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PHILIPP GRESSE - "BLUTRAUSCH"

Khârn hasste es zu warten. Und so war es für ihn nun fast schon so etwas wie eine Erleichterung. Obwohl der Verräter zusammengepfercht in einem Entertorpedo saß, und jeder Muskel seines Körpers fast bis zum zerreißen angespannt war, so wusste er dennoch, dass er gleich kämpfen würde. Nichts hasste er mehr als die langen und frustrierenden Raumreisen. Das Warten auf die Ankunft beim Ziel. Eine jedes Mal schier endlos erscheinende Zeit ohne Kampf. Der Verräter tolerierte keine Übergriffe auf die eigenen Schiffsbesatzungen durch seine Berserker, denn er wusste, dass er sie benötigte. So unerträglich es war, und so sehr es seinen Hass steigerte, die World Eaters waren auf die Schiffe angewiesen, die sie von Schlachtfeld zu Schlachtfeld trugen. Und so waren längere Reisen stets eine Qual für ihn. Doch all das kümmerte ihn jetzt nicht. Der Torpedo näherte sich seinem Ziel, und das Warten hatte ein Ende. Um sich hatte er die fähigsten Krieger seiner Kompanie versammelt. Allesamt gezeichnet und gesegnet von Khorne, in schweren und archaischen Rüstungen, die von Symbolen und Fratzen übersäht waren.

Der blick aus dem Bullauge offenbarte ein heilloses durcheinander. Großkampfschiffe und Jäger des Imperiums duellierten sich mit Schiffen der fremdartigen Tyraniden, während dazwischen Schiffe der World Eaters unentwegt Landungsboote, Jäger und tödliche Geschosssalven in alle Richtungen ausstießen.
Der Blutgott war ihm heute wohlgesonnen. Seine Schiffe hatten die Tyranidenflotte registriert, die sich im Anflug auf eine Welt des Imperiums befunden hatte. Khârn hatte nicht einen Moment gezögert, und sofort befohlen auf diese Welt Kurs zu nehmen. Die Schiffe der World Eaters waren eingetroffen, als die Tyraniden gerade versuchten, die unmittelbaren Verteidigungslinien der imperialen Schiffe zu durchbrechen, und ihre Sporenkapseln auf den Planeten abzulassen. Khârns Befehl war gewagt, aber ein anderes Vorgehen hätte ihn nicht zufriedengestellt. Er hatte seine Schiffe mitten in die Tyranidenflotte gesteuert, deren Reihen durchbrochen, und war dann dahinter auf die Imperialen gestoßen. Nun tobte um ihn herum eine Raumschlacht zwischen drei verfeindeten Parteien. In diesem heillosen Chaos der Schlacht fühlte er sich wohl.
Alle taktischen Überlegungen beiseite werfend hatte Khârn seinen Truppen freie Hand bei der Wahl ihrer Ziele gelassen, und so schwärmten Landungsboote und Entertorpedos in alle Richtungen aus. Er selbst befand sich im Anflug auf das Schwarmschiff der Tyraniden. Der gigantische Biokoloss blutete aus zig Wunden, die ihm sowohl Imperiale Großkampfschiffe als auch Kreuzer der Renegaten mit ihren haushohen Plasmageschützen und Makrokanonen zugefügt hatten.
Der Koloss kam immer näher. Khârn und die anderen Auserkorenen bereiteten sich auf den Einschlag vor.

***

Sie waren im Körper der Bestie. Der Entertorpedo hatte sie in einen arterienartigen Gang entladen. Die Wände waren aus porösem, feuchtem Fleisch, und der Gang schien sich gleichmäßig zu verengen und wieder zu weiten. Wie bei einem Organ. Die Berserker wüteten voran, sich durch eine geringe Zahl kleinerer Kreaturen hackend, die jedoch keine Anstalten machten, sich zu wehren. Es war wohl ihr einziger Lebenszweck, sich um das Wohl der Organe des Schiffes zu kümmern. Bisher war Khârn keineswegs zufrieden. Dann jedoch traten die Berserker, sich durch eine Art Membran-Tor schneidend, in eine große Kammer ein, die wenigstens eine Meile lang und breit war, und ebenso hoch. In den Wänden zu allen Seiten waren tausende kokonartige Vertiefungen. Die Brutkapseln der Kreaturen. Doch sie waren alle leer. Vermutlich bereiteten sich die Kreaturen auf die Anlandung auf dem Planeten vor, oder sie waren schon dort. Sollten sie tatsächlich ein verlassenes Schiff geentert haben? Er knirschte mit den Zähnen. Bis sie von diesem verlassenen Klumpen evakuiert werden konnten, würde viel Zeit vergehen, jetzt wo so gut wie jeder Teil der Kompanie irgendwo am Kämpfen war.
Khârn wollte vor Enttäuschung und Wut aufschreien, doch da vernahm er ein leises Rauschen. Er war nicht sicher woher es kam, aber es war vorher noch nicht da gewesen. Das Rauschen schwoll an, und bald war es als eine Kakophonie aus dem Schaben und Kreischen von zahllosen Kreaturen zu erkennen, das durch die Gänge hallte und immer lauter wurde. Dann öffneten sich zu allen Seiten der Kammer die Membrane, und aus jeder Öffnung ergoss sich ein Meer von Körpern, Klauen und Zähnen. Hundertscharen von Kreaturen strömten einer Springflut gleich in den Raum hinein. Es war ein überwältigender Anblick, der jeden anderen mit Schrecken erfüllt hätte. Aber nicht die Getreuen des Blutgottes. Gut, dachte Khârn. Sie hatten das Schiff doch nicht umsonst geentert.

Die wenigen Berserker standen Schulter an Schulter im Zentrum der Kammer. Die Kreaturen waren so zahlreich und so begierig, sich auf die Eindringlinge zu stürzen, dass sie teilweise über einander her kletterten. Wie eine Flutwelle strömten die Kreaturen auf das Zentrum zu, und drohten gerade über sie hineinzubrechen, da Stießen alle Berserker zugleich ihr Schlachtengebrüll aus, und warfen sich der Meute zu allen Seiten entgegen. Dachte man noch, die Berserker würden von dem Schwarm hunderter Kreaturen einfach weggeschwemmt werden, so stießen sie nun wie Pflüge in die Tyraniden hinein, dass die Bestien zu allen Seiten auseinander stoben. Wie Wirbelstürme aus Stahl und Blut, so mähten die Berserker sich durch Berge von Körpern. Khârn selbst kam nicht mit dem Zählen der getöteten Feinde hinterher, denn er schwang seine Axt wie ein besessener, und jeder Streich tötete gleich mehrere Kreaturen.
Ohne jegliche Erschöpfung zu zeigen kämpften die Berserker so mehrere Minuten, bis die Kammer angefüllt war mit den Körpern hunderter Gefallener, die sich immer weiter auftürmten. Es fiel schwer sich zu bewegen, und bei den anhaltenden Attacken der Tyranidenkreaturen nicht zu Boden zu gehen. Außer Khârn waren nur noch zwei weitere Berserker am Leben. Die Äonen alten und vom Chaos verzerrten Rüstungen der Berserker waren von den Tyranidenkreaturen kaum zu durchdringen, aber sie wurden praktisch erdrückt von der Masse an Körpern, und nicht selten klammerten sich mehrere der kleinen Kreaturen gleichzeitig mit ihren Klauen und Zähnen an den Berserkern fest. Selbst ihre übermenschlichen Kräfte stießen hier an ihre Grenzen. Doch Khârn fand es wunderbar. Jede seiner Bewegungen tötete. Er brach Knochen, zerstampfte Schädel, riss Gliedmaßen aus. Als wäre es ein niemals enden wollendes Fest der Gewalt.
Doch dann lies es nach. Die Flut ebbte ab. Die kleineren Kreaturen kamen nicht mehr nach. Entweder gab es keine mehr, oder die Tyraniden hatten sich entschieden, den Berserkern keine mehr vorzuwerfen. Khârn wollte es gerade bedauern, doch dann sah er, dass es nicht mehr nötig war. Es kamen die Krieger.

***

Es war gut. Es war anders. Wo die kleineren Kreaturen mühelos zu Dutzenden niedergemacht werden konnten, und wo sie nur durch ihre Masse ein wenig Widerstand aufbringen konnten, da waren die größeren Kreaturen schon für sich alleine echte und würdige Gegner. Bei den kleineren Kreaturen hatte Khârn sich nicht viel bewegen müssen. Er hatte nur um sich geschlagen, und war gelegentlich auf die größte Gegneransammlung zugestürmt. Gegen die Krieger war das anders. Er musste richtig kämpfen. Er wich Schlägen aus, drehte sich blitzschnell einem anderen Gegner zu, zielte mit seiner Axt genauer. Ab und an tötete sein erster Schlag den Krieger nicht sofort, und er musste noch einmal nachsetzen. Er hieb nicht nur wild um sich, sondern er schlug gezielt und mit Kraft auf einen Gegner ein. Das Töten war hier nicht nur reine Freude, es war notwendig. Er kämpfte jetzt auch um sein Leben. Khârn konnte sich nicht nur auf seine Axt verlassen. Während er nach hier Schläge austeilte, musste er dort mit seinem anderen Arm das Genick oder das Rückrat eines Krieger brechen, oder ihm den Schädel zertrümmern. Die Schläge der Krieger waren kraftvoll, und wenn er nicht ausweichen konnte, dann erschütterten sie ihn bis ins Mark. Das entfachte seinen Zorn nur noch mehr, und deshalb war es gut. Mittlerweile waren auch die letzten beiden überlebenden Berserker gefallen, und Khârn war allein. Nicht ganz, denn er war umringt von zahlreichen Kriegern, die ihn allesamt um einiges an Körpergröße überragten.
Und die Krieger waren nicht nur stärker als die kleinen Kreaturen. Sie waren auch boshafter. Die kleineren hatten kaum einen eigenen Willen. Wie Tiere stürzten sie sich auf ihre Feinde. Doch die Krieger hatten einen eigenen Intellekt. Sie waren böse. Er konnte ihren Hass spüren. Die Tyraniden benötigten keine Sprache um das zu vermitteln. Es war absolut klar, wie sie fühlten. Und er ergötzte sich an ihrem Hass. Sie wollten ihn töten, nicht nur weil er ein Eindringling war, sondern weil er da war. Aber er war stärker. Es kostete mehr Kraft als bei den kleinen Kreaturen, aber er tötete sie, er zerbrach sie, er vernichtete sie. Alle.

***

Khârn brüllte auf. Es war kein Krieger mehr da. Es war niemand mehr da. Er stand auf einem Berg von Leichen, der mindestens zehn Meter hoch war. Und es war nicht der einzige Leichenberg in der riesigen Kammer. Bluttrinker in der Linken, die andere Faust geballt, so stand er für einen kurzen Moment, am Ganzen Körper zitternd und vibrierend durch die Anspannung und das Adrenalin. Seine Rüstung war bedeckt mit Blut und Klumpen der Tyraniden. Er selbst hatte zahlreiche Verletzungen davongetragen und seine Rüstung hatte gelitten. Er atmete schwer.
Aber er konnte sich jetzt nicht ausruhen. Er musste noch vollenden, weshalb er hergekommen war. Er musste die riesige Kreatur töten, in deren Eingeweiden er sich gerade befand. Ein anderer wäre in den verschlungenen Tunneln des Schwarmschiffes verloren gewesen. Doch Khârn wusste wo er lang musste. Er konnte den Hass des Schwarmbewussteins spüren. Er fühlte, wo sich dieser Hass ballte und konzentrierte. Doch Khârns Hass war stärker. Und das wusste auch das Schwarmschiff. Er konnte in der Umgebung eine Änderung in der Laune des Kolosses spüren. In dem Hass schwamm nun ein Beigeschmack von Angst mit. Khârn lachte innerlich auf, bei dem Gedanken an die Situation. Er war wie ein Geschwür, dass sich durch den Körper der Bestie bis hin zum Herzen vorarbeitete, um es dann zu töten.

***

Er betrat die Herzkammer. Ob es das Herz war, oder das Hirn, war ihm eigentlich egal. Es war das Zentrum des Schwarmbewusstseins, der Knotenpunkt. Wenn er es vernichtete, würden die gesamten Tyranidenstreitkräfte in der Umgebung führerlos sein, und es wäre ein leichtes sie zu vernichten, um sich danach vollständig den imperialen Hunden zuzuwenden. Doch das Herz war nicht ganz schutzlos. Es hatte sich einen Trumpf zurückbehalten. Khârn stand dem Tyranten gegenüber. Dem Herren des Schwarms. Die Bosheit in diesem Raum hätte einen normalsterblichen Menschen umbringen können, doch davon war der Verräter nicht beeindruckt. Der Hass des Tyranten war ungleich stärker als der der Krieger. Wie Finger streckte er diesen Hass nach Khârn aus, wollte ihn damit erwürgen, damit erschlagen. Der Wille des Schwarmbewusstseins verfestigte sich durch die Kräfte des Tyranten zu einer tödlichen Waffe. Doch er vermochte den Verräter nicht zu treffen. Die Kreatur schrie in Frustration auf, als seine psionische Attacke gegen Khârn keine Wirkung erzielte. Voller Zorn warf sie sich auf ihn. Drei Mannsgrößen hoch, war ein Tyrant ein furchterregender Gegner, den kein Sterblicher zu besiegen hoffen durfte. Doch der Verräter war kein normalsterblicher. Er lies sich fallen.

***

Es war wie ein Traum. Sein Körper fühlte sich taub an. Sein Sichtfeld war an den Seiten getrübt, fast so, als würde er durch einen Tunnel blicken. Er sah die Kreatur, aber sie war verschwommen. Er nahm Bewegung war, seine Bewegung. Und die Bewegung der Kreatur. Er wusste nicht was er tat. Er bewegte sich wie von selbst. Er hackte. Er brüllte. Das brüllen und hacken, das kreischen der Kreatur, und das Surren von Bluttrinker. Das alles hörte er kaum. Als ob es weit weg wäre. Die Attacken der Kreatur trafen ihn wie Hammerschläge. Er spürte wie seine Knochen Brachen. Er spürte wie seine Sehnen und Muskeln rissen. Aber er spürte keinen Schmerz. Nur Hass. Er hieb. Er traf. Immer wieder und wieder.

***

Er hackte noch weiter auf den Tyranten ein, und schrie ihn an. Aber der Tyrant hatte schon vor einer Weile aufgehört sich zu wehren. Es war nicht mehr als verstümmelte Überreste von der Kreatur übrig. Seine normalen Sinne kamen zu ihm zurück, und Khârn hörte auf, auf die Leiche einzuschlagen. Er atmete schwer. Er konnte seinen linken Arm nicht bewegen, und wenigstens zwanzig Knochen in seinem Körper waren gebrochen. Seine Rüstung war verbeult und hatte klaffende Wunden. Aber das kümmerte ihn nicht. Er konnte nicht sterben. Er konnte nur töten. Und nun war das Schwarmschiff dran.
Nachdem er das Herz des Schiffes mit einigen Sprenggranaten präpariert hatte, machte er sich auf den Weg zurück zum Entertorpedo, um sich abholen zu lassen. Wenn er dann abgeholt wurde, die restlichen tyranidischen und imperialen Schiffe geschlagen waren, dann konnte die Anlandung auf dem Planeten beginnen. Er hasste es zu warten.


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