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SEBASTIAN KUHN - "LUSTRIA SEHEN UND STERBEN"

Schwankend hob sich die Kiste am Kran in die Höhe. Das Tau ächzte fast so sehr wie die Arbeiter, die den Flaschenzug betätigten. Langsam schwenkte der Kran um und die Kiste wurde vorsichtig in den Laderaum der „Seefalke“ hinabgelassen, wo sie von eifrigen Händen empfangen wurde.
Karl Johannsen beobachtete die Szene zufrieden. Es fehlte nur noch eine Kiste und dann war die Ladung komplett. Schon am Abend würde die Kogge auslaufen können. Doch zuvor waren noch einige Formalitäten zu erledigen und so machte er sich auf dem Weg zu Hafenmeister. Gemütlichen ging er die schmale Rampe von Deck zur Pier hinab und strebte ruhigen Schrittes und ohne Hast dem Handelskontor zu, wo er sich beim Hafenmeister abmelden würde. Unbekümmert vom hektischen Treiben des Marienburger Hafens ging er seines Wegs. Männer rollten Fässer, schleppten Kisten und Ballen von den Lagerhäuser zu den Schiffen und andersherum. Betrunkene Männer torkelten aus Kneipen, wo sie ihre Heuer versoffen hatten, auch einige Zwerge stapften durch die Straßen, entweder auf die diversen Zwergenkneipen zu oder zu den großen Kontoren, doch gleichsam zielstrebig. Es roch nach Fisch, Fleisch, der Seeluft und nach den Ausdünstungen der verschiedensten Völkerschaften und Rassen, denn nicht nur Schiffe der Menschen lagen hier festgezurrt, sondern Karl konnte auch zwei schlanke Elfenschiffe auf der anderen Seite des Hafenbeckens erspähen, wo sie isoliert und mit viel Freiraum festgemacht waren und somit in völligem Kontrast zum ansonsten total überfüllten Hafen standen. Karl schüttelte den Kopf, Elfen waren ihm suspekt, und er war nicht allein mit dieser Meinung. Die Händler waren zwiespältig zu den Fremden eingestellt. Denn Ehrfurcht, Neid, Angst und Faszination bildete eine explosive Mischung. Jeder hatte sich schon mehrere Male von einem schlanken Elfensegler überholen lassen müssen, fast jeder hatte bereits einmal mit der überheblichen Arroganz der feinsinnigen Bewohner Ulthuans fertig werden müssen und jeder neidete ihnen ihr Vorkaufsrecht.
Dennoch wurden sie gebraucht, durch sie blieben die Seewege nach Cathay, Nippon und Arabia frei und durch sie strömten Unmengen seltenster Waren in die Stadt.
Karl schreckte aus seinen Gedanken auf, als vor ihm großes Geschrei erklang. Ein Oger hatte - ob aus Versehen oder mit Absicht, das vermochte Karl nicht zu sagen - einen Karren mit Fischen umgestoßen. Überall lagen nun silbern glänzende Fische auf dem Steg und auf dem gemauerten Kai. Der Besitzer des Karrens schimpfte auf den Oger ein und schien ihn mit seinem ausgestreckten Zeigefinger durchbohren zu wollen, während er mit zornigen Augen und bebenden Schnurrbart auf den Oger zu schritt. Der Oger wich unwillkürlich vor dem Mann zurück der ihm vielleicht bis an den Bauchnabel reichte. Er war in grobe Kleidung imperialen Schnitts gekleidet, die zivilisiertere Variante dachte Karl abschätzig als er über die groteske Situation breit grinste. Auch andere Schaulustige fanden ihren Spaß an der Szene.
Lauthalses Lachen umfing den Fischhändler und den Oger, der erst jetzt bemerkte, wie ihm wirklich geschah. Er packte den zeternden Mann an den Armen und setze ihn mit einem Schwung auf einen hohen Kistenstapel, wo der zuvor unablässig schimpfende, doch nun stille Mann die Balance verlor und polternd zu Boden fiel. Die Menge reagierte mit schallendem Gelächter, welches sich noch verstärkte als der Oger, der versuchte sich unschuldig pfeifend aus dem Staub zu machen, auf einem der Fische ausrutschte und der Länge nach hinschlug.
Karl konnte kaum noch atmen vor Lachen als sich die beiden Streithähne mühsam erhoben und sich ihre wunden Gliedmaßen rieben.
Mit einem Male eilte die Menge auseinander, als ein Trommeln erklang und eine Gruppe imperialer Soldaten die Szene betrat. Der Feldwebel der Einheit wies die mit Hellebarden bewaffneten Männer an die Situation zu beruhigen und die Menge auseinander zu treiben. Auch Karl erhielt einen entsprechenden geknurrten Befehl.
Er fügte sich und ging weiter, sah sich jedoch noch einmal um, wie der Fischhändler und der Oger in die Mitte der Soldaten genommen und abgeführt wurden.
Kurze Zeit drauf herrschte wieder die allgemeine Betriebsamkeit.

Einige Stunden später kehrte Karl zur „Seefalke“ zurück, er hatte alle Formalitäten geklärt und sich noch ein wenig umgesehen, insbesondere das Rotlichtviertel Marienburgs hatte er besucht, denn schließlich würde er für Wochen auf See sein. Die Huren in den Bordellen waren zwar nicht die Schönsten, doch um Schönheit ging es Karl und dem Rest seiner Mannschaft, die ebenso solche Besuche vor der Abreise getätigt hatten und ihn nun an Deck erwartete , nicht.
Der Abend dämmerte bereits als Karl Johannsen die schmale Planke erklomm. An Deck angelangt setzte den federbesetzten breitkrempigen Hut ab und kratzte sich nachdenklich am Kopf, seine schwarzen langen Haare und sein Backenbart wurden allmählich grau. Er war nicht mehr der jüngste, doch einer der erfahrensten Kapitäne in der Marienburger Handelsflotte. Er setzte den Hut wieder auf und schüttelte kräftig die Hand seines Steuermanns und alten Freundes Ludwig Fiskerson. Der war ebenso wie Karl in einfache Kleidung gekleidet, bestehend aus Leinen und Leder, sie hielten wenig von der auf See unpraktischen Mode. Das einzige Zugeständnis seitens Karls war der Hut, den er als Zeichen seiner Kapitänswürde trug.
„ Na Ludwig, alles verladen?“
„So ist es Karl, alles verladen und verstaut“
„Gut, gut. Dann lass die Leinen los machen gib dem Schlepper das Signal, damit wir die Flut noch erwischen.“
„Aye, Käpt’n.“ lässig begann Ludwig die Befehle zu erteilen. Er war an Bord fast ebenso wichtig wie Karl und wußte das. Dennoch ließen es die beiden nie auf einen Machtkampf ankommen, denn Karl vertraute Ludwig. Seit der erste Offizier in einem Sturm über Bord gegangen war übernahm Ludwig wie selbstverständlich diesen Posten und Karl ließ ihn gewähren.
Die Befehle wurde ausgeführt und langsam löste sich die Seefalke vom Steg als die Ruderer im Schleppboot damit begannen das schwere Handelsschiff mit kraftvollen Züge aus dem Hafenbecken zu ziehen.
Karl gesellte sich zu dem Lotsen, der am Bug stand und den Steuermanns des Schleppers mittels einer Flüstertüte einwies. Der Mann drehte sich um und lächelte, als Karl neben ihn trat. Er war Beamter Marienburgs und kam somit nicht umhin eine entsprechende Uniform zu tragen. Er fühlte sich deutlich unwohl in den eleganten Gewändern, ständig versuchte er die Puffärmel zu glätten, was ihm mit eher mäßigem Erfolg gelang. Er erinnerte Karl an einen erfahrenen Seemann, der in den Lotsendienst versetzt worden war.
Er nickte Karl zu.
„Ein schönes Schiff haben Sie Kapitän Johannsen, mit einer solchen Kogge bin ich früher auch gefahren.“
Karl nickte ebenfalls, mehr zu sich als zu dem Lotsen, da er erkannte, dass seine Vermutung richtig gewesen war.
„Da haben sie recht, die alte Dame ist noch immer ein heißer Feger.“ Zärtlich strich Karl über das Holz der Reling. Schließlich sah er wieder auf: „Hauptsache wir kommen heil nach Brionne.“
„Ach, nach Bretonia wollt ihr?“, der Lotse spuckte abfällig ins trübe Wasser, „Als Händler hat man es nicht leicht, selten kann man sich die Routen aussuchen. Das ist auch ein Grund, warum ich Lotse geworden bin.“
Karl nickte zustimmend - zwar hatte er nicht gegen Bretonen, mit ihnen ließen sich gute Geschäfte machen - doch er wollte den Lotsen nicht verärgern. Besonders nicht, solange die Seefalke bei ihm in Schlepp lag.
Ludwig trat zu den beiden hinzu, stieß den Lotsen mit dem Ellenbogen an und fragte: „ Wenn nicht nach Bretonia, wohin würdet ihr denn lieber fahren?“
Der Lotse wurde mit einem Male wehmütig: „ Ich würde gerne mal in die neue Welt fahren und ihre Wunder sehen können.“
Ludwig stieß Karl an und grinste: „ Ja, Lustria sehen und sterben. Nicht wahr?“ Karl grinste breit zurück, doch der Lotse nickte nur traurig.
Allmählich ließen der Schlepper und die Kogge den lärmenden Hafen hinter sich, von dessen hellerleuchteten Ufer noch immer Geräusche geschäftigen Treibens herüber wehten. Bald würden sich die Kogge und der Schleppkahn trennen. Die Gewässer, die nun vor ihnen lagen, waren frei von gefährlichen Untiefen. Karl atmete auf.
Auch der Lotse erkannte, dass sein Dienst zu Ende war, mit einem Kommando durch die Flüstertüte ließ er die Schlepptaue lösen. Das Ruderboot kam längsseits und der Lotse schwang sich über die Reling um am Fallreep hinunter zu klettern. Während er gemächlich ins Boot runter kletterte sah er zu Karl auf, der sich über die Reling beugte.
„Allseits gute Fahrt, genügend Wind und immer eine handbreit Wasser unterm Kiel. Viel Glück, auch wenn ihr nach Brionne fahrt. Ihr habt guten Wind, Nordost, damit dürftet ihr gut voran kommen. Passt auf die Piraten auf, die Nordmänner sind in letzter Zeit recht unruhig. Ich empfehle mich, möge Manann dieses Schiff segnen!“
Karl antwortete auf den typischen Gruß mit einem Wink mit Zeige und Mittelfinger an seinen Hut: „Auch euch viel Glück!“
Das Ruderboot wendete nun langsam und richtete sich auf Marienburg aus. Mit kräftigen Zügen schob es sich durch die heraufziehende Dunkelheit.
Der Wind frischte ein wenig auf, er kam, wie der Lotse gesagt hatte, kräftig wehend aus Nordosten. Karl rieb sich die Hände. Sie würden schnell in Brionne sein. Wahrlich Manann hatte ein Auge auf dieses Schiff.
Lauthals gab er den Befehl zum Segelsetzen, die schweren Tuchbahnen senkten sich von den Rahen und wurden vom Wind aufgebläht, schnell, aber vollkommen leise, bis auf ein leichtes Knarren rauschte die Seefalke durch die Nacht.

Einige Tage später hatte die Seefalke bereits das Kap von L‘Anguille erfolgreich umrundet und eilte nun mit vollem Rückenwind auf Lyonesse zu. Karl hielt sich bewußt nah am bretonischen Ufer, er zog es vor den angriffslustigen Wilden des Nordens kein zu leichtes Ziel zu geben. Das Wetter war rauh, der Wind peitschte das graue Wasser der Krallensee zu hohen Wellen auf und Gischt sprühte über das Deck. Der Himmel schien knapp über den Masten der Kogge zu hängen. Langsam mischten sich Regentropfen in die Gischt. Karl musterte missmutig den Himmel, ein Sturm schien aufzuziehen. Das merkten offenbar auch die Menschen an Land, Karl meinte ausmachen zu können, wie sich die Karren der Bauern in Bewegung setzten.
Geschickt das leichte Schwanken des Schiffs ausgleichend bewegte sich Karl zur Ruderbrücke wo Ludwig mit zusammengebissenen Zähnen das Schiff auf Kurs hielt. Er erkannte Karl und rief dem zweiten Steuermann über den pfeifenden Wind zu, seinen Platz einzunehmen. Als der Mann die Position eingenommen hatte wandte sich Ludwig Karl zu. Er grinste und sein verbliebenes linke Auge lachte, das andere war unter einer Augenklappe verborgen. Es war durch die Sonne beim Bestimmen der Position im Laufe der Jahrzehnte fast blind und sehr empfindlich geworden. Teils aus Scham, teils aus Schutz verdeckte Ludwig fortan das weißliche Auge mit der Klappe.
Die Männer begrüßten sich mit einem Nicken. Karl rief über den aufziehenden Sturm: „He, Ludwig. Sorg dafür, dass die Ladung gesichert wird, bei diesem Sturm können wir Schlagseite nicht gebrauchen.“ Ludwig brüllte eine Antwort zurück, die aber vom Heulen des Windes verschluckt wurde. Er versuchte es erneut, vergeblich, und machte nun mit Zeichensprache klar, dass er verstanden hatte. Schnell eilte er zum Deck hinunter, öffnete die eine Luke in den Schiffsbauch und schlüpfte hindurch, zwei der Matrosen folgten ihm. Karl nickte zufrieden, war die Ladung erst einmal gut vertäut und gesichert, vermochten sie den Sturm ohne Schwierigkeiten zu überstehen.
Ständig gegen den Wind ankämpfend gesellte sich Karl zu dem zweiten Steuermann, nickte im zu, während er besorgt den Himmel beobachtete. Der Wind begann immer stärker zu wehen. Die einzelnen Böen starken Winds hatten längst Orkanstärke angenommen. Karl entschied sich zu handeln. Er kämpfte sich zur Balustrade und befahl lautstark die Segel zu reffen. Seine Stimme übertönte sogar das Heulen des Windes.
Widerwillig, angesichts der großen Gefahr machten sich mehrere Matrosen auf zu den Rahen emporzusteigen. Flink und ausdauernd eilten sie der ersten tragenden Rahe entgegen. Routiniert begannen einige Matrosen damit die Segelfläche zu verkleinern, während die übrigen zur nächsten hinaufstiegen. Karl hielt den Atem an, er fürchtete zu spät gehandelt zu haben, da die Seemänner dort oben, lediglich von Tauen gehalten, in höchster Lebensgefahr waren. Hätte er das Reffen früher befohlen wäre niemand in ernsthafte Gefahr geraten. Selbstzweifel durchbohrten ihn, wurde er zu alt für diese Bürde? Erleichtert stieß Karl den angehaltenen Atem aus, als die Matrosen aus ihrem luftigen Arbeitsplatz in bis zu zwanzig Meter über Deck zurückkehrten. Auch die anderen Segelflächen waren verkleinert worden. Nun mit deutlich weniger Angriffsfläche für den Wind wurde die Seefalke weit weniger brutal hin und her geschleudert.
Jetzt tauchten auch Ludwig und die anderen Männer aus der Luke auf. Sie gestikulierten wild, doch Karl konnte den Sinn nicht erfassen.
Als Ludwig jedoch zurück auf die Kommandobrücke trat beugte er sich zu Karl rüber: „ Ich muss mit dir über etwas reden.“ Karl nickte und ging zu Luke, die zu den Kajüten führte.
Ludwig folgte ihm.
Als Ludwig den Raum betrat hatte sich Karl bereits hinter einem kleinen, vollkommen überfüllten Kartentisch aufgebaut. Wartend sah er Ludwig an. „Nun, was gibt’s? Ich habe hier ein Schiff durch einen Sturm zu führen, was gibt es so wichtiges, dass du mich davon abhältst?“
Ludwig scharrte unruhig mit den schweren Stiefeln auf den Planken, die den Fußboden bildeten.
„ Nun, es ist nur ein Gefühl. Weist du Karl, als wir eben die Ladung gesichert haben, ist mir eine Kiste aufgefallen, die irgendwie anders war.“
Karl sah seinen alten Freund entgeistert an: „ Wegen einer Kiste holst du mich hier runter? Was war an der Kiste so besonderes, dass es dir wert war, mich darauf anzusprechen?“
„ Nun ja, es war mehr das unheimliche Gefühle, dass etwas böses in der Nähe ist, als ich die Kiste sah. Sie sah, sie sah aus wie... Es war ein verdammter Sarg!“
„Ein Sarg? Bist du dir sicher? Ein Sarg wäre mir aufgefallen!“
„Deswegen war ich ja auch so erschrocken, er war wohl in einer anderen Kiste gewesen, doch die war zerstört. Als wir in den Frachtraum kamen fanden wir nur Trümmer der ursprünglichen Kiste vor und fanden den Sarg!“
„Na das sehe ich mir mal an!“
Ludwig zuckte bei diesen Worten zusammen. Karl zog verwundert die Augenbraue hoch, er hatte Ludwig selbst bei Piratenüberfällen ruhig bleiben sehn, doch nun zitterte er bei dem Gedanken in den Laderaum zurückzukehren.
Dennoch folgte Ludwig als Karl sich auf den kurzen Weg in den Laderaum machte. Eine kleine Tür trennte den Kartenraum vom Schlafbereich der Mannschaft, Hängematten waren im schwankenden Licht der kleinen Lampe, die Karl vor sich gestreckt hielt an den Wänden zu erkennen. Die Luft war zum Schneiden dick.
Zielstrebig durchquerten die beiden Männer diesen Bereich und schritten auf die Tür zu, die zum Laderaum führte.
Als sie die Tür erreicht hatten blieb Karl stehen, zwinkerte seinem Steuermann zu und öffnete die Tür.
Eine wohlklingende Stimme ertönte aus dem Dunkel:
„ Willkommen lieber Kapitän und da ist ja auch der Steuermann, wie nett.
Seid mir gegrüßt.“

Irgendwo im Eismeer rauschte ein Langboot durch aufgewühlte Wogen.
Leif, der Anführer der Kriegergruppe stand am Bug und starrte in das schäumende Wasser.
Sie hatten den Sturm gut überstanden, doch noch wagte er nicht das Segel wieder aufziehen zu lassen. Im Moment wurde das schlanke Schiff durch die Muskelkraft von vierzig Kriegern seines Stammes angetrieben.
Jeweils zu zweit an einem Ruder pullten sie das Schiff durch die See, die in den Himmel überzugehen schien.
Zu Leif gesellte sich Svengar Sturmruf, der Schamane des Stammes. Wortlos starrten beide nebeneinander in die sie umgebende graue Welt. Schließlich ergriff Leif das Wort: „Zürnen uns die Götter, Sven? Wir waren bei bestem Wetter aufgebrochen, doch nun scheint uns der Himmel verschlucken zu wollen!“
Svengar runzelte die Stirn und wandte seinen Kopf um seinen jungen Häuptling zu betrachten.
Leif war jung, höchstens fünfundzwanzig Sommer alt, schätzte Svengar, denn niemand wusste das Alter dieses geheimnisvollen Kriegers genau. Sein muskulösen Arme zeichneten sich deutlich unter dem groben Lederwams ab, ebenso wie die Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte. Das Gesicht war scharf geschnitten und kantig. Es hätte als schön bezeichnet werden können, wäre es nicht durch zahlreiche Narben verunstaltet. Viele Wunden hatte Leif sich selbst zugefügt um sich vor den Göttern der Norse zu beweisen. Svengar wandte sein Gesicht wieder nach vorne und strich sich über sein Hemd. Es war alt, so wie er. Er hatte schon viele Häuptlinge kommen und gehen sehn. Der Stamm der Windwölfe würde auch nach Leif weiter bestehen. Dennoch galt seine Loyalität nach den Göttern vor allem Leif.
„Die Götter stellen uns auf eine Probe Leif. Sie haben uns weit von unserem Kurs abtreiben lassen.
Es ist mit Sicherheit eine Prüfung des großen Gauklers.“
„ Möge Loki seinen Scherz nicht zu weit treiben. Wir müssen Skeggi erreichen!“
Svengar nickte zustimmend, während das Langboot weiter durch die Fluten eilte.

Karl drehte sich um und wollte zurück in den Kartenraum eilen, doch Ludwig hielt ihn am Arm fest.
Karl versuchte sich loszureißen, doch Ludwigs Griff war nicht zu lösen.
Entgeistert wandte Karl sich um und starrte in das gelassene wirkende Gesicht seines Steuermanns, sein Auge hatten jeden Ausdruck verloren. Panik überkam ihn. Immer wilder riss er an Ludwigs griff, schlug auf den Arm ein, doch was er immer tat, es zeigte keinerlei Wirkung.
Die Stimme aus den Schatten trat immer näher heran, die Stimme war noch immer weich und schmeichelnd: „ Aber lieber Kapitän, warum wollen Sie mich denn so schnell verlassen? Gönnen Sie mir doch bitte die Ehre Ihrer Anwesenheit.“
Karls Befreiungsversuche wurden weniger hektisch, bis er schließlich vollkommen ruhig war. Mit aufgerissenen Augen starrt er auf die geöffnete Tür.
Der Mann mit der seidenen Stimme war mittleren Alters, Karl schätzte ihn auf Anfang dreißig. Das schulterlange braunen Haar war zu einem Zopf gebunden, wie es für Höflinge üblich war. Er trug Kleidung der neusten Mode Marienburgs mit einem leichten bretonischen Anstrich. Ein charismatisches Lächeln umspielte seine Lippen. Die dunklen Augen blitzten aus ihren Höhlen hervor. Die Haut war ebenmäßig und weich, keine Spur der Verunreinigung oder eine Narbe verunstaltete das weichgeschnittene Gesicht. Der Mann betrachtete Karl amüsiert und sein Lächeln wuchs noch mehr in die Breite, wobei er ein paar spitzer Fangzähne entblößte.
Sofort begann Karl wieder an Ludwigs Griff zu zerren. Der Mann lachte lauthals auf, beruhigte sich wieder und lächelte erneut: „ Aber lieber Herr Kapitän, warum denn so aufgebracht? Liegt es vielleicht daran, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe? Wie unhöflich von mir, entschuldigen Sie bitte.
Mein Name ist Luthor Harkonnen.“
Karl riss immer stärker an Ludwigs Griff inzwischen achtete er nicht mehr auf die Schmerzen. Als er ein weiteres Mal an der Hand seines ehemaligen Freundes riss erklang ein schmerzhaftes Knacken. Karl spürte wie sich von seinem Arm aus eine Welle des Schmerzes ausbreitete, die ihm fast die Sinne raubte, doch sein Arm war frei. Er trat Luthor noch vors Schienenbein und Ludwig auf den Fuß, bevor er, sich den Arm haltend, dem Heck des Schiffes zueilte.
Luthors Gesichtsausdruck veränderte sich rapid. Aus dem ansprechendem Gesicht eines Edelmannes wurde eine verzerrte Fratze, die nur aus Hass und Wut zu bestehen schien. Kein Schmerz hatte ihn getroffen, doch er fühlte sich beleidigt von dem erbärmlichen Wesen, was jämmerlich vor ihm davon lief.
Schnell faste er sich jedoch wieder und das siegessichere Lächeln nahm seinen Platz wieder ein. Langsam nahm er die Verfolgung auf. Niemand würde ihn länger zum Narren halten.
Ludwig rappelte sich ebenfalls wieder auf und folgte Luthor wie ein Hund.

Karl wankte in Richtung Kartenraum, seine Welt wurde von Schmerzblitzen aus seinem Arm zerrissen und bittere Tränen der Trauer über den Verlust Ludwigs mischten sich mit denen der tiefen Angst.
Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte er sich die kurze Strecke entlang, immer wieder wurde er von den Schwankungen der Seefalke, die sich entschlossen durch den Sturm kämpfte, von den Füßen geholt. Gehetzt sah er sich um, Luthor und Ludwig holten unerbittlich auf.
Endlich erreichte er die Tür zum Kartenraum. Er stürzte sich durch die Tür und stellte mit aller Hast eine der Truhen von innen davor.
Karl richtete sich mit schmerzverzerrten Gesicht auf und öffnete eine andere Truhe.

Luthor lachte erneut, dieser dumme Mensch wagte es wirklich sich gegen ihn aufzulehnen. Mit einem Wink befahl er Ludwig die Tür einzurammen. Der Steuermann trat vor und begann auf das Holz einzuschlagen.

Vor Schmerzen zitternd kauerte Karl hinter der schweren Kiste vor der Tür und begann die beiden Pistolen zu laden, die er zum Schutze seiner Selbst, der Mannschaft und für das Schiff erhalten hatte. So jedenfalls lautete der Schwur, den er geleistet hatte, als er zum Kapitän erhoben worden war. Seine Hände zitterten als er versuchte das Schwarzpulver in die kunstvoll verzierten Waffen einfüllte. Dann warf er das Pulverhorn in eine Ecke, er würde es kein weiteres Mal brauchen, und griff zum Kugelbeutel. Als er ihn öffnete rutschte er aus seinen unsicheren Fingern und duzende von Bleikugeln rollten über den sich wiegenden Boden der Kabine.
Karl fluchte leise und schaffte es trotzdem zwei der Kugeln aufzusammeln und in die Pistolen zu stecken. Bedächtig drückte er die Ladung mit dem Ladestock fest und biss die Zähne zusammen als ein weiterer Blitz aus Schmerzen seine Sinne durchflutete.
Nun schob er sich so weit wie möglich von der Tür weg und zog sich an der gegenüberliegenden Wand hoch.
Die Tür erbebte unter einem erneuten Ansturm Ludwigs.
Karl hob den linken Arm mit der Pistole auf den Durchgang zielend.
Sein heiserer Atem ging stoßweise, Schmerz und Angst drohte ihn fast wieder zu überwältigen.
Mit einem Krachen zerbarst die Tür und ein geifernder Ludwig stand in den Trümmern. Die Anstrengung hatte sein Gesicht verzerrt und sein Hemd war gerissen . Blut aus kleineren Schnitten färbten seine Kleidung langsam rot. Gebückt grinste er Karl mit vor Wahnsinn glänzendem Auge an. Mitleid regte sich in Karl und er unterdrückte den Reflex zu schießen.
Luthor betrat den Raum, auf den Lippen erneut das siegessichere Lächeln und stellte sich vor seinen Diener. Er hielt einen dünnen Rapier in der rechten Hand.
Karl zog den Abzug. Mit einem ohrenbetäubenden Knallen löste sich der Schuss und die Kugel drang in die Brust Luthors ein, durchdrang sie und traf den dahinterstehenden Ludwig. Taumelnd brach Karls alter Freund zusammen .
Gleichzeitig rutschte Karl die Bordwand hinab bis er zusammen gekrümmt am Boden saß. Zitternd hob er die zweite Pistole.
Luthor hingegen lachte aus vollem Hals, im war außer einem Loch im Hemd nichts weiter zugestoßen.
„ Aber mein lieber Kapitän, ts, wer wird denn wohl? Dieses Hemd war ziemlich teuer, müßt ihr wissen. Doch ich verzeihe euch, denn ihr werdet mir noch große Dienste leisten.“
Entgeistert ließ Karl die Pistole wieder sinken. Durch einen Schleier aus Trauer, Verzweiflung, Angst und Schmerz antwortete er: „ Was meint ihr? Was habt ihr mit mir vor?“
Luthor lächelte nachsichtig und sprach nun als würde er mit einem dummen Kind reden : „ Aber lieber Kapitän. Irgendwer muss dieses Schiff doch führen, nun, da der liebe Steuermann uns schon verlassen mußte. Aber keine Sorge, er wird wiederkommen. Euch jedoch brauche ich bei Verstand. Ihr werdet mich doch sicherlich dorthin bringen wo ich hin will. Ihr werdet auch reich dafür belohnt werden.“
„Etwa so wie Ludwig?“ Karl blickte unwillkürlich zu dem Leichnam.
Luthor winkte mit dem Zeigefinger, „Aber, aber. Wenn ich euch daran erinnern darf, das Ihr ihn getötet habt?
Nein, ihr werdet die Gnade des Blutkusses erlangen und Ihr werdet zu einem von meiner Art werden. Ihr werdet nie hungern brauchen, nie schlafen und nur selten, trinken“, Luthor lächelte süffisant, „ müssen. Erfüllt nur euren Auftrag.“
„ Und wenn ich mich weigere?“
„ Habe ich jemals erwähnt, ihr hättet eine Wahl?“
„Doch die habe ich!“ Karl hob erneut die Pistole. Luthor winkte ab: „ Aber mein lieber Kapitän, dass hatten wir doch schon! Wie dumm ihr doch seit!“
Karl lächelte grimmig und hob die Pistole an seine Schläfe: „ Man hat immer eine Wahl!“ Bevor Luthor reagieren konnte, zog Karl den Abzug.
Sein Kopf verging in einer blutigen Explosion.
Luthor wischte sich die Masse, die ihn getroffen hatte von der Kleidung, sah noch einmal zu der Leiche Karls: „ Wirklich sehr unglücklich, lieber Kapitän. Das erschwert den Aufwand erheblich.“
Über ihm wurde die Luke aufgerissen, salzige Seeluft und Gischt sprühten hinunter.
Ein Matrose starte in das blutige Chaos, entsetzt schrie er „ Bei Sigmar, was ist hier passiert?“
Luhor lächelte nach oben: „ Oh, Besuch. Wie nett. Kommen Sie runter und lassen Sie uns das doch bitte mal aussprechen.“

Stunden später hatte sich der Sturm gelegt und ein dichter Nebelschleier lag über dem nun ruhigen Wasser.
Nur das rhythmische Klatschen der Ruder durchbrach die Stille. Leif stand wieder am Steuer. Er hatte das Langboot durch den Sturm gesteuert und dankte den Göttern diese Gefahr überstanden zu haben.
Svengar kam zum Steuerstand hinauf, sein Wolfsfell, das er als Zeichen seiner Würde trug, hing tropfnass an ihm herab.
„ Was gibt es Sven?“
„ Ja, mein Häuptling, ein Schiff!“
Leif war alarmiert: „ Was für ein Schiff?“
„Es sieht nach einem imperialen oder bretonischen aus, mit Sicherheit nicht elfisch.“
„ Den Göttern sei Dank, wie weit ist das Schiff und wie schnell?“
„ Es liegt kaum eine Meile voraus und scheint nur zu treiben, Herr.“
Leif rieb sich nachdenklich das Kinn. „ Das sehen wir uns mal an. Einen kleinen Frachter können wir noch auf dem Weg abkassieren“
Kurz darauf kam das Langboot längsseits zu dem fremden Schiff. Enterhaken wurden die Bordwand empor geschleudert. Leif stand vor seiner Mannschaft, die ihre Waffen fest in der Hand hielten. Es waren wilde Männer und erfahrende Krieger. Mit allen zusammen hatte Leif schon einmal bei verschiedenen Überfällen gekämpft, er wußte, er konnte sich auf die Männer verlassen.
Er griff nach einem der Seile und stieß den Kriegsruf des Stammes aus, ein heiseres Wolfsgeheul. Die Männer fielen ein und der Ruf des Rudels eilte über die See. Sofort begannen die Krieger an den Seilen an Deck zu klettern. Leif vorne weg. Auch Svengar machte sich daran, die Bordwand zu erklimmen.
Mit einem Satz schwang sich Leif über die Reling seine Axt gezückt und den Streitkolben in der anderen Hand. In geduckter Haltung sah er sich nach Gegnern um und wurde enttäuscht. Das Deck war menschenleer, sah man von Leif und seinen Kriegern einmal ab.
Der junge Häuptling stieß einen abfälligen Grunzlaut aus. Leif kletterte mit Svengar an seiner Seite und mit mehreren Männern hinter sich die Ruderbrücke hinauf. Gerade als sie die Plattform erreicht hatten öffnete sich eine Luke hinter dem Steuerrad. Luthor stieg heraus und brachte seine Kleidung in Ordnung bevor er mit einem gewinnenden Lächeln auf die überraschten Norse zu schritt.
„Willkommen, meine Herren. Höchst zuvorkommend von Euch, mich besuchen zu wollen. Dürfte ich Sie nun aber bitten mein Schiff zu verlassen? Ich habe zu tun!“
Luthor verneigte sich tief und ging dann wieder zur Luke zurück. Leif gab einem seiner Männer mit dem Streitkolben einen Wink. Der stieß ein Heulen aus und griff Luthor mit weit schwingender Axt an. Noch bevor der Norse Luthor erreichen konnte, hatte sich dieser auch schon umgedreht, seinen Rapier gezogen und den nur leicht gerüsteten Mann mehrfach durchbohrt. Luthor machte einen kleinen Schritt zur Seite um der fallenden Leiche auszuweichen.
Leif brüllte auf: „ Wer seid ihr, dass ihr es wagt Widerstand zu leisten?“
Luthor stütze sich auf seinen Rapier und lächelte weiterhin, als wäre nichts passiert. „ Oh verzeiht bitte vielmals, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe, ich bin Luthor Harkonnen. Seid gegrüßt. Aber nun, macht das ihr von Bord kommt, sonst ergeht es euch wie diesem ungehobelten Rabauken hier.“
„Ihr habt gerade euer Todesurteil unterschrieben, ich werde euch vernichten!“ brüllte Leif und stürzte auf Luthor zu , der gelassen seinen linken Arm hinter dem Rücken verschränkt und in klassische Fechtposition ging. Er zog die Brauen hoch und zuckte mit den Achseln. „ Nun, denn, es ist euer Leben.“
Leifs erstem stürmischen Angriff wich Luthor mit geradezu spielerischer Leichtigkeit aus, stieß einmal kurz mit dem Rapier zu und trat wieder zurück. Leif kam an der Brüstung wieder zum stehen und betastete wütend die leichte Fleischwunde in seiner Seite.
Als sie ihren Häuptling verletzt sahen wollten sich die zwei Krieger, die Leif und Svengar gefolgt waren, auf Luthor stürzen, doch der fixierte sie mit seinen Augen, die kurz grün aufleuchteten und proklamierte einige Worte in einer unverständlichen Sprache. Erneut blitzen die Augen auf und leuchtend grüne Strahlen schossen aus den Augen Luthors, die die zwei Krieger durchbohrten und von Bord schleuderten. Ihre Schreie vergingen schnell in den Fluten.
Luthor lächelte.
Leif robbte zu Svengar hinüber, der an der Brüstung zum Deck stand. Der alte Schamane zückte ein Runenverziertes Stäbchen, zerbrach es und deutete mit allen Fingern auf Luthor. Mit einer unirdischen Stimme brüllte er eine Beschwörungsformel. Bläuliche Blitze zuckten von den Fingerspitzen des Schamanen auf Luthor zu. Der rezitierte erneut aus der unbekannten Sprache und wischte die Blitze mit einer Handbewegung beiseite.
Svengar stolperte zurück. Luthor wandte sich ihm zu. Seine Stimme war nun nicht mehr einschmeichelnd: „ Wie kannst du es wagen, Sterblicher? Du willst mich mit deinen kümmerlichen Kräften angreifen? Du wirst deine gerechte Strafe für den Frevel erhalten. Für den Frevel dich gegen einen VAMPIR aufzulehnen!“
Mit einem Ruck streckte Luthor seinen Arm aus und spreizte die Finger. Svengar wurde von einer Schockwelle erfaßt, durch die Brüstung geschmettert und an den Mast geworfen, wo er benommen bis zum Deck hinabglitt.
Leif starrte entsetzt abwechselnd Luthor und Svengars zusammengesunkenen Körper an.
Mit einem Kampfschrei warf er sich erneut gegen den Vampir. Der wich der Streitkolben aus, doch die Streitaxt erwischte Luthor am Oberschenkel.
Luthor schien es kaum zu bemerken. Er hob den Häuptling an einer Hand hoch und warf ihn aufs Deck, wo er krachend landete. Ächzend richtete sich Leif wieder auf. „ Auf ihn, Sturmwölfe!“ befahl er brüllend.
Fünfzehn der Krieger eilten die Treppe zur Steuerbrücke hinauf.
„ Ob Vampir oder nicht, heute ist dein letzter Tag Luthor Harkonnen!“
Luthor rollte mit den Augen: „ Wie oft ich diesen Satz wohl schon gehört habe. Wenn ihr jedoch mit euren Gefolgsleuten kämpft, so wird ich auch meine zu Unterstützung rufen, sonst brauche ich wohl zu lange für Euch jämmerliche Gegner. Ihr langweilt mich bereits jetzt!“
In seiner hohlen Hand formte sich eine dunkelgrüne Energiekugel die er in die Mitte der Anstürmenden Krieger schleuderte. Drei von ihnen wurden sofort versengt, als die Kugel in ihrer Mitte explodierte, doch die anderen kamen mit Verbrennungen erneut auf die Füße und stürmten weiter die Treppe hinauf.
In diesem Moment öffneten sich die anderen Luken und schlurfende Gestalten traten hervor. Sie waren blaß und ihre Kleidung war zum Teil zerrissen, doch man erkannte sie als die typische Kleidung imperialer Seemänner. Scheußliche Wunden waren zu sehn, die kein Mensch hätte überleben können, was auch nicht der Fall war. Leif keuchte: „ Zombies, Auch das noch! Macht sie nieder Männer!“
Leif selbst ergriff seine Waffen und ging auf die wandelnden Leichen los. Die willenlosen Wesen waren keine wirklichen Gegner für die Norse, die kräftigen Hiebe und Stiche zerstörten die Untoten schnell und effizient. Doch unter dem Ansturm wurden auch einige Norse niedergerungen. Die Kämpfer der Sturmwölfe wurden immer weniger.
Gerade hatte Leif seinen letzten Gegner erledigt- einen Zombie ohne Kopf- und wollte seinen Männern auf der Ruderbrücke zu Hilfe kommen, die dort im Pulk um den Vampir standen und Hiebe niedergehen ließen.
Anscheinend jedoch ebensowenig erfolgreich wie Leif zuvor. Luthor sprang vor und zurück und massakrierte die Nordmänner mit seinem Rapier. Einem nach dem anderem.
Leif eilte die Treppe hinauf. Gerade hatte Luthor den letzen Norse niedergestreckt und stand in mitten der Leichen.
Der junge Häuptling wollte sich gerade auf den Vampir werfen als der mit einer Geste Einhalt gebot. Irritiert brach Leif seinen Angriff ab und ließ den Streitkolben fallen, die Axt hing in der Schlaufe weiterhin an seiner Hand, er konnte sich nicht mehr bewegen.
Luthor schüttelte den Kopf: „ Ich bitte Sie. Zwingen Sie mich nicht Sie zu töten. Ich brauche Sie. Wissen Sie, mein alter Kapitän zog vor gewaltsam von meinem Angebot Abstand zu nehmen. Deshalb brauche ich nun einen neuen Navigator, da besagter Kapitän dummerweise auch den ehemaligen Steuermann aus dem Leben riß.
Und es ist ja bekannt, wie selten man gutes Personal findet.
Bringen Sie mich zur nächsten menschlichen Siedlung und es soll nicht Ihr Schaden sein. Nun ja, wenigstens werden Sie nicht sterben wie ein Stück Vieh, wie diese hier. Was halten sie davon?“ Luthor schnippte mit den Fingern, und Leif merkte, dass er wieder Kontrolle über seinen Körper besaß.
„Und wenn ich mich weigere?“
„ Das Euch Sterblichen aber auch nie eine innovative Antwort einfällt. Nun Ihr werdet Euch nicht weigern, und auch sonst werdet ihr nichts tun, was mich verärgern könnte. Dieses Mal nicht. Außerdem langweilt es mich euch zu töten. Versucht es also nicht selbst, so etwas lasse ich nicht noch einmal zu.“
„ Aber was bekomme ich denn dafür?“
„ Macht, Reichtum, ewiges Leben. Ihr werdet mein oberster Diener sein und das allein dürfte Belohnung genug sein.“
„ Macht zu erlangen ist auch mein Ziel, doch in euren Dienst trete ich nie!“ Leif hob seine Axt.
Luthor griff schnell an. Mit einem Schlag hatte er dem jungen Häuptling die Axt entwunden und den Streitkolben mit dem Fuß außer Reichweite befördert. Er riß mit der linken Hand den Kopf zur Seite und versenkte seine Fangzähne in den entblößten Hals. Leifs Körper wurde schlaff.
Nach einiger Zeit hatte Luthor die grauenhafte Prozedur beendet, die von den überlebenden Sturmwölfen entsetzt beobachtet wurde.
In wilder Panik stürzten die Männer zur Reling um ins Langboot hinab zu steigen.
Luthor ließ Leif los, der polternd zu Boden fiel. Mit einem Wort der Macht lies er die fliehenden Krieger in einer Feuerwolke vergehen.
Leif richtete sich wieder auf. Seine Augen waren glasig und seine Bewegungen wirkten unkoordiniert.
Luthor wandte sich seinem neuen Sklaven zu :“ Wohin wirst du mich bringen?“
Leifs Antwort war mechanisch, als ob er nicht genau wüßte wie er die Wörter artikulieren sollte: „ Nach Skeggi, Herr!“
„Gut, Gut. Skeggi ist ideal für meine Zwecke!“

„ Nein!“ Svengar richtete sich schwerfällig am Mast auf. Sein Atem ging stoßweise. „ Nein, nicht nach Skeggi! Das kann ich nicht zulassen! Loki, große Gaukler, führ dieses Schiff in Irre, auf dass Skeggi verschont bleibe!“

Luthor brauste auf: „ Wie kannst du es wagen alter Mann, noch zu leben? Wie kannst du es wagen dich einzumischen? Niemand wird sich meinen Plänen widersetzen! Ich werde aus Skeggi meine Heimat machen. Die ganze Welt wird vor meinem Haus zittern! Keiner, auch nicht dein kraftloser Gott kann dich und Skeggi noch retten!“
Aus Luthor Hand entsprang ein Blitz, der auf Svengar zustieß, doch an einer bläulichen Aura verpuffte.
„ Wie kann das sein? Er ist ein kraftloser Sterblicher, woher hat er die Kraft, sich mir zu widersetzten?“
Svengars Augen glühten in einem inneren blauen Licht und seine Stimme war nicht die eines Menschen, sondern die eines Gottes: „ Ich habe diese Kraft von Loki erhalten, wie er sie mir schon früher einmal mal verliehen hatte. Ein letzes Mal werde ich meinem Namen gerecht. Ich werde Sturm bringen! Sturm , der dich von Skeggi vertreiben wird, wann immer du Kurs drauf nimmst. Du wirst Skeggi nie bekommen!“ Eine bläuliche Lichtsäule stieg von Svengars erhobenen Armen in den Himmel auf.
Luthor lachte auf: „ Alter Narr!“, und durchbohrte den gebeutelten Körper des Schamanen mit einem weiteren Energieblitz.

Doch der Sturm begann. Die Seefalke wurde ein Spielzeug der Wellen, der heulende Sturm trieb sie über das aufgepeitschte Wasser. Luthor zog anerkennend eine Augenbraue hoch: „ Gar nicht mal schlecht.“
Immer wieder brachen Wellen über dem Schiff und überspülten das Deck, doch Luthor blieb wie angewurzelt stehen, bis er sich schließlich in die Kajüte begab und Leif das Ruder überließ, der gekonnt das Schiff durch den Sturm dirigierte.
Tagelang heulte der Sturm und toste die See, bis das Wetter schließlich langsam besser wurde.
Die Seefalke trieb mittlerweile nur noch, die großen Segel von den Sturmböen zerfetzt und das Ruder durch mächtige Wogen zerschmettert, in die Nähe einer Küste.
Luthor ließ sich mit dem letzten intakten Beiboot ans Ufer rudern. Die faulige Haut der Zombies begann unter den warmen Strahlen der aufziehenden Sonne zu riechen. Luthor holte ein Seidentuch aus seinem Mantel und hielt es sich vor die Nase. Im Boot stehend sah sich Luthor um. An ihm glitt eine grüne, blühende Landschaft vorbei, während das Boot in eine Bucht hinein glitt.
Knirschend bohrte das Ruderboot mit dem Rumpf in den Sand des schmalen Strandsaums.
Kaum dreißig Meter von der Wasserkante begann ein wilder undurchdringlicher Dschungel. Mit einem Satz sprang Luthor an Land und sah sich um.
Mit einem Wink befahl er einem der Zombies auszusteigen. Mit ungelenken Bewegungen trat der Untote neben ihn. Es war Ludwigs Leiche, durch das Wetter hatte seine Haut einen gelblich grünen Farbton angenommen. Der Unterkiefer hing gebrochen herunter, aus seiner Kehle erklang sich ein stöhnendes Jammern, das in einem gurgelnden Pfeifen unter ging. Die toten Augen fixierten die blühende Landschaft.
Luthor legte eine Hand auf die Schulter des Zombies, wobei er darauf achtete nur Kleidung zu berühren und den schleimigen Resten des Körpers nicht zu nahe zu kommen, und machte eine ausschweifende Geste, die die gesamte Umgebung einbezog.
Luthor lächelte sardnoisch: „Hach ja, Lustria sehen und sterben- oder eben anders herum.“


Der Autor
Text folgt

Die Jury
"Eine tolle Story, die sprachlich gut und sehr detailreich geschrieben ist, insbesondere in der ersten Hälfte. Die zweite Hälfte schwächelt ein wenig. Jedoch werden die Charaktere gut und glaubhaft herüber gebracht und der Schluss gefällt mir durch seine Offenheit besonders gut."
"Eine bekannte Geschichte sehr schön mit Leben gefüllt. Luthor ist ein herrlich arrogantes Carstein-Schwein, aber manchmal ist er fast schon zu überzeichnet."

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