Dies sind die Chroniken
des Herzog Melmon de Quellenes, niedergeschrieben von Maurice
de Claire, Küster der Burg Sonnenfels.
In dem stillen Gemach des Barons der Burg Sonnenfels wagte
niemand, das Wort zu erheben. Ich, der Küster de Claire,
war gerufen worden, um eine Geschichte aufzuschreiben, die unwirklicher
nicht sein könnte. Heute morgen in der früh war aus
dem nahegelegenen Wald Loren ein einsamer Reiter erschienen.
Er gab vor, der vor beinah eintausend Jahren verschollene Herzog
Melmon de Quellenes zu sein. Und bei der Herrin, sein Siegelring
und seine mächtige Waffe bewiesen seine Worte.
Nun waren hier auf der Burg alle auffindbaren Nachkommen des
einst berühmten Ritters zusammen gekommen, um dem unnatürlich
schnell alternden Mann einen Abschied in Ruhe und Frieden zu
geben. Der Ritter lag in dem großen Bett des Barons. Seine
Brust hob sich nur noch langsam, sein Rücken war mit Kissen
abgestützt worden, damit er aufrecht sitzen konnte. Seine
trüben Augen blickten in die Runde. Seine Augen. Ich werde
ewig an sie denken müssen. Nie sah ich solche tiefen, unergründlichen
Augen, so voller Kummer, Leid und Furcht erfüllt. Doch
trotzdem strahlten die grünen Augen auch ein ungeheures
Wissen und Stärke aus. Nur der Baron selbst, der meiner
Meinung nach diese Augen geerbt hatte, konnte seinem Blick länger
als einen kurzen Moment stand halten.
Ich nahm auf einem kleinen Hocker platz, stellte mein Tintenfass
und ein Bündel Federn auf die Kommode neben mir und entrollte
das Pergament. Anscheinend war ich auf Anweisung des alten Ritters
gerufen worden. Nun leset, was Melmon de Quellenes seinen Nachkommen
und mir vortrug...
„Jetzt sitze ich vor euch, ihr, die ihr die Enkel der
Enkelkinder der Nachfahren meiner Familie seit. Doch wehe welch
Schicksal ward mir widerfahren, als ich vor tausend Jahren dem
Ruf des Waldes folgte. Ich war vertieft im Stillen Gebet zur
Herrin, draußen in der Dumont Kapelle am Saum von Loren,
dem Elfenwald. Mein Schwert ruhte neben mir, mein edles Ross
wartete grasend vor der Kapelle. Ich rief die Herrin um ihren
Segen für das Turnier am Morgen an, als ich ein helles
Leuchten in meinem Rücken spürte. Ich wandte mich
um und erblickte einen strahlenden Lichtschimmer, ein flüchtiges
Glänzen.
Es war zart wie ein Tuch, sanft wie ein Gedanke schwebte es
vor mir in der Mitte der Kapelle. Mein Blick war gefangen, ich
konnte nicht widerstehen. Das Licht schwebte zu mir herüber
und erstrahlte immer heller. Und als es so nah bei mir war,
das ich die Hand hätte ausstrecken können, teilte
sich das Licht wie ein Vorhang und zum Vorschein trat ein zierliches
Wesen. Sie war grade zu winzig und doch so schön. Es sprach
zu mir, doch höret, die Stimme ward in meinem Kopf. Kein
Laut kam über die Lippen des Wesens.
Sie sprach zu mir, sanft und ohne Hast. „Melmon, Ritter
Bretonias. Ich bin Erienne, eine Fee aus dem Walde Lorens. Meine
Herrin ist die Sonnenmaid Minae, Zofe der Herrin des Waldes,
deren Name für euch Sterbliche Ariel lautet. Meine Herrin
bittet euch, an ihrem Fest teil zunehmen. Ihr seit auserwählt,
als Questritter der ihr seit, an der Seite meiner Herrin zu
sitzen und mit ihr das Fest des Morgengrauens zu feiern, wie
es seit je her am ersten Frühlingstag Sitte ist. Euch wird
eine große Ehre zu teil. Folgt ihr mir?“ Es war
verwirrend, einer Stimme zu lauschen und dabei die scheinbar
schweigende Sprecherin anzuschauen. Meine Gedanken überschlugen
sich, ich ward nicht länger Herr meiner Sinne. Ich erhob
mich und gürtete mich mit der Klinge unseres Geschlechts,
dem edlen Schwert Melchor. Die handgroße Fee verschmolz
erneut mit dem Licht und schwebte vor mir aus der steinernen
Kapelle. „Setzt euch auf euer Ross, Ritter, es ist ein
langer Weg.“ Ich sprang auf und wandte mich zum Waldrand
hin, der mir scheinbar drohend entgegenblickte. „Habe
keine Furcht, Melmon von Quellenes, ich werde euch leiten und
vor Schaden bewahren. Vertraut mir.“ Ich schloss die Augen,
sprach ein Gebet an die Herrin und atmete tief durch. Langsam
öffnete ich sie wieder. Doch höret, die Fee ward nicht
länger bei mir.
Weit im Wald nahm ich ein flüchtiges Licht wahr. Ich gab
meinem Ross die Sporen und trieb es ohne Bedenken oder einen
Gedanken an Gefahr, in jenen Wald, den unsere Vorfahren seit
jeher gemieden haben.
Ich ritt in strammen Tempo, doch schien ich das Licht nie einholen
zu können. Doch verlor ich es nie aus den Augen, so dicht
das Grün auch war. Nach einem schier endlosen Ritt durch
dichtes Gehölz, wurden die Bäume größer,
die Kronen schienen ein nahtloses Dach zu bilden, die Büsche
schienen sich vor mir zu teilen und die drückende Stille
wich freudigen Vogelgesang und den Geräuschen eines lebendigen
Waldes. Ich ließ mein Ross sich einen Weg durch den Wald
suchen und schaute mich um. Der Wald war voller Wunder. Ich
sah eine Herde Rehe mit hellem, gar reinem Fell, neben einem
Wolf grasen. Der Wolf schien die Tiere nicht als Beute zu sehen.
So verwirrend es klingen mag, es schien so, als wäre er
eine Art Aufpasser, wie ein Schäfer über seine Herde
Schafe.
Über mir flogen große, mir unbekannte bunte Vögel
von Baum zu Baum. Ein endloser Singsang erfüllte die Luft,
aller Schweremut und unterdrückter Kummer wich aus meinem
Herzen und wich einem inneren Frieden, wie ich ihn schon lange
nicht mehr gefühlt hatte. Von Zeit zu Zeit machte ich Schatten
aus, die blitzartig mit dem Wald verschmolzen, sobald mein Blick
auf sie viel. Noch ehe ich sie wirklich wahrnehmen konnte, wahren
die Schatten bereits wieder verschwunden. Ich war so erfüllt
von den Wunder des Elfenwaldes, das ich beinahe das Licht vor
mir vergas.
Ich schrak auf und trieb mein Ross weiter an. Ich ritt so
schnell ich konnte, doch ich hatte Hemmungen, durch diesen Frieden
zu preschen. Ich vernahm plötzlich Stimmen in meinem Bewusstsein.
Doch war es nicht die sanfte Stimme der Fee Erienne. Die Stimmen
waren drängend, laut, feindselig. Ich faste mir mit der
Hand an die Schläfe, wollte die Stimmen unterdrücken,
doch sie waren immer da. Sie zogen an mir, flüsterten mir
grauenvolle Dinge zu, drängten mich zur Umkehr lockten
mich fort von meinem Weg. Doch dann drängte sich die Stimme
der Fee in meinen Kopf. Sie vertrieb die dunklen Stimmen aus
meinem Kopf und spendete Ruhe. „Habe keine Furcht, Ritter
Bretonias. Das waren die Dryaden, die Hüter des Waldes.
Sie sind die zum Leben erwachten Kinder des Waldes. Sie sind
von Natur aus feindselig zu Fremden. Lasse dich nicht unter
kriegen. Vertreibe sie mit deinem Willen aus deinem Kopf. Verschließe
dich vor ihnen. Und nun folge mir, es ist nicht mehr weit.“
Das Licht schwebte wieder vor mir her und ich folgte ihm benommen.
Nach weiteren endlosen Stunden hielt das Licht an und die Fee
erschien erneut. Sie schien auf dem Licht zu stehen, doch als
ich näher kam, sah ich winzige Flügel auf ihrem Rücken
schlagen, wie die einer Libelle. Ich sprang ab und rieb mir
die steifen Glieder. Ich kann mir vor, als wäre ich Tagelang
im Sattel gewesen. Oh weh, wie Recht ich damals hatte. Doch
ich war so blind für solche Dinge, den die Vollkommenheit
des Waldes erfüllte mich. Ich erblickte damals das erste
Mal eine Siedlung der Elfen. Sie schien an, auf und in den großen,
mächtigen Bäumen zu liegen. „ Das ist Vahenal,
Heim meiner Herrin, der Sonnenmaid Minae. Sie lebt dort oben
in der Krone von Medanos Meraledea, einem der ältesten
Bäume des Waldes. Er ist tausende Jahre alt, älter
als jeder Elf, der sich in diesem Wald bewegt. Er hat meine
Herrin als seine Bewohnerin erwählt. Das gilt bei uns als
große Ehre. Medanos ist ein lebender Baum. Er lebt von
der Macht des Waldes. Folge mir.“ Die Fee wies ihn an,
ihr in das Dorf zu folgen.
Ich hörte entfernten Hammerschlag, das Lachen von Kindern,
Gesprächsfetzen in einer melodischen Sprache. „Lasse
dein Pferd hier. Es wird diesen Ort nicht verlassen. Man wird
sich um es kümmern.“ Ich strich Rela, meiner Stute,
beruhigend über den Hals und flüsterte ihr leise Worte
in das Ohr. Dann ließ ich die Zügel los und folgte
der Fee.
Hier, wo alles von einem natürlichen Leuchten erfüllt
schien, war ihr Strahlen nicht mehr ganz so intensiv. Erienne
schwebte auf den größten und zentralgelegensten Baum
zu. „Ist das, Meda, Mado...der lebendige Baum?“
Es war das erste Mal das ich in dem Wald der Elfen sprach. Sofort
schien die nähere Umgebung still zustehen. Ich wurde von
unsichtbaren Augen begutachtet und abgeschätzt. Erienne
schwebte vor mich und stimmte in einen Gesang ein. Es dauerte
einen Moment bis ich begriff, das die Fee sprach. Nach und nach
wich die Stille wieder dem harmonischen Klang des Waldes. „Komm,
meine Herrin erwartet dich bereits.“ Am Fuße des
Baumes war eine Art Podest angebracht, von dem sich eine Treppe
erhob, die sich höher und höher an der Rinde des Baumes
entlang wand. Ich schluckte, doch machte ich mich an den Aufstieg.
Höher, immer höher in Richtung der dichten, grünen
Krone der Eiche, erklomm ich die Treppe. Die Fee schwebte mal
über, mal neben, mal vor mir.
Als sich die Stufen ein letztes Mal um den riesigen Stamm des
Baumes wanden, endeten sie an einer hölzernen Plattform,
von der aus weitere Brücken, Rampen und Leitern abzweigten.
Ich blieb kurz stehen um mich von dem anstrengenden Marsch zu
erholen, als ich zum ersten Mal hinunter blickte. Unwillkürlich
wich ich zurück, stolperte und kroch vom Rand der Plattform
fort. Wir waren mittlerweile Hunderte Fuß in der Luft,
höher als die Klippen L’Anguilles. Schweiß
brach mir aus den Poren und auf einmal kam mir die hölzerne
Konstruktion nicht mehr so stabil vor. „Ritter Bretonias,
fasse dich. Diese Stadt wurde vor über Tausend Jahren erbaut
und keiner ist je in den Tod gestürzt. Vertraue mir. Vertraue
mir.“ Ich rappelte mich auf und machte ein paar unsichere
Schritte. Ich kam mir auf einmal schwach und klein vor. Ich
atmete durch und machte weitere, nun sicherere Schritte. Erienne
flog an mir vorbei und ich folgte ihr über Brücken
und Stiegen, bis wir vor einer Art Haus stehen blieben. „Wir
sind an unserem Ziel angekommen.“
Das Haus schien natürlich aus dem Baum entstanden zu sein.
Äste, Blätter und anderes Material, formten eine scheinbar
stabile Behausung. „Ich verlasse dich nun. Wir werden
uns wieder sehen. Trete nun durch diese Pforte und trete vor
meine Herrin. Gehabt euch wohl, Melmon aus Bretonia.“
Und mit einem aufleuchten verschwand die Fee. Ich schüttelte
mich und betrat das Heim der Sonnenmaid Minae.
Die Tür öffnete sich in ein geräumiges Zimmer,
von dem links und rechts weitere Türen abzweigten. Gegenüber
der Tür war ein Durchgang in die Wand eingelassen worden,
der durch einen Vorhang aus weißer Seide verdeckt wurde.
Der Vorhang schob sich zur Seite. Ein hochgewachsener blonder
Elf betrat den Raum, der scheinbar eine Art Vorhalle war. Die
autoritäre Gestalt des Elf war in ein weißes Gewand
gehüllt. Seine harten Gesichtszüge waren gefühllos
und kalt. Ich wusste nicht wie ich ihm begegnen sollte, deshalb
senkte ich kurz das Haupt vor ihm. Seinem Auftreten nach schien
er für mich damals eine wichtige Gestalt zu sein.
„Meine Herrin erwartet dich. Trete durch diesen Vorhang
und erblicke das Antlitz der Sonnemaid Minae. Du wirst ihr mit
allem Respekt begegnen, den du aufbringen kannst. Rede nur wenn
sie dich dazu auffordert. Hege keine niederträchtigen Gedanken,
Die Herrin kann deine Gedanken lesen. Du wirst dich gesittet
benehmen. Unterlasse also alle...“ Der Elf schien nach
einem Wort zu suchen, das nicht allzu beleidigend war. „..alle
niederen Gesten, Erleichterungen und Unverschämtheiten.
Des weiteren wirst du mir alle Waffen aushändigen, die
du bei dir trägst.“ Der Elf hob auffordernd die Hand.
Ich öffnete die Schnalle meines Waffengurts und reichte
sie dem weiß Gewandeten. Dessen lange, dünne Finger
schlossen sich um das Leder. Er nickte mit dem Kopf in Richtung
Vorhang. Ich hielt mit der Hand den Vorhang zur Seite und betrat
das Gemach...
Mich erwartete ein Raum voller sanfter Schönheit. Der
Raum verbreiterte sich und lief in eine kreisförmige Form
aus. Ich war vermutlich nun genau in der Mitte der Baumkrone.
Auf dem Boden lag ein himmelblauer Teppich. Ich konnte unmöglich
sagen, aus welchem Material er war. An den hölzernen Wänden
hingen zwei Gemälde. Das eine zeigte eine friedliche Lichtung
auf der ein übermaßen großer Hirsch graste.
Das andere schien eine Festgesellschaft der Elfen darzustellen.
Die vielen Wesen saßen oder standen alle in farbenfrohen
Gewändern um eine weiße Tafel herum, auf der sich
goldenes Essen häufte. Obwohl viele Elfen abgebildet waren,
schien das Bild nicht überfüllt oder ungleichmäßig
zu wirken. Alles fügte sich in das Gesamtbild ein. Es war
von Meisterhand gemalt. Ich wollte meine Aufmerksamkeit wieder
auf den Raum wenden, doch die Gemälde fesselten meinen
Blick. Plötzlich schienen sich die Farbverläufe zu
bewegen, die Elfen bewegten ihre Münder, als ob sie reden
würden. Feen und anderen Waldwesen bewegten sich durch
das Bild, ich hörte das sanfte Lachen der Elfen und das
Kichern der Feen. Die anmutige Elfe am Kopf der Tafel wandte
mir den Kopf zu und schien mir in die Augen zu blicken. Ich
schüttelte den Kopf. Alles um mich herum drehte sich und
verschwamm, ich fühlte mich nicht mehr als Herr meiner
Sinne und ein Schwindelgefühl überkam mich.
Doch bevor ich stürzte, verschwand das verwirrende Gefühl,
die Farben hielten an und das Bild hing ruhig und unbeweglich
an seinem Platz an der Wand. Auf einmal fühlte ich eine
Hand auf meiner Schulter und vernahm eine Stimme, wie sie nur
die Herrin selbst haben konnte.
„Wie ich sehe, hast du dir die Werke meines ada, meinem
Vater angeschaut. Sie sind nicht einfach nur Gemälde. Als
mein Vater sie schuf, fügte er ein Teil seiner eigenen
Lebenskraft, einen Teil seiner Magie hinzu. Zusätzlich
sind die Bilder von der Macht Medanos erfühlt. Sie sind
ein Teil des Baumes. Es muss ein wundervolles Gefühl sein.“
Ich drehte mich mit offenem Mund um. Die Hand löste sich
von meiner Schulter. Ich erblickte die Sonnenmaid Minae. Ihr,
die ihr noch nie einen Elfen gesehen habt, lasst euch folgendes
gesagt sein. Die Sonnemaid ward noch schöner, noch sanfter,
noch unberührbarer als die anderen Elfenfrauen und auch
Männer. Sie strahlte Zärtlichkeit, Wärme, Autorität
und Macht gleichzeitig aus. Sie war schlank, vom graden Wuchs,
wie alle Mondkinder. Sie hatte langes, seidenes blondes Haar.
Sie trug es offen, sodass es ihr Gesicht umrahmte und ihr bis
zur Taille reichte. Sie trug ein schulterfreies bordeaurotes
Gewand, welches um die Hüfte von einem braunen Gürtel
zusammengehalten wurde. Ihr Haut, so glatt wie Elfenbein war
weiß und schien einen hellen Schimmer von sich zu geben.
Die Herrin, dachte ich. Plötzlich lachte die Elfe und ich
erinnerte mich, das sie meine Gedanken hören konnte. „Nein,
Melmon de Quellenes. Ich bin nicht die Herrin des Sees, die
euer Volk anbetet. Kommt her, ich möchte mit euch reden.
Setzt euch“ Sie wies mit ihrer kleinen zarten Hand auf
einen samtbezogenen Sitzhocker, der wie selbstverständlich
mitten im Raum, gegenüber von einem hölzernen Thron
stand. Ihr Leute, ich war mir sicher, dass er bei meinem Eintreten
noch nicht dort gestanden hatte. Ich folgte ihrer Geste und
setzte mich auf den Hocker. Sie nahm mir gegenüber geräuschlos
Platz. Mit gradem Rücken, erhobenem Haupt saß sie
mir gegenüber. Sie wirkte einschüchternd, doch ihre
hellblauen Augen strahlten eine beruhigende Wärme aus...
Minae blickte mich an. „Du hast bestimmt Durst.“
Sie wartete meine Antwort nicht ab und ohne das sie einen merkbaren
Befehl gesprochen hatte, erschien ein Elf in blauem Gewand mit
einem Tablett. Darauf stand eine Glaskaraffe mit zwei silbernen
Pokalen. Ich nickte dankend. „Meine Herrin, ich danke
euch das ihr mich so freundlich empfangt, doch sagt mir bitte,
weshalb ihr ausgerechnet mich kommen ließet?“ Ich
kam mir wie ein unwissender kleiner Junge vor.
„ Das weißt du nicht? Es ist dein dir zugesprochenes
Recht. Dein Schicksal. Zum Fest des Morgengrauens wird ein Ritter
von reinem Herzen und großen Mutes eingeladen. Ich sehe
an deinen Gedanken, dass du an Zufall glaubst.“ Sie lachte.
„Es war dein Schicksal, an jenem Abend in der Kapelle
zu sein. Jeder andere Ritter, der an deiner statt da gewesen
wäre, hätte nicht die Fee Erienne erblickt. Du wurdest
ausgewählt. Die Bäume unterrichteten mich, dass du
an der Kapelle erschienen warst. Ich hatte dich schon vor für
dich langer Zeit in einer Vision erblickt. Ich habe dich beobachtet.“
Es fiel mir schwer, dies alles zu glauben, geschweige denn zu
verstehen. „Was genau ist das Fest des Morgengrauens?“
Die Elfe erhob sich und stellte sich vor das Gemälde ihres
Vaters.
„Es ist ein Fest welches an jenem Tag gefeiert wird, an
dem der Wald aus seinem Winterschlaf erwacht. Das Fest heißt
den Frühling willkommen und verabschiedet mit Erfurcht
den Winter. Wir feiern das neue Leben, was in unserem Wald wiedererwacht.
Es werden viele Elfenkinder zugegen sein. So viele, wie selten
noch zusammenweilen. Unser Volk schwindet.“ Ihr Gesicht
schien für einen Augenblick von einem dunklen Schleier
bedeckt zu sein. „Das tut mir Leid.“ Ich biss mir
auf die Lippe. Nur ein Narr konnte sein unwürdiges Mitleid
ausdrücken, wenn es um das Sterben eines ganzen Volkes
ging.
De Sonnenmaid blickte mich unverwandt an. „Es wird Zeit.
Enare, mein Schwertmeister, wird dich zu deiner Unterkunft bringen
und dir ein Festgewand bringen lassen. Ich empfange euch heute
Abend bei dem Fest. Versucht ein wenig zu schlafen.“ Sie
nickte mir zu. Zugleich betrat der unnahbare Elf, der mir mein
Schwert abgenommen hatte, den Raum als hätte er auf seinen
Namen gelauscht. Ich fand es unheimlich, dass sich die Elfen
ohne Worte verstehen konnten. Ich erhob mich, verbeugte mich
tief vor der Sonnenmaid und verließ mit Enare das Zimmer.
Draußen drückte der Elf mit mein Schwert in die
Hand. Mit gespielter Höflichkeit bedeutete er mir, ihm
zu folgen. „Hier lang, mein Herr.“ Ich konnte seine
Ironie förmlich sehen. Er führte mich über Brücken
und Stege in ein Haus, welches um den Stamm herum gebaut worden
war. Wie ein Gürtel umschloss es das feste, gesunde Holz
des lebenden Baumes. Ohne ein Wort zu verlieren, verließ
der Schwertmeister und anscheinend Hofmeister der Minae mich.
Ich betrat das Gebäude. Drinnen war wie im Gemach der Elfe
der Großteil aus Holz, doch alles mit elfischer Kunstfertigkeit
geformt und gestaltet. Ich ließ mich auf ein Himmelbett
fallen. Sofort schlossen sich meine Augen und ich versank in
einen unwirklichen Schlaf. Ich bekam noch am Rande mit, wie
jemand ohne viel Geräusche das Haus betrat, etwas ablegte
und sofort wieder verschwand. Das Schwert fiel mir aus der Hand
und ich zog endgültig in das Reich der Träume ein.
Als ich erwachte, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt,
soweit ich das in der dichten Blätterkrone sagen konnte.
Ich fühlte mich eigenartig erfrischt. Ich wuchtete mich
hoch und sah mich etwas desorientiert um. Ich erblickte auf
einem Hocker einen Stapel Kleidung, anscheinend war es das Festgewand
für mich. Ich erhob und wusch mich kurz mithilfe einer
Gläsernen Schale, in der klares Wasser war. Ich kleidete
mich in die angenehm zu tragenden Kleidungsstücke und legte
das Schwert um. Ich wollte das Haus verlassen, doch ich stockte.
Wollte ich wirklich zu einem Fest der Elfen mit meiner Waffe
erscheinen? Eilig löste ich den Waffengurt wieder und ließ
ihn mitsamt dem Schwert auf das Bett fallen.
Die Brücken und Stege waren unnatürlich leer. Ich
fühlte mich alleine und unwohl. Ich verlief mich kurz in
dem geschickten Gewirr aus Wegen, doch schließlich erreichte
ich die Treppe, die mich zurück zum Erboden bringen sollte.
Je tiefer ich kam, desto wohler wurde mir und auch die Geräusche
kamen wieder. Ich hörte sanfte Flötentöne, fröhliches
Lachen und Rege Betriebsamkeit. Ich erreichte schnaufend den
Boden. Um mich herum feierte das Elfenvolk den Einzug des Frühlings
und für war, es schien, als weilte die erste Jahreszeit
mitten unter uns. Überall wehte der typische Frühlingswind,
Krokusse sprossen aus der Erde und Tiere standen wie selbstverständlich
neben den Elfen.
Die Elfen. Es war nicht zu übersehen, dass eine große
Anzahl an verschiedenen Sippen zu gegen war. Ein Teil war in
bunte seidene Gewänder gehüllt, andere waren in praktischer
und doch eleganter Lederkleidung erschienen. Andere schienen
nur einen Hauch von nichts zu tragen und doch wurde ihr anmutiger
Körper völlig bedeckt. Auch andere Wesen waren gekommen
und bei der Herrin, was für welche. Neben den natürlichen
Waldbewohnern wie Hirschen, Bären oder Vögeln, waren
auch baumartige Geschöpfe vorhanden, ebenso Feen, Kobolde
und Irrlichter. Sie alle feierten in einem Strudel der Harmonie.
Ich fühlte mich fehl am Platz und überflüssig.
Plötzlich trat eine auf mich jünger wirkende Elfe
an mich heran. Sie lächelte mir zu und bot mir einen Wein,
roter Farbe, aus einem Goldkelch an. Ich nahm vorsichtig einen
Schluck. Ihr Lächeln wurde breiter als sie den Kelch zurück
nahm und in der Menge verschwand. Mit einem Mal fühlte
ich mich leicht und unbeschwert. Ihr Kinder, ich wollte feiern,
trinken und singen. Ein Faun, ein aufrecht gehendes Wesen, halb
Mensch, halb Ziegenbock, sprang von hinten an mich heran und
führte mich ein Stück um den Baum herum.
Mittig im Dorf war eine riesige Tafel aufgebaut, auf der sich
die Speisen nur so häuften. Ich stockte, denn was viel
mir ein? Es war alles so wie auf dem Gemälde im Zimmer
der Sonnemaid. Ich bekam es mit der Furcht zu tun. Am Kopfende
saß wie auf dem Bild eine weißgewandete Gestalt.
Minae, so unberührbar und rein. Ich wollte instinktiv zurückweichen,
doch als sie mich anblickte, war es förmlich ein Sog, der
mich auf sie zu bewegte. Ein Elf erschien hinter ihrem Stuhl
und stellte zu ihrer rechten einen weiteren Lehnensessel für
mich auf. Ich setzte mich und schlagartig hörte jegliche
Bewegung auf.
Alle Gesichter waren mir zugewandt, jeder Blick heftete sich
an mich, so schien es. Ich überlegte fieberhaft ob ich
etwas falsch gemacht haben konnte. Musste ich etwas sagen, schoss
es mir durch den Kopf, etwas darbieten, als Gastgeschenk? Ich
nahm all meinen Mut zusammen und stellte mich aufrecht hin.
Ich blickte kurz fragend zur Seite und die Sonnenmaid erwiderte
meinen Blick und nickte zustimmend. Ich atmete tief ein und
sprach: „Ihr edles Volk. Ich danke euch, dass ihr mich
an eure Tafel gerufen habt. Es ist mir eine Ehre und ich bin
stolz darauf, dass ich als würdig befunden wurde, hier
mit euch zu feiern. Doch ich habe nichts von Wert oder Besitz
bei mir, was ich dem Volk der Elfen als Geschenk überreichen
kann. Alles was ich geben könnte, würde neben eurer
Perfektion dahinschwinden und verblassen. Darum gebe ich das
Einzige, was mir allein gehört und unverfälscht ist.
Mein Leben und meine Treue. Ich gelobe der Sonnenmaid die Treue
bis sie meiner Überdrüssig geworden ist.“ Mit
diesen Worten kniete ich vor ihre nieder. Sie legte mir ihre
zarte Hand auf den Kopf und gebot mir aufzustehen.
„Ich nehme deine Treue an. Auch wir geben dir ein Geschenk.
Solange du in unserem Wald wandelst, sollst du nicht altern
oder schwach werden, nimmer müde oder erschöpft sein.
In meinem Auftrag wirst du unsere Waldesgrenze zusammen mit
meinen kämpfenden Jüngern verteidigen und einhalten,
bis ich deinen Eid als erfüllt ansehe.“ Ein Lächeln
erschien, welches ich nicht einzuordnen wusste. Das Fest nahm
seinen Lauf und ich schwelgte in einem ahnungslosen und unschuldigen
Frieden. Ich wurde ein Teil des Waldes, ein Teil der Elfen und
ein Teil ihrer Gemeinschaft und ihrer Feste.
Meine Kinder, damals kam es mir rechtens vor, den Elfen meine
Treue zuschwören. So verblendet war ich, so verführt
von ihrer Schönheit und Vollkommenheit. Doch wehe, die
Sonnemaid trieb ein unentfliehbares Spiel mit mir. Sie schickte
mich noch am anderen Tage hinaus. Seitdem habe ich mein Leben
völlig in ihren Dienst gestellt. Doch nach Jahren des Dienens,
meinte ich, dass mein Eid erfüllt sei. Doch die Herrin
möge euch davor beschützen. Ohne es zu wissen, hatte
ich den Elfen einen Seelenschwur gegeben. So ward ich bis zum
heutigen Tage der Diener der Befehle der Minae. Doch weh, in
dem Elfenwald vergeht die Zeit so unwirklich. Es erscheint mir
unmöglich, was ihr mir sagt, dass ich seit tausend Jahren
fort sein soll. Da ich nicht alterte oder Schwächer wurde,
schien die Zeit für meinen Körper still zu stehen.
Mir kamen es höchstens wie zwei Dutzend Sommer vor. Aber
welch Schicksal, tausend Jahre habe ich gedient und nun verwelke
ich innerhalb eines Tages...“
An dieser Stelle setzten dem Ritter große Schmerzen zu
und wenige Stunden später verstarb er. Er wurde mit allen
Ehren neben seiner Familie begraben. Ich selbst habe für
mich gelernt:
Ehre wem Ehre gebührt, Treue, wem Treue gebührt.
Unser Leben gehört uns und kann mit keinem Schwur einem
anderen gegeben werden.
Maurice de Claire, Küster
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