Hat es ihn wirklich gegeben?
Wie werden wohl nie fossile Knochen von ihm finden können, um seine Existenz
zu beweisen. Und dennoch ist er in vielen Sagen, Märchen und Mythologien
anzutreffen. Das Wissen um die Form eines Wesens seiner Art ist im Abendland,
wie in den östlichen Ländern sehr ähnlich. Während der Drachen
in Europa ein furchterregendes, hinterlistiges und goldgieriges Ungeheuer war,
ist er im fernen Osten jedoch ein gutartiger Glücksbringer und Beschützer
der Menschen, der heute noch verehrt wird.
"Die Heiligen Männer in Indien sagten, dass die Welt von einem elfköpfigen
Schlangenwesen mit Namen Ananta gestützt werde. Ananta war nicht, wie die
meisten Drachen, eine Abgesandte der Unordnung, sondern sie diente dem Herrn
des Universums. Ihren langgestreckten Leib bot sie ihm als Ruhebett dar, wenn
der Gott zu schlafen wünschte."
Es stellt sich die Frage, woher seine doch sehr weite Verbreitung in den Legenden
und Mythen zu begründen ist.
Hier einige Beispiele aus der Literatur:
"In allen Völkern wird der Drachen mit der Gottheit in Zusammenhang
gebracht...
Kulte zu Ehren der mütterlichen Gottheit sind oft eng verknüpft mit
den Drachenmythen; das erklärt die nicht verstummenden Berichte über
Menschenopfer, die Bezugnahme auf Wolken und Gewitter und die vielen Schätze,
aber auch das Töten des Drachens, als Heldentat der Drachentöter also,
schützt die Menschen vor der Tücke der Gottheit."
- Larousse
In Prof. Karl Sagans Buch "The Dragan of Eden" beruht das Phänomen
seiner Ansicht nach auf "einer Art fossiler Erinnerung an die Zeit der
Dinosaurier. Diese Erinnerung ist durch das instinktive Gedächtnis der
frühen Säuger auf uns gekommen, unserer Vorfahren, die im Kampf mit
den großen Raubechsen bestehen mussten".
Wenn man sich die archetypische Grundstruktur von unverfälschten Märchen
betrachtet, entdeckt man auch dieses Urzeitwissen. Symbole und Gestalten wie
Schleier, Jungfrauen, weise Frauen, böse Widersacher, unschuldige Opfer,
strikt getrennt, das Böse und das Gute. Das alles soll nicht unbedingt
die äußere Welt widerspiegeln, sondern unsere innere Gedanken- und
Seelenwelt, in der eben diese Mächte ständig am Werk sind.
In der christlichen Mythologie ist der Drachen wohl als der Teufel anzusehen,
der vom Heiligen Georg getötet wird. Eine schöne Jungfrau, eine libysche
Prinzessin, war die Belohnung- Einer der bekanntesten Drachentöter ist
"Siegfried" aus der Nibelungen-Sage, ähnlich der isländischen
Sagengestalt "Sigurd". Bei den Drachen, die von den Helden getötet
wurden, zeigten sich die gleichen Eigenschaften wie Flugfähigkeit, die
Verwundbarkeit der Unterseite, die Magie des Drachenblutes und das Horten von
Unmengen Goldes.
"Regin verlangte dann, dass der Drache Fafnir das Gold mit ihm teile,
aber Fafnir war nicht willens, mit seinem Bruder das Gold zu teilen, dessentwegen
er seinen Vater getötet hatte und schickte Regin fort und drohte mit dem,
was Hreidmar widerfahren war...
So ergriff Regin die Flucht, aber Fafnir ging hinauf in die Heide von Gnita
und richtete sich dort eine Lagerstatt und verwandelte sich in einen Drachen
und legte sich auf das Gold.
- Edda
Alle Drachengeschichten aus Legenden, Sagen und Mythologien hier aufzuzeigen,
würde viel zu weit gehen.
Auch J.R.R. Tolkien schrieb im "Silmarillion" und in "Der Kleine
Hobbit" über Drachen, die dem Wesen der Drachen aus den Mythologien
sehr ähnlich sind:
Glaurung
"Abermals in einer Nacht, nach dem hundert Jahre vergangen waren, brach
Glaurung, der Erste unter den Uroloki, der Feuerdrachen des Nordes, aus den
Toren von Angband hervor. Er war noch jung und nicht einmal zur Hälfte
ausgewachsen, denn lang ist das Leben eines Drachen und nur langsam entwickelt
er sich und die Elben flohen vor ihm nach Ered-Wethrin und Dorthonian voller
Schrecken; er aber verwüstete die Felder von Ard-Galen."
Oder: Smaug
"Da lag er in tiefem Schlaf, ein großer, rötlich goldener Drache...
Nicht zu zählen waren die Schätze, auf denen er in seiner ganzen Größe
lagerte: seine Gliedmaßen, sein riesiger, zusammengerollter Schweif, alles
ruhte auf Gold! Vom Felsboden der Höhle war nichts mehr zu sehen, in Haufen
breitete sich die Pracht bis an die Wände aus. Alles war erfüllt von
rötlichem Licht, in dem das Silber aufschimmerte wie glänzender Rost."
Tolkiens Werke sind ein gutes Beispiel für die Umsetzung dieser archetypischen
Märchenstrukturen, die für die Seele tröstend und warnend, hoffnungsspendend
und gefahrvoll zugleich sind, in der das Gute mächtig werden muss, um im
Kampf gegen das übermächtige Böse zu bestehen.
Würde man mich jetzt aktuell zum Thema Drachen befragen, würde ich wohl
antworten, dass in jedem von uns seit Urzeiten ein Drachen steckt. Ein überaus
mächtiges, kraftvolles, wärmendes Wesen in unserer Seele, mit glühenden
Atem, das uns hin und wieder "Dampf" macht, wenn wir zögernd und
zaudernd sind, das uns in Träumen und Gedanken mit auf eine heilsame Reise
nimmt, in der wir unsere Probleme aus einer anderen Perspektive betrachten können.
Kurz gesagt, ein mächtig unbequemer aber starker und treuer Wegbegleiter.
Autoren: Inge Schemm & Petra Krippner
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