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VOLKER WÖLL - "GÖTTLICHE GESCHENKE "

Nachdenklich betrachtete er den Schädel in seinen Händen. Er drehte den bleichen, trockenen Knochen, bis die leeren Augenhöhlen seinen Blick zu erwidern schienen. Das Gefühl in seinen Händen war warm, aber es war nicht die verblassende Erinnerung an Körperwärme, sondern die aschegraue Hitze des Feuers. Knochen, überall Knochen. Das Imperium schien sich in einen einzigen großen Friedhof verwandelt zu haben. Früher war er umher gezogen um die Menschen mit seinen Liedern von Ruhm und Kampf zu unterhalten. Jetzt war die alte Welt in einem einzigen Drama versunken und die Leute wollten nichts sehnlicher von ihm hören, als fröhliche Lieder.
„Na,“ fragte er mit spöttischem Lächeln sein knöchernes Gegenüber, „soll ich dir ein frohes Lied singen?“
Geschmeidig richtete sich der Barde auf, blickte sich noch einmal um und verließ schließlich die Ruinen des brennenden Dorfes auf der Straße nach Norden. Dort so wusste er gab es ein Gasthaus das den Sturm des Chaos bisher schadlos überstanden hatte. Je weiter er sich von dem Dorf entfernte, desto mehr stieg seine Stimmung. Die Götter hatten ihn nicht nur mit einer honigsüßen Stimme gesegnet, sondern auch mit einem fröhlichen Gemüt. Oder zumindest mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Welt. Krieg oder Frieden waren ihm egal wie die Jahreszeiten: er war ein Wanderer, ein Getriebener, er musste weiter.
Bedrohlich ragten die Bäume links und rechts des schmalen Weges in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Als er um eine Biegung schritt erhob sich vor ihm ein kleiner Hügel den man mit Axt und Säge dem düsteren Wald entrissen hatte. Auf dem Hügel saß ein gedrungenes steinernes Gebäude, welches so verwittert war, das es selbst schon aus sah wie ein teil der Landschaft. Die Mauern waren dick und die Fenster schmal, hinter einer Palisade aus massiven Eichenstämmen schlossen sich ein windschiefer Stall und andere Wirtschaftsgebäude an. Er hatte sein Ziel erreicht. Leise eine fröhliche Melodie pfeifend näherte es sich dem Gasthaus.
Der Schankraum war fast leer. Kaum ein Wanderer betrat in diesen Zeiten die dichten Wälder des Imperiums. Die großen Schlachten im Norden waren geschlagen, der Feind in alle Winde verstreut. Verstreut, aber eben nicht tot. Die Ebenen und Städte waren den Wäldern und Bergen als Schlachtfeld gewichen, aber der Krieg tobte noch immer. Soldaten aus allen Winkeln der alten Welt zogen durch Kislev und das Imperium um die Brut des Chaos aus ihren Verstecken zu treiben. Der Wirt war nirgends zu sehen, aber eine Junge Schankmaid stand an einem Tisch und unterhielt sich mit den einzigen anderen Gäste, einer Gruppe Holzfäller wie es den Anschein hatte. Als er den Raum betrat blickten sie zu ihm herüber. Er verneigte sich geckenhaft und warf ihr einen Handkuss zu, bevor er zu einem der freien Tische ging und sich auf einen der Stühle Lümmelte. Das Mädchen kam zu ihm herüber. Sie war keine Schönheit, aber sie war jung und drall. Außerdem schien sie unversehrt zu sein und wirkte irgendwie unschuldig. Sein Interesse wuchs, denn diese Art der Unschuld fand man dieser Tage selten im Imperium.
„Was wünscht ihr?“ fragte sie ihn, als sie den Tisch ereichte.
Ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht, aber sie rollte nur angewidert die Augen. Gut so, dachte er, dass machte sie nur interessanter.
„Tut mir Leid“ sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung, „aber ihr müsst verzeihen. In diesen Zeiten sind die Wälder gefährlich und kalt. Man erwartet nicht solcher Schönheit zu begegnen.“
Statt einer Antwort zog sie nur eine Augenbraue hoch, aber ihr Blick war nicht mehr so abweisend wie zuvor, hatte schon fast etwas belustigtes. Er musste seine Einschätzung revidieren, die Kellnerin war trotz ihrer Jugend nicht dumm und vielleicht auch nicht ganz unschuldig. Sie stellte fast eine Herausforderung dar und so beschloss er zu einem späteren Zeitpunkt zurück zu kehren um sich richtig mit ihr zu vergnügen.
Da sie weiter schwieg zeigte er ihr ein geknicktes Gesicht und sagte kleinlaut: „Ein Bier, bitte.“
Als sie sich nun umwand umspielte tatsächlich ein Lächeln ihre Lippen.
Nun aber war es für ihn an der Zeit mit seiner Arbeit zu beginnen. Er stand auf, griff nach seiner Leiher und schlenderte zum Tisch der Holzfäller.
„Möchten die Herren vielleicht ein fröhliches Lied hören?“ fragte er in dienstbeflissenem Tonfall.
„Geh weg Spielmann“, antwortete einer der drei Gesellen, ein Mann mit entsetzlich breitem Kreuz einem buschigen Bart und Händen groß wie Schweineschinken. „Die ´Herren` haben kein Geld für dich übrig!“
„Sei es drum,“ gab er leichthin zur Antwort, „dann lasst mich spielen, damit ich nicht aus der Übung komme!“
„Nun, dann wollen wir dich nicht aufhalten!“
Und so begann er zu spielen. „Du spielst für dein Publikum, also wähle deine Lieder nach ihnen aus, du Idiot!“ hatte sein alter Lehrmeister, mögen seine Knochen in der Sonne bleichen, immer zu ihm gesagt. Und das war ein guter Rat gewesen. Für diese hirnlosen Waldbewohner wählte er eine Folge schnell anzüglicher werdender Lieder. Angefangen mit der „Fleißigen Müllerin“ bis zu „Myrmidias Speer!“.
Inzwischen grölten die Holzfäller die Kehrreime mit und hatten ihm schon ein frisches Bier bezahlt. Das war ihm egal, Hauptsache war, dass er sich warm gesungen hatte. Denn natürlich war er längst darüber hinaus auf seine Stimmbänder alleine angewiesen zu sein, aber nichts hasste er mehr als einen Kaltstart.
Endlich wurde die Tür zum Schankraum aufgerissen und eine Gruppe Soldaten betrat den Schankraum. Die Männer waren mit Kürassen, schweren Helmen und Lederhosen gerüstet. An ihren Seiten baumelten Schwerter und Pistolen. Die Männer waren überwiegend jung, aber aus ihren harten Gesichtern sprach die Erfahrung vieler Kämpfe. Der Barde erkannte sie sofort als Pistoliere, schwere Kavallerie, in diesem Fall im Dienste des Kurfürsten von Wiesenland. Der Hauptmann der Truppe war ein kleiner drahtiger Kerl in verschlissener Uniform. Trotz des offensichtlich abgewetzten Aussehens von Ausrüstung und Soldat, und obwohl der Staub der Strasse dick auf ihm und seinen Kameraden lag, hatte der Mann seinen Schnurrbart säuberlich nach der neuesten nulner Mode gezwirbelt. Vom poltern der Schritte und dem Klappern der Rüstungen angelockt war der Wirt endlich hinter dem Tresen erschinen. Er war ein Mann, wie der Barde schon viele gesehen hatte: klein, schmerbäuchig und beinahe kahl.
„Wirt!“ sprach der Hauptmann ihn im befehlgewohntem Tonfall an. „Wir brauchen Wasser und Futter für die Pferde. Und auch Wasser und etwas zu essen für meine Männer.“
„Sehr wohl, Herr Hauptmann. Wollt ihr keine Zimmer? Es ist schon dunkel.“ fragte der Wirt.
„Nein, wir versorgen nur die Pferde. Wir sind einer Horde Chaosanbeter auf der Spur. Sie müssen weniger als einen Tag voraus sein.“ entgegnete der Soldat, „Um ehrlich zu sein, es ist ein Wunder, dass sie euer Gasthaus verschont haben.“
Der Wirt zuckte bei dieser Enthüllung sichtlich zusammen und auch die Schankmaid wich unfreiwillig ein paar Schritte zurück. Chaosbanditen ganz in ihrer Nähe!
„Hauptmann?“ der Barde war von seinem Platz bei den Holzfällern aufgestanden und zu dem Hauptmann und dem Wirt an den Tresen getreten. „Habt ihr etwas dagegen wenn ich für eure Männer singe, während eure Pferde versorgt werden?“
Kritisch musterte der Hauptmann die schlanke in bunte Kleidung gehüllte Gestallt des Barden. „Ich glaube nicht das uns nach Gesang zumute ist“
„Nur ein Lied, das ihre Stimmung hebt. Es ist nicht viel was ich für die Verteidigung des Reiches tun kann Herr.“ erwiderte der Sänger mit samtener Stimme.
Für einen Augenblick sah es so aus als wollte der Hauptmann ihn erneut abweisen, aber dann warf er einen Blick auf seine Männer, die sich im Schankraum verteilt hatten und alles in allem einen recht abgekämpften Eindruck machten.
„Ein Lied kann nicht schaden.“ gab er schließlich nach.
Der Barde verbeugte sich elegant zunächst vor dem Offizier und dann noch einmal vor seinen Soldaten. Er hob seine Leiher und begann zu spielen. Schon die ersten Takte von „Die sanften Hügel Wiesenlands“ zeigten Wirkung. Alle Köpfe wandten sich ihm zu und alle horchten auf als sie das traditionelle Wiesenländische Heimatlied vernahmen. Pistoliere waren junge Adelige und Söhne aus gutem Haus, aber jeder von ihnen kannte das Lied seit es ihnen ihre Ammen vorgesungen hatten. Und dann begann er zu singen. Seine Stimme klar und reiner als es je einer von ihnen gehört hatte und jedes andere Geräusch erstarb, zog sich zurück vor der gebieterischen Kraft seiner Magie. Takt für Takt, Zeile für Zeile wob er sein Netz, zog es mit jeder Strophe fester zusammen. Müdigkeit übermannte die Soldaten, ein Gefühl trostloser Melancholie: Fern der Heimat ohne Rast seid vielen Tagen, ausgelaugt. Als er die Laute absetze und der letzte Ton verklungen war herrschte vollkommene Stille im Raum. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich der Hauptmann schließlich an den Wirt wand: „Geht, macht eure Zimmer fertig. Meine Männer haben sich eine Nacht in warmen Betten verdient.“

Als der Barde auf der Strasse nach Süden durch die Wälder ging war es dunkel und die Nacht näherte sich ihrer schwärzesten Stunde. Dennoch brauchte er die Schrecken die hier lauerten nicht zu fürchten. Die Götter hatten ihn nicht nur mit einer honigsüßen Stimme und einem fröhlichen Gemüt gesegnet, sein Meister hatte ihn mit große Macht beschenkt. Der Spaß, den er und seine Leute sich mit dem Dorf gegönnt hatten, hatte sie viel Zeit gekostet. Zeit, die er nun wieder gewonnen hatte. Darüber hinaus freute er sich schon auf den Tag an dem er zu jener Schankmagd zurückkehren würde. Sie würde ihm viel Vergnügen bereiten. Ja, Slaanesh sei dank dieser nächtliche Spaziergang hatte sich wahrlich gelohnt.



Der Autor
"Die Schlachten sind geschlagen, das Chaos hat verloren. Falsch, denn das Chaos ist niemals besiegt, es ist unter uns und wird immer bei uns sein... Ich wollte mal wieder etwas Licht auf die eigentliche Macht des Chaos in der WH-Welt werfen, abseits der Schlachtfelder."

Die Jury
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