Frowin trieb sich selbst zu Höchstleistungen an. Seit dem Morgengrauen
rannte er, ohne sich eine kleine Pause zu gönnen. Sein Gepäck, seine
Wegzehrung und seinen Wasserschlauch hatte er zurücklassen müssen,
sie hätten ihn beim Laufen nur behindert. Er hatte seit seinem Aufbruch
kein einziges Anzeichen eines Baches entdeckt, und sein Mund war mindestens
so ausgetrocknet wie es die Felder der Bauern in diesem regenlosen Herbst waren.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein loser Stein unter seinen Füßen
nachgab und er auf den harten, steinigen Grund fiel. Er spürte, wie seine
Kräfte langsam schwanden, doch er versuchte, gegen die Dunkelheit, die
ihn zu übermannen drohte, anzukämpfen. Ihm wurde schwarz vor Augen
und sein letzter Versuch, sich aufzustemmen und wieder auf die Beine zu kommen,
schlug fehl.
Ein leichtes Pochen auf seinem Hinterkopf holte ihn aus seiner Ohnmacht zurück.
Er öffnete seine Augen und sah auf den Boden direkt unter seinem Gesicht.
Er erschrak, denn er bemerkte, dass die Steine blutbedeckt waren. Es war sein
Blut.
Wie lange war er wohl ohne Bewusstsein gewesen? Er wusste es nicht, und momentan
wollte er es auch nicht wissen. Obwohl sein Körper geschunden war und es
ihn überall schmerzte, stemmte er sich hoch und saß sich auf einen
nahen Felsen. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und glücklicherweise
auch ein kräftiger Regenschauer.
Frowin blieb eine Weile auf diesem Felsen sitzen und ruhte sich aus. Der Regen,
der seine Kleider durchtränkte, störte ihn nicht im geringsten. Er
kniete nieder, um aus einer Pfütze zu trinken, die sich soeben gebildet
hatte. Das schmutzige Wasser benetzte seinen ausgetrocknete Rachen und ließ
ihn einen kurzen Augenblick vergessen, wo und in welch kritischen Lage er war.
Er dachte an die unzähligen Abende in der Taverne am Stadttor, wo er mit
seinen Kameraden Becher um Becher wohlschmeckenden Weines geleert hatte. Er
mochte sich nicht daran erinnern, jemals für Regen dankbar gewesen zu sein,
doch diesmal war er es ganz bestimmt. Die langen Nächte auf der Stadtmauer,
auf diesen harten, ungedeckten Wehrgängen, waren schon so immer eine Qual
gewesen, der Regen hatte ihm dann immer noch den Rest gegeben.
Er beobachtete den Berghang, den er nun hinter sich gelassen hatte, ganz genau.
An einer Flanke glaubte er einen Lichtschimmer zu erkennen. Zweifellos waren
es seine Verfolger, die sich in einer Höhle niedergelegt und ein Feuer
gemacht hatten. Sie waren ihm nun schon gefährlich nahe gekommen. Er schätzte
seinen Vorsprung auf etwa eine Stunde, vielleicht etwas mehr. Er hätte
sich bestimmt einen grossen Vorteil verschaffen können, wäre er noch
in dieser Nacht weiter gelaufen, doch sein Zustand ließ dies nicht zu.
Mit Wasser vermischtes Blut rann seine Stirn hinab in seine Augen. Er wischte
es mit dem zerfetzten Ärmel seiner einstmals stolzen Uniform weg.
Es war schon zu dunkel, um noch auf die Suche nach einer Höhle zu gehen,
deshalb entschloss Frowin, gleich an Ort und Stelle zu schlafen. Er war viel
zu aufgeregt, um sich schon hinzulegen, und versuchte sich zu beruhigen. Zweifel
über die Richtigkeit seines Handelns kamen in ihm auf. Er wollte sich selbst
noch einmal davon überzeugen, dass er keinen Fehler gemacht hatte, und
ging in Gedanken die gesamte Verkettung der Ereignisse nach, die ihn in diese
missliche Lage gebracht hatten.
Frowin war als Sohn eines Waffenschmiedes in der Stadt Middenheim geboren worden.
Schon früh hatte er den Umgang mit Werkzeugen und Eisen erlernt und sich
als äusserst talentiert erwiesen. In seiner Jugendzeit aber, als sein Vater
gestorben war, hatte sein älterer Bruder die Werkstatt geerbt und für
Frowin nur noch als Laufbursche Verwendung. Wegen dieser ungerechtfertigten
Behandlung hatte der sich dann auch entschlossen, sich vom Handwerk abzuwenden
und der Stadtwache beizutreten. Da er sich als ausgezeichneter Fechter erwiesen
hatte, war ihm seine Ausbildung niemals schwer gefallen.
Seine Arbeit als Wächter hatte er sich jedoch immer viel aufregender vorgestellt.
Mit Ausnahme einiger Reisenden und Händler war nämlich kaum jemand
ans Stadttor gekommen, ganz zu schweigen von irgendwelchen feindlichen Streitmächten
oder Monstern aus der Wildnis. Sein Alltag war ihm zu langweilig gewesen und
er hatte immer gefühlt, dass er seine Talente in diesem Beruf nicht entfalten
konnte. Er hatte kein Leben in dieser ewigen Wiederholung und Mittelmässigkeit
fristen wollen. Er hatte beobachtet, wie alle Leute um ihn herum ihr Leben verschwendeten,
sie wussten den wahren Wert ihrer Existenz nicht zu schätzen. Sie gaben
sich alle den niederen Freunden hin, ohne ein wahres Ziel zu haben. Er wollte
mehr erreichen! Irgend etwas, nur nicht sich selbst immer vorwerfen zu müssen,
sein Leben verwirkt zu haben.
Das war schliesslich auch der Grund gewesen, weshalb er sich dem 'Bund des Schicksals'
anschloss, einer kleiner Gruppe von Leuten der Mittelschicht, die dasselbe wie
er fühlten. Dieser Bund glaubte daran, dass jeder Mensch eine wundervolle
Gabe von den Göttern erhalten hatte, und dass es die Pflicht jedes einzelnen
sei, seine zu entdecken und so sein Schicksal, und das vieler anderer, zu verändern.
Diese Gabe konnte fast alles sein, und man konnte sie an unerwarteten Orten
und zu unerwarteten Zeiten finden. Frowin hatte dadurch neuen Lebensmut gefasst,
und begeisterte sich nun für alle Dinge, die ihm früher ganz normal
und langweilig erschienen waren. Er hatte gedacht, vielleicht seine wahre Berufung
in seinem Alltag zu finden.
Als er jedoch an einem dienstfreien Morgen einer Versammlung des Bundes hatte
beiwohnen wollen, waren schon von weitem das Klirren von Metall und Schreie
zu hören gewesen. Er hatte seine Schritte beschleunigt und war in die Gasse
der Versammlungsstätte eingebogen. Bevor er richtig verstanden hatte, was
geschehen war, war ihm ein schwer gerüsteter, bärtiger Krieger entgegengetreten,
der am übergeworfenen Wolfspelz auf Schultern eindeutig als Ritter des
Weissen Wolfes zu erkennen war. Er hatte mit befehlender Stimme gefragt: "Wohin
des Weges, Bürger?" Frowin hatte grossen Respekt vor den Rittern der
Stadt, doch sein Gefühl hatte ihm damals gewarnt, Vorsicht walten zu lassen.
"Ich bin auf dem Weg zum Schuster, er soll meine Stiefel neu besohlen."
Der Ritter hatte ernst genickt, ihn aber dennoch trotz seiner Uniform, die ihn
als Stadtwächter ausgewiesen hatte, am passieren gehindert. "Du kannst
hier im Moment nicht durch, Bürger. Soeben wurde in dieser Gasse ein Kult
der dunklen Götter ausfindig gemacht. Die Mitglieder wurden natürlich
sofort in Ketten gelegt und in den Kerker gesperrt, aber wir können noch
nicht sagen, wie verbreitet dieser Irrglaube im diesem Teil Middenheims ist.
Wir müssen zuerst die ganze Gasse nach Hinweisen durchsuchen und die Gefangenen
befragen. Vor dem morgigen Tage kannst du diese Gasse ganz gewiss nicht betreten.
Schönen Tag noch, Bürger!" Frowin hatte nur traurig genickt.
Wie waren diese Dummköpfe nur auf die Idee gekommen, dass der Bund etwas
mit den dunklen Göttern zu tun hatte. Das war typisch für die Gesellschaft
Middenheims, die nichts anderes duldete als ihre eigene Ignoranz. Er hatte gewusst,
dass auch er gefangengenommen werden würde, und dass ihm nicht mehr viel
Zeit zur Flucht bliebe. Er war auf der Stelle nach Hause gerannt.
Dort angekommen, hatte er sich sein Schwert umgegürtet, einen Wasserschlauch
gefüllt und sich seine Ledertasche umgehängt, die er hastig mit Proviant
gefüllt hatte. Seinen Schild und seine Rüstung hatte er zurücklassen
müssen, da sie ihn auf seiner Flucht nur behindert hätten. Er hatte
schon viel von den Foltermethoden der Kerkermeister von Middenheim gehört.
Man erzählte sich die grausamsten Geschichten darüber in der Wachstube.
Zweifellos wäre sein Name noch vor dem Sonnenuntergang von seinen Bundesgenossen
unter den höllischen Qualen der Folter verraten worden. Frowin hatte gewusst,
dass er sich beeilen musste, wenn er die nahen Middenberge noch vor seinen Verfolgern
erreichen wollte. Im Gebirge könnte man ihn nicht mit Pferden verfolgen
und er hätte wenigstens eine gewisse Chance, zu entkommen. Ohne zu zögern
hatte er sich auf den Weg aus der Stadt gemacht.
Zwei Tage lang war er gewandert. Er hatte Wege und Strassen gemieden, so wenig
Rast wie nur möglich gemacht und kaum etwas gegessen. Als er bereits am
Erklimmen der Berge gewesen war, hatte er weit hinter sich, noch am Fuss des
Gebirges, seine Verfolger gesehen. Soweit er es hatte beurteilen können,
waren sie nicht mehr als zehn. Einige davon schienen keine Ritter zu sein, ihre
Kleidung und Bewaffnung waren jedoch aus dieser Entfernung nicht erkennbar.
Aber das hatte ihn wenig gestört. Er hatte damals nicht geglaubt, dass
sie ihm gefährlich nahe kommen könnten.
Einen weiteren Tag lang war er bergaufwärts gewandert. Er war immer kraftloser
geworden und oft hingefallen. Als die Nacht hereingebrochen war, waren seine
Knie voll von Schürfwunden und Blut gewesen und seine ganze Kraft war aus
seinem Körper gewichen. Er hatte ein wenig gegessen und sich danach hingelegt,
da es keinen Sinn gemacht hätte, in der Dunkelheit auf einem solch gefährlichen
Weg weiter zu wandern.
Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er Stimmen gehört.
Er war erschrocken aufgesprungen und hatte erkennen müssen, dass die Sonne
bereits hoch am Himmel stand. Seine Verfolger waren ihm gefährlich nahe
gekommen. Er hatte daher alles, das er entbehren konnte, zurückgelassen
und war in die Richtung des Berggipfels weiter gewandert. Zu seiner Beruhigung
waren seine Verfolger weiter weg als er zuerst gedacht hatte. In der natürlichen
Stille dieser Berge drangen Geräusche scheinbar viel direkter und lauter
ans Ohr. Er war sich nicht sicher gewesen, ob man ihn bereits bemerkt hatte
oder nicht, aber einen grossen Teil seines Vorsprungs hatte er im Verlaufe dieses
Tages verloren.
Nun sass er auf dem Stein und wachte wieder aus seinen Gedanken auf. Er hatte
nichts falsch gemacht, davon war er nun fester überzeugt denn je zuvor.
Da er nun doch noch müde geworden war, legte er sich auf den felsigen Boden.
Die nassen Steine waren eiskalt und äusserst unangenehm um darauf zu liegen.
Er war jedoch viel zu müde, um sich unwohl zu fühlen. Mit der Hoffnung,
dass der morgige Tag mehr Glück für ihn bereithalten würde, schlief
er schliesslich ein.
Noch bevor der erste Hahn gekräht hätte, hätte es solche in
diesem kargen Gebirge gegeben, richtete sich Frowin auf. Die Schmerzen vom vorigen
Tag waren noch immer da, aber er war nicht mehr so erschöpft. Dafür
hatte er sich auf dem feuchten Boden eine Erkältung eingefangen und hustete
nun wie ein Dampfpanzer. An eine kleine Pause, um ein wärmendes Feuer zu
entzünden, war nicht zu denken. Der Blick auf den zurückgelegten Weg
gab ihm neuen Mut, waren doch weder seine Verfolger, noch eine Gewitterwolke
am Himmel zu sehen. Bis zum Gipfel der Bärenpratze, dem Berg, auf dem er
sich gerade befand, waren noch etwa zwei Wegstunden zu gehen. Sein Plan war,
auf der anderen Seite wieder hinunter zu marschieren, und danach direkt in den
dichten Schattenwald, in dem man sich mühelos verstecken konnte.
Dieser letzte Abschnitt des Aufstieges war besonders steil und anstrengend.
Frowin musste mehrere Ruhepausen einlegen, weil ihn sonst seine müden Beine
nicht mehr getragen hätten. Er kam langsamer als geplant voran, manchmal
schien sich sein Ziel mehr zu entfernen als näherzukommen. Mit schwindenden
Kräften kämpfte er sich schliesslich doch noch bis zum Gipfel hoch.
Erschöpft ließ er sich mangels einer Sitzgelegenheit auf den Boden
fallen. Er ließ seinen Blick über die Landschaft vor sich schweifen,
zu kraftlos um ihre Schönheit zu erkennen. Weit in der Ferne war eine unendlich
scheinende Tundra zu sehen, und wie Brückenpfeiler im Wasser erhoben sich
einige kleinere Dörfer in ihr, jedes einen immensen Abstand zu den anderen
haltend. Noch weiter weg, aber dennoch deutlich erkennbar, war das Meer, von
dem eine sanfte Brise herüber wehte. Doch daran hatte Frowin kein Interesse.
Das einzige, was von Belang war, war die Nähe des riesigen Schattenwaldes,
der selbst auf diese Entfernung dunkel und bedrohlich wirkte. Nicht einmal,
wenn ganz Middenheim ihn darin suchen würde, könne man ihn finden,
dachte er. Ein beruhigender Gedanke. Die Sonne stand schon fast an ihrem höchsten
Punkt, aber er fühlte sich nicht sicher genug, um sich eine Rast zu gönnen.
Er erhob sich und es fiel ihm erstaunlich einfach, bergabwärts zu gehen.
Als der Abend hereinbrach, war er schon am Fuss des Berges. Sehr zu seinem Bedauern
musste er leider erkennen, dass man ihn bereits entdeckt hatte. Er hörte
hinter sich lautes Rufen und das Klirren von Metall. Als er sich umdrehte, erblickte
er auf dem Felshang eine Gruppe von fünf Rittern des Weissen Wolfes und
drei Männern die wie Jäger aussahen. Zu seiner Verwunderung trugen
die Ritter ihre schweren Rüstungen. Er hatte schon viel von ihrem Mut und
ihrer legendären Stärke gehört, aber das übertraf alles,
was er sich je vorzustellen gewagt hatte. Obwohl sie ihre Pferde vor dem Gebirge
zurücklassen und zu Fuss gehen mussten, waren sie ihm immer näher
gekommen. Die Jäger spannten ihre Bögen und liessen drei Pfeile in
Frowins Richtung schwirren. Die Entfernung war jedoch noch zu groß und
keines der Geschoße kam gefährlich nahe. Die Verfolger waren nun
aufgerüttelt und begannen ihm mit gezückten Waffen nachzurennen. Voller
Panik floh er in den nahen Schattenwald.
Auf dieser Flucht, die über Leben und Tod entscheiden würde, mobilisierte
er seinen letzten verbleibenden Kräfte. Er lief so schnell ihn seine Beine
trugen und prallte mehrmals beinahe mit Bäumen zusammen. Ein dichtes Gestrüpp
tauchte vor ihm auf. Er dachte, wenn er sich in diesem verstecken würde,
dann sei er gerettet. Mit einem heftigen Sprung drang er in das dichte Geflecht
von Blättern ein, und sehr zu seiner Überraschung auf der anderen
Seite gleich wieder heraus. Es war scheinbar kaum breiter als zwei Armlängen,
aber das war nun sein geringstes Problem.
Vor ihm war eine Gruppe kleiner, teufelähnlicher Wesen, die damit beschäftigt
waren, ein grösseres Wesen von Tiergestalt mit Steinchen zu bewerfen. Sie
kicherten und glucksten, als sich dieses mit einem lauten, kehligen Röhren
beschwerte. Als es dann die Nerven verlor und einen der kleinen Kreaturen an
der Gurgel packte und durch die Luft fliegen liess, stimmten die anderen ein
diabolische Lachen an, dass jedoch nicht entfernt an ein ehrliches, menschliches
Lachen erinnerte.
Frowin war wie gelähmt. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er solche
oder ähnliche Kreaturen gesehen. Er hatte immer gedacht, Wesen wie Orks,
Skaven und Tiermenschen wären nur eine Erfindung der Ausbilder der Stadtwache,
um sicherzustellen, dass ihre Rekruten immer aufmerksam bei der Sache waren.
Er blickte sich um und erschrak wiederum. Die gesamte Lichtung, die etwa zehnmal
so gross wie die gigantische Kathedrale des Ulrik in Middenheim war, war von
diesen Kreaturen des Chaos bedeckt. Manche waren gross und sahen wie Tiere aus,
mit gehörnten Köpfen, andere erinnerten an kleine Teufelchen oder
Dämonen, die immerzu böse kicherten. Einige waren scheinbar ganz formlos
und veränderten sich ständig. Es gab auch welche, die wie Oger aussahen,
aber auf vier geschuppten Beinen gingen.
Er hätte diese bizarren Wesen stundenlang ansehen können, hätte
ihn ein ohrenbetäubendes Gebrüll nicht davon abgehalten. Ein Ding,
das wie ein Stier auf zwei Beinen aussah, hatte ihn bemerkt. Es schwang seine
riesige Axt wild umher und stürmte auf sein eben erblicktes Opfer zu. Als
es noch einen halben Steinwurf von ihm entfernt war, ertönte ein anderes
Brüllen. Es war weniger laut als das andere, aber scheinbar hatte es eine
Bedeutung für die Tiermenschen. Sie wichen alle von dem Menschen zurück
und hielten gebührenden Abstand.
Aus ihren Reihen trat nun einer hervor, der grösser als die meisten war
und aus dessen Kopf zwei lange, aufrechte Hörner ragten. Er hielt eine
zweihändige Axt in seinen Händen und Federn auf seinem Helm. Über
seiner Rüstung trug er einen Mantel, der aus Menschenhaut zusammengenäht
wurde. Frowin musste sich bei dem Gedanken, dass jemand einem Menschen die Haut
abziehen und sich einen Umhang daraus schneidern würde, beinahe übergeben.
Er wusste, dass auch er wahrscheinlich bald Teil dieses grotesken Kunstwerkes
sein würde. Sein Gegner, zweifellos der Häuptling der Horde, erhob
seine Waffe und rannte grölend auf ihn zu. Dieses Zeichen war nicht missverstehbar.
Auch er legte nun seine Hand an den Schwertgriff und zog seine Klinge heraus.
In diesem Zustand konnte er nicht hoffen, den Sieg davonzutragen, doch er wollte
sein Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Dem ersten Angriff konnte er problemlos ausweichen. Er sprang nach hinten und
die schwere Axt seines Kontrahenten schlug geradewegs in den weichen, erdigen
Boden. Der Tiermensch zog die Waffe mühelos wieder heraus und schlug diesmal
horizontal zu, bevor Frowin auch nur an einen Angriff seinerseits denken konnte.
Er parierte den Schlag mit seiner eigenen Klinge und verlor beinah das Gefühl
in seinem Handgelenk, als er einen stechenden Schmerz darin fühlte. Er
vermutete, dass es gebrochen war, doch unter seinem unnachgiebigen Griff konnte
er das Schwert in seiner Hand behalten. Sein Gegner erkannte die Verletzung
und setzte zum Todesstoss an. Er zielte mit einem mächtigen Axthieb genau
auf den Schädel des unterlegenen Menschen.
Frowin sah sein Ende vor Augen. An eine Flucht nach hinten war nicht zu denken,
dann hätte ihn die Klinge in den Brustkorb getroffen. Stattdessen sprang
er, entgegen jeglichen Reflexen und gesundem Verstand, direkt auf den hünenhaften
Häuptling zu. Er tauchte unter dem Hieb durch und landete zwischen den
tierischen Beinen seines Feindes. Blitzschnell trieb er sein Schwert in den
Unterleib des Kolosses, bis beinahe die ganze Klinge darin verschwunden war.
Dem Tode nahe, gab dieser ein letztes Brüllen von sich, dass weniger nach
Schmerzen denn nach Enttäuschung und Widerwillen klang. Danach fiel sein
schwerer Körper zusammen und begrub den darunter liegenden Frowin unter
sich. Dieser spürte nur noch, wie die Luft aus seiner Lunge gedrückt
wurde, dann wurde ihm wiederum schwarz vor Augen.
Das nächste, woran er sich erinnerte, waren Erschütterungen des Bodens
und der Klang schwerer Hufe, die auf den Boden schlugen. Neben ihm stand nun
das gigantische Stierding, das ihn als erstes bemerkt hatte. Es hielt den Kadaver
des Häuptlings hoch und warf ihn voller Verachtung wieder zu Boden. Danach
trat ein anderer Tiermensch aus der Menge hervor. Er war gänzlich in eine
lange, ehemals weiße Robe gehüllt, die von Dreck und Blut verkrustet
war. Auf seinem Kopf trug er statt eines Helmes einen gehörnten Schädel.
Er ging langsam und hinkend auf den Menschen zu. In seiner rechten Hand hielt
er einen Dolch, der jedoch von merkwürdiger Form war und bestimmt nicht
für den Kampf geschmiedet wurde.
Als er vor dem Bezwinger seines Häuptlings stand, griff er ihm unter die
Arme und half ihm auf die Beine. "Er? Du er?", fragte er dann, ohne
eine Antwort zu erwarten. Seine Stimme klang nicht sehr menschlich, dennoch
konnte man seine Worte klar verstehen. Er sprach zu sich selbst, wie es schien,
denn er musterte seinen Gegenüber sehr genau, ohne irgendwelche Erklärungen
abzugeben. Schliesslich kniff er seine Augen zusammen und wandte sich ab. Er
kniete neben dem verstorbenen Häuptling nieder und liess seine Klinge in
dessen Brust fahren. Er führte einen langen, tiefen Schnitt aus und ein
Rinnsal roten Blutes trat aus dem Körper und färbte den Boden. Er
griff mit der Hand hinein und holte irgend etwas heraus. Danach erhob er sich
wieder und ging auf Frowin zu. Er hielt ihm die blutbesudelte Hand hin, und
in ihr lag das Herz des Kadavers. Frowin wusste nicht so recht was er tun sollte.
War das vielleicht ein Beweis, dass sein Gegner wirklich tot war, oder vielmehr
eine primitive Form eines Vorwurfes, dass er den Anführer erledigt hatte?
Der Schamane erlöste ihn von seinen stummen Fragen. "Du isst?",
fragte er in einem befehlenden Ton, denn der schien seinerseits die Zweifel
des Menschen nicht zu verstehen. Es verstiess zwar gegen seine menschlichen
Empfindungen von Ekel, aber Frowin hätte kaum eine Möglichkeit zu
überleben gehabt, hätte er sich den Befehlen der Tiermenschenhorde
widersetzt. Er nahm das blutige Herz in seine rechte Hand und biss ein grosses
Stück davon ab. Es fühlte sich grässlich an in seinem Mund, und
er schluckte es sofort ohne auch nur einmal zu kauen herunter.
"Du er! Du er!", brüllte der Schamane. "Vision sich erfüllt!"
Er schrie den anderen Tiermenschen etwas zu, aber diesmal war es eher ein kehliger
Gesang als ein tierischer Laut. Die ganze Horde brach in wildes Gebrüll,
Gegröle und Geschrei aus. Die Vögel flogen aus allen Wipfeln in den
Himmel, um diesem infernalischen Lärm zu entfliehen und sämtliche
natürlichen Klänge des Waldes verstummten. "Du er!", wiederholte
der Tiermensch, diesmal mit einem feierlichen Ton. "Du erwähltes Meister!"
Frowin verstand von all dem kein Wort, doch er erinnerte sich an den Grund,
weshalb er überhaupt hierher geflohen war. Mit wildem Gestikulieren und
der Hilfe des dolmetschenden Schamanen gab er der Horde erste Anweisungen.
"Hier, durch dieses Gebüsch ist er gegangen!", sagte einer der
Jäger, der sich meisterhaft im Spurenlesen verstand. Die Ritter des Weißen
Wolfes dachten, dass ihre lange Jagd sich dem Ende näherte und nahmen ihre
Hämmer wieder in die Hände. Sie bahnten sich ihre Weg durchs das verwachsene
Geflecht.
Einige Augenblicke später lagen sie regungslos am Boden. Ihr Köpfe
von riesigen Äxten abgetrennt, ihre Körper von Dutzenden Speeren durchbohrt.
Die Jäger versuchten gerade noch zu fliehen, aber die Wurfspeere der Ungors
setzten dem ein Ende.
Frowin war mehr als zufrieden. Er war der Anführer einer Armee von Tiermenschen,
wie es sie noch nie zuvor so im Herzen des Imperiums gegeben hatte. Er hatte
schon die Paraden des Heeres von Middenheim gesehen, doch dieses schien, verglichen
mit seiner Horde, kein ernst zu nehmender Gegner. Er war erstaunt, wie gut ihn
die Kreaturen seiner Horde verstanden, obwohl sie nicht die selbe Sprache sprachen.
War es dies vielleicht? War dies seine göttliche Gabe? Hatte man ihm die
Fähigkeiten des Anführers geschenkt? Ja, so musste es sein. Dies war
seine Berufung. Dies war sein Weg. Dies war der Segen seines wahren Schicksals.
"Was du befiehlst, Meister?", fragte der Schamane, der unterwürfig
und mit gebückter Haltung an der Seite des neuen Feldherrn stand. Frowin
überlegte kurz, lächelte dann diabolisch und gab zur Antwort: "Auf
nach Middenheim! Ehre dem Herrn des Schicksals! Mögen all jene, die ihn
entwürdigt haben, für ewig vom Antlitz dieser Erde getilgt werden!"
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