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VOLKER WÖLL - "GRÜNDERFEST"

Geschwader-Kapitän Tussard zog seinen Greifvogel-Abfangjäger in engem Bogen um einen kleinen Astroiden. Vor ihm tauchten die klobigen Umrisse des Feindlichen Bombers auf. Ohne zu zögern feuerte er eine Salve aus seiner Bordkanone ab. Die Geschosse schlugen in den breiten Rumpf des gegnerischen Raumschiffes ein ohne eine offensichtliche Wirkung zu erzielen. Plötzlich brach der feindliche Pilot nach links aus, aber Tussard hatte keine Schwierigkeiten ihm zu folgen. Die Schiffe des Feindes waren robust, aber verglichen mit den Raumjägern der hyalonischen All-Flotte geradezu träge. Dafür waren sie tödlich. Ein einziger dieser Bomber konnte, ausgestattet mit nuklearen Raketen, eine ganze Stadt vernichten.
Gerade als der hyalonische Pilot seine Echoton-Rakete abfeuern wollte warnte ihn sein Radar mit einem schrillen pfeifen vor einem Feindlichen Flugkörper. Fluchend riss er seine Maschine erneut in eine selbstmörderisch enge Kurve. Die Wasserpolster seiner Pilotenkombi drückten ihm das Blut aus den Beinen in den Kopf, trotzdem verschwand für Sekunden jede Farbe aus seinem Blick. Links über ihm sah er zwei feindliche Jäger: Weniger robust als die Bomber, dafür erheblich wendiger. Mit seinem Manöver hatte er ihre Raketen ins Leere gehen lassen, die feindlichen Piloten aber noch nicht abgehängt.
Hektisch suchen blickte Tussard sich um. Unter ihm näherte sich das riesige Mutterschiff der Angreifer dem inneren Asteroiden Gürtel des Hyalon-Systems. Dieser Gürtel war zugleich der innere Verteidigungsring ihres Planeten. Wie eine Horde zorniger Insekten hatten sich die Jäger der Verteidiger auf den Waffenstarrenden Koloss gestürzt, der darauf hin seinerseits eine Wolke kleinerer Raumschiffe ausgespieen hatte. Nun hingen zwei dieser Angreifer hinter Kapitän Tussard und es wollte ihm nicht gelingen sie ab zu schütteln. In immer engere Kurven zog er den Greifvogel, streifte Asteroiden um haaresbreite, aber seine beiden Verfolger waren ein eingespieltes Team. Nie konnte er sie beide abschütteln, immer deckten sie sich gegenseitig. Lange konnte er das nicht mehr mitmachen, schon hörte er das Blut in seinen Ohren rauschen und mit jedem Manöver schien sein Blickfeld enger zu werden.
Verzweifelt nahm er Kurs auf das gegnerische Mutterschiff. Sofort warnten ihn seine Instrumente vor einem dutzend Zielradaren die ihn erfasst hatte. Als er in den Feuerbereich des Schiffes eintauchte nahm ihm das bunte Feuerwerk aus den Abwehrgeschützen beinahe die Sicht. Aber der Tussard war ein Veteran vieler Schlachten und mehr seiner Intuition folgend als auf die Instrumente seines Jägers vertrauend wich er dem Feuer aus. Er zog eine Spur explodierender Geschosse hinter sich her und die aufleuchtenden Warnungen vor Beinahetreffern und Schäden an seiner Maschine badeten ihn in rotes Licht. Dann war er durch. Er hatte den Feuerbereich hinter sich gelassen und wie er gehofft hatte waren ihm die Jäger nicht in diese Todeszone gefolgt. Erleichtert atmete er auf. Ein kurzes Aufblitzen auf einem der größeren Asteroiden lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Dort stand die gewaltige Inferno-Feuerbasis, das Rückrad ihrer Verteidigung. Ihr Unsichtbarer Energiestrahl traf das feindliche Mutterschiff und brannte ein kreisrundes Loch durch den Rumpf. Tussard beobachtete wie Explosionen über den Leib des Giganten wanderten und er wie ein sterbendes Tier ziellos umher trudelte. Steuerlos prallte das Schiff gegen Asteroiden und brach schließlich ganz auseinander. Die angreifenden Geschwader stoben in zielloser Flucht auseinander. Der Tag schien gewonnen, doch da sah Tussard den Bober von vorhin einsam auf den Verteidigungs-Asteroiden zuhalten. Der Kapitän nahm Kurs auf die feindliche Maschine. Die Entfernung war groß und er musste den Nachbrenner zuschalten, wollte er den Gegner noch rechtzeitig abfangen. Entschlossen drückte er die Schubkontrolle bis zum Anschlag durch. Doch anstatt von der Beschleunigung in den Sitz gedrückt zu werden hörte er nur, wie seine Triebwerke mit einem jämmerliche Krächzen erstarben. Schadensmelungen flatterten über alle Monitore. Sein Greifvogel war rettungslos zerschossen. So konnte Geschwaderkapitän Tussard nur hilflos mit ansehen, wie der Bomber über den Astroiden hinweg zog und die Inferno-Feuerbasis in einem Feuersturm verschwand.

Die All-Flottenbasis auf Aktia war in tiefen Schnee gehüllt und Tussard und seine Piloten standen frierend in der großen Hangarhalle stramm. Der Setrap von Groß-Aktia stand hinter einem Rednerpult, welches seine schmächtige Gestallt fast gänzlich verdeckte. Mit sorgenvoller Mine Sprach er zu den Soldaten: „Ihr habt auch dieses Jahr tapfer für Hyalon gekämpft Söhne Aktias. Eine schwere Zeit liegt hinter uns und es werden noch einige schwere Jahre kommen, aber ich bin sicher, ihr werdet in eurem Kampf nicht nachlassen und am Ende werden wir Triumphieren, wie unsere Vorfahren schon über die Grünhäute Triumphierten!“
Mit diesen Worten trat er von dem Pult zurück. Niemand applaudierte, keine Hochruf und der Setrap verließ ohne weitere umschweife den Hangar. Damit waren sie entlassen.
Tussard stand noch einen Augenblick ungerührt da. Er war sich nicht so sicher, was ihren Sieg anbelangte, ja noch nicht einmal, ob ihr Kampf noch Jahre dauern würde. Zwar hatten sie bisher jeden Angriff abgewehrt, aber jeden Sieg hatten sie mit Geländeverlusten erkauft. Die äußeren Kolonien hatten sie schon vor einem Jahrzehnt verloren. Echoton als erstes. Und nun waren die Angreifer bereits in den inneren Gürtel vorgedrungen. Angreifer, von denen sie nichts kannten als das Äußere ihrer Kampfschiffe und die Verwüstung die sie in den Kolonien hinterlassen hatten. Echoton. Bitterkeit stieg in Tussard auf, als er an diesen Ort dachte.
„Kapitän, wollt ihr nicht mitkommen?“
Tussard schreckte aus seinen finsteren Gedanken hoch. Leutnant Gulman, sein Flügelmann hatte ihn angesprochen.
„Wohin?“ fragte der Kapitän verwirrt.
„Na in die Grünhaut, Käptn. Es ist schließlich Gründerfest!“
Tussard zögerte einen Augenblick. Es war eine Art Tradition, dass die Kampfpiloten Aktias jedes Jahr in der „Grünhaut“ ausklingen ließen, bevor sie zu ihren Familien gingen. Eigentlich war ihm nicht nach Feiern zumute, aber was sollte er schon alleine zuhause.
„Natürlich Leutnant, gerne doch!“

Die Straßen der Hauptstadt waren tief verschneit und es war bitter kalt, wie es auf der nördlichen Halbkugel Hyalons üblich war zum Gründerfest. Hier war es auch, genau an der Stelle an der nun Aktia stand, wo der Legende nach der erste Mensch seinen Fuß auf den Planeten gesetzt hatte. Tussard und seine Kollegen waren froh, als sie die festlich geschmückte Kneipe ereichten und endlich aus der Kälte heraus kamen. Der Raum war bis zum bersten mit Uniformierten gefüllt. Trotzdem gelang es Gulman noch einen Sitzplatz für seine Kameraden zu organisieren. Darin hatte er ein echtes Talent. Die nächsten zwei Stunden verbrachten sie mit rauen Scherzen und abenteuerlichen Lügen über ihr fliegerisches Können. Dann war es Zeit auf zu brechen. Die meisten gingen heim zu ihrer Familie, so auch Gulman.
„Wollt ihr nicht mitkommen Käptn? Laslie kocht sowieso viel zu viel und die Kinder würden sich freuen.“
Tussard winkte ab. „Nein Danke Leutnant“
Gulman sah ihn lange an. „Aber ihr müsst das Gründerfest nicht allen feiern. Ich mein…elf Jahre sind eine lange Zeit.“
Tussard schluckte schwer und fast wären ihm die Tränen in die Augen geschossen. Vor elf Jahren hatten die Angreifer Echoton verwüstet. Es war der Erste große Angriff gewesen. An einem Gründerfest vor genau elf Jahren hatte er dort seine Familie verloren. Er selbst hatte Dienst auf einer nahen Station geschoben und so hatte er zu den ersten gehört, die den Ort nach dem Massaker ereichten. Keiner der Kolonisten hatte überlebt, viele wurden seid dem vermisst. Die Garnison musste sich tapfer verteidigt haben, aber von den Angreifern gab es keine Spur.
„Danke Gulman, aber ich gehe besser nach hause“
Ein schrilles Pipen unterbrach sie. Gulman griff fluchend nach seinem Alarmmelder. Er hatte bei der jährlichen Dienstverlosung Pech gehabt und gehörte zur zweiten Alarmrotte.
„Ausgerechnet heute Abend!“ zischte er „Wo Laslie und die Kinder warten.“
Tussard löste seinen eigenen Melder vom Gürtel und gab ihn einem Freund.
„Gebt mir euren, ich habe nur Reservebereitschaft und ihr habt einen Abend mit eurer Familie verdient.“
Gulman nahm zögernd den Melder seines Vorgesetzten. „Aber das kann ich nicht verlangen, Käptn, das ist…“
„Ein Befehl Leutnant.“
„Danke!“
Ein erneutes Piepsen unterbrach sie. Gulman betrachtete die Geräte in seinen Händen die nun beide aktiviert waren: „Was zum Teufel…“
Mit einem Mal war der ganze Raum erfüllt vom vielstimmigen Lärm dutzender Melder.

Tussards Greifvogel schoss aus dem Katapult-Tunnel wie ein Korken aus der Flasche. Kaum ließ der mörderische Beschleunigungsdruck nach, wandte er sich seinen Instrumenten zu. Die Freund-Feind-Kennung seines Radar-Monitors zeigte ihm die grünen Tupfer seiner Einheit vor dem grauen Hintergrund der Millionen Teile orbitalen Mülls, die den Planeten gänzlich einschlossen und von tausenden von Jahren Raumfahrt zeugten. Ohne zu zögern gab er seine Befehle:
„Rotes Geschwader V-Formation. Das Ziel ist…“ er las die Botschaft die auf seinem Kommandoschirm erschien „…die Ferne Umlaufbahn Sektor 22.Abfang Mission!“
Die Umlaufbahn! Tussard war erschüttert: Der Feind hatte den Planeten erreicht! Ausgerechnet am Gründerfest war es ihm gelungen ihre letzten Abwehrriegel zu umgehen.
„Rotes Geschwader, Trümmerkorridor Beta 12. Aufschließen.“
Mit diesem Befehl führte er seine Einheit auf einem sicheren Pfad durch das Feld aus Raumfahrtschrott. Für einige Augenblicke zeigte sein Radar nur die graue Masse alter Raketenteile und ausgedienter Satteliten um ihn herum an, dann hatten sie die Trümmerzone verlassen. Der Pilot runzelte die Stirn, noch immer war sein Schirm voller grauer Kontakte. Entweder war die Anzeige defekt oder seine Instrumente wurden noch immer von den Trümmern gestört. So oder so, eine Fehlfunktion konnte er sich nicht leisten. Gereizt schlug er mit der flachen Hand auf die Instrumententafel. Flackernd erwachte die Freund-Feind-Erkennung zum leben und färbte die Punkte seines Geschwaders grün. Der Rest des Bildschirms leuchtete in feindlichem Rot.
Tussard blinzelte. Das konnte unmöglich sein…und doch der Raum vor ihm war gefüllt mit über eintausend feindlichen Kontakten aller Größe. Zögernd löste er den Blick von den Instrumenten und sah aus der Kuppel seines Gleiters. Einige der Schiffe waren so gewaltig, dass er sie auf den ersten Blick für Asteroiden hielt. Gigantische Kriegsmaschinen, wie fliegende altertümliche Städte, an deren Bug Adler prangten die höher waren als das Parlamentsgebäude von Aktia. Kein Zweifel: ihr Feind war mit Macht zurückgekehrt. Tussards Mund wurde trocken, sein Mut sank und er wusste mit Sicherheit das Hyalon sein letztes Gründerfest gefeiert hatte.
Blechern erwachte sein Funkgerät zu leben. Ein voller grüner Balken zeigte ihm, dass ein Funkspruch auf allen Frequenzen herein kam. Eine gebieterische, tiefe, fremde Stimme in gebrochenem Hyalon sprach:
„Im Namen des Imperators und des Hohe Senat zu Terra befehle ich Lord-Feldmarschall Soton, Oberster Befehlshaber des Goliath-Sektors, den Bewohnern der Welt Hyalon ihren Widerstand ein zu stellen und in das Imperium der Menschheit zurück zu kehren.“


Der Autor
"Entstanden ist die erste Version der Geshichte schon zu Weihnachten und ein bisschen ein Weihnachtliches Flair sollte dieses Fest auf Hyalon auch haben. Aber eigentlich ist es keine Weihnachtsgeschichte (wie ihr sicherlich gemerkt habt), sonden beschreibt das grandiose Scheitern einer Figur, die das Zeug zum Helden hat."

Die Jury
"Schnörkellos werden wir in eine Welt geworfen, die wenig Freude für die Menschen bereit hält, die sie bewohnen. Genau dieser Verzicht auf Pathos und Pomp macht diese kleine Geschichte so sympathisch und menschlich. Allein die Idee mit einem Luftgefecht zu starten, welches für mich sehr glaubwürdig geschildert wurde, ist eine Idee, die mir nicht oft begegnet ist. Die Charaktere und ihre Umwelt werden allenfalls angeschnitten, was der Geschichte nicht zum Nachteil gereicht, sondern, ganz im Gegenteil, Raum für die eigene Phantasie lässt während es sich auf die nötigen Details beschränkt, ein Stilmittel, was nicht jeder Autor so meisterhaft beherrscht. Dies wiederum zeichnet ein sehr verletzliches Bild, und lässt Raum für die Identifikation mit den Charakteren und ihrer Agenda. Das Ende kommt ebenso unscheinbar und trostlos daher, und schließt mit einem Feuerwerk ab, das eigentlich keins ist, da es dem Kanon der Geschichte folgt. Der Autor spielt hier ganz bewusst und ganz gekonnt mit der Wirkung der Bilder und den Eindrücken, die aus diesen Bildern entstehen."
"Eine recht interessante Geschichte, die mal nicht aufzählt, wie jemand ganz toll den Tag rettet."

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