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EXTERMINATUS

[959.M41/ Segmentum Pacificus]
In seinen Träumen spürte Palmer Kälte. Jedes Mal, wenn er durch den Warp reiste, träumte er von Kälte. Und von IHM. Sein Gesicht schien aus einem wabernden Nebel aufzusteigen. Jedes Mal verwandelte sich das Gesicht der Reihe nach in die Feinde der Menschheit. Edle Eldar, ihre dunklen Brüder, die verabscheuungswürdige Fratze eines Chaosanbeters. Unruhig drehte sich Palmer im Schlaf. Das Gesicht eines Orkbosses erschien und öffnete seinen riesigen Rachen. Wie immer sprach ER mit Palmer, doch bis jetzt vermochte er nichts zu verstehen. Das Gesicht verformte sich erneut, bis sich der Schädel eines Kroot ausgebildet hatte. "Tod," hörte Palmer SEINE Stimme. Gequält stöhnte der ehemalige Captain des Todeskorps auf. "Tod," flüsterte die Stimme aus dem Mund eines Tau. Dann, ganz langsam, nahm das Gesicht wieder menschliche Züge an. Ein feines Lächeln umspielte die Lippen und die ausdruckslosen schwarzen Augen blickten starr in die Ferne: "Tod."
"DRAKE!!" fuhr Palmer auf und sank schweißgebadet auf sein Bett zurück. Sein Schädel dröhnte. Langsam fasste er sich an seine linke, leere Augenhöhle und spürte eine Flüssigkeit. Er wusste, dass es Blut war ohne hinzusehen. Inquisitor Antonius hatte ihm einst gesagt, dies wäre eine Gabe. Die Gabe, das Chaos zu spüren. Rico Palmer hielt es mittlerweile für einen Fluch.
Er tastete nach einem Päckchen Zigaretten, das neben einem überfüllten Aschenbecher lag und zündete eine davon an. Vor fast fünf Jahren hatte seine Odyssee an der Seite des Inquisitors begonnen. Nach der Befreiung des Schreines auf Ramar IV war er ein gefeierter Held gewesen. Genau wie die anderen Überlebenden des Selbstmordkommandos. Vreck, Keeth, Ander, Jelleby, Grey. Namen blitzten in seinem Gedächtnis auf. Namen von Freunden, die er nie mehr wiedersehen würde. Er nahm einen tiefen Zug und stieß eine Rauchwolke an die Decke seiner Kabine.
Seit drei Wochen reisten sie bereits durch den Warp, um eine abgelegene Makropolwelt zu besuchen. Einer von Antonius zahlreichen Informanten hatte einen häretischen Kult gemeldet. Der Comm-Link summte und Henson meldete sich: "Rico, komm in den Konferenzraum. Lagebesprechung." Es knackte und es herrschte wieder bedrückende Stille. Henson gehörte, ebenso wie Palmer, zu Antonius kleiner Truppe. Er stammte von einem Minenplaneten und hatte 15 Jahre in der imperialen Armee gedient, bevor der Inquisitor auf ihn aufmerksam geworden war. Palmer stöhnte und setzte sich auf. Er schlüpfte in eine schwarze Uniformhose, zog ein olivgrünes T-Shirt an und angelte mit einem Fuß nach seinen schweren Stiefeln. Bevor er sich auf den Weg machte, stopfte er ein Stückchen Mull in die blutende Augenhöhle und legte die Augenklappe an.
Der Konferenzraum lag ganz in der Nähe seines Quartiers und es war nicht verwunderlich, dass er als erster dort war. Als nächster traf Henson ein. Der schlanke, sehnige Mann nickte dem ehemaligen Captain zu und setzte sich. Kurz danach traf Certinus ein, der wandelnde Datenspeicher des Inquisitors. Er war bereits weit über hundert Jahre alt und wirkte durch seine zahlreichen Implantate kaum noch menschlich. Certinus nahm alles um sich herum wahr und zeichnete es automatisch auf. Vorsichtig setzte sich der alte Mann auf seinen Stuhl, wobei seine Gelenke bedenklich knackten.
Mick, der Mann fürs Grobe, traf als Letzter ein. Seine Gestalt war furchteinflössend. Er war fast so groß und so breit wie ein Ogryn und sah auch ebenso brutal aus. Seine erstaunliche Körperkraft hatte er schon oft unter Beweis gestellt, wenn auch nicht immer im passendsten Moment. Er grinste den anderen zu, wobei er mehrere Zahnlücken entblößte und setzte sich schwerfällig hin. Dann legte er seine muskulösen, tätowierten Arme auf den Tisch. Deveraux, der Pilot, und Markus, der Astropath, nahmen nicht an der Besprechung teil.
"Meine Herren," begann Antonius, als er eintrat, "wir haben unser Ziel bald erreicht. Die Botin des Imperators wird uns in fünf Stunden absetzen. Den kurzen Flug nach Neo-Moy werden wir ohne Begleitung zurücklegen." Antonius setzte sich hin und schlug eine schmale Aktenmappe auf: "Nach den Informationen, die mir übermittelt wurden, scheint die gesamte Regierungsschicht vom Licht des Imperators abgefallen zu sein. Da ich keine Namen erhalten habe, scheint der ganze Fall äußerst schwerwiegend zu sein. Es ist deshalb unmöglich Schritte zu planen, bevor ich meinen Informanten nicht persönlich getroffen habe." Er machte eine kurze Pause und blickte die drei Männer der Reihe nach an: "Ich und Certinus werden uns mit ihm treffen. Palmer, Mick, sie versuchen in den unteren Ebenen etwas herauszufinden. Seien sie äußerst vorsichtig, denn dort unten scheint die Anarchie zu herrschen. Ich gebe ihnen zwei Tage Zeit, dann melden sie sich spätestens bei mir. Henson, sie werden nach der Landung eine Unterkunft organisieren und dort als Schnittstelle zwischen uns dienen." Henson nickte gehorsam. "Bevor wir uns vorbereiten, muss ich sie alle warnen. Im Vergleich zu dem, was uns auf Neo-Moy erwarten könnte, waren die vergangenen Jahre harmlos. Des weiteren tappen wir ziemlich im Dunkeln, da ich normalerweise präzisere Informationen erhalte." Damit waren die Männer entlassen. Mick erhob sich und trat auf Palmer zu: "So wie wir aussehen, werden wir da unten kaum auffallen. Wir sollten uns nur noch ein wenig ausstaffieren." Mit einem breiten Grinsen wandte sich der gewaltige Mann ab. Rico ging zurück in sein Quartier und setzte sich aufs Bett. Nervös zündete er sich eine Zigarette an und dachte an seinen Traum, in dem Drake zum ersten Mal gesprochen hatte. Sollte man das nun als gutes oder schlechtes Omen betrachten?
Er öffnete eine Metallkiste am Fußende seines Bettes, die vollgestopft mit Waffen war. Er warf eine abgesägte, doppelläufige Schrotflinte aufs Bett, überprüfte eine schwere Automatikpistole und legte ein langes Kampfmesser dazu. Sein Kettenschwert legte er etwas abseits davon hin. Er würde es mitnehmen, jedoch erst gebrauchen, wenn es nützlich wäre. Zuunterst, sorgsam in ein Tuch eingewickelt, lag seine Plasmapistole. Für die Unterwelt einer Makropolstadt eine sehr außergewöhnliche Waffe. Palmer kratzte sich am Kinn und legte sie neben die Schrotflinte. Etwas Feuerstarkes könnte ihnen im Notfall das Leben retten. Er schloss die Kiste und erhob sich. Vorsichtig entfernte er die Augenklappe und warf den blutigen Mullfetzen in die Abfallentsorgungsanlage. Es war Zeit, noch etwas zu schlafen.

***

Einen halben Tag schon befanden sich Mick und Palmer in der Unterwelt der Makropolstadt Gaerbe. Die Strassen waren schmutzig und die Luft stank erbärmlich. Beide Männer fielen nicht sonderlich auf, nur Mick zog hie und da die Blicke auf sich. Die beiden Agenten des Inquisitors hatten es auf eine Reihe von Bars abgesehen, die sie jeweils aufmerksam beobachtet hatten. Palmer nickte Mick zu: "Nummer fünf. Machen wir uns an die Arbeit." Langsam und vorsichtig überquerten sie die breite Strasse und öffneten die rostige Stahltür. Im Innern der Bar war es stickig und heiß. Der Zigarettenrauch war dicht wie Nebel. Palmer blickte in die Runde. Die Bar war vollgestopft mit Männern, die zwei spärlich bekleideten Mädchen zujohlten, die neben der Theke tanzten. Vorsichtig schoben sie sich durch die Menge von Gangern, Söldnern und Zuhältern, bis sie vor der Theke standen.
"Zwei Bier," knurrte Mick und warf ein paar Münzen auf das fleckige Holz. Der Barmann steckte sie ein und stellte zwei schmutzige Humpen vor die beiden Männer: "Ich hab euch noch nie hier gesehen. Neu hier?" Palmer nickte und nahm einen kleinen Schluck des bitteren Bieres: "Ja, gerade erst angekommen. Kannst du uns was über die Stadt sagen?" Der Barmann zuckte mit den Schultern und strich sich über das speckige Hemd: "Hey, ich bin der Barmann und keine Auskunft." Palmer griff unter seinen Mantel und steckte dem Mann einige Credits zu. "Nun, wenn ich's mir recht überlege... Ihr befindet euch im Hauptmakropolkomplex von Neo-Moy. Hier ist der Sitz der planetaren Regierung." Der Barmann spuckte geräuschvoll auf den Boden: "Aber das ist eh nur dekadentes Pack, das sich einen Dreck um uns schert. Na ja, was soll's. Da ihr eh nicht nach oben kommt, rate ich euch nur eins: Meidet die Ebenen, die tiefer sind als die Ebene 23. Is' nicht gesund, dort unten." Palmer musterte den Barmann. Als er die 23. Ebene erwähnt hatte, war er noch bleicher als sonst geworden. Palmer zündete sich eine Zigarette an und steckte dem Barmann einige weitere Credits zu: "Was ist so Besonderes da unten?" Misstrauisch blickte sich der Barmann um und beugte sich dann vor: "Alle Zugänge nach unten wurden versiegelt. Man munkelt, dass es nur noch einen Aufzug gibt, der da runter fährt. Der soll sich im Palast des Gouverneurs befinden. Eins ist aber todsicher: Jeder, der mal da runter gegangen ist, wurde nie mehr gesehen." Er wandte sich ab, um sich um die anderen Gäste zu kümmern.
Palmer blickte zu Mick und die Beiden nickten sich unmerklich zu. Schweigend tranken sie ihr Bier zu Ende und verließen die Bar. Sie drängten sich ohne auffällige Hast durch die Menschenmasse und bogen bei der ersten Gelegenheit in eine finstere Seitengasse ein. "Mach Meldung, Mick." Der Riese nickte und zog ein kleines Funkgerät hervor. Palmer drückte sich an die Wand eines Wohnblocks und überwachte die Ausfahrt zur Hauptstrasse. Hinter ihm flüsterte Mick die Meldung in Idiom durch. Das Idiom war eine Geheimsprache, die jeder Inquisitor individuell entwarf und für Unwissende nicht zu knacken war. So konnten auch wichtige Meldungen auf ungesicherten Wegen übermittelt werden. "Fertig," knurrte Mick, "wir sollen sofort zurückkehren." Palmer nickte abgehackt. Sie wollten aufbrechen, als mehrere Männer in die Gasse eintraten, die keinen Hehl aus ihrer Bewaffnung machten. "Wie viele?" flüsterte Mick schnell. "Fünf," erwiderte Palmer und schob seine Hand langsam auf die Automatikpistole zu.
"Ihr stellt zu viele Fragen," sagte ein unrasierter Kerl mit ungesunder Gesichtsfarbe lakonisch. Mit dem Daumen entsicherte der Krieger vorsichtig die Pistole: "Wir sind fremd hier. Ist es verboten, sich über örtliche Sitten und Gebräuche zu informieren?" Mick nickte bekräftigend und einen Moment lang wirkte der Ganger unsicher. Doch dann kniff er zornig die Augen zusammen: "Unsere Meister mögen keine Fragen!" Palmer riss die Pistole aus dem Holster und drückte ab. Mit einem dumpfen Knall bohrte sich die Kugel in den Schädel des Mannes und riss ihn zurück. Blutüberströmt sank der Anführer zusammen. Bevor die anderen Vier reagieren konnten, hatte Mick seine Schrotflinte gezogen und drückte ab. Wimmernd brach eine der Gestalten zusammen. Der ehemalige Captain warf sich aus der Schusslinie des dritten Gangers und spürte den Lufthauch der vorbeizischenden Kugeln aus einem Sturmgewehr. Er prallte hart auf, rollte sich ab und ging sofort in eine geduckte Haltung. Er visierte den Ganger an und drückte zweimal ab. Die großkalibrigen Geschosse schleuderten den Mann zurück. "Mick?" zischte Palmer und blickte sich suchend um. "Alles klar, Rico. Ich hab die anderen Beiden erwischt." Der riesige Mann erhob sich langsam und strich liebevoll über den Lauf seiner Schrotflinte. "Wir haben keine Zeit zu verlieren," sagte Palmer und begann, die Leichen zu durchsuchen. Mick postierte sich im Schatten und gab dem Krieger Deckung. Die Schiesserei war auf der Hauptstrasse nicht unbemerkt geblieben. Doch wie es so war, drehten die Menschen ihre Köpfe in eine andere Richtung und eilten an der Ausfahrt vorbei. "Schon was gefunden?" fragte er halblaut. "Keine Papiere," folgte die Antwort, "dafür das hier." Mick wandte sich um. Palmer stand vor den Leichen, ein vom Blut gerötetes Tuch vor sein Gesicht haltend. In der ausgestreckten Hand baumelten mehrere Amulette, welche mit Runen des Chaos übersät waren. "Volltreffer," knurrte Mick.
Der Weg zurück in die Oberstadt war dank der Passierscheine nicht weiter problematisch. Nun saßen Palmer und Mick bei Henson in den Gemächern des Inquisitors. Der Krieger zündete eine Zigarette an und schob eine Armbinde mit dem Symbol der Inquisition über den linken Arm: "In der Oberschicht scheint wirklich was faul zu sein. Wenn das mit dem Aufzug tatsächlich stimmen sollte..." Er ließ den Satz unvollendet und die anderen nickten zustimmend. "Woher wussten die Kultisten, wo wir waren?" knurrte Mick und warf einen Blick auf die Talismane, die Palmer in einen Lappen gewickelt hatte. "Was mich vor allem beunruhigt ist, dass alles unter der 23. Ebene versiegelt wurde. Das geht ja alles runter bis ins Fundament," meinte Henson und inspizierte das Etikett einer Flasche Wein, die er bestellt hatte. Palmer nickte und schnippte Asche auf den dunkelroten Teppichboden: "Ja. Platz für die Chaosbrut." Bevor er weitersprechen konnte, betrat der Inquisitor, gefolgt von Certinus, den Raum. "Sie haben mir wahrlich schlechte Nachrichten übermittelt, Captain." Antonius setzte sich auf ein Sofa und nahm von Henson ein Glas Wein entgegen: "Danke, Henson. Mein Agent teilte mir mit, dass sämtliche wichtigen Amtsträger vom Licht des Imperators abgefallen sind. Damit würde sich auch ihr Kampf erklären lassen. Die ganze Oberschicht muss völlig paranoid sein. Das heißt, dass sie ihr verdorbenes Ziel noch nicht ganz erreicht haben." Antonius machte eine kurze Pause und nippte an seinem Wein: "Ich habe Arbitrator-Primus Viejo hierher gebeten. Er scheint der einzig loyale Amtsträger auf diesem Planeten zu sein." Henson wandte sich um: "Was sollen wir jetzt tun, Inquisitor?" Ein grimmiges Lächeln umspielte Antonius Lippen: "Nun, mit Hilfe des Adeptus Arbites werden wir den Regierungspalast stürmen und die Regierungsschicht verhaften. Danach kümmern wir uns um die versiegelten Ebenen." Mick räusperte sich: "Gibt es auch einen Plan B?" Antonius Gesichtszüge verhärteten sich: "Ja, Mick. Henson wird an Bord unseres Schiffes zurückkehren, sobald wir aufgebrochen sind. Dort wird er meinen Notfallbefehl an Astropath Markus weitergeben. Codewort: Morgenlicht."
Palmer versteifte sich. Morgenlicht war das Idiom für "Exterminatus". Der ehemalige Captain zündete sich eine neue Zigarette an. Die imperiale Flottenbasis war nur drei Tage entfernt. Zeit genug, um sich abzusetzen. Aber wenn Antonius den Befehl gab, dürfte die Situation sowieso unmöglich zu bewältigen sein.
An der Tür klopfte es und ein Mann in brauner Uniform trat ein. Sein Gesicht war durch das spiegelnde Helmvisier nicht zu erkennen: "Arbitrator-Primus Viejo." Eine weitere Person betrat den Raum. Seine Uniform war von gleicher Farbe, allerdings mit zahlreichen Orden und Abzeichen geschmückt. Er war in den späten Dreißigern, das Haar kurzgeschoren, die Gesichtszüge streng und unerbittlich. Ohne ein Wort zu sagen, zeigte Antonius die Rosette der Inquisition. "Inquisitor...?" brachte Viejo mit heiserer Stimme heraus. "Wir benötigen ihre bedingungslose Unterstützung, Arbitrator-Primus," eröffnete Antonius das Gespräch.

***

Mit zwei Hundertschaften des Adeptus Arbites hatte der Inquisitor den Palast umstellen lassen. Alle anderen verfügbaren Kräfte befanden sich bei den versiegelten Zugängen zur 22. Ebene und würden auf ein Kommando hin zuschlagen.
"Wurden die Palastwachen informiert?" fragte Viejo und lud seine Schrotflinte durch. Antonius nickte: "Ja, Arbitrator-Primus. Sie stehen loyal zu unserem Imperator. Wir kommen ungehindert in den Palast." Er blickte über die angetretenen Männer: "Ich erwarte keine Gnade gegenüber jeglichem Widerstand, Viejo. Haben sie das verstanden?"
Palmer warf seine Zigarette fort und betrachtete den Inquisitor. Er hatte eine dunkelblaue Plattenrüstung angelegt, welche mit goldenen Symbolen und Gebeten verziert war. Auf seiner Brust prangte der Imperiale Adler, der das Symbol des Ordo Malleus in seinen Krallen hielt. Ein letztes Mal überprüfte Palmer seine Plasmapistole und die abgesägte Schrotflinte, die er an der linken Hüfte trug. Das Kettenschwert hatte er sich auf den Rücken geschnallt. Antonius nickte und in geordneten Kolonnen marschierten die Arbitratoren in den Regierungspalast. Niemand stellte sich ihnen in den Weg.
"Zu dieser Zeit befinden sie sich im Konferenzsaal," erklärte Viejo. Antonius nickte zufrieden: "Der ganze Abschaum auf einem Haufen. Sehr gut." Die Doppeltür des Saales war mit imposanten Schnitzereien geschmückt. Der Inquisitor trat vor und strich sanft über das stilisierte Bildnis des göttlichen Imperators: "Häretiker." Palmer blickte sich nervös um. Sein Traum kam ihm in den Sinn. Er fixierte das Bildnis seiner Herrlichkeit auf Terra und sandte ein Gebet an ihn. "Palmer, öffnen sie die Tür," befahl Antonius. Der Krieger betätigte den Öffnungsmechanismus. Mit leisem Zischen glitten die beiden Flügel zur Seite. Etwa fünfzig ältere Frauen und Männer in kostbaren Roben wurden sichtbar. Ein hochgewachsener, hagerer Mann erhob sich entrüstet: "Was erlauben sie sich? Wachen, verhaftet den Eindringling!" Doch die anwesenden Wachen rührten sich nicht vom Fleck. Antonius trat in den Saal, gefolgt von Viejo und den Arbitratoren: "Gouverneur Thraa, ich beschuldige euch und die anwesenden Mitglieder der Regierung der Häresie und der Anbetung falscher Götter!" Beim Anblick des Inquisitors verwandelte sich das Antlitz des Gouverneurs in eine hassverzerrte Fratze: "Ich verfluche dich, Diener des falschen Imperators!" Er griff unter seine Robe und zog eine Laserpistole hervor. Palmer zögerte keine Sekunde. Ein heißer Plasmastrahl durchbohrte den Brustkorb des abgefallenen Gouverneurs. Gleichzeitig hoben alle Arbitratoren ihre Waffen.
"Arbitrator-Primus, nehmen sie die Häretiker fest und bereiten sie alles für ihre Hinrichtung vor," donnerte Antonius. Viejo wandte sich dem Inquisitor zu: "Ohne Beweise, Inquisitor?" Antonius runzelte die Stirn und deutete auf Palmer, aus dessen Nase ein dünnes Rinnsal Blut floss: "Das ist mir Beweis genug." Viejo winkte mit der Hand und eine Hundertschaft legte die Häretiker in Ketten. "Gut. Kümmern wir uns um den Aufzug. Viejo, in fünf Minuten sollen ihre Männer die Siegel erbrechen und mit dem Angriff beginnen." Der Arbitrator-Primus nickte abgehackt.
"Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache," knurrte Mick, als sich die Männer auf den Weg machten. Palmer erwiderte nichts. Er konzentrierte sich auf seine Schmerzen im Kopf, die dort unten zweifellos noch stärker werden würden. Bei dem Aufzug handelte es sich um eine gigantische Plattform, auf der die Arbitratoren und die drei Männer schon fast verloren wirkten. Auf dem Weg nach unten verstärkte sich das Dröhnen in Palmers Kopf. Nur widerwillig hatte er dem Plan des Inquisitors zugestimmt, direkt nach unten zu fahren, wo zweifellos das Herz des Kultes lag. Er griff sich unter die Augenklappe, um das durchgeblutete Mullstück zu entfernen. "Alles in Ordnung, Rico?" fragte Mick. Palmer nickte kurz und schob ein sauberes Stück in seine Augenhöhle.
Mit einem Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Feuer prasselte auf sie ein und fällte mehrere überraschte Arbitratoren. Palmer warf sich von der Plattform und zwängte sich in eine Nische. Hier unten würden die Kultisten besonders selbstmörderisch vorgehen. Erinnerungen an Skaltra Infernum und Ramar IV blitzen auf, doch Palmer schüttelte energisch den Kopf. Er musste sich konzentrieren. "Vorwärts! Vernichtet die Feinde des Imperiums und unseres göttlichen Imperators!" hörte der Krieger den Inquisitor über den Gefechtslärm brüllen. Durch die Worte angespornt, preschten die Gesetzeshüter von der Plattform und drängten die Kultisten in die Strassen zwischen den Fabriken und Stromgeneratoren zurück. Palmer sprang auf und folgte dem Inquisitor, gezielte Schüsse aus seiner Plasmapistole abgebend. Die Häretiker wehrten sich verzweifelt. Um jeden Meter Boden wurde erbittert gekämpft. Ihre Verluste waren verheerend, doch für jeden gefallenen Kultisten schienen sofort zwei Neue die Lücken zu schließen. Aber auch die Arbitratoren mussten schwere Verluste hinnehmen. Die Statusmeldungen der anderen Hundertschaften ließen auf wenig Hoffnung schließen. Die Hundertschaften Alpha und Delta waren bereits in der 22. Ebene aufgerieben worden, die vier Übrigen waren auf der 20. Ebene in schwere Kämpfe verwickelt.
"Sie werden es nicht rechtzeitig schaffen," knurrte Mick, als er ein neues Magazin in sein Sturmgewehr schob. Doch Palmer wusste, dass sie noch eine Chance hatten. Wenn sie den Tempel der Chaosbrut erreichen würden, könnten sie das Blatt vielleicht noch zu ihren Gunsten wenden. "Vorwärts, Mick. Wir dürfen nicht aufgeben. Wir dienen dem Imperator bis an unser Ende," flüsterte Palmer.
"Wir haben das Ziel gesichtet," knackte eine Stimme aus dem Vox-Link. Der Krieger grunzte zufrieden und rannte geduckt vorwärts. Dann sah er es. Aus einer alten Fabrikanlage hatten die Kultisten ihre perverse Version eines sakralen Gebäudes gemacht. Beim Anblick der obszönen Symbole und Statuen wurde Palmer übel. Er bekämpfte eine Welle des Schmerzes und brüllte seinen Hass auf die Feinde des Imperiums hinaus. Als sei sein Schrei ein Signal gewesen, stürmten die gut dreißig überlebenden Arbitratoren in den Tempel und der Krieger schloss sich ihnen an. Mit lautem Kreischen erwachte Palmers Kettenschwert zum Leben und fraß sich in den Hals eines von Krankheiten zerfressenen Kultisten. Seine Plasmapistole zerstörte das von schleimigen Pilzen überwucherte Gesicht eines weiteren Häretikers. "Seuchenanbeter," spie Antonius aus und mähte mit seinem Bolter eine Gruppe verkrüppelter Gestalten nieder. Neben ihnen detonierte eine Granate und riss ein gewaltiges Loch in die Mauer. Trümmer regneten auf die Männer hinab und schürfte bloße Hautstellen auf. Der Inquisitor stieß ein zorniges Lachen aus und richtete seine uralte Waffe auf eine weitere Gruppe Kultisten. Sich das Blut aus dem Gesicht wischend, trat Palmer durch eine Tür: "Inquisitor! Der Altarraum!" Mick und der Inquisitor traten ein. Das obszöne Heiligtum war überraschenderweise nicht besonders groß. In der Mitte stand ein gewaltiger Altar, dahinter waberte eine krankhaft grüne Energieerscheinung. "Ein Warp-Portal," flüsterte Antonius. "Sie kommen! Wir müssen uns hinter dem Altar verschanzen!" schrie Mick und warf eine Granate durch die Tür. Hastig gingen die drei Männer hinter dem verzierten Stein in Deckung. Eine Explosion erschütterte den Boden "Viejo, wir brauchen sofort Unterstützung. Viejo?" funkte Antonius, doch es kam keine Antwort. Der Inquisitor richtete sich ein wenig auf, schaltete auf einen anderen Kanal und sagte mit klarer Stimme: "Morgenlicht. Ich wiederhole: Morgenlicht." Palmer erblasste. Damit war das Schicksal dieser Welt besiegelt. Selbst wenn sie es geschafft hätten, den Tempel zu zerstören, wären die gesellschaftlichen Strukturen wohl schon zu stark korrumpiert gewesen. "Wir werden unser Leben so teuer wie möglich verkaufen. Durch das Portal in unserem Rücken haben wir einen Fluchtweg für den Notfall," sagte der Inquisitor. In diesem Moment erschien ein Kultist in der Tür. Mick und Palmer eröffneten das Feuer, doch der Häretiker konnte noch einen Schuss abgeben bevor er starb. Eine Blutföntäne spritzte aus dem Hals des Inquisitors. Verblüfft sank er gegen den Altar. Langsam hob er das Funkgerät an seine Lippen. "Todesbote... Todesbote," flüsterte er mit schwacher Stimme. "Halt sie einen Augenblick auf, Mick!" schrie Palmer und beugte sich über den verletzten Antonius. Die Wunde war tödlich, stellte er fest. "Was ist "Todesbote", Inquisitor?" Ein schwaches Lächeln erschien auf Antonius Gesicht: "Certinus wird... wird sich um alles kümmern." Antonius hustete und mit brechender Stimme fügte er hinzu: "Sie... sie sind würdig, Palmer. Sie haben... einen festen Glauben und einen starken Willen. Gehen sie..." Palmer sah verwirrt auf. Es hatte keinen Sinn, jetzt über die Bedeutung des Idioms nachzudenken. "Mick, wir verschwinden! Komm schon!" schrie der Krieger und gab dem riesigen Mann Feuerschutz, bis er durch das Portal getreten war. Dann warf sich auch der ehemalige Captain des Todeskorps in das wabernde Feld. Sein Kopf schien zu explodieren, bevor ihn eine unnatürliche Kälte befiel. Sein ganzer Körper schien sich in seine Bestandteile auflösen zu wollen. Palmer wollte schreien, doch er konnte nicht. Dann umfing ihn gnadenvolle Schwärze.



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