Ein sanfter Windhauch
wirbelte den feinen Sand um die Sandalen des großgewachsenen
Mannes, der stumm in das Tal unter ihm blickte. In kleinen Wirbeln
zog er sich um die goldenen Beinschienen und die gebräunten
Waden, um den goldbeschlagenen Schurz nicht mehr zu erreichen
und wieder zu Boden zu rieseln, immer und immer wieder. Unter
dem reich mit den Symbolen des Todes geschmückten Schulterkragen
und der Panzerung spannte sich ein sehniger, sonnengebräunter
Körper. In seinen kräftigen Händen hielt er einen
Stab, dessen beide Enden mit Klingen besetzt waren; auf dem Kopf
hielt ein goldenes Stirnband das aus teuren Stoffen gefertigte
tiefblaue Kopftuch.
Mit zusammengekniffenen Augen, mit dünnen, aufeinandergepressten
Lippen betrachtete er die schweigenden Massen, die langsam über
die mit großen Blöcken gepflasterte Straße marschierten.
Wenn er den Blick nach rechts wandte, zeichnete sich die kürzlich
erst fertiggestellte Pyramide als großer, schwarzer Schemen
vor der blutrot untergehenden Sonne ab.
Chneper, zweiter Herold des Königs Anhetep von Bhagar,
stand schon den ganzen Tag unbewegt auf dieser Anhöhe.
Vor drei Sonnenläufen waren die Arbeiten am Grab König
Anheteps beendet worden. Der Bau hatte zwar schon zu Lebzeiten
des Königs begonnen, nach seinem gewaltsamen Tod im Kampf
gegen Khemri hatte es aber noch vier Jahre gedauert, bis seine
Männer ihm folgen durften. Wahrhaft seine Männer.
Sie hatten ihm feierlich, manche vor vielen Jahren schon, manche
erst wenige Wochen vor seinem Tode, Treue auch im Tod geschworen,
und Chneper kannte keinen von ihnen, der nicht gewillt gewesen
wäre, seinen Treuschwur zu halten. Gewiss, der eine oder
andere mag vielleicht noch eingeschüchtert gewesen sein
von der Bedeutung dessen, was es heißt, seinem König
bis in den Tod treu zu sein, aber nachdem die Priester mit ihnen
gesprochen hatten...
Er hat sie alle gesehen. Auf dem großen Platz vor dem
Palasttempel von Bhagar hatte sie sich versammelt, die große
Armee des Anhetep, um ihren Triumphzug zur Nekropole anzutreten.
Die feierliche Prozession mit dem Sarkophag des Königs
war schon am Tag zuvor abgehalten worden. Heute kamen seine
Krieger.
Nebhotem, erster Herold des Königs, beschritt den Weg
als erster. Allen anderen Soldaten voran schritt der prächtigste
Krieger nach dem König selber den Weg zum Ewigen Dienst.
Wie er die königliche Standarte unzählige Male in
der Schlacht zur Ehre seines Herren empor gehalten hatte, so
hielt er sie auch nun, auf dem Letzten Weg. Die frühe Morgensonne
ließ seine goldene Rüstung erstrahlen, beinahe schien
es, als wäre er von den Göttern berührt, der
mächtigste Mann in Bhagar nach dem Tod des Königs,
denn dessen Sohn, der Prinz Ptaferteh, war noch keine sieben
Jahre alt.
Chneper lächelte nicht, als er daran dachte, dass beim
erneuten Aufgang des Himmelsskarabäus er der mächtigste
Mann sein würde, er, der zweite Herold, bestellter Vormund
des minderjährigen Prinzen.
Nebhotem, sein Kampfgefährte. Es verband sie sogar fast
soetwas wie ein freundschaftliches Band. Chneper wusste nicht,
ob der Herold des Königs ihn gesehen hatte, aber er vermutete
es. Das Herz wurde ihm schwer, als ihm klar wurde, wie viele
Schlachten sie gemeinsam gefochten hatten. Und er war neidisch:
Nebhotem wurde die Ehre zuteil, an der Seite seines Königs
wachen zu dürfen und für alle Ewigkeit neben und für
ihn zu streiten, während er, Chneper, dazu verurteilt war,
noch für lange Jahre die Ausbildung eines unmündigen
Knaben zu übernehmen und die Aushebung seiner Armee zu
leiten.
Hinter dem berittenen Nebhotem rollten die stolzen Streitwagen
und die Erhabenen, die die Ehre hatten, sie zu lenken. Streitwagen,
ja. Von prächtigen Rössern gezogen, schnell und tödlich...
die wilden Stämme konnten ihnen nichts entgegensetzen.
In einer schier endlosen Schlange zogen sie vorbei, Chneper
erkannte viele von ihnen. Dort, der einäugige Psatech,
mit dem er den Prinz Sochet von Khemri erschlagen hat. Und da:
der alte Hepretet, der einst allein zwölf Häuptlinge
der Wildmänner mit bloßen Händen besiegte...
viele Kampfgefährten zogen vorbei, denen Chneper sehr großen
Respekt entgegenbrachte.
Als die Schlange der Streitwagen endete, kamen die Grabwächter.
Eigentlich sollte er sie führen, dort war sein Platz gewesen.
Aber jetzt nicht mehr, jetzt marschierte Ametet, sein Vertrauter,
an der Spitze der Leibwache des gefallenen Herrschers, um als
Hauptmann der Grabwächter seinen rechtmäßigen
Platz an der Linken des Königs einzunehmen.
Diese Männer kannte Chneper alle beim Namen, kannte von
vielen die Taten. Als er dereinst die Gunst errang, in den Reihen
der Grabwächter zu stehen, hatte er sich diesen Tag häufig
vorgestellt, wie er mit den anderen prächtig und stolz
antrat, in den Ewigen Dienst seinem Herrn zu treten. Und nun...
nun gingen sie diesen Weg ohne ihn. Er seufzte leise.
Nach den nicht zu zahlreichen Grabwächtern trabten die
Reiter den Weg entlang. Wilde Krieger, großartige Krieger,
die ihre Tiere liebten, ihre Tiere beherrschten, in einem gewissen
Sinne eins mit ihnen waren. Tödliche Krieger. Chneper selber
war nie ein großartiger Reiter gewesen, aber die wenige
Male, als er auf einem Pferderücken saß, konnte er
den schwachen Abglanz der Erregung spüren, die diese Reiter
in der Hitze der Schlacht verspüren mussten. Und auch unter
ihnen waren bekannte, treue Kampfgefährten...
Der Himmelsskarabäus war an seinem höchsten Punkt
angelangt, als die Reiter vorbeiwaren. Es folgten die Soldaten,
die vielen disziplinierten Fußsoldaten. Er war auch einst
einer gewesen, hatte auch unter den harten Methoden seiner Ausbilder
gelitten. Er verachtete sie nicht, er konnte nicht, es war nur
schon so lange her. Aber trotz dessen, dass er schon lange anders
dachte als sie, eines war allen gemein, egal, ob einfacher Fußsoldat
oder Herold des Königs: die Liebe zum König, der Wunsch,
auch im Tode im Schein seiner Glorie zu baden und ihm zu dienen,
wie man es am besten kann.
Lange waren sie marschiert, Chneper sah sie sich alle an. Er
würde sie nie wiedersehen. Er würde mit König
Ptaferteh begraben werden, würde sein Erster Herold sein,
würde ihm den Ewigen Dienst erweisen. Trotzdem würde
er im Herzen immer König Anhetep treu bleiben.
Eine Staubwolke war, was hinter den Letzten blieb. Chneper blickte
ein letztes Mal wehmütig zur Pyramide und die sie umgebende
Nekropole, die er nunmehr nur noch erahnte denn sah. Der Himmelsskarabäus
war schon halb untergegangen. Die Priester würden bald
beginnen. Er schloss die Augen und seufzte. Mit dem Eindruck,
dass gerade sein Leben hier vorbeigezogen war, drehte er sich
um und begann den langen Weg zum Tempelpalast zu einem verwöhnten,
unbegabten Kind, seinem König.
Nur seine Sandalen machten im Sand leise Geräusche.
|