen gemein, egal, ob einfacher Fußsoldat oder Herold des Königs: die Liebe zum König, der Wunsch, auch im Tode im Schein seiner Glorie zu baden und ihm zu dienen, wie man es am besten kann.

Lange waren sie marschiert, Chneper sah sie sich alle an. Er würde sie nie wiedersehen. Er würde mit König Ptaferteh begraben werden, würde sein Erster Herold sein, würde ihm den Ewigen Dienst erweisen. Trotzdem würde er im Herzen immer König Anhetep treu bleiben.


Eine Staubwolke war, was hinter den Letzten blieb. Chneper blickte ein letztes Mal wehmütig zur Pyramide und die sie umgebende Nekropole, die er nunmehr nur noch erahnte denn sah. Der Himmelsskarabäus war schon halb untergegangen. Die Priester würden bald beginnen. Er schloss die Augen und seufzte. Mit dem Eindruck, dass gerade sein Leben hier vorbeigezogen war, drehte er sich um und begann den langen Weg zum Tempelpalast zu einem verwöhnten, unbegabten Kind, seinem König.

Nur seine Sandalen machten im Sand leise Geräusche.



Der Autor
"Es steht geschrieben, wie die Soldaten des verstorbenen Königs bei seinem Begräbnis stolz in die Nekropolis marschieren und in den Grufthallen mit Sand bedeckt werden, bis ihre Standartenspitzen nicht mehr zu sehen waren. Ebenso wurden seine treuesten Krieger als Grabwächter und sein persönlicher Herold mit ihm begraben.
Doch halt – das ist ein ganz gewaltiger Aderlass (auch politisch nicht ganz ungefährliche Situation, aber davon vielleicht irgendwannmal anderswo). Und die Lebenden, fragte ich mich, was machten die? Auch bei den Lebenden musste es irgendwie weitergehen, musste irgendjemand all die angesammelten Kenntnisse weitervermitteln; jemand, der halt gern für seinen König gestorben wäre, aber nicht darf, weil er noch Verpflichtungen im Diesseits hat. Und diese tragische Gestalt, für die es der höchste Wunsch ist, mit seinem Herrn begraben zu werden, dem aber eben dieser Wunsch aus Treue seinem Herrn gegenüber versagt bleiben muss, diese Gestalt hat mich ungemein fasziniert. Darum gibts diese Geschichte."

Die Jury
"..."

2. Platz (I) >