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IM SCHATTEN DER HäRESIE

Ein bleierner Himmel erhebt sich über den rauchenden Trümmern der Makropolen auf Weywodna V. Er umspannt die Schutthaufen der einstigen Zivilisation gleich einem fahlen Leichentuch. Grimmig und scheinbar ohne Ende. Ohne Ende sicherlich für diejenigen, die unter diesem Himmel begraben sind. Oder unter den Trümmern der Städte.

Kein Glanz eines falschen Imperiums erstrahlt mehr auf der einzigen bewohnten Welt im Weywodna-System. Kein falscher Prunk und falsche Kirchen. Gefallen sind die Städte wie die Lügen der Prediger des falschen Imperators. Diese neue Wüste ist in ein neues Leuchten übergetreten: Das Leuchten des Sieges der rechtschaffenen Gesandten des rechtmässigen Imperators.

Es ist Zufriedenheit, die jetzt, am Ende langer Tage auf dem Gesicht von Karel wiederspiegelt, so wie sich die unendlichen Rauchschwaden vor ihm in seinen Augen wiederspiegeln. Augen voller Sieg und voller Gewissheit thronen in Karels Gesicht über harten, dünnen Lippen, die sich beinahe das leise Lächeln versagen, das seinen Mund umspielt. Aber es ist da. Alle Ruhe und Gelassenheit eines unendlichen Reiches scheint seine eisenharten Muskeln nun zu besänftigen, die eingebettet in seinen harten Körperpanzer ruhen. Es ist getan. Wieder getan, so wie es auch noch viele weitere Male getan werden wird. Getan werden muss, wenn das Reich eines Tages ein wahrhaftig göttliches Reich sein soll. So wie die neue Ruhe wohnt auch die Bereitschaft dazu in Karels Muskeln und in seinem Geist. Durchdrungen ist er von der Gewissheit, hier ein kleiner Teil eines grösseren, eines gewaltigen Ganzen zu sein. Er schliesst seine weltlichen Augen und sein Geist wandelt für Sekundenbruchteile auf Traumpfaden, auf denen er die endlosen Reihen seiner Brüder erblickt, die auf tausenden und tausenden von Welten tausende und tausende von Siegen erringen. Er atmet die heisse, russige Luft ruhig ein und wieder aus. Selbst die Luft der Vernichtung fühlt sich angenehm an, wenn man seit Tagen zum ersten Mal den Harten Helm vom Kopf genommen hat.

Allein steht Karel auf der Ebene unweit der Ruinen dessen, was einmal Brasov gewesen ist. In dieser Stadt ist seine Legion auf den grimmigsten und am meisten entschlossenen Widerstand der verblendeten Imperatortreuen gestossen. Aber am Ende besteht nichts vor dem Schwert der Rechtschaffenheit. So ward gefochten und der Feind niedergerungen.
Etwas entfernt zu Karels linker stehen einige seiner Brüder, die an einer Kommunikationseinrichtung basteln. Ein grossteil der Kommunikation war während der Kämpfe durch zunehmende atmosphärische Störungen zum erliegen gekommen. Wenn Karel die Augen wieder schliessen würde, dann könnte er diese Brüder fühlen. Denn sie sind wahrlich mehr als nur Brüder. Sie sind er. Und er ist sie. In Aussehen und Gedanken in der Ewigkeit verbunden. Geschaffen nicht als Nebenprodukt primitiver fleischlicher Lust, sondern von höherem Willen zu hehreren Zielen. Alles an ihnen und ihm, innen wie aussen, ist Grösse und Bestimmung. Sein Lächeln ist jetzt nicht mehr nur angedeutet. Karel beginnt, sich in Richtung der Ruinen in Bewegung zu setzten. Die gewaltigen Beine im noch gewaltigeren Panzer geschützt verleihen jedem Schritt Majestät.
Nur ein kleiner Teil in einen grösseren Ganzen. Aber doch als einfacher Ordensbruder ein König.


Einige Kilometer tragen ihn seine Schritte. Über bis vor kurzem hart umkämpftes Territorium, über Bombenzerfurchte Erde, vorbei an den Resten seiner Brüder, die gefallen sind und deren letzte Gedanken noch immer in seinen Sinnen wiederhallen. Aber Karel blickt voraus. Denn über den Ruinen von Brasov weht das Banner seiner Legion. Einer Legion, die bald das ganze Reich in die Hände des rechtmässigen Herrschers führen und von der Pest des verlogenen Regimes erlösen wird. Ein gnadenloser Krieg hat hier getobt. Und keine Gnade hat in den Herzen der Beteiligten gewohnt. Weder bei den Angreifern noch den Verteidigern.

Wie viele der Verteidiger mögen übrig sein? Es können nicht viele sein. Erst nach langem Zermürbendem Mörserbeschuss hat die Legion ihre grössten Waffen eingesetzt. Ein triumphaler Todesstoss, auf dessen Wogen Karel sich weiter vorwärts auf die Ruinen zu tragen lässt.
Stumm grüssen ihn viele Brüder, an denen vorbei er schreitet. Ein heben der Hand, ein Nicken. Das Einverständnis und der Sieg sind allgegenwärtig. Immer näher kommen nun die ersten Reste der einst mächtigen Makropole, in der sogar eine Kirche für den falschen Imperator, den Betrüger, hätte errichtet werden sollen. Die Bilder, die hier aufgenommen werden, sollen aller Hoffnung nach die Brüder der grossen ersten Angriffswelle erreichen und in ihrem Glauben noch bestärken. Wo mögen sie jetzt sein? Schon vor den Toren des Palastes zu Terra?
Karel ist nicht bitter, dass ihn seine Missionen weit weg von der entscheidenden Schlacht halten, denn er weiss, dass dies eigentlich gar nicht der Fall ist. Jede Schlüsselwelt, die erreicht werden kann, muss erobert oder vernichtet werden. Die Legionen des Kriegsherrn können nur Erfolg haben, wenn die Regierung von allem Abgeschnitten ist.

Während er weiter auf die Ruinen zu schreitet, kommt Karel wieder einmal in den Sinn, dass er sich immer noch nicht erklären kann, warum seine und die anderen Divisionen in diesem Kampfgebiet Anweisung erhalten haben, bestimmte Industrie-Einrichtungen im Osten der Stadt nicht anzugreifen oder zumindest so weit als möglich zu schonen. Die Maschinen würden wohl für einen höheren Zweck Verwendung finden. Es ist nicht seine Sache.

Gewaltig erheben sich nun die Gebäude der ruinierten Stadt vor seinen Augen. Überwältigend noch nach ihrer Vernichtung.

Man wird in den Fabriken viele Flüchtlinge Finden...

...aber das ist nicht seine Sache. Bald werden die Divisionen bereit sein für den Einzug in die Stadt und für die Säuberung. Links und rechts von ihm sind seine schwergerüsteten Brüder meist mit dem verpacken von Material und dem bereitmachen von Ausrüstung befasst.
Karel lässt seinen Blick schweifen. Etwas weiter vorne haben zwei Brüder eine kleine Werkstatt eingerichtet. Sie scheinen sehr schnell und Konzentriert zu arbeiten. Aber Karel kann nicht erkennen, woran sie arbeiten. Irgendwo, weit im Hintergrund, hört Karel ohne es bewusst wahrzunehmen, das Rumpeln schwerer Panzer, die näher herangebracht werden. Er schaut weiterhin den Brüdern bei der Werkbank zu, die scheinbar etwas schleifen. Eisenstangen. Inzwischen ist noch ein dritter hinzugekommen, der einen Sack mit etwas weiterem gebracht hat. Auch Karel geht nun herüber zur improvisierten Werkstatt, die von einem Benzinbetriebenen Generator am Laufen gehalten wird. Er sieht, dass die Brüder offenbar wirklich sehr fleissig gewesen sind. Stapelweise liegen spitz zulaufende Eisenstangen neben der Werkbank. Karel fragt sich, wozu diese gut sein sollen. Sie werden offenbar aus allen Metallteilen gemacht, die die Brüder finden. Also können sie keine Waffen sein.

Als Karel näher herantritt, fällt ihm etwas Weiteres auf. Die Rüstungen seiner Brüder, die sie bis vor kurzem noch nicht unterscheidbar von ihm gemacht haben, sind jetzt verschieden von seiner. Einer hat sich eine schwere Eisenkette um die Hüfte befestigt. Mit Haken daran. Der andere trägt eine ähnliche Kette am linken Schulterpanzer. Aber von dieser baumelt das Zeichen der wahren Götter. Es gefällt Karel nicht seine Brüder so zu sehen. Aber der Sieg in seinem Herzen macht ihn grosszügig. Es wird schon eine Erklärung für diese albernen Körperpanzer geben.
Karel hat die Werkbank erreicht, die sich aus der zerstörten Umgebung wie eine winzige Insel in einem Todesmeer erhebt.

"Seid gegrüsst, Brüder! Die Götter sind mit uns in dieser Stunde!" begrüsst er die beiden. Der dritte, der kurz da gewesen war, ist inzwischen wieder verschwunden. Karel sieht aber nun, was er gebracht hat. Schrauben. Jede Menge.

Einer der beiden, die ihn nun ansehen, nimmt seinen Helm ab, so dass Karel ihn erkennen kann.

"Ulrich! Du hast überlebt!"

"Ja, es ist mir vergönnt, einen weiteren Sieg der wahren Legionen zu bezeugen. Und du, Karel? Wie hast du die Schlacht erlebt?"

"Mit der dritten bei den Geschützen. War kaum gefährlich, nur anstrengend."

Ulrich nickt. "Jeder an seinem Platz. Das hier war sowieso keine Schlacht, um Heldenruhm zu ernten. Das war eine rein technische Angelegenheit."

Noch etwas ist anders. Ulrichs Gesicht. Zuvor hätte ein Aussenstehender Karel und Ulrich nur mit Mühe zu unterscheiden vermocht. Jetzt nicht mehr. Auf Ulrichs Stirn ist das Zeichen der wahren Götter eintätowiert. Die Acht Wege zur neuen Ordnung. Karel deutet auf die Tätowierung. "Wo hast du dir das machen lassen, Bruder?"

"Prediger. Bei euch waren sie wohl noch nicht. Sie fahren um diesen ganzen Planeten, besuchen die Divisionen..."

In der Tat hat Karel noch nichts von den Predigern gehört und Ulrich sieht es in seinem Gesicht. Er sagt nichts weiter und wendet sich wieder seiner Tätigkeit zu.

"Was macht ihr hier?"

"Schleifen."

"Das sehe ich. Was wird es?"

Aber Ulrich grinst nur und sagt nichts weiter. Der andere Bruder hat seinen Helm immer noch auf und hat jetzt damit begonnen, die Schrauben zu sortieren. Er sieht Karel überhaupt nicht an. Irgendwo in der Stadt ereignet sich eine Explosion, die keiner der drei Brüder zur Kenntnis nimmt.

"Haben wir wieder Kommunikation?" fragt Ulrich nach einer weiteren Weile des Schweigens.

"Ich weiss nicht. Als ich drei sieben verliess haben sie noch dran gearbeitet."

"Bruder Stefan war hier." sagt Ulrich, weiterhin schleifend. "Hat gesagt, dass er schon Kommunikation hat. Die Schiffe sind unterwegs. Ich denke mal, dass die dritte verladen wird. Jetzt muss nur noch aufgeräumt werden."

Karel nickt nur. Es ist ihm egal, dass Ulrich dieses Nicken nicht sehen kann. Er hat einige der zu Spitzen geformten Stangen aufgehoben und dreht sie in den Fingern herum. Er nimmt inzwischen an, dass Fragen nach den Ketten an den Rüstungen seiner Brüder etwa gleich eloquent beantwortet werden würden wie seine bisherigen. Irgendwo hört man Panzermotoren. Der andere Bruder testet inzwischen eine grosse Bohrmaschine an einem Stück Metall. Dann taucht der dritte wieder auf. Bringt einen weiteren Sack voller Schrauben.
als er sieht, dass Ulrich seinen Helm ausgezogen hat, nimmt er seinen auch ab, um mit ihm zu sprechen. Der dritte, den Karel nicht mit Namen kennt, unterscheidet sich gleichfalls durch eine Tätowierung auf der Stirn von ihm

"Wir haben welche gefunden. Nur ein paarhundert Meter südwärts von hier. Wollen wahrscheinlich zu den Anlagen."

Erst nachdem er zu Ulrich gesprochen hat, nickt der neue Karel einmal kurz zu. "Bruder."

Karel nickt zurück.

Ulrich sagt zu dem neuen "Holt sie. Das was wir von ihnen brauchen. Wenn sie Kinder dabei haben, denke ich, dass wir zwei oder drei von denen am Stück brauchen könnten." Ulrich blickt bei diesen Worten über seine Schulter und Karel blickt unwillkürlich in die gleiche Richtung.

Einige Grosspanzer haben inzwischen nicht weit hinter ihnen angehalten. Ulrich gibt dem behelmten Bruder ein Handzeichen. Der neue hat sich inzwischen mit seinen seltsamen neuen Befehlen auf den Weg in Richtung der Ruinen gemacht. Einige weitere Brüder haben sich ihm angeschlossen. Auch an deren Rüstung kann Karel in einigen Fällen eigenartige Verzierungen erkennen.

"Ihr werdet noch einiges zu tun haben, wenn ihr diese Stadt ganz von der Pest des falschen Imperiums befreien wollt." sagt Karel, dem kleinen Trupp hinterherblickend.

"Wird nicht so wild werden, Karel. Stefan hat Befehl gegeben, so viele wie möglich zu den Fabriken zu bringen."¨

"Ja, die Fabriken... die haben wir nicht beschiessen dürfen. Aber es wurde uns kein Grund angegeben. Weisst du, was es für Anlagen sind?" Karel ist sich nicht sicher, ob er mit einer Antwort von seinem neuerdings so verschlossenen Bruder rechnen soll. Aber es kommt eine.

"Lebensmittelfabriken. Alle Arten davon. Ich glaube, die Städte von Weywodna haben die ganzen umliegenden Systeme versorgt. Hier kann man alles verarbeiten."

"Stefan will die Bewohner am leben lassen?"

Ulrich zuckt mit den Schultern. "Ach ja, übrigens... Stefan..." zum ersten Mal dreht sich Ulrich wieder zu Karel, während er mit ihm spricht. "...Stefan hat in letzter Zeit eine... ...nun ja... eine Angewohnheit."

"Eine Angewohnheit?"
"Ja... er will, dass wir ihn mit seinem neuen "Götternamen" ansprechen."

"Götternamen?"

"Ja. Er behauptet, er hätte höhere Weihen empfangen und der Wandler der Wege selber hätte ihm einen neuen Namen verliehen."

Karels Gefühl grosser Zufriedenheit ist inzwischen nicht mehr so gross, wie es in den Stunden unmittelbar nach dem Ende des Kampfes gewesen war.
"Wie nennt sich Stefan denn jetzt?"

"Valdimer."

Karel schaut Ulrich eine Weile an. Ulrich sagt nichts weiter.

"Was zum Teufel heisst das?" fragt Karel schliesslich, dessen Gefühle der Zufriedenheit sich hier am Rande des Siegesfeldes mehr und mehr in Richtung Ärger bewegen.

Ulrich zuckt wieder mit den Schultern "Ich weiss nicht. aber er... er beharrt darauf. Und... es ist besser ihm da nicht dreinzureden. Er... nimmt das wirklich sehr ernst."

"So wie ihr diesen neuen Aufzug? Darf ich annehmen, dass Bruder Stefan inzwischen auch behängt ist wie eine Kathedrale bei der Siegesfeier?" Er deutet auf die Kette an Ulrichs Hüfte, mit den Haken dran.

"Ich meine, was ich sage. Er nimmt es sehr ernst." antwortet Ulrich nur, bevor er sich wieder seiner Werkbank zudreht. "Und wer weiss.... Vielleicht...."

Karel hat sich ebenfalls abgewendet. Schnaubend. Er blickt zur Stadt herüber. Er hat lächerliche Soldaten in lächerlichen Planetaren Armeen gesehen, die über dem Krieg den Verstand verloren haben. Nur zu erwarten, wenn man deren Schwäche bedenkt. Aber Stefan und Ulrich sind Ordensbrüder. Karel denkt darüber nach, was mit den beiden zu geschehen hat, sobald er beim Kommando Meldung macht. Sich anzumassen von einem der wahren Götter auserwählt zu sein ist gefährliche Blasphemie. Geisteskranke Blasphemie. Die Legion führt diesen Krieg, um dem Imperium das Wort der Wahrheit zu bringen, nicht um sich als Auserwählte aufzuspielen und sich wie Idioten mit Ketten und anderem Kram zu schmücken... Bei diesem Gedanken fällt sein Blick unwillkürlich auf die Haufen von Metallspitzen zu seinen Füssen. Hinter sich vernimmt er ein Geräusch, das kurz zuvor noch nicht da war. Er dreht sich zu den Panzern um, wo der behelmte Bruder offenbar damit befasst ist, Irgendetwas auf die Aussenhülle eines der Fahrzeuge zu schrauben. Zumindest sieht es so aus.

"Bring mir Stefan sofort her, Bruder Ulrich." sagt Karel nun. Aber Ulrich macht keine Anstalten, sein Mikro einzuschalten.

"Sofort!!"

Nun lässt Ulrich zumindest seine blöde Eisenstange liegen und nestelt am stählernen Kragen seines Körperpanzers herum. Knisternd kommt das Mikro in Betrieb.
Ulrich nimmt die Augen nicht von Karels Gesicht, als er widerwillig zu sprechen beginnt.

"Fünf- Sechsundzwanzig ruft Bruder Valdimer. Wird vor Ort gebraucht." Dann legt er den Kopf leicht zur Seite, während er der Antwort in seinem Ohrstöpsel lauscht. "Ja, verstanden. Gut. Ende."
Er sieht Karel noch einen Augenblick an, während er sein Mikro ausschaltet. "Du denkst dir mal lieber einen guten Grund aus, warum du ihn hierher bestellt hast. Er klang nicht sehr erfreut." Dann wendet er sich wieder seiner Werkbank zu.

"Die grossen sind für die Panzer dort hinten." sagt Karel. "Und die kleinen hier..." er tritt mit dem Fuss gegen einen Stapel ziemlich kleiner Spitzen "... passen recht gut..." er nimmt eine Kleine Spitze und hält sie sich an seinen linken Schulterpanzer "...hier drauf. Nicht? Dafür sind die Dinger doch, oder?"

Ulrich nickt. Karel will sich gar nicht umdrehen, um zu sehen, welche "Fortschritte" der Behelmte schon an den grossen Panzern gemacht hat. Aber die Geräusche, die er hinter sich wahrnimmt, sagen ihm, dass der Behelmte inzwischen nicht mehr allein arbeitet.

"Du weisst schon, was unser Kodex über die Schändung der heiligen Körperpanzer sagt, oder, Ulrich?"

"Der Kodex des falschen Imperiums."

"UNSER Kodex!!! Der Kodex unserer Legion!"

"Sag das Ste... Valdimer, wenn er kommt, Karel. Aber an deiner Stelle würd' ich lieber nichts sagen."

"IHR werdet etwas sagen! Und zwar vor unseren Grossmeistern. Vor einem Kriegsgericht!!"

Ulrich gibt keine Antwort. Er arbeitet stur weiter an seinen Spitzen. Alle übergeschnappt. Eine ganze Abteilung wahrscheinlich. Karel wirft sein eigenes Mikro an.

"Karel hier. Brauche eine Verbindung zum Oberkommando Brasov. Und zwar schnell."

Er erhält keine Bestätigung. Nur ein undefinierbares Rauschen klingt aus seinem Ohrstöpsel. Dann ein paar undefinierbare Sätze. Ein Knacken, ein Pfeifen und wieder Rauschen. Karel denkt bereits darüber nach, wie viele Brüder er hier benötigen wird, um aufzuräumen. Er blickt sich um, vermeidet es ganz bewusst, zu den Panzern zu blicken. Etwas weiter hinten, rechts von seiner Position, rücken Truppen auf die Stadt vor. Normale Truppen. Er versucht noch mal den Funkkontakt, der ihm wieder den Dienst versagt, denkt darüber nach, Ulrich und die anderen, inklusive Stefan, gleich festzunehmen. Inzwischen kann er auch links weitere Verbände sehen. Es wäre nicht von Übel, wenn eine der Einheiten direkt hier vorbeikommen würde, um ihm mit diesem Problem zu helfen. Seine Gefühle von Ärger haben sich langsam in Richtung Wut bewegt.

"Ulrich! Bruder!" beginnt Karel auf den von ihm abgewendeten einzureden. "Gerade jetzt, gerade in dieser Stunde des grossen Kampfes, gerade jetzt, da unsere glorreichen Legionen dem falschen Imperator die Maske von der Fratze reissen... gerade zu dieser Stunde brauchen die Legionen ihre Soldaten!"
Er packt Ulrich beim Schulterpanzer und reisst ihn herum. "Hörst du? Du hast nicht das Recht, dich jetzt, in diesem entscheidenden Kampf in den Wahnsinn fallen zu lassen! Du musst standhaft bleiben, auch wenn der Krieg Schrecken für uns bereithält, die grösser sind, als wir es ertragen können! Wir müssen stehen! Wir müssen stehen, um die Menschheit in die Freiheit zu führen! Ulrich! Hörst du? Was auch immer mit Stefan geschehen ist, ich werde ihn vor das Kriegsgericht bringen. Und ich werde für dich aussagen, aber hört jetzt sofort damit auf, die Disziplin hier zu untergraben. Verdammt!"

Ulrich sieht ihn nur an. Er zeigt keine Regung. Noch nicht einmal, ob er überhaupt versteht, was Karel sagt. Ob er ihn überhaupt hört. Eine Weile stehen die beiden Brüder einander gegenüber. Schweigend. Rings herum das Rauchen der Trümmer, Explosionen in der Stadt und das wahnsinnige Arbeiten des Behelmten und seiner Mittäter hinten an den Panzern. Alles nicht geeignet, Karels Wut zu schmälern.

Karel wendet sich vom stummen Ulrich ab und brüllt jetzt in Richtung der Panzer: "Ihr da!! Hört gefälligst sofort damit auf! Ihr schändet unsere Uniform, ihr schändet unser Rüstzeug und unsere heiligen Maschinen!!! Hört auf mit dieser Blasphemie oder ich werde euch auf der Stelle standrechtlich erschiessen. Er greift sich schon die schwere Pistole aus dem Halfter an seiner Hüfte und richtet sie genau auf Ulrichs Kopf. Er ist bereit, seinen fehlbaren Bruder auf der Stelle zu töten, wenn es als Beispiel für die anderen notwendig sein wird. Tatsächlich hört die kleine Mannschaft des Behelmten mit ihrer Arbeit auf. Die Panzer haben sich bereits merklich verändert. Sie gleichen jetzt teilweise eigenartigen, stacheligen Tieren, die wohl mancherorts tief auf den Gründen der Ozeane ihre dumpfe Existenz fristen.

"Da kommt Valdimer." sagt Ulrich und reisst Karel damit aus der Betrachtung der abstossenden Verunstaltung des heiligen Kriegsgeräts.

"Was?" sagt Karel, für einen kurzen Augenblick verwirrt.

"Valdimer kommt. Dort." Ulrich zeigt zur Stadt. Vor den Rauchenden Trümmern zeichnet sich das Bild von Bruder Stefan in seiner geweihten Terminatorrüstung ab. Mit grossen, schweren Schritten marschiert er auf ihre Position zu. Hinter ihm sind weitere Ordensbrüder in einfacher Rüstung zu erkennen. Sie scheinen etwas zu tragen. Säcke.

"Ah. Sie haben welche gefunden." sagt Ulrich.

Aber Karel hört ihn nicht. Er starrt nur auf Stefans entweihte Terminatorrüstung. Der Vergleich mit der Kathedrale war grob unzureichend gewesen, wie er jetzt sieht. Stefans ganze Rüstung ist mit Stacheln vernagelt. Um seinen massiven Brustpanzer hängen schwere Stahlketten mit Haken. An den Haken hängen Köpfe. Abgeschlagene, blutverschmierte Köpfe, die verfaulen werden und die Luft verpesten werden. In Büchern und wissenschaftlichen Protokollen hat Karel von primitiven Welten gelesen, in denen primitive Eingeborene sich so mit Schlachtentrophäen behängen. Wilde, primitive Halbtiere... und hier vor ihm kommt ein hochangesehener Ordensbruder der reinsten Ordensgemeinschaft der heiligen Menschheit und tut das gleiche!
Karel merkt gar nicht, dass er einfach weiter starrt, bis Stefan sich gross aufragend in seiner Spezialrüstung vor ihm aufbaut. Er hat die Pistole immer noch in Ulrichs Gesicht gerichtet.

Jetzt, von nahem, sieht Karel, dass Stefan sich seinen Helm offenbar ganz abgenommen und durch eine Art selbstgebaute Atemmaske ersetzt hat. Wohl, damit man die riesige Tätowierung, die sich über sein Gesicht zieht, immer gut sehen kann. Das göttliche Zeichen der Acht Wege zur neuen Ordnung. Warum all diese Blasphemie? Schändung der Uniform, Schändung des Geräts und Missbrauch der heiligen Zeichen der Erlösung. Karel blickt Stefan eisenhart in die Augen. Auch Stefans Gesicht wäre für einen aussenstehenden nur durch die grosse Tätowierung von Karels zu unterscheiden. Und Stefan starrt zurück, jeder Muskel, jede Faser seines Gesichts so eisenhart wie Karels Blick.

"Was...soll...das?"

Blicken. Schweigen.

"ANTWORTE MIR GEFÄLLIGST!!! STEFAN!!!!"

Schweigen. Kleine Bewegungen in Stefans Gesicht, als er seinen Namen hört. Dann, nach endlosen Sekunden Bewegung des Mundes.

"Mein Sohn..." beginnt Stefan, und es hört sich so an, als wolle er zu einer Predigt ansetzen.

"Ich bin nicht dein Sohn, Stefan! Was soll das? Was soll all diese..." Karel deutet mit seiner freien Hand wild fuchtelnd auf die Stacheln und Ketten an Stefans Rüstung "...was soll all diese... verfluchte, verdammte Scheisse?? Bist du denn wahnsinnig geworden? Bruder?!"

Wieder Schweigen. Irgendwann inmitten der Sekunden schluckt Ulrich hörbar.

Schweigen. Stefans Gesichtausdruck ist jetzt noch härter geworden. Karel glaubt, unverhohlene Wut in seinen Augen lesen zu können, aber als Stefan wieder spricht, ist seine Stimme geradezu mild.

"Mein Sohn..." beginnt er wieder, lehnt sich aber diesmal bedrohlich in Karels Richtung nach vorn. es ist klar, wer einen Zweikampf hier verlieren würde. Es sei den Karel schiesst schnell genug. Karel wägt ab, wie lange er braucht, die Pistole von Ulrichs Gesicht weg auf das von Stefan zu richten.

"Mein Sohn... lass mich dir erklären..."

"Darauf warte ich schon einige Zeit!" bellt Karel.

"...Ich bin nicht mehr dein Bruder Stefan. Und ich verzeihe dir..." bei diesen Worten scheint Stefans Gesicht vor kalter Wut beinahe zu zerspringen "...das du mich fälschlich mit diesem Namen angesprochen hast. Ich bin Valdimer. Ich habe lange, lange Zeiten in der Verwerfung existiert. Lange Äonen, bevor das Schicksal euch gebar und mir letztlich in der unerforschlichen Wandlung der Wege diesen Leib gewährt hat, um in den Kosmos der Existenz zurückzukehren. Dein Bruder... Stefan... lebt immer noch. Er ist nun ein Teil von mir. Und ich bin ein Teil von ihm. Der Wandler der Wege hat uns beide mit dieser Vereinigung reich beschenkt."

Karel starrt in das Gesicht, in die Augen voller eiskalter Wut, hört die grotesk milde Stimme, die Worte und kann doch nur weiter starren. Ein Wahnsinniger. Er ist übergeschnappt. Jenseits aller Rettung. Und er hat die Brüder hier um sie herum mit seinem Wahnsinn angesteckt. Er stellt eine Gefahr für den Orden dar. Für die Errettung der Menschheit.

"Diese Zierden hier..." Stefan/Valdimer deutet sich mit einer schweren Energiefaust auf seine lächerlichen Stacheln und Ketten "... sind die Trophäen und Zierden, welche die Soldaten der Vierheit schon seit dem Anbeginn der Zeiten in die Schlacht tragen, Zum Ruhme der wahren Götter, getränkt mit dem Blut der hingeschlachteten Feinde. Ich bringe eurem Orden die Ehre von Traditionen, die älter sind als eure ganze Art selber."
Stefan/Valdimers Stimme ist immer noch absolut perfekt mild, fast gütig in ihrem Tonfall. Kein krasserer Widerspruch zu seinem Gesicht wäre mehr möglich. Ein Psychopath. Ein Besessener. Man hat bislang angenommen, dass dies bei den gezüchteten Soldaten der Legionen nicht möglich sei. Hier vor Karel steht der lebende Gegenbeweis. Karel tritt unwillkürlich einen Schritt zurück. Seine Situation abwägend. Er nimmt die Pistole von Ulrichs Gesicht und lässt sie locker an seiner Seite herunterhängen.

"Du bist wahnsinnig geworden, Stefan." Es ist nur ein Flüstern, dass aus Karels Mund kommt. Zur gleichen Zeit bemerkt er einen Schweisstropfen, der ihm in sein linkes Auge läuft.

Schweigen.

"Mein Sohn..." beginnt diese ekelhafte, wahnsinnige Stimme wieder. Karel wäre dankbar, wenn er sich wenigstens eine andere Eröffnung für seine Sätze einfallen liesse. "...du bist im Irrtum. Aber ich habe Verständnis für dich." Sein Gesicht straft das letztere Lügen. "Auch du bist ein Bruder des Ordens. Auch du bist ein Träger der Worte der Vierheit. Auch du sollst Absolution erhalten."

"Du..." mehr bringt Karel momentan nicht aus der Kehle. Er muss sich erst wieder fangen. Dann stammelt er schliesslich, was er vor ein paar Minuten Stefan noch hat entgegenschmettern wollen. "Du, deine Leute hier... ihr alle seid wahnsinnig. Ihr begeht Blasphemie gegen die Vierheit und unseren Orden und gegen unseren Feldzug..."

Pause, einatmen, ausatmen, sich fassen

"... ich kann euch sofort hier erschiessen oder aber ihr könnt euch vor einem Kriegsgericht vor den Grossmeistern des Ordens verantworten... es... es liegt bei euch...bei dir.... Stefan." Karel hebt nun die Pistole ruhig an, bis ihre Mündung auf Stefan/Valdimers Gesicht zeigt. "Also... was sagst du?"

Stefan/Valdimer schweigt. Sein Gesicht ist jetzt gehärteter Plaststahl. Dann umspielt plötzlich ein höhnisches Lachen seine Lippen. Dann beginnt er tatsächlich zu lachen. Ein Lachen, dass in einer beängstigenden Weise zugleich menschlich und unmenschlich klingt.

"Schiess auf mich, wenn du willst, Verblendeter. Mögen die Götter dir dein Tun verzeihen, denn ich glaube nicht, dass du in böser Absicht handelst. Ulrich!" Er wendet den Blick einfach von Karel und dessen Pistole ab, als wäre das eine kleine Nebensache. "Ich habe hier bei mir Yehzov und das, was er dir bringen sollte."

Bei diesen Worten treten zwei der Ordensbrüder hinter Stefan/Valdimer hervor. Beide haben schwere Säcke über den Schultern. Der erste lädt seinen Sack ab und öffnet ihn. Beissender, metallischer Blutgeruch entströmt dem Inneren. Es liegen dutzende von abgeschlagenen Köpfen darin. Ulrich blickt hinein. Dann blickt er einen Moment nervös zwischen Karel und Stefan/Valdimer hin und her. Schliesslich scheint er sich zu fassen und greift in den Sack hinein. Er holt drei Köpfe heraus, die er kraftvoll mit den Haken an seiner Hüftkette durchsticht. Blutig baumeln sie nun an seiner Kette. Er sieht Stefan an und nickt dann. Wahrscheinlich hat Stefan ihm auch zugenickt. Karel weiss es nicht, denn er hat den Blick nicht von dem Schauspiel abwenden können. Und er hat nicht aufgehört, die Geräusche aus dem zweiten Sack zu vernehmen, den der andere Bruder immer noch über seiner Schulter trägt und jetzt abwirft. Das sind menschliche Geräusche. Eindeutig. Und der Sack bewegt sich am Boden, als würde sich jemand darin winden.

Der Bruder beugt sich herunter und reisst den Sack auf. Darin liegen zwei Kinder. Karel hat kaum je Kinder gesehen und ist selbst kaum je eines gewesen. Diese hier sehen geradezu erbärmlich aus. Sie sind wirklich sehr klein. Noch kleiner als normale Menschen. Sie mögen vielleicht eins zwanzig oder so messen. Karel fragt sich nur kurz, wie alt sie wohl sind. Denn die Frage, warum Ulrich sie haben wollte, drängt sich unvermeidlich auf.

Der Zustand dieser beiden ist erbärmlich. Die Kleider sind zerlumpt und zerrissen, sie umklammern einander und geben Geräusche von sich, die der Erbärmlichkeit ihrer Erscheinung in nichts nachstehen. Als Ulrich sich herunterbeugt und eines der Kinder hinausreisst, verwandelt sich das Schluchzen in eine Art von Quieken. Karel, der gebannt zusieht, kann kaum Unterschiede zwischen diesen beiden Kindern erkennen. Ulrich reisst dem Kind, das er locker in einer Faust am Nacken hält, in einer fliessenden Bewegung die Kleidung vom Leib.

"Ein Mädchen, das hier." sagt er, und hält das jetzt völlig in Angst erstarrte Kind Stefan/Valdimer hin. "Hat sich vor Angst in die Hose geschissen. Der andere hier wahrscheinlich auch. Menschen machen das."

"Ja" gibt Stefan/Valdimer zurück, als würde er über Vor- und Nachteile einer bestimmten Schuhmarke reden. "die normalen Menschen sind schwach. Am schwächsten das hier. Ihre Brut. Sie sind nichts wert verglichen mit euch. Aber die beiden hier haben Glück. Sie kann als Trophäe auf den Panzer dort." Er zeigt auf einen der Grosspanzer auf der Anhöhe hinter der improvisierten Werkstatt.

Karel blickt zwischen den beiden hin und her und dann zum Panzer. Ulrich hat sich bereits in Bewegung gesetzt, das erstarrte Kind jetzt wie einen Gegenstand in seiner Faust tragend. Karel hat seine Waffe nicht von Stefans Gesicht genommen. Er braucht einen Moment, um ihn anzusprechen. "Stefan... was immer ihr hier vorhabt... ihr werdet es nicht tun. Hörst du?"

Stefan/Valdimer schaut ihn nur an, mit diesem Plaststahlgesicht, in dem sich so etwas wie ein ganz leise angedeutetes, obszönes Grinsen abzeichnet.

"Ihr hört sofort damit auf!" faucht Karel ihn an. Schweiss rinnt ihm Bächen das Gesicht herunter. Er blickt nach hinten zum Panzer, als er von dort ein neues Geräusch vernimmt. Das Geräusch muss von dem Kind kommen, dem Mädchen. Ulrich hat damit begonnen, sie auf einer der grossen Spitzen zu Pfählen. Langsam.
Kein Ordensbruder ist gezüchtet worden, Mitleid zu empfinden. Aber beim Anblick dieses Vorganges und bei den unbeschreiblichen Geräuschen, die sich dabei der kleinen Kehle entwinden, regt sich irgendetwas in seinem Inneren, das er selber nicht klar definieren kann. Oberflächlich ist ihm nur klar, dass er niemals damit gerechnet hätte, dass ein menschliches Stimmorgan solche Geräusche überhaupt hervorbringen kann. Er starrt. Er weiss nicht wie lange. Er starrt, während Ulrich weitermacht, der Schreie nicht achtend. Er starrt und er fragt sich dabei unwillkürlich, welche Körperöffnung des Mädchens sich Ulrich wohl als Eingang für diese Metallstange ausgesucht hat. Er fragt sich dies und er fragt sich, warum irgend ein uralter, archaischer Instinkt, der selbst durch alle genetische Bearbeitung auch in ihm noch existiert, ihm sagt, dass Ulrich unter dem Stahl seiner Panzerung eine Erektion hat, die mindestens so hart ist wie diese Metallstange, auf der er das Kind langsam aufspiesst.

Karel merkt irgendwann, dass sich sein Finger um den Abzug seiner Pistole gekrümmt hat. Er reisst seine Augen kurz weg von der widerlichen Szene. Stefan liegt auf dem Boden. Tot. Er hat ihm mitten ins Gesicht geschossen. Die schwere Terminatorrüstung hat beim fallen eine Mulde in den Boden geschlagen. Aber Karel hat keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er dreht sich sofort wieder um in Richtung Panzer. Er geht auf Ulrich zu, der nun ganz absorbiert scheint in seiner "Tätigkeit". Das Kind heult immer noch wie eine Sirene, während das Blut aus ihr herausschiesst. Karel schiesst ihr den Kopf weg, richtet die Pistole auf Ulrich und drückt ab. Er ist dankbar, dass diese Wahnsinnigen offenbar kollektiv dazu neigen, sich die Helme abzunehmen. Ulrich fällt. Der Körper des Mädchens hängt kopflos und grotesk auf der Stange. Schüsse pfeifen um Karel durch die Luft. Er weicht mit eingeübten Bewegungen, die er selbst gar nicht bemerkt, aus, schiesst zurück in Richtung der Werkbank. Er reisst den Körper des Mädchens von der Stange und wirft ihn weg. Er dreht sich um und marschiert wieder auf die anderen zu. Das Schiessen hat aufgehört. Die anderen stehen einfach nur da, um die Leiche von Stefan, und erwarten ihn. Karel ist egal, was sie tun. Er hat anderes im Kopf. Im gehen nimmt er ein neues Magazin, lädt seine Pistole nach. Er weiss, wen er noch will. Diesen Yehzov und die Bande, die der aus der Stadt mitgebracht hat. Nun wird von hinten auf ihn geschossen. Die Schüsse gehen an ihm vorbei und eigenartigerweise scheint einer aus der Gruppe vor ihm den Idioten bei den Panzern zu sagen, dass sie nicht mehr schiessen sollen. Jedenfalls ist Ruhe, nachdem der mit den Armen gefuchtelt hat. Egal.

Karel tritt vor die anderen. Yehzov und seine Idioten sind "geschmückt" und tätowiert wie die anderen. Er erschiesst diejenigen, die keine Helme haben auf der Stelle. Es ist ihm egal, dass der Rest sofort seine Waffen auf ihn richtet. Aber sie schiessen nicht. Einen Augenblick lang stehen sie alle nur so da. Stille, bis auf ein leises Wimmern von dem zweiten Kind, das immer noch im Sack auf der Erde liegt.

"Ihr habt noch eine Chance." knurrt Karel die Behelmten vor ihm an. "Ihr könnt euch für das hier vor dem Grossmeister verantworten. Ich werde für niemanden hier mehr aussagen. Ihr könnt mich erschiessen, wenn ihr wollt. Ihr werdet sowieso bald ergriffen. Ich glaube nicht, dass euer Verhalten hier etwas anderes als die Todesstrafe zulässt. Ist also gleichgültig, was ihr hier noch tut."

Die anderen sagen nichts. Die Waffen bleiben eine Weile auf ihn gerichtet. Hinter sich hört Karel Schritte. Die anderen sind von den Panzern hergekommen. Vielleicht kann er diese Situation noch in den Griff kriegen. Auch wenn er weiss, dass er keine Ahnung hat, wie es danach weitergehen soll. Was auch immer mit diesen hier geschieht, sein Vertrauen in die Bruderschaft ist in den Grundfesten erschüttert. Er will sie vor einem ordentlichen Gericht sehen. Dann wird er sich wahrscheinlich ganz aus dem Dienst zurückziehen.
Eine Stimme reisst ihn aus diesen Gedanken.

"Mein Sohn..."

Es darf nicht wahr sein!

"... du bereitest uns viel Kummer. Doch ich vergebe dir ein weiteres Mal."

Es ist seine Stimme. Ganz eindeutig. Aber Stefans Körper liegt hier vor ihm in der Mulde auf dem Boden.
Langsam, langsam dreht sich Karel um. Einer der Brüder hinter ihm hat seinen Helm abgenommen. Er hat Stefan/Valdimers Gesicht. Eindeutig. Sogar die Tätowierung ist identisch. Karel spürt, wie sein Verstand ihm mit dem Schweiss aus seinen Poren fliesst. Ihm ist plötzlich kalt.

"Wie schwer du dich vergangen hast, mein Bruder Karel. Du hast viele deiner Brüder getötet. Wolltest mich töten. Wie viel ich dir heute vergebe, mein Bruder."

Die Härte des Gesichtes, der Hass in den Augen stehen immer noch im diametralen Gegensatz zu dieser milden, sanften, gütigen Stimme. Karel starrt nur noch in diese Augen. Verliert sich darin. Er nimmt kaum noch wahr, was um ihn herum geschieht, aber er hört die Worte aus diesem harten, schmalen Mund der dem seinen immer noch so ähnlich ist.

"Der Grossmeister selbst ist auf dem Weg nach Weywodna V. Wir hören, dass die Verblendeten unseren Angriff auf den Palast des falschen Imperators zurückgeschlagen haben. Wir hören, dass unser geliebter Führer gefallen ist."

Bei diesen Worten gehen alle Brüder um Karel und Stefan/Valdimer auf die Knie, um zu beten. Stefan/Valdimer fährt fort: "Wir hören, dass das Oberkommando für einen geordneten Rückzug jetzt bei Abaddon liegt. Wir werden uns in den Raum der Götter zurückziehen, um dort unseren erneuten Angriff zu planen. Die Transporter sind unterwegs."

"Das hier... das..." Karel deutet mit matter Hand auf die Toten, die Metallspitzen, das zweite Kind im Sack, den Sack voller Köpfe. "Das...."

"Mein Sohn, du wirst staunen, wenn du unseren Grossmeister in seiner neuen Rüstung sehen wirst. In seiner ganzen, wahren Majestät. Nichts ist hier durch unsere Hand geschehen, das nicht ganz in seinem Sinne gewesen wäre. Das nicht im Sinne unseres geliebten Führers gewesen wäre!"

Die knienden, betenden Brüder scheinen Zustimmung zu murmeln. Karel hört ein Wort immer wieder dumpf aus dem Gemurmel heraus: "Horus...Horus! Horus!!" Der Name geistert durch die Leere seines Bewusstseins. Und Stefan/Valdimer redet weiter auf ihn ein.

"Du jedoch, mein Sohn, hast dich ganz schrecklich gegen deine Brüder vergangen. Und gegen unsere Sache, gegen unseren heiligen Krieg."

"Wir sollen... die Menschheit retten." bekommt Karl aus sich heraus. "Wir... sollen sie vom... vom falschen... Imperium erlösen."

"Aber mein Sohn, das tun wir. Das werden wir tun."

"Indem wir uns mit Schädeln behängen und ihre Kinder ermorden?"

"Oh, mein Sohn..." ein einzigartig pervers-väterlich-gönnerhaftes Lachen ist nun in die Stimme von Stefan/Valdimer getreten. "...du musst noch so vieles lernen. Sieh, diese Menschen hier..." dabei greift er in den Sack und holt das zweite Kind heraus "...sind nicht die Menschen, die dereinst unser wahres Imperium bewohnen werden. Das hier sind minderwertige Objekte, die vom falschen Imperator absichtlich so gezüchtet werden. Kurzlebig, schwächlich, voller Krankheit, zu nichts zu gebrauchen." Er schüttelt das Kind. Dieses scheint ein Junge zu sein. Das Kind beginnt zu strampeln und zu schreien.
"Sie, wie schwach dieser hier ist. Auch wenn er ausgewachsen ist, wird er kaum stärker sein. Nein, mein Sohn, das sind keine Menschen. Wir, die Brüder der kämpfenden Legionen, sind Menschen." Wie um seine Worte zu untermauern schwenkt er das Kind in der Luft herum.

"Riech nur, wie die stinken. Das sollen Menschen sein. Nein! Die Götter sind weise, wenn sie uns anweisen aus ihnen Schmuck und Nahrung zu machen."

Karels Augen verfolgen mehr oder minder teilnahmslos das Kreisen des Kindes durch die Luft. "Nahrung?"

"Deshalb haben wir die Lebensmittelfabriken stehen lassen und die Überlebenden hingetrieben."

"Auf... auf... Befehl?"

"Auf Befehl unseres Grossmeisters, mein Sohn. Du wirst für deine Vergehen vor ein Kriegsgericht kommen." Stefan/Valdimer gibt das Kind einem anderen Ordensbruder, der herangetreten ist. Dieser nimmt es mit zu den Panzern. Irgendwann sieht es wohl die Reste des anderen Kindes - wahrscheinlich seiner Schwester. Zumindest tönt sein Schreien jetzt so. Irgendwann geht das dann in Schmerzensschreie über. Karel sieht nicht hin. Er sieht auch Stefan/Valdimer nicht mehr an. Er starrt einfach auf den Boden. Stefan/Valdimer legt ihm eine Hand auf die Schulter.

"Trotz all' deiner Vergehen, werden alle hier für dich aussagen. Ich einer davon. Und glaube mir, mein Wort hat Gewicht. Du wirst eine Strafe erhalten, aber ich werde dafür sorgen, dass du im Orden bleiben kannst."

Karel schwankt langsam hin und her. Er nickt beiläufig. Er hat das Gefühl, dass er seine Gedanken auf dem Boden davon kriechen sehen kann. Über die nicht enden wollenden Schmerzensschreie von den Panzern her dröhnt jetzt die Luft mit der Ankunft der Transporter. Es scheint so, als befinde sich einer davon direkt auf dem Weg hierher. Der Ordensbruder, der mit dem Kind "beschäftigt" war, kommt angelaufen und fragt in die Runde: "Habt ihr hier noch Draht?"

"Draht?" fragt Stefan/Valdimer zurück, ohne seinen Blick von Karel zu nehmen.

"Ja. Wenn das Ding verfault, fällt doch sonst das ganze Skelett vom Spiess."

"Sie halt nach." gibt Stefan/Valdimer zurück, bevor er wieder Karel anspricht: "Gib mir deine Pistole, mein Sohn. Du willst doch nicht etwa noch eine weitere Dummheit machen heute."

Er nimmt Karel sanft die Pistole aus der Hand. Karel hat gar nicht bemerkt, dass er sie sich an die Schläfe gesetzt hat. Das Schreien geht weiter. Aber nun ist das Dröhnen eines Landenden Transporters so laut, dass er es übertönt.

"Mein Sohn, wir werden gemeinsam an Bord gehen. Ich werde dafür sorgen, dass du in allem gerecht behandelt wirst. Komm mit."


Unweit von ihnen ist ein schwarzer, kistenförmiger Transporter gelandet und hat eine grosse Heckrampe ausgefahren. Wie Ameisen bewegen sich Soldaten und Fahrzeuge in den grossen stählernen Sarg hinein. Als er mit Stefan/Valdimer auf den Transporter zuschreitet, erkennt Karel, dass das Gefährt an der Aussenhülle inzwischen ähnlich verziert ist wie die Rüstungen der Wahnsinnigen bei der Werkstatt. Und auch von den Soldaten, die hineinmarschieren, sehen viele inzwischen so aus. Karel macht es momentan gar nichts aus. Er ist froh, von den Panzern und der Werkbank weg zu kommen.

Gemeinsam betritt er mit Stefan/Valdimer die grosse Rampe. Er hält seinen Blick auf den Boden gerichtet. Er will die Verzierungen dieses Transporters jetzt nicht aus der Nähe sehen. Einmal noch blickt er zurück auf die Verwüsteten Felder vor Brasov und auf die rauchenden Trümmer, bevor die Dämmerung des Transporter-Inneren ihn verschluckt.

"Welchen Göttern..." denkt er "...haben wir unsere Seelen gegeben?"



Urheberrecht: C.S. Brogle, 2005



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