<< <
THOMAS STOLL - "FROWINS GABE"

Frowin trieb sich selbst zu Höchstleistungen an. Seit dem Morgengrauen rannte er, ohne sich eine kleine Pause zu gönnen. Sein Gepäck, seine Wegzehrung und seinen Wasserschlauch hatte er zurücklassen müssen, sie hätten ihn beim Laufen nur behindert. Er hatte seit seinem Aufbruch kein einziges Anzeichen eines Baches entdeckt, und sein Mund war mindestens so ausgetrocknet wie es die Felder der Bauern in diesem regenlosen Herbst waren.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein loser Stein unter seinen Füßen nachgab und er auf den harten, steinigen Grund fiel. Er spürte, wie seine Kräfte langsam schwanden, doch er versuchte, gegen die Dunkelheit, die ihn zu übermannen drohte, anzukämpfen. Ihm wurde schwarz vor Augen und sein letzter Versuch, sich aufzustemmen und wieder auf die Beine zu kommen, schlug fehl.
Ein leichtes Pochen auf seinem Hinterkopf holte ihn aus seiner Ohnmacht zurück. Er öffnete seine Augen und sah auf den Boden direkt unter seinem Gesicht. Er erschrak, denn er bemerkte, dass die Steine blutbedeckt waren. Es war sein Blut.
Wie lange war er wohl ohne Bewusstsein gewesen? Er wusste es nicht, und momentan wollte er es auch nicht wissen. Obwohl sein Körper geschunden war und es ihn überall schmerzte, stemmte er sich hoch und saß sich auf einen nahen Felsen. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und glücklicherweise auch ein kräftiger Regenschauer.
Frowin blieb eine Weile auf diesem Felsen sitzen und ruhte sich aus. Der Regen, der seine Kleider durchtränkte, störte ihn nicht im geringsten. Er kniete nieder, um aus einer Pfütze zu trinken, die sich soeben gebildet hatte. Das schmutzige Wasser benetzte seinen ausgetrocknete Rachen und ließ ihn einen kurzen Augenblick vergessen, wo und in welch kritischen Lage er war. Er dachte an die unzähligen Abende in der Taverne am Stadttor, wo er mit seinen Kameraden Becher um Becher wohlschmeckenden Weines geleert hatte. Er mochte sich nicht daran erinnern, jemals für Regen dankbar gewesen zu sein, doch diesmal war er es ganz bestimmt. Die langen Nächte auf der Stadtmauer, auf diesen harten, ungedeckten Wehrgängen, waren schon so immer eine Qual gewesen, der Regen hatte ihm dann immer noch den Rest gegeben.
Er beobachtete den Berghang, den er nun hinter sich gelassen hatte, ganz genau. An einer Flanke glaubte er einen Lichtschimmer zu erkennen. Zweifellos waren es seine Verfolger, die sich in einer Höhle niedergelegt und ein Feuer gemacht hatten. Sie waren ihm nun schon gefährlich nahe gekommen. Er schätzte seinen Vorsprung auf etwa eine Stunde, vielleicht etwas mehr. Er hätte sich bestimmt einen grossen Vorteil verschaffen können, wäre er noch in dieser Nacht weiter gelaufen, doch sein Zustand ließ dies nicht zu. Mit Wasser vermischtes Blut rann seine Stirn hinab in seine Augen. Er wischte es mit dem zerfetzten Ärmel seiner einstmals stolzen Uniform weg.
Es war schon zu dunkel, um noch auf die Suche nach einer Höhle zu gehen, deshalb entschloss Frowin, gleich an Ort und Stelle zu schlafen. Er war viel zu aufgeregt, um sich schon hinzulegen, und versuchte sich zu beruhigen. Zweifel über die Richtigkeit seines Handelns kamen in ihm auf. Er wollte sich selbst noch einmal davon überzeugen, dass er keinen Fehler gemacht hatte, und ging in Gedanken die gesamte Verkettung der Ereignisse nach, die ihn in diese missliche Lage gebracht hatten.

Frowin war als Sohn eines Waffenschmiedes in der Stadt Middenheim geboren worden. Schon früh hatte er den Umgang mit Werkzeugen und Eisen erlernt und sich als äusserst talentiert erwiesen. In seiner Jugendzeit aber, als sein Vater gestorben war, hatte sein älterer Bruder die Werkstatt geerbt und für Frowin nur noch als Laufbursche Verwendung. Wegen dieser ungerechtfertigten Behandlung hatte der sich dann auch entschlossen, sich vom Handwerk abzuwenden und der Stadtwache beizutreten. Da er sich als ausgezeichneter Fechter erwiesen hatte, war ihm seine Ausbildung niemals schwer gefallen.
Seine Arbeit als Wächter hatte er sich jedoch immer viel aufregender vorgestellt. Mit Ausnahme einiger Reisenden und Händler war nämlich kaum jemand ans Stadttor gekommen, ganz zu schweigen von irgendwelchen feindlichen Streitmächten oder Monstern aus der Wildnis. Sein Alltag war ihm zu langweilig gewesen und er hatte immer gefühlt, dass er seine Talente in diesem Beruf nicht entfalten konnte. Er hatte kein Leben in dieser ewigen Wiederholung und Mittelmässigkeit fristen wollen. Er hatte beobachtet, wie alle Leute um ihn herum ihr Leben verschwendeten, sie wussten den wahren Wert ihrer Existenz nicht zu schätzen. Sie gaben sich alle den niederen Freunden hin, ohne ein wahres Ziel zu haben. Er wollte mehr erreichen! Irgend etwas, nur nicht sich selbst immer vorwerfen zu müssen, sein Leben verwirkt zu haben.
Das war schliesslich auch der Grund gewesen, weshalb er sich dem 'Bund des Schicksals' anschloss, einer kleiner Gruppe von Leuten der Mittelschicht, die dasselbe wie er fühlten. Dieser Bund glaubte daran, dass jeder Mensch eine wundervolle Gabe von den Göttern erhalten hatte, und dass es die Pflicht jedes einzelnen sei, seine zu entdecken und so sein Schicksal, und das vieler anderer, zu verändern. Diese Gabe konnte fast alles sein, und man konnte sie an unerwarteten Orten und zu unerwarteten Zeiten finden. Frowin hatte dadurch neuen Lebensmut gefasst, und begeisterte sich nun für alle Dinge, die ihm früher ganz normal und langweilig erschienen waren. Er hatte gedacht, vielleicht seine wahre Berufung in seinem Alltag zu finden.
Als er jedoch an einem dienstfreien Morgen einer Versammlung des Bundes hatte beiwohnen wollen, waren schon von weitem das Klirren von Metall und Schreie zu hören gewesen. Er hatte seine Schritte beschleunigt und war in die Gasse der Versammlungsstätte eingebogen. Bevor er richtig verstanden hatte, was geschehen war, war ihm ein schwer gerüsteter, bärtiger Krieger entgegengetreten, der am übergeworfenen Wolfspelz auf Schultern eindeutig als Ritter des Weissen Wolfes zu erkennen war. Er hatte mit befehlender Stimme gefragt: "Wohin des Weges, Bürger?" Frowin hatte grossen Respekt vor den Rittern der Stadt, doch sein Gefühl hatte ihm damals gewarnt, Vorsicht walten zu lassen. "Ich bin auf dem Weg zum Schuster, er soll meine Stiefel neu besohlen." Der Ritter hatte ernst genickt, ihn aber dennoch trotz seiner Uniform, die ihn als Stadtwächter ausgewiesen hatte, am passieren gehindert. "Du kannst hier im Moment nicht durch, Bürger. Soeben wurde in dieser Gasse ein Kult der dunklen Götter ausfindig gemacht. Die Mitglieder wurden natürlich sofort in Ketten gelegt und in den Kerker gesperrt, aber wir können noch nicht sagen, wie verbreitet dieser Irrglaube im diesem Teil Middenheims ist. Wir müssen zuerst die ganze Gasse nach Hinweisen durchsuchen und die Gefangenen befragen. Vor dem morgigen Tage kannst du diese Gasse ganz gewiss nicht betreten. Schönen Tag noch, Bürger!" Frowin hatte nur traurig genickt. Wie waren diese Dummköpfe nur auf die Idee gekommen, dass der Bund etwas mit den dunklen Göttern zu tun hatte. Das war typisch für die Gesellschaft Middenheims, die nichts anderes duldete als ihre eigene Ignoranz. Er hatte gewusst, dass auch er gefangengenommen werden würde, und dass ihm nicht mehr viel Zeit zur Flucht bliebe. Er war auf der Stelle nach Hause gerannt.
Dort angekommen, hatte er sich sein Schwert umgegürtet, einen Wasserschlauch gefüllt und sich seine Ledertasche umgehängt, die er hastig mit Proviant gefüllt hatte. Seinen Schild und seine Rüstung hatte er zurücklassen müssen, da sie ihn auf seiner Flucht nur behindert hätten. Er hatte schon viel von den Foltermethoden der Kerkermeister von Middenheim gehört. Man erzählte sich die grausamsten Geschichten darüber in der Wachstube. Zweifellos wäre sein Name noch vor dem Sonnenuntergang von seinen Bundesgenossen unter den höllischen Qualen der Folter verraten worden. Frowin hatte gewusst, dass er sich beeilen musste, wenn er die nahen Middenberge noch vor seinen Verfolgern erreichen wollte. Im Gebirge könnte man ihn nicht mit Pferden verfolgen und er hätte wenigstens eine gewisse Chance, zu entkommen. Ohne zu zögern hatte er sich auf den Weg aus der Stadt gemacht.

Zwei Tage lang war er gewandert. Er hatte Wege und Strassen gemieden, so wenig Rast wie nur möglich gemacht und kaum etwas gegessen. Als er bereits am Erklimmen der Berge gewesen war, hatte er weit hinter sich, noch am Fuss des Gebirges, seine Verfolger gesehen. Soweit er es hatte beurteilen können, waren sie nicht mehr als zehn. Einige davon schienen keine Ritter zu sein, ihre Kleidung und Bewaffnung waren jedoch aus dieser Entfernung nicht erkennbar. Aber das hatte ihn wenig gestört. Er hatte damals nicht geglaubt, dass sie ihm gefährlich nahe kommen könnten.
Einen weiteren Tag lang war er bergaufwärts gewandert. Er war immer kraftloser geworden und oft hingefallen. Als die Nacht hereingebrochen war, waren seine Knie voll von Schürfwunden und Blut gewesen und seine ganze Kraft war aus seinem Körper gewichen. Er hatte ein wenig gegessen und sich danach hingelegt, da es keinen Sinn gemacht hätte, in der Dunkelheit auf einem solch gefährlichen Weg weiter zu wandern.
Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er Stimmen gehört. Er war erschrocken aufgesprungen und hatte erkennen müssen, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Seine Verfolger waren ihm gefährlich nahe gekommen. Er hatte daher alles, das er entbehren konnte, zurückgelassen und war in die Richtung des Berggipfels weiter gewandert. Zu seiner Beruhigung waren seine Verfolger weiter weg als er zuerst gedacht hatte. In der natürlichen Stille dieser Berge drangen Geräusche scheinbar viel direkter und lauter ans Ohr. Er war sich nicht sicher gewesen, ob man ihn bereits bemerkt hatte oder nicht, aber einen grossen Teil seines Vorsprungs hatte er im Verlaufe dieses Tages verloren.

Nun sass er auf dem Stein und wachte wieder aus seinen Gedanken auf. Er hatte nichts falsch gemacht, davon war er nun fester überzeugt denn je zuvor. Da er nun doch noch müde geworden war, legte er sich auf den felsigen Boden. Die nassen Steine waren eiskalt und äusserst unangenehm um darauf zu liegen. Er war jedoch viel zu müde, um sich unwohl zu fühlen. Mit der Hoffnung, dass der morgige Tag mehr Glück für ihn bereithalten würde, schlief er schliesslich ein.

Noch bevor der erste Hahn gekräht hätte, hätte es solche in diesem kargen Gebirge gegeben, richtete sich Frowin auf. Die Schmerzen vom vorigen Tag waren noch immer da, aber er war nicht mehr so erschöpft. Dafür hatte er sich auf dem feuchten Boden eine Erkältung eingefangen und hustete nun wie ein Dampfpanzer. An eine kleine Pause, um ein wärmendes Feuer zu entzünden, war nicht zu denken. Der Blick auf den zurückgelegten Weg gab ihm neuen Mut, waren doch weder seine Verfolger, noch eine Gewitterwolke am Himmel zu sehen. Bis zum Gipfel der Bärenpratze, dem Berg, auf dem er sich gerade befand, waren noch etwa zwei Wegstunden zu gehen. Sein Plan war, auf der anderen Seite wieder hinunter zu marschieren, und danach direkt in den dichten Schattenwald, in dem man sich mühelos verstecken konnte.
Dieser letzte Abschnitt des Aufstieges war besonders steil und anstrengend. Frowin musste mehrere Ruhepausen einlegen, weil ihn sonst seine müden Beine nicht mehr getragen hätten. Er kam langsamer als geplant voran, manchmal schien sich sein Ziel mehr zu entfernen als näherzukommen. Mit schwindenden Kräften kämpfte er sich schliesslich doch noch bis zum Gipfel hoch.
Erschöpft ließ er sich mangels einer Sitzgelegenheit auf den Boden fallen. Er ließ seinen Blick über die Landschaft vor sich schweifen, zu kraftlos um ihre Schönheit zu erkennen. Weit in der Ferne war eine unendlich scheinende Tundra zu sehen, und wie Brückenpfeiler im Wasser erhoben sich einige kleinere Dörfer in ihr, jedes einen immensen Abstand zu den anderen haltend. Noch weiter weg, aber dennoch deutlich erkennbar, war das Meer, von dem eine sanfte Brise herüber wehte. Doch daran hatte Frowin kein Interesse. Das einzige, was von Belang war, war die Nähe des riesigen Schattenwaldes, der selbst auf diese Entfernung dunkel und bedrohlich wirkte. Nicht einmal, wenn ganz Middenheim ihn darin suchen würde, könne man ihn finden, dachte er. Ein beruhigender Gedanke. Die Sonne stand schon fast an ihrem höchsten Punkt, aber er fühlte sich nicht sicher genug, um sich eine Rast zu gönnen. Er erhob sich und es fiel ihm erstaunlich einfach, bergabwärts zu gehen.
Als der Abend hereinbrach, war er schon am Fuss des Berges. Sehr zu seinem Bedauern musste er leider erkennen, dass man ihn bereits entdeckt hatte. Er hörte hinter sich lautes Rufen und das Klirren von Metall. Als er sich umdrehte, erblickte er auf dem Felshang eine Gruppe von fünf Rittern des Weissen Wolfes und drei Männern die wie Jäger aussahen. Zu seiner Verwunderung trugen die Ritter ihre schweren Rüstungen. Er hatte schon viel von ihrem Mut und ihrer legendären Stärke gehört, aber das übertraf alles, was er sich je vorzustellen gewagt hatte. Obwohl sie ihre Pferde vor dem Gebirge zurücklassen und zu Fuss gehen mussten, waren sie ihm immer näher gekommen. Die Jäger spannten ihre Bögen und liessen drei Pfeile in Frowins Richtung schwirren. Die Entfernung war jedoch noch zu groß und keines der Geschoße kam gefährlich nahe. Die Verfolger waren nun aufgerüttelt und begannen ihm mit gezückten Waffen nachzurennen. Voller Panik floh er in den nahen Schattenwald.
Auf dieser Flucht, die über Leben und Tod entscheiden würde, mobilisierte er seinen letzten verbleibenden Kräfte. Er lief so schnell ihn seine Beine trugen und prallte mehrmals beinahe mit Bäumen zusammen. Ein dichtes Gestrüpp tauchte vor ihm auf. Er dachte, wenn er sich in diesem verstecken würde, dann sei er gerettet. Mit einem heftigen Sprung drang er in das dichte Geflecht von Blättern ein, und sehr zu seiner Überraschung auf der anderen Seite gleich wieder heraus. Es war scheinbar kaum breiter als zwei Armlängen, aber das war nun sein geringstes Problem.

Vor ihm war eine Gruppe kleiner, teufelähnlicher Wesen, die damit beschäftigt waren, ein grösseres Wesen von Tiergestalt mit Steinchen zu bewerfen. Sie kicherten und glucksten, als sich dieses mit einem lauten, kehligen Röhren beschwerte. Als es dann die Nerven verlor und einen der kleinen Kreaturen an der Gurgel packte und durch die Luft fliegen liess, stimmten die anderen ein diabolische Lachen an, dass jedoch nicht entfernt an ein ehrliches, menschliches Lachen erinnerte.
Frowin war wie gelähmt. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er solche oder ähnliche Kreaturen gesehen. Er hatte immer gedacht, Wesen wie Orks, Skaven und Tiermenschen wären nur eine Erfindung der Ausbilder der Stadtwache, um sicherzustellen, dass ihre Rekruten immer aufmerksam bei der Sache waren. Er blickte sich um und erschrak wiederum. Die gesamte Lichtung, die etwa zehnmal so gross wie die gigantische Kathedrale des Ulrik in Middenheim war, war von diesen Kreaturen des Chaos bedeckt. Manche waren gross und sahen wie Tiere aus, mit gehörnten Köpfen, andere erinnerten an kleine Teufelchen oder Dämonen, die immerzu böse kicherten. Einige waren scheinbar ganz formlos und veränderten sich ständig. Es gab auch welche, die wie Oger aussahen, aber auf vier geschuppten Beinen gingen.

Er hätte diese bizarren Wesen stundenlang ansehen können, hätte ihn ein ohrenbetäubendes Gebrüll nicht davon abgehalten. Ein Ding, das wie ein Stier auf zwei Beinen aussah, hatte ihn bemerkt. Es schwang seine riesige Axt wild umher und stürmte auf sein eben erblicktes Opfer zu. Als es noch einen halben Steinwurf von ihm entfernt war, ertönte ein anderes Brüllen. Es war weniger laut als das andere, aber scheinbar hatte es eine Bedeutung für die Tiermenschen. Sie wichen alle von dem Menschen zurück und hielten gebührenden Abstand.
Aus ihren Reihen trat nun einer hervor, der grösser als die meisten war und aus dessen Kopf zwei lange, aufrechte Hörner ragten. Er hielt eine zweihändige Axt in seinen Händen und Federn auf seinem Helm. Über seiner Rüstung trug er einen Mantel, der aus Menschenhaut zusammengenäht wurde. Frowin musste sich bei dem Gedanken, dass jemand einem Menschen die Haut abziehen und sich einen Umhang daraus schneidern würde, beinahe übergeben. Er wusste, dass auch er wahrscheinlich bald Teil dieses grotesken Kunstwerkes sein würde. Sein Gegner, zweifellos der Häuptling der Horde, erhob seine Waffe und rannte grölend auf ihn zu. Dieses Zeichen war nicht missverstehbar. Auch er legte nun seine Hand an den Schwertgriff und zog seine Klinge heraus. In diesem Zustand konnte er nicht hoffen, den Sieg davonzutragen, doch er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Dem ersten Angriff konnte er problemlos ausweichen. Er sprang nach hinten und die schwere Axt seines Kontrahenten schlug geradewegs in den weichen, erdigen Boden. Der Tiermensch zog die Waffe mühelos wieder heraus und schlug diesmal horizontal zu, bevor Frowin auch nur an einen Angriff seinerseits denken konnte. Er parierte den Schlag mit seiner eigenen Klinge und verlor beinah das Gefühl in seinem Handgelenk, als er einen stechenden Schmerz darin fühlte. Er vermutete, dass es gebrochen war, doch unter seinem unnachgiebigen Griff konnte er das Schwert in seiner Hand behalten. Sein Gegner erkannte die Verletzung und setzte zum Todesstoss an. Er zielte mit einem mächtigen Axthieb genau auf den Schädel des unterlegenen Menschen.
Frowin sah sein Ende vor Augen. An eine Flucht nach hinten war nicht zu denken, dann hätte ihn die Klinge in den Brustkorb getroffen. Stattdessen sprang er, entgegen jeglichen Reflexen und gesundem Verstand, direkt auf den hünenhaften Häuptling zu. Er tauchte unter dem Hieb durch und landete zwischen den tierischen Beinen seines Feindes. Blitzschnell trieb er sein Schwert in den Unterleib des Kolosses, bis beinahe die ganze Klinge darin verschwunden war. Dem Tode nahe, gab dieser ein letztes Brüllen von sich, dass weniger nach Schmerzen denn nach Enttäuschung und Widerwillen klang. Danach fiel sein schwerer Körper zusammen und begrub den darunter liegenden Frowin unter sich. Dieser spürte nur noch, wie die Luft aus seiner Lunge gedrückt wurde, dann wurde ihm wiederum schwarz vor Augen.

Das nächste, woran er sich erinnerte, waren Erschütterungen des Bodens und der Klang schwerer Hufe, die auf den Boden schlugen. Neben ihm stand nun das gigantische Stierding, das ihn als erstes bemerkt hatte. Es hielt den Kadaver des Häuptlings hoch und warf ihn voller Verachtung wieder zu Boden. Danach trat ein anderer Tiermensch aus der Menge hervor. Er war gänzlich in eine lange, ehemals weiße Robe gehüllt, die von Dreck und Blut verkrustet war. Auf seinem Kopf trug er statt eines Helmes einen gehörnten Schädel. Er ging langsam und hinkend auf den Menschen zu. In seiner rechten Hand hielt er einen Dolch, der jedoch von merkwürdiger Form war und bestimmt nicht für den Kampf geschmiedet wurde.
Als er vor dem Bezwinger seines Häuptlings stand, griff er ihm unter die Arme und half ihm auf die Beine. "Er? Du er?", fragte er dann, ohne eine Antwort zu erwarten. Seine Stimme klang nicht sehr menschlich, dennoch konnte man seine Worte klar verstehen. Er sprach zu sich selbst, wie es schien, denn er musterte seinen Gegenüber sehr genau, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben. Schliesslich kniff er seine Augen zusammen und wandte sich ab. Er kniete neben dem verstorbenen Häuptling nieder und liess seine Klinge in dessen Brust fahren. Er führte einen langen, tiefen Schnitt aus und ein Rinnsal roten Blutes trat aus dem Körper und färbte den Boden. Er griff mit der Hand hinein und holte irgend etwas heraus. Danach erhob er sich wieder und ging auf Frowin zu. Er hielt ihm die blutbesudelte Hand hin, und in ihr lag das Herz des Kadavers. Frowin wusste nicht so recht was er tun sollte. War das vielleicht ein Beweis, dass sein Gegner wirklich tot war, oder vielmehr eine primitive Form eines Vorwurfes, dass er den Anführer erledigt hatte? Der Schamane erlöste ihn von seinen stummen Fragen. "Du isst?", fragte er in einem befehlenden Ton, denn der schien seinerseits die Zweifel des Menschen nicht zu verstehen. Es verstiess zwar gegen seine menschlichen Empfindungen von Ekel, aber Frowin hätte kaum eine Möglichkeit zu überleben gehabt, hätte er sich den Befehlen der Tiermenschenhorde widersetzt. Er nahm das blutige Herz in seine rechte Hand und biss ein grosses Stück davon ab. Es fühlte sich grässlich an in seinem Mund, und er schluckte es sofort ohne auch nur einmal zu kauen herunter.
"Du er! Du er!", brüllte der Schamane. "Vision sich erfüllt!" Er schrie den anderen Tiermenschen etwas zu, aber diesmal war es eher ein kehliger Gesang als ein tierischer Laut. Die ganze Horde brach in wildes Gebrüll, Gegröle und Geschrei aus. Die Vögel flogen aus allen Wipfeln in den Himmel, um diesem infernalischen Lärm zu entfliehen und sämtliche natürlichen Klänge des Waldes verstummten. "Du er!", wiederholte der Tiermensch, diesmal mit einem feierlichen Ton. "Du erwähltes Meister!"
Frowin verstand von all dem kein Wort, doch er erinnerte sich an den Grund, weshalb er überhaupt hierher geflohen war. Mit wildem Gestikulieren und der Hilfe des dolmetschenden Schamanen gab er der Horde erste Anweisungen.

"Hier, durch dieses Gebüsch ist er gegangen!", sagte einer der Jäger, der sich meisterhaft im Spurenlesen verstand. Die Ritter des Weißen Wolfes dachten, dass ihre lange Jagd sich dem Ende näherte und nahmen ihre Hämmer wieder in die Hände. Sie bahnten sich ihre Weg durchs das verwachsene Geflecht.
Einige Augenblicke später lagen sie regungslos am Boden. Ihr Köpfe von riesigen Äxten abgetrennt, ihre Körper von Dutzenden Speeren durchbohrt. Die Jäger versuchten gerade noch zu fliehen, aber die Wurfspeere der Ungors setzten dem ein Ende.
Frowin war mehr als zufrieden. Er war der Anführer einer Armee von Tiermenschen, wie es sie noch nie zuvor so im Herzen des Imperiums gegeben hatte. Er hatte schon die Paraden des Heeres von Middenheim gesehen, doch dieses schien, verglichen mit seiner Horde, kein ernst zu nehmender Gegner. Er war erstaunt, wie gut ihn die Kreaturen seiner Horde verstanden, obwohl sie nicht die selbe Sprache sprachen. War es dies vielleicht? War dies seine göttliche Gabe? Hatte man ihm die Fähigkeiten des Anführers geschenkt? Ja, so musste es sein. Dies war seine Berufung. Dies war sein Weg. Dies war der Segen seines wahren Schicksals.
"Was du befiehlst, Meister?", fragte der Schamane, der unterwürfig und mit gebückter Haltung an der Seite des neuen Feldherrn stand. Frowin überlegte kurz, lächelte dann diabolisch und gab zur Antwort: "Auf nach Middenheim! Ehre dem Herrn des Schicksals! Mögen all jene, die ihn entwürdigt haben, für ewig vom Antlitz dieser Erde getilgt werden!"


Die Jury
"Die Geschichte konnte durch ihren klaren Handlungsstrang, dem gut ausgearbeiteten Hauptcharakter und die detailreichen Beschreibungen der Handlungen desselben überzeugen. Die Geschichte ist eine solide Adaption von Archaons Werdegang mit ein paar eingestreuten, eigenen Ideen. Auch Schrift und Sprache konnten die Jury überzeugen."

< 1. Platz | 3. Platz >