Nachdenklich betrachtete
er den Schädel in seinen Händen. Er drehte den bleichen,
trockenen Knochen, bis die leeren Augenhöhlen seinen Blick
zu erwidern schienen. Das Gefühl in seinen Händen war
warm, aber es war nicht die verblassende Erinnerung an Körperwärme,
sondern die aschegraue Hitze des Feuers. Knochen, überall
Knochen. Das Imperium schien sich in einen einzigen großen
Friedhof verwandelt zu haben. Früher war er umher gezogen
um die Menschen mit seinen Liedern von Ruhm und Kampf zu unterhalten.
Jetzt war die alte Welt in einem einzigen Drama versunken und
die Leute wollten nichts sehnlicher von ihm hören, als fröhliche
Lieder.
„Na,“ fragte er mit spöttischem Lächeln
sein knöchernes Gegenüber, „soll ich dir ein frohes
Lied singen?“
Geschmeidig richtete sich der Barde auf, blickte sich noch einmal
um und verließ schließlich die Ruinen des brennenden
Dorfes auf der Straße nach Norden. Dort so wusste er gab
es ein Gasthaus das den Sturm des Chaos bisher schadlos überstanden
hatte. Je weiter er sich von dem Dorf entfernte, desto mehr stieg
seine Stimmung. Die Götter hatten ihn nicht nur mit einer
honigsüßen Stimme gesegnet, sondern auch mit einem
fröhlichen Gemüt. Oder zumindest mit einer gewissen
Gleichgültigkeit gegenüber der Welt. Krieg oder Frieden
waren ihm egal wie die Jahreszeiten: er war ein Wanderer, ein
Getriebener, er musste weiter.
Bedrohlich ragten die Bäume links und rechts des schmalen
Weges in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Als er um eine
Biegung schritt erhob sich vor ihm ein kleiner Hügel den
man mit Axt und Säge dem düsteren Wald entrissen hatte.
Auf dem Hügel saß ein gedrungenes steinernes Gebäude,
welches so verwittert war, das es selbst schon aus sah wie ein
teil der Landschaft. Die Mauern waren dick und die Fenster schmal,
hinter einer Palisade aus massiven Eichenstämmen schlossen
sich ein windschiefer Stall und andere Wirtschaftsgebäude
an. Er hatte sein Ziel erreicht. Leise eine fröhliche Melodie
pfeifend näherte es sich dem Gasthaus.
Der Schankraum war fast leer. Kaum ein Wanderer betrat in diesen
Zeiten die dichten Wälder des Imperiums. Die großen
Schlachten im Norden waren geschlagen, der Feind in alle Winde
verstreut. Verstreut, aber eben nicht tot. Die Ebenen und Städte
waren den Wäldern und Bergen als Schlachtfeld gewichen, aber
der Krieg tobte noch immer. Soldaten aus allen Winkeln der alten
Welt zogen durch Kislev und das Imperium um die Brut des Chaos
aus ihren Verstecken zu treiben. Der Wirt war nirgends zu sehen,
aber eine Junge Schankmaid stand an einem Tisch und unterhielt
sich mit den einzigen anderen Gäste, einer Gruppe Holzfäller
wie es den Anschein hatte. Als er den Raum betrat blickten sie
zu ihm herüber. Er verneigte sich geckenhaft und warf ihr
einen Handkuss zu, bevor er zu einem der freien Tische ging und
sich auf einen der Stühle Lümmelte. Das Mädchen
kam zu ihm herüber. Sie war keine Schönheit, aber sie
war jung und drall. Außerdem schien sie unversehrt zu sein
und wirkte irgendwie unschuldig. Sein Interesse wuchs, denn diese
Art der Unschuld fand man dieser Tage selten im Imperium.
„Was wünscht ihr?“ fragte sie ihn, als sie den
Tisch ereichte.
Ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht, aber
sie rollte nur angewidert die Augen. Gut so, dachte er, dass machte
sie nur interessanter.
„Tut mir Leid“ sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung,
„aber ihr müsst verzeihen. In diesen Zeiten sind die
Wälder gefährlich und kalt. Man erwartet nicht solcher
Schönheit zu begegnen.“
Statt einer Antwort zog sie nur eine Augenbraue hoch, aber ihr
Blick war nicht mehr so abweisend wie zuvor, hatte schon fast
etwas belustigtes. Er musste seine Einschätzung revidieren,
die Kellnerin war trotz ihrer Jugend nicht dumm und vielleicht
auch nicht ganz unschuldig. Sie stellte fast eine Herausforderung
dar und so beschloss er zu einem späteren Zeitpunkt zurück
zu kehren um sich richtig mit ihr zu vergnügen.
Da sie weiter schwieg zeigte er ihr ein geknicktes Gesicht und
sagte kleinlaut: „Ein Bier, bitte.“
Als sie sich nun umwand umspielte tatsächlich ein Lächeln
ihre Lippen.
Nun aber war es für ihn an der Zeit mit seiner Arbeit zu
beginnen. Er stand auf, griff nach seiner Leiher und schlenderte
zum Tisch der Holzfäller.
„Möchten die Herren vielleicht ein fröhliches
Lied hören?“ fragte er in dienstbeflissenem Tonfall.
„Geh weg Spielmann“, antwortete einer der drei Gesellen,
ein Mann mit entsetzlich breitem Kreuz einem buschigen Bart und
Händen groß wie Schweineschinken. „Die ´Herren`
haben kein Geld für dich übrig!“
„Sei es drum,“ gab er leichthin zur Antwort, „dann
lasst mich spielen, damit ich nicht aus der Übung komme!“
„Nun, dann wollen wir dich nicht aufhalten!“
Und so begann er zu spielen. „Du spielst für dein Publikum,
also wähle deine Lieder nach ihnen aus, du Idiot!“
hatte sein alter Lehrmeister, mögen seine Knochen in der
Sonne bleichen, immer zu ihm gesagt. Und das war ein guter Rat
gewesen. Für diese hirnlosen Waldbewohner wählte er
eine Folge schnell anzüglicher werdender Lieder. Angefangen
mit der „Fleißigen Müllerin“ bis zu „Myrmidias
Speer!“.
Inzwischen grölten die Holzfäller die Kehrreime mit
und hatten ihm schon ein frisches Bier bezahlt. Das war ihm egal,
Hauptsache war, dass er sich warm gesungen hatte. Denn natürlich
war er längst darüber hinaus auf seine Stimmbänder
alleine angewiesen zu sein, aber nichts hasste er mehr als einen
Kaltstart.
Endlich wurde die Tür zum Schankraum aufgerissen und eine
Gruppe Soldaten betrat den Schankraum. Die Männer waren mit
Kürassen, schweren Helmen und Lederhosen gerüstet. An
ihren Seiten baumelten Schwerter und Pistolen. Die Männer
waren überwiegend jung, aber aus ihren harten Gesichtern
sprach die Erfahrung vieler Kämpfe. Der Barde erkannte sie
sofort als Pistoliere, schwere Kavallerie, in diesem Fall im Dienste
des Kurfürsten von Wiesenland. Der Hauptmann der Truppe war
ein kleiner drahtiger Kerl in verschlissener Uniform. Trotz des
offensichtlich abgewetzten Aussehens von Ausrüstung und Soldat,
und obwohl der Staub der Strasse dick auf ihm und seinen Kameraden
lag, hatte der Mann seinen Schnurrbart säuberlich nach der
neuesten nulner Mode gezwirbelt. Vom poltern der Schritte und
dem Klappern der Rüstungen angelockt war der Wirt endlich
hinter dem Tresen erschinen. Er war ein Mann, wie der Barde schon
viele gesehen hatte: klein, schmerbäuchig und beinahe kahl.
„Wirt!“ sprach der Hauptmann ihn im befehlgewohntem
Tonfall an. „Wir brauchen Wasser und Futter für die
Pferde. Und auch Wasser und etwas zu essen für meine Männer.“
„Sehr wohl, Herr Hauptmann. Wollt ihr keine Zimmer? Es ist
schon dunkel.“ fragte der Wirt.
„Nein, wir versorgen nur die Pferde. Wir sind einer Horde
Chaosanbeter auf der Spur. Sie müssen weniger als einen Tag
voraus sein.“ entgegnete der Soldat, „Um ehrlich zu
sein, es ist ein Wunder, dass sie euer Gasthaus verschont haben.“
Der Wirt zuckte bei dieser Enthüllung sichtlich zusammen
und auch die Schankmaid wich unfreiwillig ein paar Schritte zurück.
Chaosbanditen ganz in ihrer Nähe!
„Hauptmann?“ der Barde war von seinem Platz bei den
Holzfällern aufgestanden und zu dem Hauptmann und dem Wirt
an den Tresen getreten. „Habt ihr etwas dagegen wenn ich
für eure Männer singe, während eure Pferde versorgt
werden?“
Kritisch musterte der Hauptmann die schlanke in bunte Kleidung
gehüllte Gestallt des Barden. „Ich glaube nicht das
uns nach Gesang zumute ist“
„Nur ein Lied, das ihre Stimmung hebt. Es ist nicht viel
was ich für die Verteidigung des Reiches tun kann Herr.“
erwiderte der Sänger mit samtener Stimme.
Für einen Augenblick sah es so aus als wollte der Hauptmann
ihn erneut abweisen, aber dann warf er einen Blick auf seine Männer,
die sich im Schankraum verteilt hatten und alles in allem einen
recht abgekämpften Eindruck machten. „Ein Lied
kann nicht schaden.“ gab er schließlich nach.
Der Barde verbeugte sich elegant zunächst vor dem Offizier
und dann noch einmal vor seinen Soldaten. Er hob seine Leiher
und begann zu spielen. Schon die ersten Takte von „Die sanften
Hügel Wiesenlands“ zeigten Wirkung. Alle Köpfe
wandten sich ihm zu und alle horchten auf als sie das traditionelle
Wiesenländische Heimatlied vernahmen. Pistoliere waren junge
Adelige und Söhne aus gutem Haus, aber jeder von ihnen kannte
das Lied seit es ihnen ihre Ammen vorgesungen hatten. Und dann
begann er zu singen. Seine Stimme klar und reiner als es je einer
von ihnen gehört hatte und jedes andere Geräusch erstarb,
zog sich zurück vor der gebieterischen Kraft seiner Magie.
Takt für Takt, Zeile für Zeile wob er sein Netz, zog
es mit jeder Strophe fester zusammen. Müdigkeit übermannte
die Soldaten, ein Gefühl trostloser Melancholie: Fern der
Heimat ohne Rast seid vielen Tagen, ausgelaugt. Als er die Laute
absetze und der letzte Ton verklungen war herrschte vollkommene
Stille im Raum. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich der
Hauptmann schließlich an den Wirt wand: „Geht, macht
eure Zimmer fertig. Meine Männer haben sich eine Nacht in
warmen Betten verdient.“
Als der Barde auf der Strasse nach Süden durch die Wälder
ging war es dunkel und die Nacht näherte sich ihrer schwärzesten
Stunde. Dennoch brauchte er die Schrecken die hier lauerten
nicht zu fürchten. Die Götter hatten ihn nicht nur
mit einer honigsüßen Stimme und einem fröhlichen
Gemüt gesegnet, sein Meister hatte ihn mit große
Macht beschenkt. Der Spaß, den er und seine Leute sich
mit dem Dorf gegönnt hatten, hatte sie viel Zeit gekostet.
Zeit, die er nun wieder gewonnen hatte. Darüber hinaus
freute er sich schon auf den Tag an dem er zu jener Schankmagd
zurückkehren würde. Sie würde ihm viel Vergnügen
bereiten. Ja, Slaanesh sei dank dieser nächtliche Spaziergang
hatte sich wahrlich gelohnt.
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